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Eislermaterial ist eine Hommage des Komponisten Heiner Goebbels an Hanns Eisler, der in Goebbels' künstlerischer und politischer Biografie eine große Rolle gespielt hat: Schon Eisler selbst stand als Schönberg-Schüler und gleichzeitig linkspolitisch engagierter Agitprop-Komponist im scharfen Spannungsfeld zwischen bourgeoiser Kunst- und klassenkämpferisch funktionalisierter Gebrauchsmusik; in ähnlicher Weise scheint sich auch Goebbels, der nicht nur Musik, sondern auch Soziologie studiert hat, hinsichtlich seiner Entscheidung für den Musikerberuf zwischen den Extremen orientiert zu haben. Im…mehr

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Produktbeschreibung
Eislermaterial ist eine Hommage des Komponisten Heiner Goebbels an Hanns Eisler, der in Goebbels' künstlerischer und politischer Biografie eine große Rolle gespielt hat: Schon Eisler selbst stand als Schönberg-Schüler und gleichzeitig linkspolitisch engagierter Agitprop-Komponist im scharfen Spannungsfeld zwischen bourgeoiser Kunst- und klassenkämpferisch funktionalisierter Gebrauchsmusik; in ähnlicher Weise scheint sich auch Goebbels, der nicht nur Musik, sondern auch Soziologie studiert hat, hinsichtlich seiner Entscheidung für den Musikerberuf zwischen den Extremen orientiert zu haben. Im Zentrum des Eislermaterials stehen einige Lieder von Hanns Eisler, die Goebbels für die Ausführung durch das Ensemble Modern praktisch nur eingerichtet oder arrangiert hat. Gesungen werden sie von dem Schauspieler Josef Bierbichler. Im Eislermaterial ergeben sich vielerorts auch komische Effekte, die mit der Ernsthaftigkeit und Radikalität vieler Aussagen in den Interview- und Liedertexten kontrastieren. Dies sorgt nicht nur für ein kurzweiliges Hörerlebnis, sondern trägt auch zu Goebbels' Absicht bei, die Musik Eislers einerseits durchaus konkret, andererseits gleichzeitig auch mit der für heutige Rezipienten angebrachten Distanz in Erscheinung treten zu lassen. --Michael Wersin
Trackliste
CD
1Anmut sparet nicht noch Mühe00:07:04
2Allegro assai - aus: Kleine Sinfonie, Moment musical00:04:05
3Andante - aus: Suite für Septett Nr. 100:02:02
4Und ich werde nicht mehr sehen00:02:49
5I00:01:56
6II00:01:27
7III00:01:41
8Vier Wiegenlieder für Arbeitermütter IV00:03:35
9Hörstück I ("Einen Moment, gnädige Frau ...")00:04:36
10Ballade von der haltbaren Graugans00:02:53
11Mutter Beimlein00:01:56
12Vom Sprengen des Gartens00:03:39
13Ballade vom zerrissenen Rock00:03:16
14Horatios Monolog - Bericht vom 1. Mai00:02:57
15Hörstück II ("Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen ...")00:03:31
16Kleine Passacaglia - aus: Fünf Orchesterstücke00:00:54
17Finale - Improvisation - aus: Fünf Orchesterstücke00:03:30
18Über den Selbstmord00:02:55
19Kriegslied "Großvater Stöffel"00:01:28
20"Die Fabriken" - aus: Orchestersuite Nr. 3, Streichquartett00:05:44
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.1998

Eislers vorgezogene Geburtstagsparty
Wiegenlieder: Heiner Goebbels ehrt den Linken Marsch mit einer Revue in München

Auf und ab federt die Renitenz des "Solidaritätglieds". Da rütteln und hämmern die im Halbkreis und ohne Dirigenten versammelten Mitglieder des Ensemble Modern die Fabrik-Musik von 1930, die heute noch Sogwirkung zeitigt. Im markigen Rhythmus der Daktylen springt der Satz durch die Tonarten. Das erscheint fortdauernd so signifikant, daß es trotz erheblicher Zusätze, akustischer Übermalung, erkennbar bleibt. Hanns Eisler gehört zu den Komponisten, die im zwanzigsten Jahrhundert Unverwechselbares hervorgebracht haben. Vergessen ist das nicht, doch vorwärts geht es längst auch nicht mehr mit ihm, der am Ende der Weimarer Republik den Linken Marsch intonierte und sich jener Sache sicher war, die angeblich so einfach (und nur eben schwer zu machen) sei. Immer noch löst sein Name merkwürdige Berührungsängste aus und hartnäckige Interpretationsbedürfnisse. Bevorzugt mit dem Tenor, so radikal, wie allgemein angenommen, sei diese Musik gar nicht gewesen.

War sie aber wohl doch konzipiert: Der Schönberg-Schüler Hanns Eisler wollte den radikalsten ästhetischen und politischen "Fortschritt". Und möglichst zugleich. Und weil das schon zu den Zeiten Ernst Thälmanns (und dessen Mentors Stalin) erkennbar nicht ging, war er rasch zu "Zurücknahmen" bereit; freilich unter der Prämisse, daß überhaupt stets konkret zu handeln sei. Auch künstlerisch.

Der hundertste Geburtstag des aus Leipzig stammenden Komponisten steht vor der Tür. Da war es durchaus naheliegend, daß der aus dem Humus der DDR stammende Leipziger Opernintendant Udo Zimmermann eine neuerliche Beschäftigung mit Eisler anregte. Da Zimmermann außer dem Musiktheater an der Pleiße das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik leitet und seit dem vergangenen Jahr auch die traditionsreiche Konzertreihe "musica viva" in München projektiert, bot sich an, ein Exempel für die neue deutsche Einheit zu setzen und den Frankfurter Theater-, Hörspiel- und Filmkomponisten Heiner Goebbels mit der Anverwandlung des Eislerschen Denkens und Musizierens für heutige Ohren zu beauftragen. Uraufführung des hochtönend als "Eislermaterial" angekündigten Arrangements war in der Münchner Muffat-Halle.

Die Stichworte und der Tonfall des (gescheiterten) Vorstoßes von Bertolt Brecht und Hanns Eisler für eine gesamtdeutsche Hymne von 1950 haben es Goebbels angetan: Zum Auftakt blähte er die zwei originalen Strophen der "Kinderhymne" zu acht, ließ sie dann von der Aggressivität des "Solidaritätslieds" einholen. Er straffte die Partituren Eislers und instrumentierte um, weitete manche Motive zu Schleifen und ergänzte quasiimprovisierte Instrumental-Gesten. Das Potpourri schreitet fort von der Aufbau-Musik aus frühen DDR-Jahren über die verklärte Erinnerung an den Kampflied-Ton der frühen dreißiger Jahre - in wirkungsmächtigem Blech erhebt sich der Choral von der roten Fahne; es gelangt zu einigen melancholisch getönten Stücken des Exils, zur "Haltbaren Graugans" und zum "Sprengen des Gartens", zu "Horatios Monolog", zur Erörterung des Selbstmordes durch Brecht und Eisler. Auch die im amerikanischen Exil entstandene Instrumentalmusik passiert Revue, die ihr Arrangeur vorab in einem Zeitungsinterview als den für ihn und für heute unbedeutendsten "akademischen Teil" des Eislerschen Werks abgetan hatte (es mag der dauerhafteste sein).

Von Komik nicht frei ist, wenn der gutgenährte Schauspieler Bierbichler die "Wiegenlieder für Arbeitermütter" rezitiert und dabei referiert, wie er sich für einen Schluck Milch angestellt habe. Durchaus witzig (und als politische Entschärfung gelungen) erscheint eine Montage von Satzfetzen aus den Rundfunkgesprächen, die Hans Bunge mit Hanns Eisler in den späten fünfziger Jahren führte. Weil diese Dokumente so herzlich widersprüchlich sind (und die Montage dies auch kurz und bündig hervorhebt), kommt Gelächter auf. Dabei gäbe das, was da als vertane Chance des Nachkriegsdeutschland aufflackerte, gewiß keinen Anlaß zur Heiterkeit, wenn man mit historischen Ohren hören wollte und könnte. Aber die Ohren sind eben von heute. Und das wird, zumindest in absehbarer Zeit, das Generalproblem der Eisler-Rezeption bleiben: daß die welthistorische Strömung, in welche sich diese Musik stürzte und die sie mit sich fortriß, versiegt ist - der Kern des Eislerschen Bemühens also unfruchtbar.

Heiner Goebbels bewies großen Respekt vor dem Vorbild, diesem stets auf "Nützlichkeit" bedachten Komponisten des so antagonistisch zugespitzten zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts. Er bewies zu großen Respekt. Aber bemerkenswert war, daß man in einer großen Münchner Halle diese so lange verpönte Musik endlich hören konnte. FRIEDER REININGHAUS

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