Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 6. Juni 2003
- Hersteller: Warner Music Group Germany Hol / Parlophone Label Group (PLG),
- EAN: 0724358454321
- Artikelnr.: 22611463
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
CD | |||
1 | 2 + 2 = 5 | 00:03:19 | |
2 | Sit Down. Stand Up. | 00:04:19 | |
3 | Sail To The Moon | 00:04:18 | |
4 | Backdrifts | 00:05:22 | |
5 | Go To Sleep | 00:03:22 | |
6 | Where I End And You Begin | 00:04:29 | |
7 | We Suck Young Blood | 00:04:56 | |
8 | The Gloaming | 00:03:32 | |
9 | There There | 00:05:24 | |
10 | I Will | 00:01:59 | |
11 | A Punch-Up at a Wedding | 00:04:56 | |
12 | Myxamatosis | 00:03:51 | |
13 | Scatterbrain | 00:03:20 | |
14 | A Wolf At The Door | 00:03:21 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2003Melodien gegen Millionen
Ob die Band Radiohead den Erfolg eigentlich will, ist unklar - verdient hat sie ihn, alleine schon fürs originelle Marketing
Er war ein bißchen zu schön, der Tag, an dem Radiohead Europa unter sich aufteilte: ein bißchen zu sonnig, um über die dunklen Wolken zu sprechen, die so im allgemeinen über der Welt hängen, ein bißchen zu heiß, um den ganzen Weltschmerz in sich zu tragen, den die Songs der britischen Band vermitteln. Aber nun waren sie eben einmal da, die geheimnisvollen Popstars, das heißt, zumindest ein Teil von ihnen - denn während die beiden Gitarristen Jonny Greenwood und Ed O'Brien in Amsterdam dem westlichen Teil des Kontinents erläuterten, was es so auf sich hat mit dem Plattentitel "Hail to the Thief", mit musikalischen Dissonanzen und sozialen Harmonien, versorgten Drummer Phil Selway und Bassist Colin Greenwood in Köln die osteuropäischen Journalisten, wozu in diesem Fall nun einmal auch die deutsche Presse gehörte. Daß Sänger Thom Yorke derweil daheim in Oxford die Stellung hielt, war angesichts seiner geradezu existentiellen Abneigung gegen Interviews nicht weiter überraschend.
Es ist schon bemerkenswert, wie sich Radiohead im Vorfeld ihrer neuen Veröffentlichung präsentierte, denn bevor man den etwas ungewöhnlichen arbeitsteiligen Promotion-Auftritt als Attitüde interpretiert, sollte man wissen, daß sich die Band mit diesem zaghaften Bekenntnis zu Marketingritualen den plattenindustriellen Standards eher annähert, als sich von ihnen zu entfernen. Spätestens seit die Briten vor drei Jahren bei der Veröffentlichung ihrer Platte "Kid A" auf alle verkaufsfördernden Maßnahmen wie Interviews, Videos und sogar Single-Auskopplungen verzichteten, gehört die Komposition der medialen Begleitmusik ebenso zu Radiohead wie ihr Sound. Und weil an der Art und Weise, wie Yorke und Co. versuchen, den kompromittierenden Seiten des Erfolgs auszuweichen, und am Ende doch die Charts hinauffallen - weil also an diesen letztlich vergeblichen Ausweichmanövern vor dem Mainstream das ganze Unbehagen eines als alternativ kategorisierten Musikverständnisses deutlich wird, gibt es gute Gründe, sich mehr für die strategische Performance der Band zu interessieren als etwa für die Frage, ob auf der neuen Platte nun die Gitarren wieder stärker in den Vordergrund rücken. Bis heute läßt sich der Erfolg der Rock-Avantgardisten vom Dienst kaum erklären. Melodien, so meinte Yorke einmal, seien ihm peinlich. Es wäre daher schon damals eine Sensation gewesen, wenn es "Kid A" in die Top Ten der britischen Charts geschafft hätte. Die Platte stieg als Nummer eins ein - in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Und ein Jahr später wurde auch der nicht weniger atonale Nachfolger "Amnesiac" in beiden Ländern zum Bestseller. Weil zum unzugänglichen Stil beider Werke auch noch die Promotion-Abstinenz kam, wurde Radiohead schnell der Karriere-Selbstmord prophezeit, nur um die Mißachtung der Musikgeschäftsregeln später, als der Tod nicht eintrat, als besonders cleveren Marketing-Trick auszulegen. Beeindruckender als Radioheads überraschende Popularität ist nur noch die Tatsache, daß die Band die Verkaufszahlen nie als Aufforderung verstand, Zugeständnisse an den Massengeschmack zu machen, sondern eher als Stipendium zur Neuerfindung des Rock.
Mit "Hail to the Thief" endet nun eine Karriere, die mit Ausnahme der Chartplazierungen gewissermaßen rückwärts verlief: eine Karriere, die mit einem einzigen Hit ("Creep", 1993) beginnt, um den herum ein mittelmäßiges Album gestrickt wird, mit den beiden nächsten Platten auch noch den letzten Rockkritiker zu der Vokabel "wegweisend" hinreißt ("The Bends", 1995, und "OK Computer", 1997) und am Ende zu einem experimentellen Sound findet, dem wenige Chancen eingeräumt werden, ein größeres Publikum zu begeistern. In der neuen LP, die ihren Titel einem Buch über George Bushs umstrittenen Wahlerfolg entnimmt, sieht wohl nur noch die jederzeit zu Übertreibungen aufgelegte Zeitschrift "New Musical Express" den erneuten Versuch der Band, ihre Fans zu verprellen - diesmal durch provokante politische Parolen. Die Band selbst hängt die Bedeutung des Titels so tief, daß sich nur mit großer Mühe auch darin wieder ein besonders subversiver Akt der Guerrillawerbung erkennen ließe. Der Titel solle einfach "Mut machen, seine eigenen Ängste zu bewältigen", erklärt Colin Greenwood vielsagend.
Die Stärke und die Schwäche von "Hail to the Thief" liegt wohl darin, daß sie versucht, das ganze Spektrum der eigenen Musikgeschichte abzubilden. Man spürt die kalifornische Sonne, unter der die Songs eingespielt worden sind, genauso wie die Skepsis der Band gegenüber dem "Hotel-California-Feeling", wie Ed O'Brien meint. Und obwohl das Quintett die Stücke im Vorfeld der Aufnahmen live "getestet" hat, kann man ihm immer noch nicht vorwerfen, es würde sich vor seinem Publikum verneigen. Vielleicht ist es die Sehnsucht des Genies nach Normalität, die in "Hail to the Thief" zum Ausdruck kommt. Für Radiohead ist das schon etwas ganz Besonderes.
HARALD STAUN
Die neue Platte von Radiohead, "Hail to the Thief" (EMI), erscheint am 10. Juni, die erste Single, "There There", wird am Montag veröffentlicht.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ob die Band Radiohead den Erfolg eigentlich will, ist unklar - verdient hat sie ihn, alleine schon fürs originelle Marketing
Er war ein bißchen zu schön, der Tag, an dem Radiohead Europa unter sich aufteilte: ein bißchen zu sonnig, um über die dunklen Wolken zu sprechen, die so im allgemeinen über der Welt hängen, ein bißchen zu heiß, um den ganzen Weltschmerz in sich zu tragen, den die Songs der britischen Band vermitteln. Aber nun waren sie eben einmal da, die geheimnisvollen Popstars, das heißt, zumindest ein Teil von ihnen - denn während die beiden Gitarristen Jonny Greenwood und Ed O'Brien in Amsterdam dem westlichen Teil des Kontinents erläuterten, was es so auf sich hat mit dem Plattentitel "Hail to the Thief", mit musikalischen Dissonanzen und sozialen Harmonien, versorgten Drummer Phil Selway und Bassist Colin Greenwood in Köln die osteuropäischen Journalisten, wozu in diesem Fall nun einmal auch die deutsche Presse gehörte. Daß Sänger Thom Yorke derweil daheim in Oxford die Stellung hielt, war angesichts seiner geradezu existentiellen Abneigung gegen Interviews nicht weiter überraschend.
Es ist schon bemerkenswert, wie sich Radiohead im Vorfeld ihrer neuen Veröffentlichung präsentierte, denn bevor man den etwas ungewöhnlichen arbeitsteiligen Promotion-Auftritt als Attitüde interpretiert, sollte man wissen, daß sich die Band mit diesem zaghaften Bekenntnis zu Marketingritualen den plattenindustriellen Standards eher annähert, als sich von ihnen zu entfernen. Spätestens seit die Briten vor drei Jahren bei der Veröffentlichung ihrer Platte "Kid A" auf alle verkaufsfördernden Maßnahmen wie Interviews, Videos und sogar Single-Auskopplungen verzichteten, gehört die Komposition der medialen Begleitmusik ebenso zu Radiohead wie ihr Sound. Und weil an der Art und Weise, wie Yorke und Co. versuchen, den kompromittierenden Seiten des Erfolgs auszuweichen, und am Ende doch die Charts hinauffallen - weil also an diesen letztlich vergeblichen Ausweichmanövern vor dem Mainstream das ganze Unbehagen eines als alternativ kategorisierten Musikverständnisses deutlich wird, gibt es gute Gründe, sich mehr für die strategische Performance der Band zu interessieren als etwa für die Frage, ob auf der neuen Platte nun die Gitarren wieder stärker in den Vordergrund rücken. Bis heute läßt sich der Erfolg der Rock-Avantgardisten vom Dienst kaum erklären. Melodien, so meinte Yorke einmal, seien ihm peinlich. Es wäre daher schon damals eine Sensation gewesen, wenn es "Kid A" in die Top Ten der britischen Charts geschafft hätte. Die Platte stieg als Nummer eins ein - in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Und ein Jahr später wurde auch der nicht weniger atonale Nachfolger "Amnesiac" in beiden Ländern zum Bestseller. Weil zum unzugänglichen Stil beider Werke auch noch die Promotion-Abstinenz kam, wurde Radiohead schnell der Karriere-Selbstmord prophezeit, nur um die Mißachtung der Musikgeschäftsregeln später, als der Tod nicht eintrat, als besonders cleveren Marketing-Trick auszulegen. Beeindruckender als Radioheads überraschende Popularität ist nur noch die Tatsache, daß die Band die Verkaufszahlen nie als Aufforderung verstand, Zugeständnisse an den Massengeschmack zu machen, sondern eher als Stipendium zur Neuerfindung des Rock.
Mit "Hail to the Thief" endet nun eine Karriere, die mit Ausnahme der Chartplazierungen gewissermaßen rückwärts verlief: eine Karriere, die mit einem einzigen Hit ("Creep", 1993) beginnt, um den herum ein mittelmäßiges Album gestrickt wird, mit den beiden nächsten Platten auch noch den letzten Rockkritiker zu der Vokabel "wegweisend" hinreißt ("The Bends", 1995, und "OK Computer", 1997) und am Ende zu einem experimentellen Sound findet, dem wenige Chancen eingeräumt werden, ein größeres Publikum zu begeistern. In der neuen LP, die ihren Titel einem Buch über George Bushs umstrittenen Wahlerfolg entnimmt, sieht wohl nur noch die jederzeit zu Übertreibungen aufgelegte Zeitschrift "New Musical Express" den erneuten Versuch der Band, ihre Fans zu verprellen - diesmal durch provokante politische Parolen. Die Band selbst hängt die Bedeutung des Titels so tief, daß sich nur mit großer Mühe auch darin wieder ein besonders subversiver Akt der Guerrillawerbung erkennen ließe. Der Titel solle einfach "Mut machen, seine eigenen Ängste zu bewältigen", erklärt Colin Greenwood vielsagend.
Die Stärke und die Schwäche von "Hail to the Thief" liegt wohl darin, daß sie versucht, das ganze Spektrum der eigenen Musikgeschichte abzubilden. Man spürt die kalifornische Sonne, unter der die Songs eingespielt worden sind, genauso wie die Skepsis der Band gegenüber dem "Hotel-California-Feeling", wie Ed O'Brien meint. Und obwohl das Quintett die Stücke im Vorfeld der Aufnahmen live "getestet" hat, kann man ihm immer noch nicht vorwerfen, es würde sich vor seinem Publikum verneigen. Vielleicht ist es die Sehnsucht des Genies nach Normalität, die in "Hail to the Thief" zum Ausdruck kommt. Für Radiohead ist das schon etwas ganz Besonderes.
HARALD STAUN
Die neue Platte von Radiohead, "Hail to the Thief" (EMI), erscheint am 10. Juni, die erste Single, "There There", wird am Montag veröffentlicht.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main