Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 11. August 2006
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Vertigo Berlin,
- EAN: 0602517050136
- Artikelnr.: 20881780
CD | |||
1 | Du Schreibst Geschichte | 00:03:12 | |
2 | Ein Sturm | 00:03:49 | |
3 | Piraten | 00:03:49 | |
4 | Goodbye Logik | 00:03:43 | |
5 | Ich rette die Welt | 00:03:23 | |
6 | Unzerbrechlich | 00:03:39 | |
7 | Ich komme nicht mit | 00:03:01 | |
8 | Der Moment | 00:04:14 | |
9 | Happy End | 00:03:47 | |
10 | Ein Produkt | 00:03:48 | |
11 | Euphorie | 00:03:28 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2006Corpusculum hermeticum
Metamorphose des Diskurspops: "Klez.e" und "Madsen"
Würmer, lebendige wie elektronische, sind Meister der Tarnung. Der Internet-Massenwurm "Klez.e" verbirgt sich in E-Mails mit wohlklingenden Betreffzeilen wie "how are you", "darling" oder "the Garden of Eden". Wer darauf hereinfällt wie Sänger Tobias Siebert, hat bald einen mittelschweren Computerschaden. Nach diesem elektronischen, die Maskerade beherrschenden Schädling hat sich seine Berliner Band benannt. "Klez.e" stehen, soviel läßt sich nach ihrem zweiten Album "Flimmern" sagen, ihrem Namenspaten in nichts nach. Sie fressen sich ins Gedächtnis und nagen im Gehörgang. Doch sie verdrehen die Wirkung des Computervirus ins Gegenteil. Wo dieser Wurm eine Spur der Verwüstung nach sich zieht, entpuppt sich "Klez.e" wie eine unscheinbare Raupe als schillernder, akustischer Schmetterling.
Über manche der deutschen, allzu kryptischen Texte darf man sich ärgern, weil sie auf ihrer Unzugänglichkeit beharren, hermetisch bleiben. Der Text, das ist unter den Bands des Diskurspop beinahe schon Tradition, ist ein Code, der sich nur Eingeweihten erschließt. Aber während bei wahren Diskurspopheroen wie "Blumfeld" oder den "Sternen" die Texte übermäßig verkopft sind und oft heillos überfrachtete, vertrackte Referenzspielwiesen bleiben, liegt hier die Schönheit im Klang. Die Qualität dieser Musik muß sich nicht am akademisch aufgeladenen Referenzfeld der Texte messen lassen, auch wenn diese hier keineswegs belanglos sind. Allerdings entspringen sie Alltagserfahrungen, bleiben auf der Ebene privater Befindlichkeiten und frei von Anleihen aus zuletzt gelesener (Pop-)Literatur. Das "Strandlied" etwa ist ein wohl unter dem Eindruck von Beziehungskummer entstandenes Stück. Es beginnt mit einem flirrenden Loop, der den Albumtitel rechtfertigt. Es flimmert im Ohr, während Tobias Siebert davon singt, wie er aus der Bahn geworfen wird: "Alles glitzert alles schreit. Ich bin glücklich nur soweit wie du jetzt vor mir bist und werde gefangen, gefangen, gefangen von dieser Zeit." Wie auch beim sparsam instrumentierten, traurigen zweiten Stück "Mein Geschenk" ist seine klare, drängende Stimme nicht in die Musik eingebettet, sie schwebt darüber. "Es wird nie näher sein als hier allein. Wir sollten glücklich sein." Diese Zeile ist ein Trugschluß, so offenbart das Kontrabaßsolo, das folgt.
"Klez.e" könnte man im oberbayerischen Indie-Mikrokosmos Weilheim verorten, dem mit "The Notwist" und "Lali Puna" zwei ambitionierte deutsche Elektropop-Bands entstammen, deren Einflüsse gut hörbar sind. Die sparsame Instrumentierung, das Experimentieren mit elektrischen Loops, Geräuschen, Weingläsern und Streichern, nach "Radiohead"-Manier ineinander verwobenen Gitarren - all das fügt sich zu einem nicht abgekupferten, oft rockigen, immer ausgetüftelten Album. Wiederkehrendes Motiv ist das Wasser, das vom "Strandlied" über "Dein Universum" ("Ich ertrinke im See, und du tanzt für mich auf dem Seeboden") bis hin zu den Melodien durch das Album plätschert. Passend dazu das Klappcover: Man blickt in eine Unterwasserwelt samt Fischen und einer dreidimensionalen Papieralge. Die Füße der Musiker stehen auf dem Seeboden, während sich auf der Wasseroberfläche glitzernd das Sonnenlicht bricht: Flimmern.
Auch abseits vertonter Liebeslyrik gehen die Berliner ambitioniert vor. "Center" ist Architekturkritik und handelt von der abweisenden Fassade der Einkaufspassagen und Betonwelten, die Einfluß auf das Seelenleben der Besucher nehmen: "Und alle Zimmer sehen gleich aus und haben keine Ausstrahlung. Und da ist keine kleine Hoffnung, und das wird weitergegeben." Ein Leben in dieser Umgebung geht zu Lasten der Kreativität, behaupten "Klez.e". Die Wut über diese Entwicklung in der Stimme wird potenziert durch harte Gitarren: "Wir können uns mit einer Zärtlichkeit umgeben, die uns hilft, neuen Standards zu entkommen."
Tobias Siebert, neunundzwanzig Jahre alt und Kopf der Band, betreibt in Berlin das Radio Büllebrück Studio, wo er mit seiner zweiten Band "Delbo" aufnimmt und mit Bands wie "Virginia jetzt!" und "Hund am Strand" produziert. Er schreibt die Texte und komponiert die Songs, die Band beschreibt er dennoch als "einen gleichberechtigten Haufen". Bisher sind sie weitgehend unentdeckt geblieben und verkünden auf ihrer Internetseite noch freimütig, was sie in ihrer Freizeit so anstellen: Vor der Release Party des Albums, wohl eines der besten dieses Jahres, wollen "Klez.e" gemeinsam bowlen gehen.
Es verwundert, daß "Klez.e" mit "Madsen" auf Tour gehen. Denn das ist auch schon das einzige, was die ambitionierten Berliner mit der Deutschrock-Entdeckung des vergangenen Jahres aus dem Wendland gemeinsam haben. Der Nachfolger "Goodbye, Logik" des "Madsen"-Debüts ist eine glatte Enttäuschung. Mit charakteristisch sich überschlagender Stimme schreit sich Sebastian Madsen seine universal gehaltenen Botschaften und Emotionen von der Seele, etwas weniger zornig als zuvor, doch musikalisch bleibt alles beim eintönigen Gitarren-Gedresche, sieht man von den Streichern einmal ab, die "Madsen" für die reichlich kitschige Ballade "Der Moment" bemühen. In "Ich rette die Welt" beschreiben "Madsen" eine Allmachtsphantasie und träumen davon, sich zu Helden des Alltags aufzuschwingen - der Soundtrack zum Pfadfindersyndrom.
Ein Lichtblick ist das schnelle und harte "Ein Produkt", das an den Hit "Die Perfektion" des Debüts erinnert. Von dem Vorgängeralbum soll Sebastian Madsen behauptet haben, er habe es für Realschüler auf Klassenfahrt geschrieben. Diese Zielgruppe wird sich um den Nachfolger reißen.
RAINER SCHULZE.
Klez.e, Flimmern. Loobmusik B000 6XA (Universal).
Madsen, Goodbye, Logik. Vertigo LC 14513 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Metamorphose des Diskurspops: "Klez.e" und "Madsen"
Würmer, lebendige wie elektronische, sind Meister der Tarnung. Der Internet-Massenwurm "Klez.e" verbirgt sich in E-Mails mit wohlklingenden Betreffzeilen wie "how are you", "darling" oder "the Garden of Eden". Wer darauf hereinfällt wie Sänger Tobias Siebert, hat bald einen mittelschweren Computerschaden. Nach diesem elektronischen, die Maskerade beherrschenden Schädling hat sich seine Berliner Band benannt. "Klez.e" stehen, soviel läßt sich nach ihrem zweiten Album "Flimmern" sagen, ihrem Namenspaten in nichts nach. Sie fressen sich ins Gedächtnis und nagen im Gehörgang. Doch sie verdrehen die Wirkung des Computervirus ins Gegenteil. Wo dieser Wurm eine Spur der Verwüstung nach sich zieht, entpuppt sich "Klez.e" wie eine unscheinbare Raupe als schillernder, akustischer Schmetterling.
Über manche der deutschen, allzu kryptischen Texte darf man sich ärgern, weil sie auf ihrer Unzugänglichkeit beharren, hermetisch bleiben. Der Text, das ist unter den Bands des Diskurspop beinahe schon Tradition, ist ein Code, der sich nur Eingeweihten erschließt. Aber während bei wahren Diskurspopheroen wie "Blumfeld" oder den "Sternen" die Texte übermäßig verkopft sind und oft heillos überfrachtete, vertrackte Referenzspielwiesen bleiben, liegt hier die Schönheit im Klang. Die Qualität dieser Musik muß sich nicht am akademisch aufgeladenen Referenzfeld der Texte messen lassen, auch wenn diese hier keineswegs belanglos sind. Allerdings entspringen sie Alltagserfahrungen, bleiben auf der Ebene privater Befindlichkeiten und frei von Anleihen aus zuletzt gelesener (Pop-)Literatur. Das "Strandlied" etwa ist ein wohl unter dem Eindruck von Beziehungskummer entstandenes Stück. Es beginnt mit einem flirrenden Loop, der den Albumtitel rechtfertigt. Es flimmert im Ohr, während Tobias Siebert davon singt, wie er aus der Bahn geworfen wird: "Alles glitzert alles schreit. Ich bin glücklich nur soweit wie du jetzt vor mir bist und werde gefangen, gefangen, gefangen von dieser Zeit." Wie auch beim sparsam instrumentierten, traurigen zweiten Stück "Mein Geschenk" ist seine klare, drängende Stimme nicht in die Musik eingebettet, sie schwebt darüber. "Es wird nie näher sein als hier allein. Wir sollten glücklich sein." Diese Zeile ist ein Trugschluß, so offenbart das Kontrabaßsolo, das folgt.
"Klez.e" könnte man im oberbayerischen Indie-Mikrokosmos Weilheim verorten, dem mit "The Notwist" und "Lali Puna" zwei ambitionierte deutsche Elektropop-Bands entstammen, deren Einflüsse gut hörbar sind. Die sparsame Instrumentierung, das Experimentieren mit elektrischen Loops, Geräuschen, Weingläsern und Streichern, nach "Radiohead"-Manier ineinander verwobenen Gitarren - all das fügt sich zu einem nicht abgekupferten, oft rockigen, immer ausgetüftelten Album. Wiederkehrendes Motiv ist das Wasser, das vom "Strandlied" über "Dein Universum" ("Ich ertrinke im See, und du tanzt für mich auf dem Seeboden") bis hin zu den Melodien durch das Album plätschert. Passend dazu das Klappcover: Man blickt in eine Unterwasserwelt samt Fischen und einer dreidimensionalen Papieralge. Die Füße der Musiker stehen auf dem Seeboden, während sich auf der Wasseroberfläche glitzernd das Sonnenlicht bricht: Flimmern.
Auch abseits vertonter Liebeslyrik gehen die Berliner ambitioniert vor. "Center" ist Architekturkritik und handelt von der abweisenden Fassade der Einkaufspassagen und Betonwelten, die Einfluß auf das Seelenleben der Besucher nehmen: "Und alle Zimmer sehen gleich aus und haben keine Ausstrahlung. Und da ist keine kleine Hoffnung, und das wird weitergegeben." Ein Leben in dieser Umgebung geht zu Lasten der Kreativität, behaupten "Klez.e". Die Wut über diese Entwicklung in der Stimme wird potenziert durch harte Gitarren: "Wir können uns mit einer Zärtlichkeit umgeben, die uns hilft, neuen Standards zu entkommen."
Tobias Siebert, neunundzwanzig Jahre alt und Kopf der Band, betreibt in Berlin das Radio Büllebrück Studio, wo er mit seiner zweiten Band "Delbo" aufnimmt und mit Bands wie "Virginia jetzt!" und "Hund am Strand" produziert. Er schreibt die Texte und komponiert die Songs, die Band beschreibt er dennoch als "einen gleichberechtigten Haufen". Bisher sind sie weitgehend unentdeckt geblieben und verkünden auf ihrer Internetseite noch freimütig, was sie in ihrer Freizeit so anstellen: Vor der Release Party des Albums, wohl eines der besten dieses Jahres, wollen "Klez.e" gemeinsam bowlen gehen.
Es verwundert, daß "Klez.e" mit "Madsen" auf Tour gehen. Denn das ist auch schon das einzige, was die ambitionierten Berliner mit der Deutschrock-Entdeckung des vergangenen Jahres aus dem Wendland gemeinsam haben. Der Nachfolger "Goodbye, Logik" des "Madsen"-Debüts ist eine glatte Enttäuschung. Mit charakteristisch sich überschlagender Stimme schreit sich Sebastian Madsen seine universal gehaltenen Botschaften und Emotionen von der Seele, etwas weniger zornig als zuvor, doch musikalisch bleibt alles beim eintönigen Gitarren-Gedresche, sieht man von den Streichern einmal ab, die "Madsen" für die reichlich kitschige Ballade "Der Moment" bemühen. In "Ich rette die Welt" beschreiben "Madsen" eine Allmachtsphantasie und träumen davon, sich zu Helden des Alltags aufzuschwingen - der Soundtrack zum Pfadfindersyndrom.
Ein Lichtblick ist das schnelle und harte "Ein Produkt", das an den Hit "Die Perfektion" des Debüts erinnert. Von dem Vorgängeralbum soll Sebastian Madsen behauptet haben, er habe es für Realschüler auf Klassenfahrt geschrieben. Diese Zielgruppe wird sich um den Nachfolger reißen.
RAINER SCHULZE.
Klez.e, Flimmern. Loobmusik B000 6XA (Universal).
Madsen, Goodbye, Logik. Vertigo LC 14513 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main