Produktdetails
Trackliste
CD
1I Can't Stop00:03:48
2Play To Win00:04:39
3Rainin' In My Heart00:04:46
4I've Been Waitin' On You00:03:44
5You00:04:30
6Not Tonight00:04:27
7Million To One00:04:53
8My Problem Is You00:06:30
9I'd Still Choose You00:04:07
10I've Been Think' Bout You00:04:06
11I'd Write A Letter00:03:54
12Too Many00:04:03
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2004

Aus heiterem Himmel
Al Green, der berühmteste Soulsänger der Welt, hat die Gebete seiner Fans erhört und sich vorübergehend von der Kirche abgewandt

Der junge Officer in der Immigration Cabine am Detroiter Flughafen stellt die Standardfrage: "Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?" Auf die Antwort: "Ich will nach Memphis, zu Al Green", erhellt sich sein Gesicht, und er stimmt Greens größten Hit an, "Let's Stay Together" von 1971. "Das wird unser Hochzeitssong", ruft sein Kollege rüber. Der Stempel fliegt wie von selbst aufs Paßpapier. So schnell hat die Reporterin noch nie ihr Visum bekommen. Mit einer mehrstimmig gesungenen Version des Songs wird sie entlassen. Der Anschlußflug ist gerettet.

Al Green freut sich am nächsten Morgen über diese Geschichte. Er sitzt in seinem konsequent weiß möblierten und mit Gold- und Platinschallplatten dekorierten Büro in seinem Studiogebäude. Von hier hat er seine Kirche gut im Blick, die Full Gospel Tabernacle Church, in der er seit fast drei Jahrzehnten als Pastor tätig ist. Nur noch gelegentlich arbeitet er als Musiker, kürzlich zum Beispiel, als er sein neues Album "I Can't Stop" aufnahm.

Vor zehn Jahren war Al Green für Interviews in Deutschland - damals ein eher schwieriger Gesprächspartner. Stundenlang ließ er auf sich warten, bevor er dann wortkarg ein paar Satzbrocken von sich gab. Jederzeit mußte man darauf gefaßt sein, daß er das Gespräch abbrechen würde. Und die Plattenfirmenpromoterin erzählte leidgeprüft, wie Green nach einem Streit mit dem Taxifahrer mitten auf der Pariser Stadtautobahn aus dem Auto gesprungen und mit seinen zwei Koffern beleidigt den Seitenstreifen entlanggestapft sei. An diesem sonnigen Wintermorgen in Memphis redet und gestikuliert Green jedoch so fröhlich, als stünde er als Prediger vor seiner Gemeinde. Ein freundlicher 57jähriger, eine gepflegte Erscheinung, die schwarzen Haare so akkurat kurz geschnitten, daß sie aussehen wie auf die Kopfhaut gemalt. Er trägt Anzug und Krawatte und viel Goldschmuck. Das Armband habe ihm ein Fan auf die Bühne geworfen. "Sehen Sie, da steht drauf: ,Al Green forever.' Ich glaube, die Leute lieben mich."

Sie tun es seit vielen Jahren. In seiner größten Zeit Anfang bis Mitte der siebziger Jahre galt Al Green als bester Soulsänger der Welt, als legitimer Erbe von Otis Redding und Sam Cooke. Er schien Zugang zu haben zu einer göttlichen Energie, die er in seine Musik kanalisierte. Allerdings hielt er sich damals, zu Beginn seiner Karriere, in den höhergelegenen Sphären nie länger auf. Denn Green war der Sexgott. Der Ladies Man. Der König der Promiskuität. Er sei damals hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, in Hotelzimmer einzuchecken und nach kurzer Zeit wieder auszuchecken, sagt er. Ob all seine Verflossenen in sein geräumiges Doppel-Büro passen würden? Niemals, sagt er und lacht.

Der Heilige Geist.

Mit neun Jahren hatte Al Green, der aus Forrest City im US-Bundesstaat Arkansas stammt, begonnen, Gospels im Chor seines Vaters zu singen. 1967 schaffte er es mit dem Song "Back up Train" zum ersten Mal in die Charts. Danach stagnierte die Karriere. Ende der sechziger Jahre traf er den Bandleader und Produzenten Willie Mitchell und ging zu ihm nach Memphis. Mitchell und Green wurden das Dream Team der Schwarzen Musik. Gemeinsam nahmen sie Hits wie "Tired Of Being Alone" oder "I'm Still In Love With You" auf.

Und dann begegnete Al nach eigenen Aussagen 1973 in einem Motelzimmer in Anaheim dem Heiligen Geist. Er fühlte sich "wie neu geboren", wußte aber nicht, welche Konsequenzen er daraus ziehen sollte. Also machte er weiter wie zuvor. Ein Jahr später geschah etwas, das ihn aus der gewohnten Bahn warf. Seine damalige Freundin Mary Woodson, der er gerade den Song "Sha-La-La Make Me Happy" geschrieben hatte, übergoß ihn in der Badewanne mit kochender Flüssigkeit und erschoß sich anschließend selbst. "Ich erfuhr erst nach ihrem Tod, daß sie Mann und Kinder hatte. Heute bin ich sicher: Wenn ich damals mehr Verständnis für sie gezeigt hätte, könnte sie noch am Leben sein", sagt Green. Er erlitt damals Verbrennungen dritten Grades, war lange im Krankenhaus. Als er entlassen wurde, wandte er sich der Kirche zu. Er zog sich für drei Wochen in eine Berghütte zurück, fastete und hielt Zwiesprache mit Gott. Als er zurückkam, verkündete er seinen Geschäftspartnern, er habe Gott gefunden. Er, der Superstar, die Musiklegende, nahm auf dem Höhepunkt seines Erfolges Abschied von der weltlichen Karriere. Die Manager, Clubbesitzer und Plattenfirmenleute waren natürlich entgeistert - von seinem neuen Weg abbringen konnten sie ihn jedoch nicht.

1976 kaufte Green ein Gelände in der Nähe von Elvis Presleys Graceland und gründete die Full Gospel Tabernacle Church. Halbherzig nahm er weitere Alben auf, die jedoch nicht sonderlich erfolgreich waren. Dann stürzte Al Green 1979 während eines Auftritts von der Bühne. Um ein Haar wäre er querschnittsgelähmt gewesen, aber er hatte viel Glück. Das sei für ihn der endgültige Fingerzeig Gottes gewesen. Gott habe zu ihm gesprochen: ,Ich habe dir die Songs gegeben, damit du sie richtig einsetzt', sagt Green. Fortan machte er hauptsächlich spirituelle Musik oder religiös verbrämte Songs, die von der Kirchengemeinde nicht wirklich ernst genommen und von seiner Popanhängerschaft weitgehend ignoriert wurden.

Der heilige Al.

Doch die Legende überlebte. Quentin Tarantino verwendete Al Greens Musik in seinem Film "Pulp Fiction". Es waren sogar Originalszenen aus der "Soul Train"-TV-Show zu sehen. "Da tänzelt Al Green in diesen winzigen Hot Pants auf die Bühne, mit hohen Stiefeln und einem kleinen roten Hut mit Feder dran", sagt Al Green, als sei jener Al Green in dem Film ein Fremder. Inzwischen scheint die Green-Hysterie die dritte Generation erreicht zu haben. Als Green vor kurzem in einem Radiosender in Houston auftrat, hätte sich eine Horde kreischender kleiner Mädchen vor dem Gebäude versammelt, erzählt er mit einer Mischung aus Stolz und Verwunderung. "Später ging ich auf die Bühne, und die Kids sangen all meine Lieder mit. Sie kannten meine Texte besser als ich selbst." Auch Justin Timberlake ist ein großer Bewunderer. Der weiße Jungstar lud sein schwarzes Idol ein, bei einem TV Special in Memphis' legendärem Old Daisy Theatre mitzumachen, und sang mit ihm im Duett. Justins Freundin Cameron Diaz hat er auch schon kennengelernt: "Sie hat mich umarmt. Ich sage Ihnen: eine sehr schöne Frau."

Über seine Wandlung vom Sexsymbol zum Geistlichen sagt Green: "Ich habe durch die Fehler gelernt, die ich in meinem Leben gemacht habe. Dafür sind Fehler ja da." Er ist heute ein ganz normaler Familienvater, der sich um seine fünf Kinder aus zwei Ehen kümmert. Seine Frau Yolanda ruft er täglich von unterwegs an. Dieses Leben ist es, über das er auf dem neuen Album singt. "Ich singe, wie es ist, wenn man sich verliebt, eine Familie gründet, wenn man achtzehn Jahre verheiratet ist, drei Kinder hat und morgens um sechs darüber diskutiert, wer sie zur Schule bringt, während sie nörgeln, daß sie ihr Müsli nicht essen wollen."

Für "I Can't Stop" hat sich Green wieder mit seinem alten Freund und Meister, dem mittlerweile 75jährigen Willie Mitchell, zusammengetan. Die Produktion klingt liebenswürdig altmodisch. Denn die beiden Weggefährten produzierten in Mitchells Royal Studio, das wie ein Museum wirkt. Für die Aufnahmen benutzte Al sogar das Mikrophon von damals, und Mitchell heuerte den noch verfügbaren Teil der alten Musikermannschaft an. Greens Stimme glänzt immer noch wie ein Diamant, sein Gesang berührt, als wäre kein Tag vergangen: Endlich hat der Mann Gottes Botschaft an ihn richtig verstanden. Gott hat ihm die Musik gegeben, damit er sie uns allen schenkt.

CHRISTIANE REBMANN.

Al Green: "I Can't Stop", erschienen bei EMI.

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