Im 20. Jahr ihrer Karriere liefert die US-Indie-Institution einen Meilenstein. Es ist schon eine Seltenheit, dass eine Band, deren Bestehen nunmehr 2 Dekaden umfasst, ausgerechnet jetzt eines der besten Alben Ihrer Karriere vorlegt, doch Yo La Tengo ist es gelungen. Von Album zu Album haben sie die Messlatte dessen, was erreicht werden kann, höher gelegt. Kein Song klingt wie der andere. Es gibt viel zu entdecken: von epischen Klangkulissen über unbeschwerte Popsongs bis hin zu wunderschönen Liebesliedern. Hier und da finden sich auch ein paar Rock'n'Roll Nummern, eine Prise Humor gehört genauso dazu wie eine hohe Dosis ureigenen Yo La Tengo Charmes. Yo La Tengo sind eine amerikanische Institution, und trotz Ihres langen Bestehens zählen sie auch heute noch zur Spitze, wenn es um Kreativität und Erfindungsreichtum geht. 3 Jahre ist es jetzt her seit ihrem letzten Album "Summer Sun". In der Zwischenzeit veröffentlichten sie u. a. die Mammutkollektion "Prisoners Of Love...", waren ständig auf Tour, traten im Fernsehen auf (an der Seite von Sonic Youth in der Erfolgsserie "The Gilmore Girls") und arbeiteten an Soundtracks, u.a. dem Score für den Oscar nominierten Film "Junebug und Shortbus".
CD | |||
1 | Pass The Hatchet, I Think I'm Goodkind | 00:10:46 | |
2 | Beanbag Chair | 00:03:00 | |
3 | I Feel Like Going Home | 00:04:11 | |
4 | Mr. Tough | 00:04:04 | |
5 | Black Flowers | 00:04:26 | |
6 | The Race Is On Again | 00:04:35 | |
7 | The Room Got Heavy | 00:05:08 | |
8 | Sometimes I Don't Get You | 00:03:14 | |
9 | Daphnia | 00:08:49 | |
10 | I Should Have Known Better | 00:03:14 | |
11 | Watch Out For Me Ronnie | 00:02:58 | |
12 | The Weakest Part | 00:03:01 | |
13 | Song For Mahila | 00:03:39 | |
14 | Point And Shoot | 00:04:13 | |
15 | The Story Of Yo La Tango | 00:11:48 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2006Die Häutung der Unabhängigen
Im Klanggewitter: "Yo La Tengo" haben vor nichts mehr Angst
Hat man die ersten elf Minuten halbwegs unbeschadet überstanden, so landet man im Himmelreich des Pop. Denn was eben noch bleischwer und unzugänglich erschien, klingt plötzlich schwerelos und transparent. Natürlich läßt sich das bombastische Auftaktstück "Pass The Hatchet, I Think I'm Goodkind" des inoffiziellen Jubiläumsalbums der amerikanischen Indierock-Veteranen "Yo La Tengo" per Knopfdruck überspringen, so daß man sich die mächtige Trommelfellattacke erspart, um sogleich zum heiter-quirligen, gut drei Minuten popmusikalischen Frohsinn versprühenden "Beanbag Chair" zu kommen.
Doch nur denen, die willens sind, den gewaltigen metaphysischen Stahlsaitengewittern des Klangmonsters zu Beginn unerschrocken zu trotzen, ist es vergönnt, die ganze widerstreitende Schönheit des neuen Albums "I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass" zu erfassen. Denn erst im Erleiden wohldosierter Qualen, so eine der unausgesprochenen Losungen der unverwitterlichen, aus Hoboken, New Jersey, stammenden Klangalchimisten, erschließt sich die wahre Größe ihrer neuen, köstlichen Mixturen.
Seit zweiundzwanzig Jahren irrlichtert die einst von Ira Kaplan und seiner Frau Georgia Hubley aus der Taufe gehobene Formation durch die Pophistorie. Und während andere Bands früher oder später ihren begrenzten Möglichkeiten erliegen, kam "Yo La Tengo" in all den Jahren weder die Kraft noch der Mut zur Selbsterneuerung abhanden. Im Gegenteil: Gerade der Umstand, daß "Yo La Tengo" sich stets unverhohlen als eine Art Amalgam zahlloser Stile und Einflüsse verstanden, darf wohl als das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Gruppe gelten.
Und so bietet das neue Album einmal mehr all das, was sich in fünfzehn mehr oder weniger melancholisch angehauchten Rockpopnummern unterbringen läßt: Pop, Easy Listening, Funk, Jazz, Rockabilly, Psychedelic und Klassik verschmelzen, von Ira Kaplans vibrierender Gitarre dominiert, zu einem höchst animierenden Klanggebräu. Das scheinbar strukturlos dröhnende Pathos des Anfangs wird abgelöst vom elegischen, an die "Mojave 3"-Produktionen Neil Halsteds erinnernden "I Feel Like Going Home". Und wenn dann die ersten Klänge des von satten Bläsersätzen angereicherten "Mr. Touch" anheben, hat das neue "Yo La Tengo"-Album seine Betriebstemperatur erreicht. Immer wieder hat man das Gefühl, ein Kind dabei zu beobachten, wie es ruhelos per Drehknopf über die Frequenzskala eines alten Röhrenradios jagt, Soundfetzen kurz einfängt - und wieder verliert. Synthesizermelodien weben einen weitgespannten Klangteppich, der mal in diese, mal in jene Richtung auszufransen scheint. Und doch gewinnt das Album seine Struktur durch die langen Gitarrenstücke, die wie richtungweisende Pfeiler rechts und links der großen Klangwiese eingeschlagen sind.
So erweist sich "I Am Not Afraid Of You And I will Beat Your Ass" unterm Strich trotz seiner scheinbaren inneren Disparität als kleines Klangwunder, das mal mit eingängigen Popstückchen wie "Sometimes I Don't Get You" aufwartet, mal mit erhabenen Nummern wie der neunminütigen, an die frühen "Pink Floyd" erinnernden Klangcollage "Daphnia". Doch "Yo La Tengo", diese ruhelosen und in ihrer künstlerischen Konsequenz radikalen Wanderer zwischen den Musikwelten, wären nicht sie selbst, fiele der Schlußvorhang nach all der synthetischen Süße nicht auch diesmal mit der Phonstärke eines anspringenden Düsenjets. Zwölf sagenhafte Minuten lang windet sich die mächtige akustische Schlußschleife in Form des Stücks "The Yo La Tengo Story" in die Gehörgänge - und nichts deutet darauf hin, daß dies womöglich der vitale Schlußpunkt einer Band sein könnte, die ihre musikalischen Metamorphosen mit wollüstiger Verve zelebriert.
Drei Jahre liegt die Veröffentlichung des letzten, seinerzeit von lässiger Beiläufigkeit getragenen Studioalbums "Summer Sun" zurück; sechsunddreißig Monate, in denen der Band, wie schon so oft zuvor, das Kunststück gelang, die alten Häute abzustreifen. Und er wird weitergehen, der Zauber der Transformation, der ruhelosen Neuwerdung. Und uns dann hoffentlich ähnlich großartige Songs bescheren, wie er es diesmal getan hat.
PETER HENNING
Yo La Tengo, I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass. Matador/Beggars B000GUK0HM (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Klanggewitter: "Yo La Tengo" haben vor nichts mehr Angst
Hat man die ersten elf Minuten halbwegs unbeschadet überstanden, so landet man im Himmelreich des Pop. Denn was eben noch bleischwer und unzugänglich erschien, klingt plötzlich schwerelos und transparent. Natürlich läßt sich das bombastische Auftaktstück "Pass The Hatchet, I Think I'm Goodkind" des inoffiziellen Jubiläumsalbums der amerikanischen Indierock-Veteranen "Yo La Tengo" per Knopfdruck überspringen, so daß man sich die mächtige Trommelfellattacke erspart, um sogleich zum heiter-quirligen, gut drei Minuten popmusikalischen Frohsinn versprühenden "Beanbag Chair" zu kommen.
Doch nur denen, die willens sind, den gewaltigen metaphysischen Stahlsaitengewittern des Klangmonsters zu Beginn unerschrocken zu trotzen, ist es vergönnt, die ganze widerstreitende Schönheit des neuen Albums "I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass" zu erfassen. Denn erst im Erleiden wohldosierter Qualen, so eine der unausgesprochenen Losungen der unverwitterlichen, aus Hoboken, New Jersey, stammenden Klangalchimisten, erschließt sich die wahre Größe ihrer neuen, köstlichen Mixturen.
Seit zweiundzwanzig Jahren irrlichtert die einst von Ira Kaplan und seiner Frau Georgia Hubley aus der Taufe gehobene Formation durch die Pophistorie. Und während andere Bands früher oder später ihren begrenzten Möglichkeiten erliegen, kam "Yo La Tengo" in all den Jahren weder die Kraft noch der Mut zur Selbsterneuerung abhanden. Im Gegenteil: Gerade der Umstand, daß "Yo La Tengo" sich stets unverhohlen als eine Art Amalgam zahlloser Stile und Einflüsse verstanden, darf wohl als das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Gruppe gelten.
Und so bietet das neue Album einmal mehr all das, was sich in fünfzehn mehr oder weniger melancholisch angehauchten Rockpopnummern unterbringen läßt: Pop, Easy Listening, Funk, Jazz, Rockabilly, Psychedelic und Klassik verschmelzen, von Ira Kaplans vibrierender Gitarre dominiert, zu einem höchst animierenden Klanggebräu. Das scheinbar strukturlos dröhnende Pathos des Anfangs wird abgelöst vom elegischen, an die "Mojave 3"-Produktionen Neil Halsteds erinnernden "I Feel Like Going Home". Und wenn dann die ersten Klänge des von satten Bläsersätzen angereicherten "Mr. Touch" anheben, hat das neue "Yo La Tengo"-Album seine Betriebstemperatur erreicht. Immer wieder hat man das Gefühl, ein Kind dabei zu beobachten, wie es ruhelos per Drehknopf über die Frequenzskala eines alten Röhrenradios jagt, Soundfetzen kurz einfängt - und wieder verliert. Synthesizermelodien weben einen weitgespannten Klangteppich, der mal in diese, mal in jene Richtung auszufransen scheint. Und doch gewinnt das Album seine Struktur durch die langen Gitarrenstücke, die wie richtungweisende Pfeiler rechts und links der großen Klangwiese eingeschlagen sind.
So erweist sich "I Am Not Afraid Of You And I will Beat Your Ass" unterm Strich trotz seiner scheinbaren inneren Disparität als kleines Klangwunder, das mal mit eingängigen Popstückchen wie "Sometimes I Don't Get You" aufwartet, mal mit erhabenen Nummern wie der neunminütigen, an die frühen "Pink Floyd" erinnernden Klangcollage "Daphnia". Doch "Yo La Tengo", diese ruhelosen und in ihrer künstlerischen Konsequenz radikalen Wanderer zwischen den Musikwelten, wären nicht sie selbst, fiele der Schlußvorhang nach all der synthetischen Süße nicht auch diesmal mit der Phonstärke eines anspringenden Düsenjets. Zwölf sagenhafte Minuten lang windet sich die mächtige akustische Schlußschleife in Form des Stücks "The Yo La Tengo Story" in die Gehörgänge - und nichts deutet darauf hin, daß dies womöglich der vitale Schlußpunkt einer Band sein könnte, die ihre musikalischen Metamorphosen mit wollüstiger Verve zelebriert.
Drei Jahre liegt die Veröffentlichung des letzten, seinerzeit von lässiger Beiläufigkeit getragenen Studioalbums "Summer Sun" zurück; sechsunddreißig Monate, in denen der Band, wie schon so oft zuvor, das Kunststück gelang, die alten Häute abzustreifen. Und er wird weitergehen, der Zauber der Transformation, der ruhelosen Neuwerdung. Und uns dann hoffentlich ähnlich großartige Songs bescheren, wie er es diesmal getan hat.
PETER HENNING
Yo La Tengo, I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass. Matador/Beggars B000GUK0HM (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main