Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 28. April 2003
- Hersteller: 375 Media GmbH / GRAND HOTEL VAN CLEEF / INDIGO,
- EAN: 4015698239416
- Artikelnr.: 25826754
LP | |||
1 | Für immer die Menschen | 00:04:20 | |
2 | Schreit den Namen meiner Mutter | 00:04:19 | |
3 | Die Bastarde, die dich jetzt nach Hause bringen | 00:05:01 | |
4 | Du bist den ganzen Weg gerannt | 00:04:15 | |
5 | Das war ich | 00:03:23 | |
6 | Die Schönheit der Chance | 00:04:47 | |
7 | Endlich einmal | 00:05:12 | |
8 | Von Gott verbrüht | 00:05:17 | |
9 | Insecuritate | 00:04:29 | |
10 | Neulich als ich dachte | 00:04:57 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2003Angst und Bier
Die Nacht der Gewohnheit: "Tomte" mögen's gemixt
"Ich bin bereit für mehr Korn und Sprite", kündigten "Tomte" auf ihrem letzten, rundum gelungenen Album "Eine sonnige Nacht" (2000) an. Das war einerseits eine Anspielung auf den "Oasis"-Song "Cigarettes & Alcohol", doch zugleich auch ein Versprechen, daß man auch jenseits von Hamburger Schulfeten wieder mehr Mixgetränke aus heimischer Rockdestillerie zu sich nehmen könnte. Ihr Longdrink aus harten Sachen und melodiösem Weichspüler, aus selbstgebranntem Klartext und konventionellem Zuckerwasser hinterließ nachhaltige Wirkungen. Für eine Zeit war das Bedürfnis gestillt, das der übermäßige Konsum von Gin Tocotronic in den neunziger Jahren geweckt hatte. Auch "Tomte" um Sänger Thees Uhlmann entstammen der unabhängigen Hamburger Musikszene und veröffentlichen auf eigenem Label, das im vergangenen Jahr mit dem Debüt von "Kettcar" einen echten Treffer landen konnte.
Auf der neuen Platte "Hinter all diesen Fenstern" ist der Antrieb "eine Mischung aus Angst und Bier", wie es gleich der erste Song klarstellt. Von der geht ein unangenehmer Geruch aus, dem man lieber ausweicht, wenn man ihn am Nachbarn in der S-Bahn wahrnimmt. Krankheit, Alter und Tod sind Leitmotive dieser Lieder. Sie erinnern beim ersten Hören an die verhuschte Schnoddrigkeit der frühen "Tocotronic"-Platten, die sie aber musikalisch dem Dilettantentum entwinden und textlich ins Existentielle wenden: "Und du sagtest: Da ist zuviel Krebs in deiner Familie / da ist zuviel Angst in meiner Welt", heißt es in der ersten Single-Veröffentlichung "Schreit den Namen meiner Mutter". Nicht nur der früher oder später unausweichliche Abschied von den Eltern ist hier Thema; auch der alltäglich drohende Verlust liebgewonnener Dinge und Gewohnheiten: "Einen Augenblick zu streicheln / bevor sie gehen / und du weißt, / wenn sie gehen, wirst du immer Waise sein." Die Wendung ins Private, die auch bei "Kettcar" zu bemerken ist, hat nach Liebes- und Beziehungsleid auch die für Popmusik eher seltenen allerletzten Dinge erreicht. "Von Gott verbrüht" lautet ein Titel, "Für immer die Menschen" ein anderer.
Diese Allsympathie, diese Aufmerksamkeit und dieses Mitgefühl für das Fremde und Unbekannte, balancieren freilich stets am Rand der Peinlichkeit. Wer Pathos als Angriffswaffe einsetzt, der darf sich keine Löcher in der Verteidigung erlauben, also keine Zeilen wie "Und diese Schuhe und Wege sind da, um uns zu tragen" oder "Da waren Menschen in den Häusern, in denen wir leiden". Da spiegeln sich in den Fenstern die altbekannten Straßen unserer Stadt: "Siehst du dort den alten Mann . . ."
Erst gegen Ende findet die insgesamt nicht überzeugende Platte wieder zur Stärke des Beginns zurück. "Die Insecuritate hat meinen zuversichtlichen Bruder erschossen" ist eine jener erstaunlichen Satzfindungen, die Thees Uhlmann zu einer unverwechselbaren Stimme machen. Der letzte, versöhnlich stimmende Song heißt "Die Schönheit der Chance" - das meint auch die vergebene. Wir sind bereit für mehr Angst und Bier.
RICHARD KÄMMERLINGS
Tomte, Hinter all diesen Fenstern, Grand Hotel van Cleef 004 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Nacht der Gewohnheit: "Tomte" mögen's gemixt
"Ich bin bereit für mehr Korn und Sprite", kündigten "Tomte" auf ihrem letzten, rundum gelungenen Album "Eine sonnige Nacht" (2000) an. Das war einerseits eine Anspielung auf den "Oasis"-Song "Cigarettes & Alcohol", doch zugleich auch ein Versprechen, daß man auch jenseits von Hamburger Schulfeten wieder mehr Mixgetränke aus heimischer Rockdestillerie zu sich nehmen könnte. Ihr Longdrink aus harten Sachen und melodiösem Weichspüler, aus selbstgebranntem Klartext und konventionellem Zuckerwasser hinterließ nachhaltige Wirkungen. Für eine Zeit war das Bedürfnis gestillt, das der übermäßige Konsum von Gin Tocotronic in den neunziger Jahren geweckt hatte. Auch "Tomte" um Sänger Thees Uhlmann entstammen der unabhängigen Hamburger Musikszene und veröffentlichen auf eigenem Label, das im vergangenen Jahr mit dem Debüt von "Kettcar" einen echten Treffer landen konnte.
Auf der neuen Platte "Hinter all diesen Fenstern" ist der Antrieb "eine Mischung aus Angst und Bier", wie es gleich der erste Song klarstellt. Von der geht ein unangenehmer Geruch aus, dem man lieber ausweicht, wenn man ihn am Nachbarn in der S-Bahn wahrnimmt. Krankheit, Alter und Tod sind Leitmotive dieser Lieder. Sie erinnern beim ersten Hören an die verhuschte Schnoddrigkeit der frühen "Tocotronic"-Platten, die sie aber musikalisch dem Dilettantentum entwinden und textlich ins Existentielle wenden: "Und du sagtest: Da ist zuviel Krebs in deiner Familie / da ist zuviel Angst in meiner Welt", heißt es in der ersten Single-Veröffentlichung "Schreit den Namen meiner Mutter". Nicht nur der früher oder später unausweichliche Abschied von den Eltern ist hier Thema; auch der alltäglich drohende Verlust liebgewonnener Dinge und Gewohnheiten: "Einen Augenblick zu streicheln / bevor sie gehen / und du weißt, / wenn sie gehen, wirst du immer Waise sein." Die Wendung ins Private, die auch bei "Kettcar" zu bemerken ist, hat nach Liebes- und Beziehungsleid auch die für Popmusik eher seltenen allerletzten Dinge erreicht. "Von Gott verbrüht" lautet ein Titel, "Für immer die Menschen" ein anderer.
Diese Allsympathie, diese Aufmerksamkeit und dieses Mitgefühl für das Fremde und Unbekannte, balancieren freilich stets am Rand der Peinlichkeit. Wer Pathos als Angriffswaffe einsetzt, der darf sich keine Löcher in der Verteidigung erlauben, also keine Zeilen wie "Und diese Schuhe und Wege sind da, um uns zu tragen" oder "Da waren Menschen in den Häusern, in denen wir leiden". Da spiegeln sich in den Fenstern die altbekannten Straßen unserer Stadt: "Siehst du dort den alten Mann . . ."
Erst gegen Ende findet die insgesamt nicht überzeugende Platte wieder zur Stärke des Beginns zurück. "Die Insecuritate hat meinen zuversichtlichen Bruder erschossen" ist eine jener erstaunlichen Satzfindungen, die Thees Uhlmann zu einer unverwechselbaren Stimme machen. Der letzte, versöhnlich stimmende Song heißt "Die Schönheit der Chance" - das meint auch die vergebene. Wir sind bereit für mehr Angst und Bier.
RICHARD KÄMMERLINGS
Tomte, Hinter all diesen Fenstern, Grand Hotel van Cleef 004 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main