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  • EAN: 3830025714722
  • Artikelnr.: 58096466
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2024

Hans Sachs als armes Würstchen
Albert Lortzings Oper über den Nürnberger Schuster-Poeten hinterlässt in Leipzig zwiespältige Gefühle

Hat man's nicht schon immer gewusst? "Auf, ihr Brüder, munter, / die Arbeit gibt uns Kraft, / und stets wird man gesunder, / wenn man recht fleißig schafft!" Ob man solche Spruchweisheiten gleich zum Auftakt einer Oper hören will wie in diesem Stück Albert Lortzings? Der brachte es 1840 in Leipzig auf die Bühne, und ebendort ist es nun - nach Jahrzehnten im Schlummermodus und beträchtlichen Mühen, erst einmal an brauchbares Aufführungsmaterial zu kommen - wieder zu erleben: in der Musikalischen Komödie, die administrativ zur Leipziger Oper gehört. Mit Lortzing hat man schon Erfahrung. Fünf Stücke sind mittlerweile im Repertoire des großen Hauses und der "Muko"; weitere werden hinzukommen, bis das Ganze dann 2026 in eine kompakte Lortzing-Festwoche münden soll.

Es gehört zu den Verdiensten, aber auch Risiken solch kompilatorischer Unternehmen, dass man dabei neben den Schau- und Prunkgemächern auch die Gesindestuben und Kellergewölbe künstlerischer Arbeit begehen will und muss. Dieser "Hans Sachs" ist gewiss nicht die stärkste Leistung des Komponisten. Dabei muss man nicht einmal den Vergleich mit Wagners "Meistersingern" bemühen, obwohl beide die gleiche Quelle, ein Sprechtheaterstück des Wieners Deinhardstein, nutzten; es genügt auch schon ein internes Ranking, um zu hören, dass die "Undine" stimmungsvoller, der "Wildschütz" eleganter und pointensicherer, "Zar und Zimmermann" deftiger und zupackender ist. Besonders Letzteres, drei Jahre vor dem "Sachs" herausgebracht, hat in Figuren wie der eines machtgeil-beschränkten Bürgermeisters oder einer als Deus ex machina fungierenden Herrschergestalt (im Nürnberg-Stück Kaiser Maximilian I.) und sogar im hier wie dort handwerksfromm tümelnden Eingangschor - die holländischen Werftarbeiter schmettern ähnlich enervierend wie die fränkischen Schuster - deutliche Parallelen; doch gerade im Direktvergleich bekommt die spätere Komposition etwas schattenhaft Ausgelaugtes. Doch: Wie schade wäre es, wenn einige zündende Final-Tableaus oder lyrisch-innige A-cappella-Passagen der Protagonisten weiterhin ungesungen hätten bleiben müssen! Auch aus dunkelschaligen Muscheln kann man schöne Perlen ernten. Ein gewisses Dilemma bleibt trotzdem, gut zu fixieren an der Titelgestalt, die hier, anders als bei Wagner, ein noch junger Mann ist, aber mit ihren hysterischen Umschlägen von schwerer Verliebtheit in obrigkeitsbeflissen devote Resignation und wieder zurück vor allem das Bild eines antiheldischen Waschlappens abgibt. Auch Justus Seeger sollte oder konnte in der Leipziger Premiere außer sympathischer Ausstrahlung und gediegener Vokalsolidität wenig dazu beitragen, das Bild dieser Jammerfigur aufzubessern. Dass er am Ende trotzdem noch Traumweib und Poetenruhm erntet, liegt einerseits am kaiserlichen Gönner, den der Monarcho-Republikaner Lortzing aus der Kiste holt, und in dieser Inszenierung andererseits an der schablonenhaft sinnentleerten Lächerlichkeit der Gegenpartei. Andreas Rainer als Liebes- wie Dichterrivale und Milko Milevs korruptes Stadtoberhaupt hatten keinerlei Chancen, ernst genommen zu werden, was dem ohnehin nicht besonders motivierenden Spannungsgefälle wenig dienlich war.

Gelungener die Charaktere des intakten und ihn öfter aus seiner Wankelmütigkeit auffangenden sozialen Umfelds von Sachs: Sandra Maxheimer als Cordula und Adam Sánchez als Görg brachten Vitalität auf die Szene, legten einige flotte Sprechdialoge hin und wurden zunehmend auch sängerisch souveräner. Noch stärker war dieser Ausstrahlungsgewinn bei Mirjam Neururer als Sachsens Traum-Kunigunde: ein exponiert durchdringender, manchmal überschärfter Sopran, der erst seine Balance finden musste, aber jedenfalls krisengeschüttelte Leidenschaft vermittelte und manchmal eine fast tragische Größe streifte. Ohnehin musste die Novität mit dem unverkrampft spielfreudigen, freundlich-lockeren Tobias Engeli am Pult sozusagen erst zu sich selbst finden, was aber auch am Stück lag: Die erste halbe Stunde könnte man, wäre sie nicht dramaturgisch unumgänglich, streichen.

Dass auch das Inszenierungsteam um Rahel Thiel mit der Werkgestalt fremdelte, konnte man den permanenten Interpolationen fremden Materials, gesprochen wie gesungen, entnehmen: von Sachsens eigenem "Wacht auf"-Lied über eine Heine-Vertonung Mendelssohns und Einsprengsel aus der "Meistersinger"-Festwiese bis hin zu Lasker-Schüler und Brecht; auch ein stumm umherwuselndes Cupido-Knäblein spielte mit. Das war ähnlich bunt gewürfelt wie die Kostüme, mit denen Renée Listerdal in Elisabeth Vogetseders luftig-abstrahierendem Bühnenbild alle samt dem gut singenden Chor einkleidete, streifte manchmal die Peinlichkeitsgrenze, brachte in Momenten intimer Verdichtung aber echten Zugewinn. Eine ultimative Lösung kann diese Blütenlese fürs Poesiealbum trotzdem nicht sein - man wird weitere Zugänge zu dem schwierigen Stück suchen müssen. GERALD FELBER

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