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Produktdetails
Trackliste
CD
1Crying way from India00:10:42
2Matilem00:08:29
3Bebop csardas00:04:13
4Relaxing at the coffee house00:06:09
5O.C.00:06:58
6East of the moon00:05:00
7Troublant bolero00:06:46
8God, give me wings to fly00:05:21
9Night, like a sea00:06:06
10Mr. Fried00:07:13
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2006

Seelenstandort Budapest
Der Jazzsaxophonist Tony Lakatos feiert seine Wurzeln

Der Sopran- und Tenorsaxophonist Tony Lakatos ist der überragende Solist der Big Band des Hessischen Rundfunks. Er ist ein Wesensverwandter von Michael Brecker, fast so eine Art "europäische Antwort" auf den amerikanischen Superstar, der von den siebziger Jahren an zur Leitfigur eines neuen Leistungsbewußtseins im Jazz wurde. So wie Brecker hat Lakatos die Errungenschaften von John Coltrane in Kopf und Fingern - den kernigen Ton, die Farben der Überblasregister, die grenzensprengende Harmonik, die wilden Akkordbrechungen und die trotzdem nie zu verleugnende Herkunft aus älteren Traditionen wie Blues und Evergreens. Vor allem aber verbindet Lakatos mit Brecker die wahnsinnige Technik, die nur wenigen Glückskindern erreichbar ist, allerdings auch die Gefahr einer Verselbständigung birgt.

Den zahllosen direkten und indirekten Schülern von Michael Brecker wurde oft die vordergründige Skalenraserei, der kompetitive Charakter und die Uniformität ihrer Fingerfertigkeit vorgeworfen - dem Meister selbst nie. Zu offensichtlich waren Seele, Hingabe und Strukturphantasie in seinem Spiel. Das ist bei Lakatos genauso. Auch die größten Geläufigkeitsskeptiker und Ausdrucksfanatiker haben ihm seine exorbitante Technik "verziehen", allemal die Kollegen. So wie Michael Brecker spielt er auf buchstäblich Hunderten von Schallplatten mit, die Mehrzahl natürlich nicht unter eigenem Namen, sondern auf Einladung.

Nun hat Tony Lakatos etwas ganz anderes gemacht, wenn auch nicht zum erstenmal, denn den Kontakt zu seiner ungarischen Heimat und seiner Herkunft aus einer weitverzweigten Zigeunerfamilie hat er nie abbrechen lassen, weder musikalisch noch persönlich. Ein planerisch so aufwendiges Projekt der Vergegenwärtigung seiner Wurzeln und der konzeptionellen Vielfalt hat Lakatos allerdings noch nie in Angriff genommen. Es war dabei nicht sein Ansinnen, tief in die Roma-Ethnie zurückzugraben; dazu gibt es in der engeren und ferneren Verwandtschaft und Bekanntschaft viel zu viele Musiker, die selbst schon in Richtung Jazz aufgebrochen waren - Jack DeJohnette hatte beim letzten Jazzbaltica-Festival in einer spektakulären Aktion vier ungarische Pianisten vorgestellt, darunter auch den hier auftretenden Szakcsi Bela Lakatos. Die Leistung dieser "Gypsy Colours" besteht vielmehr darin, die typischen Klänge und Ausdrucksweisen in neue Zusammenhänge zu stellen und auch in eigenen Reflexionen eine Art Seelen-Programmusik der Erinnerungen zu erschaffen.

Zartfühlend wird ein Roma-Volkslied in den Jazzkontext hineinparaphrasiert. Ein Csardas hat keine Mühe, sich im Violinspiel von Lakatos-Bruder Roby mit dem Bebop auszusöhnen und alte osteuropäische, als Kontrabaßersatz entstandene Vokalisen sich an die Scat Vocals des Jazz erinnern zu lassen. Schmalzlos entsteht die Atmosphäre Budapester Kaffeehäuser, in denen Tony Lakatos erste Erfahrungen als Musiker sammelte. Ein zwingend swingendes Stück belegt historische Freundschaften zwischen Balkan-Zigeunern und Klezmer-Musikern. Das Zimbalon von Miklos Lukacs spendet hier eindeutige Regionalität ebenso wie in dem majestätischen Eröffnungsstück, das die Reise der Zigeuner von Indien nach Europa nachzeichnet.

Auch der Übervater aller Sinti-Musiker, Django Reinhardt, ist mit einer Komposition vertreten. Den "Troublant Bolero" behandelt der Roma Lakatos mit dem einzigen Sinti dieser Produktion, dem prominenten ungarischen Gitarristen Ferenc Snetberger, als anrührendes, stilles Kammerduett. Als Abschluß steht ein reines Jazzstück. Lakatos sieht es als aktuellen Stand einer Entwicklung durch viele Generationen. Für sein Talent und die Chance, wie so viele seiner Vorfahren Musiker zu sein, bedankt er sich bis hin zu seinen Urgroßeltern.

ULRICH OLSHAUSEN

Tony Lakatos, Gypsy Colours, Skip Records / Soulful Mucic 9062

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