Auf "Grey Tickles, Black Pressure" (Grey Tickles ist die wörtliche Übersetzung von Midlife-Crisis aus dem Isländischen, dabei ist Black Pressure die wortwörtliche Bedeutung für Albtraum aus dem Türkischen) nimmt uns John Grant mit auf eine aufregende Tour de Force, geprägt von tiefverwurzelter Angst und Selbstzweifeln, von großer Liebe und süßen Träumereien. Nicht zuletzt benutzt John Grant seine Musik als Ventil, um zu reflektieren, zu verarbeiten und sich selbst zu therapieren - dem Hörer gegenüber begegnet er dabei mit einer ungewohnten Ehrlichkeit. Grant gelingt es, den perfekten Einklang zwischen prachtvollen Balladen und dynamischem Elektro-Pop zu finden. Doch auf "Grey Tickles, Black Pressure" kommt der US-Amerikaner mit Wahlheimat Island noch facettenreicher daher und setzt die musikalische Entwicklung gekonnt fort, die schon auf seinem zweiten Album "Pale Green Ghosts" begann. Dieses schaffte den Top20-Chartseinstieg in UK und brachte ihm begeisterte Kritiken sowie eine Nominierung zum "Best International Male Solo Artist" bei den BRIT Awards neben Justin Timberlake und Bruno Mars ein.
Gerade sein messerscharfes Songwriting und seine enorme Stimmgewalt machen die Musik von John Grant so außergewöhnlich - auch im Einklang mit Gastsängerinnen wie Amanda Palmer, Tracey Thorne oder der ehemaligen Banshee Drummerin Budgie. "Grey Tickles, Black Pressure" ist ein launiges, wütendes Album, übersät mit subtilem Humor und reichlich Pathos.
Aufgenommen wurden die 14 Tracks zusammen mit Produzent John Congleton (St Vincent, Franz Ferdinand, Swans) in Dallas - der Stadt, in der auch schon das Debütalbum "Queen Of Denmark" entstand und mit dem John Grant seinen Durchbruch als Solokünstler feierte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Gerade sein messerscharfes Songwriting und seine enorme Stimmgewalt machen die Musik von John Grant so außergewöhnlich - auch im Einklang mit Gastsängerinnen wie Amanda Palmer, Tracey Thorne oder der ehemaligen Banshee Drummerin Budgie. "Grey Tickles, Black Pressure" ist ein launiges, wütendes Album, übersät mit subtilem Humor und reichlich Pathos.
Aufgenommen wurden die 14 Tracks zusammen mit Produzent John Congleton (St Vincent, Franz Ferdinand, Swans) in Dallas - der Stadt, in der auch schon das Debütalbum "Queen Of Denmark" entstand und mit dem John Grant seinen Durchbruch als Solokünstler feierte.
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CD | |||
1 | Intro | 00:01:36 | |
2 | Grey tickles, black pressure | 00:05:30 | |
3 | Snug slacks | 00:04:11 | |
4 | Guess how I know | 00:03:34 | |
5 | You and him | 00:03:26 | |
6 | Down here | 00:04:09 | |
7 | Voodoo doll | 00:03:07 | |
8 | Global warming | 00:04:04 | |
9 | Magma arrives | 00:05:02 | |
10 | Black blizzard | 00:04:48 | |
11 | Disappointing | 00:04:55 | |
12 | No more tangles | 00:06:09 | |
13 | Geraldine | 00:06:22 | |
14 | Outro | 00:00:30 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2015Wutausbrüche mit Zuckerguss
Schwarze Hohelieder der Liebe: John Grant macht seinem Ärger Luft
Blutbeschmierte Hände, blutbeflecktes Hemd, ein irres Grinsen im blutbesudelten Gesicht und einen Krockethammer in der Hand, von dem das Blut tropft, so präsentiert sich John Grant in dem Video, das die Veröffentlichung seines dritten Soloalbums ankündigt. Die Musik zu diesen Schockbildern, ein Ausschnitt aus dem Titelstück, ist lieblich bis pathetisch, von Streichern und himmlischen Chören verziert; der Text allerdings ist sarkastisch, eine Abrechnung mit dem eigenen Selbstmitleid angesichts der vor drei Jahren bekanntgemachten Diagnose, HIV-positiv zu sein. Es gibt Kinder, die Krebs haben, da kannst du nicht mithalten, singt Grant sinngemäß.
Als "Grey Tickles" bezeichnen Isländer die Midlife-Crisis (seit einigen Jahren lebt der amerikanische Sänger und Songwriter in Reykjavík und hat sich von diesem Sprachbild inspirieren lassen); "Black Pressure", der zweite Teil des Albumtitels, ist die Übersetzung von Albtraum aus dem Türkischen, die ihn wohl auch beeindruckt hat. Beides zusammen ergibt eine ziemlich dunkle Mischung: Grant baut, so kann man sagen, wohl weiterhin auf seine schwarzseherischen Fähigkeiten. Ein hoffnungsloser Trauerkloß ist er indessen nicht. Gefragt nach dem tieferen Sinn des mordlustigen Videos, sagte er, es handele sich um eine Phantasievorstellung davon, was er Leuten gern antun würde, die ihn eine Schwuchtel nennen.
Trotz all der niederschmetternden Themen, die auf der Platte verhandelt werden, schlechte Laune verbreitet sie nicht. Das liegt vor allem daran, dass Grant merklich Spaß daran hat, musikalisch neue Wege zu gehen. War sein Solodebüt "Queen Of Denmark" (2012), eine Kollaboration mit den Softrockern von der texanischen Band Midlake, ein zwar schillerndes, wenn auch allzu geschliffenes Juwel, wagte sich bereits das Nachfolgewerk "Pale Green Ghosts" (2013) unter dem Einfluss von Biggi Veira, Mitglied der isländischen Gruppe GusGus, in elektronische Gefilde vor.
"Grey Tickles, Black Pressure", in Dallas aufgenommen mit dem Produzenten John Congleton, bekannt für seine Arbeit mit Bill Callahan oder St. Vincent, beginnt mit einem in mehreren Sprachen rezitierten Auszug aus dem Hohelied der Liebe. Daraus entwickelt sich eine dräuende Stimmencollage, die an Grants Jugendtrauma erinnert, als Homosexueller im konservativ-christlichen Umfeld eines Kaffs in Colorado aufzuwachsen. Dieses Thema lässt ihn nicht los, es ist nicht das erste Mal, dass er es in seinen oft autobiographischen und bekenntnishaften Songs reflektiert. Glücklicherweise betreibt er seine Nabelschau mit einem ätzenden Humor, der stellenweise an Frank Zappa gemahnt, freilich ohne dessen Hang zu Zoten. Wehleidig wirkt Grants Art, mit schmerzhaften Erfahrungen umzugehen und sie in die Welt hinauszuposaunen, jedenfalls nicht.
Dass er seinem Zorn nicht nur textlich, sondern auch musikalisch Luft macht, ist hingegen neu. In "Guess How I Know" zum Beispiel, das von einer ebenso unwiderstehlichen wie schädlichen Liebschaft handelt, ist der Bass bärbeißig, knurrt und brüllt die verzerrte Gitarre inmitten elektronischen Störfeuers derart, dass man wohl von avancierter Rockmusik sprechen muss. Das direkt darauf folgende "You & Him" hätte mit seinem stampfenden Beat und dem hämischen Gitarrenriff gar von den Industrial-Krawallmachern Nine Inch Nails stammen können. "Voodoo Doll" hingegen, das von einem depressiven Liebhaber erzählt, kommt beschwingt und funky daher. Besagte Voodoo-Puppe wird mit heißer Schokolade gefüttert, die jedoch eines Tages verschüttet wird, und das lyrische Ich hofft, dass der Angebetete keine Brandwunden im Gesicht davongetragen hat. Das ist wiederum ein schockierendes Bild zwischen Komik und aggressiver Trauer, und man kann dazu sogar putzig tanzen.
Eine komplette Kehrtwende vollzieht John Grant allerdings musikalisch nicht; die Entwicklung hatte sich angedeutet. Schwelgerische, orchestral arrangierte Softrock-Songs, wie sie ihn bekannt gemacht haben, finden sich auch auf dem neuen Album, etwa das kuschlige "Global Warming".
Wie gewohnt täuscht bei diesem Künstler die anmutige Oberfläche über den bösartigen Inhalt hinweg. Erstaunlich ist, wie stark der polyglotte Sänger sein stilistisches Spektrum erweitert hat, ohne sich dabei zu verfransen. Selbst eine lupenreine Disco-House-Nummer ("Disappointing") nimmt er in Angriff, verstärkt von Tracey Thorn vom britischen Duo Everything But The Girl. John Grants markante, dunkle Stimme trägt über jedes Hindernis hinweg, ist stets ergreifend, unheilvoll und melancholisch zugleich. Hinzu kommt, dass sein Blick auf sich und die Welt unverstellt ist; er hat etwas zu erzählen, aus einer extrem individuellen Perspektive heraus, die gleichwohl nie das große Ganze - die Liebe, die Furcht, die Selbstzweifel und die Sehnsucht - aus den Augen verliert. Das macht es reizvoll, ihm zuzuhören, egal, welche Kapriolen die Musik gerade schlägt. Und wenn zum Ausklang von "Grey Tickles, Black Pressure" abermals das Hohelied der Liebe vorgetragen wird, diesmal von einem kleinen Mädchen mit klarer Stimme, keimt endlich die Hoffnung auf, John Grant möge abgeschlossen haben mit einem Kapitel seines Lebens, das von Bigotterie und Zurückweisung geprägt war.
ALEXANDER MÜLLER.
John Grant: "Grey Tickles, Black Pressure".
Bella Union.
5414939926716 (Pias)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwarze Hohelieder der Liebe: John Grant macht seinem Ärger Luft
Blutbeschmierte Hände, blutbeflecktes Hemd, ein irres Grinsen im blutbesudelten Gesicht und einen Krockethammer in der Hand, von dem das Blut tropft, so präsentiert sich John Grant in dem Video, das die Veröffentlichung seines dritten Soloalbums ankündigt. Die Musik zu diesen Schockbildern, ein Ausschnitt aus dem Titelstück, ist lieblich bis pathetisch, von Streichern und himmlischen Chören verziert; der Text allerdings ist sarkastisch, eine Abrechnung mit dem eigenen Selbstmitleid angesichts der vor drei Jahren bekanntgemachten Diagnose, HIV-positiv zu sein. Es gibt Kinder, die Krebs haben, da kannst du nicht mithalten, singt Grant sinngemäß.
Als "Grey Tickles" bezeichnen Isländer die Midlife-Crisis (seit einigen Jahren lebt der amerikanische Sänger und Songwriter in Reykjavík und hat sich von diesem Sprachbild inspirieren lassen); "Black Pressure", der zweite Teil des Albumtitels, ist die Übersetzung von Albtraum aus dem Türkischen, die ihn wohl auch beeindruckt hat. Beides zusammen ergibt eine ziemlich dunkle Mischung: Grant baut, so kann man sagen, wohl weiterhin auf seine schwarzseherischen Fähigkeiten. Ein hoffnungsloser Trauerkloß ist er indessen nicht. Gefragt nach dem tieferen Sinn des mordlustigen Videos, sagte er, es handele sich um eine Phantasievorstellung davon, was er Leuten gern antun würde, die ihn eine Schwuchtel nennen.
Trotz all der niederschmetternden Themen, die auf der Platte verhandelt werden, schlechte Laune verbreitet sie nicht. Das liegt vor allem daran, dass Grant merklich Spaß daran hat, musikalisch neue Wege zu gehen. War sein Solodebüt "Queen Of Denmark" (2012), eine Kollaboration mit den Softrockern von der texanischen Band Midlake, ein zwar schillerndes, wenn auch allzu geschliffenes Juwel, wagte sich bereits das Nachfolgewerk "Pale Green Ghosts" (2013) unter dem Einfluss von Biggi Veira, Mitglied der isländischen Gruppe GusGus, in elektronische Gefilde vor.
"Grey Tickles, Black Pressure", in Dallas aufgenommen mit dem Produzenten John Congleton, bekannt für seine Arbeit mit Bill Callahan oder St. Vincent, beginnt mit einem in mehreren Sprachen rezitierten Auszug aus dem Hohelied der Liebe. Daraus entwickelt sich eine dräuende Stimmencollage, die an Grants Jugendtrauma erinnert, als Homosexueller im konservativ-christlichen Umfeld eines Kaffs in Colorado aufzuwachsen. Dieses Thema lässt ihn nicht los, es ist nicht das erste Mal, dass er es in seinen oft autobiographischen und bekenntnishaften Songs reflektiert. Glücklicherweise betreibt er seine Nabelschau mit einem ätzenden Humor, der stellenweise an Frank Zappa gemahnt, freilich ohne dessen Hang zu Zoten. Wehleidig wirkt Grants Art, mit schmerzhaften Erfahrungen umzugehen und sie in die Welt hinauszuposaunen, jedenfalls nicht.
Dass er seinem Zorn nicht nur textlich, sondern auch musikalisch Luft macht, ist hingegen neu. In "Guess How I Know" zum Beispiel, das von einer ebenso unwiderstehlichen wie schädlichen Liebschaft handelt, ist der Bass bärbeißig, knurrt und brüllt die verzerrte Gitarre inmitten elektronischen Störfeuers derart, dass man wohl von avancierter Rockmusik sprechen muss. Das direkt darauf folgende "You & Him" hätte mit seinem stampfenden Beat und dem hämischen Gitarrenriff gar von den Industrial-Krawallmachern Nine Inch Nails stammen können. "Voodoo Doll" hingegen, das von einem depressiven Liebhaber erzählt, kommt beschwingt und funky daher. Besagte Voodoo-Puppe wird mit heißer Schokolade gefüttert, die jedoch eines Tages verschüttet wird, und das lyrische Ich hofft, dass der Angebetete keine Brandwunden im Gesicht davongetragen hat. Das ist wiederum ein schockierendes Bild zwischen Komik und aggressiver Trauer, und man kann dazu sogar putzig tanzen.
Eine komplette Kehrtwende vollzieht John Grant allerdings musikalisch nicht; die Entwicklung hatte sich angedeutet. Schwelgerische, orchestral arrangierte Softrock-Songs, wie sie ihn bekannt gemacht haben, finden sich auch auf dem neuen Album, etwa das kuschlige "Global Warming".
Wie gewohnt täuscht bei diesem Künstler die anmutige Oberfläche über den bösartigen Inhalt hinweg. Erstaunlich ist, wie stark der polyglotte Sänger sein stilistisches Spektrum erweitert hat, ohne sich dabei zu verfransen. Selbst eine lupenreine Disco-House-Nummer ("Disappointing") nimmt er in Angriff, verstärkt von Tracey Thorn vom britischen Duo Everything But The Girl. John Grants markante, dunkle Stimme trägt über jedes Hindernis hinweg, ist stets ergreifend, unheilvoll und melancholisch zugleich. Hinzu kommt, dass sein Blick auf sich und die Welt unverstellt ist; er hat etwas zu erzählen, aus einer extrem individuellen Perspektive heraus, die gleichwohl nie das große Ganze - die Liebe, die Furcht, die Selbstzweifel und die Sehnsucht - aus den Augen verliert. Das macht es reizvoll, ihm zuzuhören, egal, welche Kapriolen die Musik gerade schlägt. Und wenn zum Ausklang von "Grey Tickles, Black Pressure" abermals das Hohelied der Liebe vorgetragen wird, diesmal von einem kleinen Mädchen mit klarer Stimme, keimt endlich die Hoffnung auf, John Grant möge abgeschlossen haben mit einem Kapitel seines Lebens, das von Bigotterie und Zurückweisung geprägt war.
ALEXANDER MÜLLER.
John Grant: "Grey Tickles, Black Pressure".
Bella Union.
5414939926716 (Pias)
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