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Trackliste
CD
1Hooves
2In Our Talons
3Human Hands
4Dark Horse
5Bur Oak
6My Oldest Memory
7The Marbled Godwit
8Slow Down
9The Ticonderoga
10Olive Hearts
11La Denigracion
12Matchstick Maker
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2008

Ökohymnen
Die Bowerbirds stechen uns direkt ins Olivenherz

Die Irritation ist nachhaltig. So uneitel gelebte und fern allem Voyeurismus des Ohrs gemachte Musik findet man selbst im Nu-Folk selten: Friedlich mit Basstrommel, Geige und Gitarre bewaffnet, haben die Bowerbirds irgendwo in North Carolina mit zwei Raummikrofonen und wenigen Overdubbs ungeschliffene Songdiamanten aufgenommen. Doch Intimität und Melodieseligkeit ihrer Lieder täuschen: "Hymns For A Dark Horse" ist ein Debüt mit Falltüren in gottverlassene Geisteskerker.

Phil Moore spielt Gitarre und singt. Es steht nicht da, aber er komponiert wohl auch all die schönen Lieder, die er mit der Hingabe und dem kehlig-samtenen Timbre eines Jeff Buckley singt, ohne dessen Virtuosität erreichen zu wollen. Zu sehr ist er in die Inhalte entrückt, in denen er fast wie ein Prediger aufzugehen scheint. Die Substanz seiner Lieder verdankt sich nicht zuletzt guter Ortskenntnis in allen Lagen der Gitarre. Aber da ihm die Klampfe nur Kompositions- und Begleitinstrument ist, fällt es ihm gottlob nicht ein, darauf brillieren zu wollen. Mark Paulson schlägt die Basstrommel, schneidet mit dem sengenden Tremolo seiner Fidel melodische Schneisen in zeitlose Kompositionen wie "My Oldest Memory" oder wirkt im Hintergrund autistisch-kreischende Klangcluster, die es auch auf eine Talk-talk-Platte geschafft hätten. Das Klangbild gewinnt so an Tiefe und Farbe, und das ist wichtig, wenn man eine solche arte povera wie die Bowerbirds kultiviert. Bedenkt man, dass bei einer normalen Produktion allein für eine lumpige Gitarre bis zu vier Mikrofone positioniert werden, kann man Paulson, der die Aufnahmen auch leitete, nur gratulieren. Britney Spears möchte man so nackt jedenfalls nicht hören.

Beth Tacular lebt mit Phil Moore in einem Wohnwagen am Rande der Wildnis. Die Künstlerin spielt mit Sinn für melodische Essenzen Akkordeon und schultert oft die riesige Marschtrommel, die neben einem Schellenkranz einziges Rhythmusinstrument sein darf: buuum, bumm, bumm, klack! Das Timing wackelt zuweilen, aber wenn Tacular mit ihrer klaren Stimme ihren Freund unterstützt, entsinnt man sich unweigerlich Sean Penns letztjähriger Verfilmung des Lebens Chris McCandless', jenes jungen Aussteigers also, der auf den Spuren von David Thoreaus "Walden" allein in der Wildnis stirbt. Gut, dass Beth und Phil sich gefunden haben, denkt man.

Kein Zweifel: Auch die Bowerbirds sind Urenkel der sogenannten Transzendentalisten um Emerson und Thoreau. Ihr Debüt widmen sie dem, was "in uns und auf Erden wild bleibt". Das Erbe der ersten kulturellen Gegenbewegung Amerikas, die sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Concord und Boston formierte, hat von Dichtern wie Walt Whitman über Musiker und Maler wie Charles Ives und Barnett Newman bis hin zu Hippies und aktuellen folkloristischen Bewegungen immer wieder auf das religiöse und künstlerische Leben gewirkt.

Betrachtet die Dinge im Lichte ihrer Kreatürlichkeit! Öffnet euer Herz! Es sind zunächst frohe Imperative wie diese, die Moore in tastend phrasierten Melodiebögen und Bildern zu transportieren scheint: "Back to when I was born on a full moon / I nearly split my momma in two / And while she held me proud / I had the thought: There is no one more beautiful than you." Mutterliebe als Ursprung und Horizont aller Orientierung in den Wäldern des Lebens - "You are the kindling, still, that burns below my heart / You're the hooves that lead me through the forest." Aber es ist wohl abstrakter gemeint: Mutter Natur pflanzt uns die Saat der Liebe als Instinkt ein.

Nach diesem Prolog der Vorsehung dokumentieren die Bowerbirds Lied für Lied, wie wir das Objekt besagter Liebe vernichten. "It takes a lot of nerve to destroy this wondrous earth / We're only human, this at least we've learned", resümiert Moore schon bald mit der Lakonie eines Robert Wyatt. Man könnte auch sagen: "Politisches Handeln" und "Handeln wider besseres Wissen" sind zuletzt fast Synonyme geworden.

Ein zentraler Gedanke Emersons bestand darin, die Natur mehrstufig als Materie, Medium und Prozess göttlicher Offenbarung zu denken. Die Einsicht, dass dies heute so historisch aufschlussreich wie obszön ist; die Schuld, den Bund mit der Natur gebrochen zu haben, schließlich wohl auch der dadurch bedingte Verlust aller Heilsgewissheit im Zeichen des Fortschritts - dies sind einige der Quellen, aus denen sich Denken und Fühlen, Ästhetik und Musik der Bowerbirds speisen.

Die Menschen zerstören ihre Umwelt und stechen sich selbst zum Zeitvertreib noch gelangweilt mit Plastikschwertern in ihre Olivenherzen. "Are you so high above us, or the violence that walks among us?", fragt Moore zuletzt pointiert seinen Schöpfer. Dass und wie solch abgründig-theologische Zweifel derart feierlich anmutende Lieder zum Resultat haben können, bleibt Verdienst und Geheimnis des ecological turn dieser tapferen Transzendentalisten.

ALESSANDRO TOPA

Bowerbirds, Hymns For A Dark Horse. Dead Ocean 017 (Cargo)

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