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Trackliste
CD
1Poem00:00:12
2School boy00:06:48
3Poem00:00:27
4The sun and the moon00:06:31
5Poem00:00:10
6Sassy00:05:17
7Poem00:00:16
8Fears00:03:31
9Poem00:00:16
10The razor rim00:12:05
11Poem00:01:01
12Zero00:02:17
13Poem00:00:36
14First crush00:01:52
15First slow dance00:04:37
16First kiss00:03:21
17First time00:04:47
18Poem00:01:06
19Girls!00:05:46
20Poem00:00:59
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2009

Zwei Kerle vor dem ersten Kuss

Passen Männer und Frauen doch irgendwie zusammen? Auf seinem Album "He And She" macht sich Wynton Marsalis mit seinem Macho-Instrument ganz neue, eigene Reime darauf, fast alle im Dreivierteltakt.

Dieser Mann kann so wundervoll Trompete spielen. Tut er ja auch oft. Allerdings in letzter Zeit verstärkt in konzeptionellen Zusammenhängen, die das große, strahlende, königliche Solo auf dem Macho-Instrument schlechthin nicht ganz verhindern, doch deutlich in den Hintergrund treten lassen. Brauchen wir das überhaupt? So mag man fragen, zumal das große Solo in allen Zeiten nach dem Bebop immer einmal wieder ideologisch oder ästhetisch als egoistischer Interaktionsverhinderer, gar als Zementarbeiter an überholten Herrschaftsstrukturen verfemt worden ist - total in gewissen Formen des Free Jazz, maßvoll in anderen Spielarten. Ganz verschwunden ist es deshalb keineswegs. Und im besonderen Fall des kämpferischen Verteidigers der Tradition und Perfektion erinnere man sich an die achtziger Jahre, in denen Wynton Marsalis seine damals schon sich formierenden Kritiker in bewunderndes Erstaunen versetzte oder, bei Blindtests, auch wohl täuschte, weil sie das dem Neunzehnjährigen einfach nicht zutrauten: Seine Soli hatten Reife, technische Finesse, klangliche Tiefe und vor allem eine meisterhafte, im Augenblick geborene Architektonik, die man so in den mehr aufs Kollektiv zentrierten Jazzformen nun mal nicht bekommen kann.

Nach dem etwas schwerfälligen, wenn auch textlich eindrucksvollen sozialkritischen Werk "From The Plantation To The Penitentiary", das von der beharrlich prekären Situation der Afroamerikaner handelt, und nach der Begegnung mit der Country-Ikone Willie Nelson, einer Art freundlichen Wohnzimmer-Americana, wäre jetzt eigentlich wieder eine große Instrumentalsymphonie ohne Texte und ohne außermusikalische Ideen an der Reihe gewesen. Aber der Musik-Humanist Marsalis hat sich anders entschieden. Seine neue CD "He And She" ist wieder ein Konzeptalbum, auch Texte werden rezitiert, allerdings trocken und nicht vertont. Wynton, Verehrer von William Butler Yeats, hat sie selbst gedichtet, kurze, meist kürzer als eine Minute dauernde, manchmal gereimte Verse zum Thema Mann und Frau - friedlich, harmlos, nett und schon ein bisschen altersweise, jugendfrei bis zum Windelalter: über errötende Männer vor dem ersten Kuss, stotternde Herzen, wissend überlegene Frauen und Zahlenspiele wie eins und eins macht drei, also "du und ich und wir beide zusammen".

Marsalis spricht diese Texte selbst. Das ist gut so, denn wer ihn mag, der mag auch seine Stimme, egal ob sie quasselt, lehrt oder predigt. Die Verwandtschaft zwischen vokaler und instrumentaler Äußerung gerade bei singenden Trompetern ist ja schon länger bekannt, mit den schlagenden Beispielen Louis Armstrong und Chet Baker. Nun singt und rapt Marsalis hier zwar nicht (wie auf den beiden vorangegangenen Alben), aber seine sanft gerauhte, eindringlich engagiert bewegliche Sprechstimme ist eben einfach das andere Kommunikationsmedium des Trompeters W.M. - das sich diesmal nur nicht in die Musik einmischt, so dass wir nun also doch, musikalisch betrachtet, ein reines Instrumentalalbum haben.

Inwieweit Marsalis die selbstverfassten poetischen Anregungen für seine Musik gebraucht hat, ist reine Spekulation, wie so oft bei Programmmusik: Auf einer aktuellen deutschen Jazz-CD sollen 29000 von einem Frachter ins Meer geworfene Quietsche-Entchen den Komponisten beflügelt haben; selbstverständlich hört man das der Musik nicht zwingend an. Man hat aber bei dieser neuen Beziehungskiste von Marsalis doch das Gefühl, dass er ohne die programmatische Vorgabe eine so vielfältige, schöne, von positiver Wärme durchpulste Musik nicht hätte schreiben und spielen können. Ein neues Quintett hat er sich dafür zusammengestellt, in dem keiner seiner alten, schon so oft gebetenen Buddies mitspielt und in dem sich besonders der Saxophonist Walter Blanding neben die Großen seiner Zunft stellen darf. Diese geradezu auf der Haut spürbaren Sympathieschwingungen innerhalb der Gruppe und die kommunikative Dichte sogar in den konventioneller strukturierten Stücken ist nicht oft im Werk von Marsalis zu hören.

Die stilistische Bandbreite auch nicht. Sie reicht vom Ragtime mit Tapdance-Erinnerungen bis hin zu fast freiem Jazz. Insbesondere die Artikulationen des New-Orleans-Jazz und deutlich die von Duke Ellington herrührenden, phantastischen Farbnuancen wirken nicht wie ein Zitat, sondern als integrale Reflexionen des typischen Geschichtsverständnisses von Marsalis. Zwischen den genannten Extremen liegen Swing, kontrapunktisch inszenierte Stimmungsbilder, Hard Bop, schwerblütige und tänzerische Themen in massiven Arrangements, Dissonanzen und Lieblichkeit (manchmal beides zusammen) und ein tonnenschwer bluesiger "Chain Gang Stomp Shuffle". Angeregt durch Jazz-Walzer von Sonny Rollins, Ellington und Max Roach und vom Wiener Walzer als notorischer Form des Liebeswerbens steht übrigens fast das ganze Programm im Dreiertakt.

Bei Blanding findet man Tonfälle von den Balladen der großen Tenoristen der Swing-Ära bis zu den alle Grundschläge überspielenden Verwirbelungen des Coltrane-Einflusses, bei Marsalis eine vor Lebendigkeit bebende Modulationsprogression der Töne.

Ein Stück ("First Time") fällt völlig aus den typischen Traditionsbezügen heraus - das darf man dann mal eigenmächtig zum Generalthema der CD direkt in programmatische Beziehung setzen. Tenorsaxophon und Trompete spielen ein abenteuerlich rasendes Unisono-Thema, technisch eigentlich kaum machbar, aber natürlich perfekt. Und nach liebevollen freien Kollektivimprovisationen der beiden läuft das Stück in eine Art schwärmerisch melodiösen Salon-Mambo ein. Ist doch klar: Zwei ganze Kerle geben vor den Frauen ihrer Sehnsucht an mit ihrer Gelenkigkeit, wie Kosakentänzer beim Dorffest. Danach bekräftigen sie ihre Freundschaft und laden schließlich zu einem ersten Tänzchen ein. In Wirklichkeit soll das Stück die seelischen Turbulenzen der ersten Begegnung zwischen "He And She" abbilden.

ULRICH OLSHAUSEN

Wynton Marsalis. He And She. Blue Note 50999 5 10331 (EMI)

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