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Heavy
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Mehr als 2 Jahre sind seit der Auflösung seiner wegweisenden Band Blumfeld vergangen, die mit Jochen Distelmeyer als Kopf, Sänger und Gitarrist Musikgeschichte geschrieben hat.

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Produktbeschreibung
Mehr als 2 Jahre sind seit der Auflösung seiner wegweisenden Band Blumfeld vergangen, die mit Jochen Distelmeyer als Kopf, Sänger und Gitarrist Musikgeschichte geschrieben hat.
Trackliste
CD
1Regen00:01:55
2Wohin mit dem Hass?00:04:35
3Er00:03:40
4Lass uns Liebe sein00:04:17
5Bleiben oder gehen00:03:57
6Hinter der Musik00:04:02
7Nur mit dir00:05:06
8Hiob00:02:43
9Jenfeld Mädchen00:04:43
10Murmel00:05:32
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2009

Ein Mann umarmt sein Publikum
Ich sing' mein Lied und lass' die anderen reden: Jochen Distelmeyer ist zurück und singt allein

Der Herbst ist in der Stadt seit ein paar Tagen, und Jochen Distelmeyer sitzt am Biertisch eines Frankfurter Vereinsheims unter einer Kastanie, die langsam ihre Blätter und Früchte verliert, was leider befördert wird von einem Fußballvater, der versucht, einen Ball auf die andere Seite des Zauns und den Trainingsplatz dahinter zurückzuschießen, aber nur die Baumkrone trifft, immer wieder und immer vergeblicher, "verzweifelt", sagt Distelmeyer irgendwann, dann ist der Ball endlich auf der anderen Seite, und wir können weiterreden über das erste Soloalbum des Sängers von Blumfeld, das "Heavy" heißt und ausgezeichnet geworden ist.

"Der Herbst ist in der Stadt seit ein paar Tagen", singt Distelmeyer darauf, in einem Lied namens "Jenfeld Mädchen". Und man könnte allein daran, wie er diesen beiläufigen Satz singt, weich über einen schläfrigen Gitarrenpop hinweg, den Zauber erklären, den seine Band Blumfeld seit ihrem ersten Album von 1992 bis zur Auflösung vor zwei Jahren bewirkt hat. Da ist einerseits die Lyrik Distelmeyers, die sich über Jahre hinweg enträtselt hat, wortspielfreier wurde, mit jeder Platte ein bisschen mehr, zum Glück, bis es keinen Popsänger aus Deutschland mehr gab, der es mit ihm aufnehmen könnte.

Andererseits ist da der nicht vergehende Verdacht, all diese hingeworfenen Distelmeyer-Sätze wie "Der Herbst ist in der Stadt seit ein paar Tagen" oder "Ich schau nach draußen auf den Tag, es regnet, und ich kann nicht mehr" könnten immer noch und unbedingt etwas anderes meinen, weil Popmusik, gerade aus Deutschland, gerade von Blumfeld, es sich nicht so einfach machen sollte.

Dabei entstand der Ruf vom intellektuellen Popstar Jochen Distelmeyer. Er hat ihn natürlich selbst angefüttert in den ersten Jahren, weil er in Interviews Soziologen zitierte und seine Prätentionen etwa so heavy waren wie die neue Platte jetzt heißt. Wenn man mit Distelmeyer dann aber heute über seine Lieder redet, hat man schnell das Gefühl, dass Pop für ihn viel eher Praxis als Theorie ist. Er kann einem erklären, wie es zu einem Song wie "Hiob" auf der neuen Platte kam, der, als wär's ein Stück von Suzi Quattro, gutgelaunt dahergaloppiert. Zufall war es, sagt Distelmeyer, sie haben im Studio "einen Big Muff zwischen Gitarre und Amp geschaltet", also einen Verzerrer zwischen Gitarre und Verstärker, "und das klang einfach total lustig und super". Könnte gut sein, dass es Distelmeyer gefällt, es in diesem Profimuckersprech zu sagen, er redet auch vom "Bock, Musik zu machen", der nach dem Ende der Band schnell wieder da gewesen sei, und sagt "Rock'n'Roll" mit deutschem O. Vielleicht tut er das auch, um sich von den Erwartungen an ihn vorweg zu distanzieren, um den Reflexionsverdacht zu unterlaufen durch Hemdsärmeligkeit. Das wäre dann zwar immer noch Prätention, aber ohne Fußnotenapparat.

Alles, was mit "Heavy" zu tun hat, das knallige Cover, Distelmeyers viele Interviews, auch vor laufender Kamera, die es früher so nicht gab, selbst auf der DVD nicht, die zum Abschluss von Blumfeld produziert wurde: All das wirkt, als wollte hier ein Sänger ein für allemal heraustreten aus dem Ruf, etwas für Spezialisten, Studenten und Grübler zu sein. Aus dem langen Schatten einer Band, wie es seit Ton Steine Scherben in den siebziger und Fehlfarben in den achtziger Jahren keine mehr gegeben hat. Blumfeld hielt es an einem Stück länger aus als die anderen Bands, die zu ihren Generationen sprachen und dann mit ihnen verschwanden. Vielleicht auch, weil Distelmeyer sich früh genug aus der Radikalinski-Einsiedelei verabschiedete, in die sich Ton, Steine Scherben und Peter Hein von den Fehlfarben zurückgezogen hatten, irritiert vom Erfolg. Blumfeld dagegen öffnete sich zu einem wachsenden Publikum, in einer immer größeren Umarmung, das ist ein Lieblingswort Distelmeyers.

Diese Bewegung begann 1999 mit dem Überpopalbum "Old Nobody" und setzte sich dann weiter fort, es wurde immer angenehmer, Blumfeldplatten zu hören, weil man sich plötzlich aussuchen konnte, wie nah sie einem mit ihrer Umarmung kamen, bei frühen Sätzen wie "Dein Blut auf dem Laken" fiel das oft nicht leicht. "Heavy" ist jetzt eine glückliche Platte geworden, Distelmeyer, von dem sich andere gut vorstellen konnten, dass er bei seinem Mitteilungsdrang nach Blumfeld als Nächstes einen Roman schreiben würde, er dagegen aber offenbar gar nicht, Distelmeyer also arbeitet weiter an seiner Handschrift, die mit einem neuen Liebeslied wie "Nur mit dir" immer präziser wird, das es zwar früher schon mal in etwa so von Blumfeld gab, aber eben nicht so klar und schön.

Er zögert zwar, wenn man ihn dann mit einem Schriftsteller vergleicht, dessen Ton von Buch zu Buch immer sicherer wird. Aber dann sagt Jochen Distelmeyer, er habe immer das Gefühl gehabt, Miles Davis zum Beispiel sei "vor dem Ton, den er hatte wie kein anderer, geflohen. Ich habe ein grundsätzliches Vertrauen in meinen Ton." Dieser Ton ist sein Ton, ein Kunstlied zu elektrischen Gitarren, und er gehört keinem anderen.

TOBIAS RÜTHER

"Heavy" ist bei Columbia erschienen.

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