Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 27. Januar 2017
- Hersteller: 375 Media GmbH / 4AD/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0652637300314
- Artikelnr.: 28964636
- Herstellerkennzeichnung
- Beggars UK Ltd.
- 375 Media GmbH
- Schachthofstraße 36a
- 21079 Hamburg
- https://375media.com/
LP 1 | |||
1 | Terrible Love | 00:04:40 | |
2 | Sorrow | 00:03:25 | |
3 | Anyone's Ghost | 00:02:54 | |
4 | Little Faith | 00:04:37 | |
5 | Afraid Of Anyone | 00:04:19 | |
6 | Bloodbuzz Ohio | 00:04:36 | |
LP 2 | |||
1 | Lemonworld | 00:03:24 | |
2 | Runaway | 00:05:34 | |
3 | Conversation 16 | 00:04:19 | |
4 | England | 00:05:40 | |
5 | Vanderlyle Crybaby Geeks | 00:04:12 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2010Ein Meer gegen die Verzweiflung
Diese Pessimisten kommen so schnell nicht ins Club-Radio: The National
Am Anfang ist das Brummen. Ein warmer Bariton aus den tiefsten Tiefen Matt Berningers. "Terrible love and I'm walking with spiders", nuschelt der Sänger von The National im Auftaktsong von "High Violet" etwas kryptisch in seinen sprießenden Vollbart. Es geht also gleich zu Beginn um das Lieblingsthema des Pop: die Liebe. Doch die kommt auf dem fünften Album der amerikanischen Independent-Folkband mit Kultstatus gewohnt trist daher. "Dunkel", aber auch auf eine "verspulte Art poppig" seien die elf neuen Songs geraten, verriet Berninger jüngst in einem Interview. Und tatsächlich ist der Wehmutsfaktor bei "High Violet" ähnlich hoch wie bei "Alligator" und "The Boxer", den Vorgängerplatten, die gleich mehrere Musikmagazine bei Erscheinen in Amerika zu den besten Alben des Jahrzehnts zählten.
Innerhalb weniger Jahre erspielten sich The National in der Heimat eine hochelitäre Fan-Gemeinde. Bei Konzerten lauscht man ergriffen und murmelt jede Textzeile Berningers wie eine Prophezeiung mit, während der Heros ganz in Schwarz und mit geschlossenen Augen ins Mikrofon raunt, als wollte er es sich einverleiben. In die europäische Fremde hingegen ist diese zeremonielle Verehrung bislang kaum gedrungen. Hierzulande gelten The National eher noch als Geheimtipp.
Das soll sich nun, mit "High Violet", ändern. Vertrauend darauf, dass sich Qualität irgendwann durchsetzt, macht die in Cincinnati, Ohio, gegründete, in Brooklyn ansässige Band das Gleiche wie eh und je - nur noch besser, noch ausgefeilter, weshalb die Bastelphasen im eigenen Studio von Album zu Album länger werden und fortan wohl in Jahren gezählt werden müssen. Nach wie vor wummert die Stimme Berningers wie ein Tiefenbass durch die mit allerlei Chören, Klavieren und Bläsern üppig ausstaffierten Songs; wie eh und je scheuen die Musiker dabei das Strophe-Refrain-Erfolgsrezept des Pop wie ein zotteliger Rocker aus dem Mittleren Westen den Frisör. Die Songs leben vom Rhythmus, dem satten Schlagzeug Bryan Devendorfs, der leichten Modulation in der Stimme des Sängers.
Dennoch klingt ein Album von The National nie monoton. Das liegt vor allem an den klugen Arrangements mit ihren Anleihen bei Jazz und Klassik. Den Fehler der Überorchestrierung begeht die Band anders als bei den wenigen schwachen Stücken aus früheren Tagen nicht. Doch selbst damals dienten Geigen und Bläser nie, wie bei vielen Durchschnitts-Balladen aus der Massenproduktion des Pop, als süßlich-kitschige Beilagen zu einem an sich ungenießbaren Song. Sie waren stets dosiert eingesetzte musikalischer Geschmacksverstärker für den Text, den Satz, das Wort.
Mehr noch als ein Sänger ist Matt Berninger mit seinem eingeschränkten Stimmvolumen nämlich ein begnadeter Geschichtenerzähler. Er baut seine Songs auf wie François Truffaut einen Schwarzweißfilm: streng in der Form, scharf in der Gesellschaftskritik und durchleuchtet von unterkühlter Poesie. Wie der französische Regisseur bevölkert Berninger seine Bilderwelten mit geisterhaften Gestalten, Einsamen und Ausgestoßenen. Sie hoffen, lieben und werden enttäuscht, bis sie sich schließlich, wie in "Anyone's Ghost", innerlich tot und mit dem iPod im Ohr durch die Hochhausschluchten Manhattans schleppen. Beinahe glücklich scheint in diesem Grau, wer wie in "Terrible Love" zu der Erkenntnis kommt: "It takes an ocean not to break" ("Es braucht ein Meer, um nicht zu verzweifeln"). Ihm bleibt zumindest die Hoffnung auf Hoffnung. Wie Sarkasmus klingt da bei so viel schöner Tristesse der stramm patriotische Bandname: "Seht her, das ist Amerika", sagt er. "Unter Nationalismus und Pioniergeist, unter God bless America und Yes, we can regiert die blanke, die existentielle Angst."
In die Club-Rotation des Dudelfunks kommt man mit diesem Pessimismus weder in der alten noch in der neuen Welt. Auch werden The National wohl nie bei Starbucks den Soundtrack für einen Karamell-Macchiato in der Sesseloase beisteuern. Sie machen weniger Musik für die Beine als für den Kopf und über diesen kleinen Umweg schließlich auch fürs Herz.
RAOUL LÖBBERT
The National, High Violet. 4AD/Beggars Group 7357904 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diese Pessimisten kommen so schnell nicht ins Club-Radio: The National
Am Anfang ist das Brummen. Ein warmer Bariton aus den tiefsten Tiefen Matt Berningers. "Terrible love and I'm walking with spiders", nuschelt der Sänger von The National im Auftaktsong von "High Violet" etwas kryptisch in seinen sprießenden Vollbart. Es geht also gleich zu Beginn um das Lieblingsthema des Pop: die Liebe. Doch die kommt auf dem fünften Album der amerikanischen Independent-Folkband mit Kultstatus gewohnt trist daher. "Dunkel", aber auch auf eine "verspulte Art poppig" seien die elf neuen Songs geraten, verriet Berninger jüngst in einem Interview. Und tatsächlich ist der Wehmutsfaktor bei "High Violet" ähnlich hoch wie bei "Alligator" und "The Boxer", den Vorgängerplatten, die gleich mehrere Musikmagazine bei Erscheinen in Amerika zu den besten Alben des Jahrzehnts zählten.
Innerhalb weniger Jahre erspielten sich The National in der Heimat eine hochelitäre Fan-Gemeinde. Bei Konzerten lauscht man ergriffen und murmelt jede Textzeile Berningers wie eine Prophezeiung mit, während der Heros ganz in Schwarz und mit geschlossenen Augen ins Mikrofon raunt, als wollte er es sich einverleiben. In die europäische Fremde hingegen ist diese zeremonielle Verehrung bislang kaum gedrungen. Hierzulande gelten The National eher noch als Geheimtipp.
Das soll sich nun, mit "High Violet", ändern. Vertrauend darauf, dass sich Qualität irgendwann durchsetzt, macht die in Cincinnati, Ohio, gegründete, in Brooklyn ansässige Band das Gleiche wie eh und je - nur noch besser, noch ausgefeilter, weshalb die Bastelphasen im eigenen Studio von Album zu Album länger werden und fortan wohl in Jahren gezählt werden müssen. Nach wie vor wummert die Stimme Berningers wie ein Tiefenbass durch die mit allerlei Chören, Klavieren und Bläsern üppig ausstaffierten Songs; wie eh und je scheuen die Musiker dabei das Strophe-Refrain-Erfolgsrezept des Pop wie ein zotteliger Rocker aus dem Mittleren Westen den Frisör. Die Songs leben vom Rhythmus, dem satten Schlagzeug Bryan Devendorfs, der leichten Modulation in der Stimme des Sängers.
Dennoch klingt ein Album von The National nie monoton. Das liegt vor allem an den klugen Arrangements mit ihren Anleihen bei Jazz und Klassik. Den Fehler der Überorchestrierung begeht die Band anders als bei den wenigen schwachen Stücken aus früheren Tagen nicht. Doch selbst damals dienten Geigen und Bläser nie, wie bei vielen Durchschnitts-Balladen aus der Massenproduktion des Pop, als süßlich-kitschige Beilagen zu einem an sich ungenießbaren Song. Sie waren stets dosiert eingesetzte musikalischer Geschmacksverstärker für den Text, den Satz, das Wort.
Mehr noch als ein Sänger ist Matt Berninger mit seinem eingeschränkten Stimmvolumen nämlich ein begnadeter Geschichtenerzähler. Er baut seine Songs auf wie François Truffaut einen Schwarzweißfilm: streng in der Form, scharf in der Gesellschaftskritik und durchleuchtet von unterkühlter Poesie. Wie der französische Regisseur bevölkert Berninger seine Bilderwelten mit geisterhaften Gestalten, Einsamen und Ausgestoßenen. Sie hoffen, lieben und werden enttäuscht, bis sie sich schließlich, wie in "Anyone's Ghost", innerlich tot und mit dem iPod im Ohr durch die Hochhausschluchten Manhattans schleppen. Beinahe glücklich scheint in diesem Grau, wer wie in "Terrible Love" zu der Erkenntnis kommt: "It takes an ocean not to break" ("Es braucht ein Meer, um nicht zu verzweifeln"). Ihm bleibt zumindest die Hoffnung auf Hoffnung. Wie Sarkasmus klingt da bei so viel schöner Tristesse der stramm patriotische Bandname: "Seht her, das ist Amerika", sagt er. "Unter Nationalismus und Pioniergeist, unter God bless America und Yes, we can regiert die blanke, die existentielle Angst."
In die Club-Rotation des Dudelfunks kommt man mit diesem Pessimismus weder in der alten noch in der neuen Welt. Auch werden The National wohl nie bei Starbucks den Soundtrack für einen Karamell-Macchiato in der Sesseloase beisteuern. Sie machen weniger Musik für die Beine als für den Kopf und über diesen kleinen Umweg schließlich auch fürs Herz.
RAOUL LÖBBERT
The National, High Violet. 4AD/Beggars Group 7357904 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main