Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 1. Mai 2009
- Hersteller: 375 Media GmbH / XL/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0634904041526
- Artikelnr.: 26090667
- Herstellerkennzeichnung
- Beggars UK Ltd.
- 375 Media GmbH
- Schachthofstraße 36a
- 21079 Hamburg
- https://375media.com/
CD | |||
1 | Serpentine (I Don't Give A... Part 2) | 00:03:19 | |
2 | Talk To Me | 00:03:04 | |
3 | Lose You | 00:03:31 | |
4 | More | 00:04:32 | |
5 | Billionaire | 00:03:24 | |
6 | I Feel Cream | 00:04:30 | |
7 | Trick Or Treat | 00:03:15 | |
8 | Show Stopper | 00:02:14 | |
9 | Mommy Complex | 00:02:54 | |
10 | Mud | 00:03:06 | |
11 | Relax | 00:03:26 | |
12 | Take You On | 00:03:44 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2009Die Stille nach dem Stöhnen
"I Feel Cream": Das neue Album von Peaches klingt poppiger und geschmeidiger, und zum ersten Mal ist die Musik größer als das Image
Mittlerweile hat sich der Penis im kulturellen Mainstream etabliert. Im Theater haben wir uns an nackte, manchmal sogar masturbierende Männer gewöhnt, im Film und in der Kunst sowieso, nur der Pop hinkt hinterher, der dreht sich noch immer hauptsächlich um sekundäre Geschlechtsmerkmale von Frauen.
Vor ein paar Jahren trat eine zierliche Kanadierin an, das zu ändern. Mit umgeschnalltem Dildo forderte sie in einer Mischung aus Rappen und Singen zu schepperndem Electro-Clash: "Shake your dix". Platt und provokativ finden das nicht wenige Leute, so einen Penis ohne die Weihen der Hochkultur. Andere feiern die Performance von Peaches als Strategie weiblicher Selbstermächtigung. Von dieser Kontroverse profitiert die Musikerin: Sie verschafft ihr das wertvolle Gut der Aufmerksamkeit; auch wenn das Phänomen Peaches die Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit überragt. Derzeit ist die vierzig Jahre alte Frau allgegenwärtig: Selbst die vorgestrigsten Feuilletons, die konservativsten Kulturteile besprechen Peaches und bemühen in den Artikeln dabei gern den Anglizismus "gender" und den Begriff "Diskurs". Nun ist ihre neue Platte unter dem Namen "I Feel Cream" erschienen. Das Album mit dem schmierigen Titel verkörpert mehr als nur einen Sound, es ist eine große Show der Vielfalt. Den Auftakt aber bildet mit "Serpentine" ein geradezu klassisches Peaches-Stück. Peaches rappt, anstatt zu singen. Damit unterstreicht sie die "Mir doch egal, was ihr denkt"-Attitüde des Songs: "Some call me trash / Some call me nasty / Call me crass / But you can't match me".
Der Text kommentiert die vergeblichen Versuche von Fans, Medien und Verweigerern, die kanadische Sängerin einordnen zu wollen. Der Begriff "Serpentine" stammt aus dem militärischen Vokabular. Ein Formationsbefehl: Die Truppe soll sich in einer Schlangenlinie bewegen, damit sie für den Gegner schwieriger zu fassen ist. Im gleichnamigen Song von Peaches wird es jedoch schnell kleinkriminell: "I dined and dashed" rappt Peaches und singt ein Lied von der Zechprellerei.
Musikalisch und ideell wurzelt Peaches in der nordamerikanischen "Riot Grrrl"-Bewegung. Anfang der neunziger Jahre versuchten die Anhängerinnen jener feministischen Underground-Szene, Frauen einen größeren Raum, eine lautere Stimme in der Musik zu verleihen. Die Themen der Songs kreisen um Hedonismus und Politik, behandeln Spaß am Sex genauso wie häusliche Gewalt. Die Musik ist wie die Bewegung: improvisiert, wütend, energiegeladen. Unter ihrem bürgerlichen Namen Merrill Beth Nisker veröffentlichte Peaches 1995 ihre erste Platte - ohne jeden Erfolg oder jede Anerkennung. Vier Jahre später zog sie aus einer WG mit der Sängerin Feist nach Berlin und erfand die Kunstfigur Peaches. Ihre Musik kombinierte Elektrobeats mit der Attitüde des Punks. Auch wenn diese Mischung damals noch eigenwilliger war als heute - das größte Aufsehen erregte Peaches' offensive Bühnenperformance mit den unrasierten Achseln.
Peaches gilt als Feministin - auch oder gerade weil sie auf der Bühne das Stereotyp der stets willigen Frau wiederholt. Peaches übertreibt männliche Phantasien und liefert sich dem Blick und dem Begehren des Publikums aus. Mit brutaler Offenheit spielt sie mit den Erwartungen: Sie nutzt ihre Posen als Mittel der Macht. Damit ist sie sehr erfolgreich. In Sofia Coppolas Film "Lost in Translation" aus dem Jahr 2003 tauchte der Song "Fuck the Pain away" von dem Album "The Teaches of Peaches" auf und machte die Kanadierin auch jenseits eines Nischenpublikums bekannt. Madonna zählt zu ihren Fans, Karl Lagerfeld auch, Iggy Pop musiziert mit ihr, Britney Spears trotz vieler Anfragen der blonden Popgöre nicht.
Nach "Fatherfucker" und "Impeach my Bushes" legt Peaches nun also ein neues Album vor, auf dem sie unter anderem mit Simian Mobile Disco, den DJs von Soulwax und dem Hamburger House-Duo Digitalism zusammenarbeitet. Auf "Serpentine" folgt "Talk to Me", irgendwo zwischen Querverweisen an die feministische Post-Punk-Band Gossip öffnet sich ein Popstück, wie es im Buche steht. Mit "Talk to Me" beweist ausgerechnet Peaches, dass Konsens nicht langweilig klingen muss. Und sie wartet mit weiteren Überraschungen auf: "Lose You" ist ihre erste Ballade. Sanft und einnehmend gleitet ihre Stimme über Harmonien - die Stille zwischen dem Stöhnen. Außerdem wird in Songzeilen wie "You lick my crow feet" oder "Never mind my age" ihr Altern zum Thema.
Vielseitig wie nie zuvor, bleibt Peaches ihrem bewährten Stil treu. Sie klingt poppiger und differenzierter, was aber nicht heißen soll, dass sie sanfter geworden wäre. Höchstens geschmeidiger, wie der Titel "I Feel Cream" andeutet. Zum ersten Mal ist Peaches' Musik größer als das Image. So dürfte sie weder alte Fans noch den Mainstream verprellen, in dem sie nun auch angekommen ist. Sie kann dort nie schaden. Und den Plastikpenis benutzt sie auf der Bühne schon längst nicht mehr.
CHRISTINA HOFFMANN
"I Feel Cream" (XL Recordings)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"I Feel Cream": Das neue Album von Peaches klingt poppiger und geschmeidiger, und zum ersten Mal ist die Musik größer als das Image
Mittlerweile hat sich der Penis im kulturellen Mainstream etabliert. Im Theater haben wir uns an nackte, manchmal sogar masturbierende Männer gewöhnt, im Film und in der Kunst sowieso, nur der Pop hinkt hinterher, der dreht sich noch immer hauptsächlich um sekundäre Geschlechtsmerkmale von Frauen.
Vor ein paar Jahren trat eine zierliche Kanadierin an, das zu ändern. Mit umgeschnalltem Dildo forderte sie in einer Mischung aus Rappen und Singen zu schepperndem Electro-Clash: "Shake your dix". Platt und provokativ finden das nicht wenige Leute, so einen Penis ohne die Weihen der Hochkultur. Andere feiern die Performance von Peaches als Strategie weiblicher Selbstermächtigung. Von dieser Kontroverse profitiert die Musikerin: Sie verschafft ihr das wertvolle Gut der Aufmerksamkeit; auch wenn das Phänomen Peaches die Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit überragt. Derzeit ist die vierzig Jahre alte Frau allgegenwärtig: Selbst die vorgestrigsten Feuilletons, die konservativsten Kulturteile besprechen Peaches und bemühen in den Artikeln dabei gern den Anglizismus "gender" und den Begriff "Diskurs". Nun ist ihre neue Platte unter dem Namen "I Feel Cream" erschienen. Das Album mit dem schmierigen Titel verkörpert mehr als nur einen Sound, es ist eine große Show der Vielfalt. Den Auftakt aber bildet mit "Serpentine" ein geradezu klassisches Peaches-Stück. Peaches rappt, anstatt zu singen. Damit unterstreicht sie die "Mir doch egal, was ihr denkt"-Attitüde des Songs: "Some call me trash / Some call me nasty / Call me crass / But you can't match me".
Der Text kommentiert die vergeblichen Versuche von Fans, Medien und Verweigerern, die kanadische Sängerin einordnen zu wollen. Der Begriff "Serpentine" stammt aus dem militärischen Vokabular. Ein Formationsbefehl: Die Truppe soll sich in einer Schlangenlinie bewegen, damit sie für den Gegner schwieriger zu fassen ist. Im gleichnamigen Song von Peaches wird es jedoch schnell kleinkriminell: "I dined and dashed" rappt Peaches und singt ein Lied von der Zechprellerei.
Musikalisch und ideell wurzelt Peaches in der nordamerikanischen "Riot Grrrl"-Bewegung. Anfang der neunziger Jahre versuchten die Anhängerinnen jener feministischen Underground-Szene, Frauen einen größeren Raum, eine lautere Stimme in der Musik zu verleihen. Die Themen der Songs kreisen um Hedonismus und Politik, behandeln Spaß am Sex genauso wie häusliche Gewalt. Die Musik ist wie die Bewegung: improvisiert, wütend, energiegeladen. Unter ihrem bürgerlichen Namen Merrill Beth Nisker veröffentlichte Peaches 1995 ihre erste Platte - ohne jeden Erfolg oder jede Anerkennung. Vier Jahre später zog sie aus einer WG mit der Sängerin Feist nach Berlin und erfand die Kunstfigur Peaches. Ihre Musik kombinierte Elektrobeats mit der Attitüde des Punks. Auch wenn diese Mischung damals noch eigenwilliger war als heute - das größte Aufsehen erregte Peaches' offensive Bühnenperformance mit den unrasierten Achseln.
Peaches gilt als Feministin - auch oder gerade weil sie auf der Bühne das Stereotyp der stets willigen Frau wiederholt. Peaches übertreibt männliche Phantasien und liefert sich dem Blick und dem Begehren des Publikums aus. Mit brutaler Offenheit spielt sie mit den Erwartungen: Sie nutzt ihre Posen als Mittel der Macht. Damit ist sie sehr erfolgreich. In Sofia Coppolas Film "Lost in Translation" aus dem Jahr 2003 tauchte der Song "Fuck the Pain away" von dem Album "The Teaches of Peaches" auf und machte die Kanadierin auch jenseits eines Nischenpublikums bekannt. Madonna zählt zu ihren Fans, Karl Lagerfeld auch, Iggy Pop musiziert mit ihr, Britney Spears trotz vieler Anfragen der blonden Popgöre nicht.
Nach "Fatherfucker" und "Impeach my Bushes" legt Peaches nun also ein neues Album vor, auf dem sie unter anderem mit Simian Mobile Disco, den DJs von Soulwax und dem Hamburger House-Duo Digitalism zusammenarbeitet. Auf "Serpentine" folgt "Talk to Me", irgendwo zwischen Querverweisen an die feministische Post-Punk-Band Gossip öffnet sich ein Popstück, wie es im Buche steht. Mit "Talk to Me" beweist ausgerechnet Peaches, dass Konsens nicht langweilig klingen muss. Und sie wartet mit weiteren Überraschungen auf: "Lose You" ist ihre erste Ballade. Sanft und einnehmend gleitet ihre Stimme über Harmonien - die Stille zwischen dem Stöhnen. Außerdem wird in Songzeilen wie "You lick my crow feet" oder "Never mind my age" ihr Altern zum Thema.
Vielseitig wie nie zuvor, bleibt Peaches ihrem bewährten Stil treu. Sie klingt poppiger und differenzierter, was aber nicht heißen soll, dass sie sanfter geworden wäre. Höchstens geschmeidiger, wie der Titel "I Feel Cream" andeutet. Zum ersten Mal ist Peaches' Musik größer als das Image. So dürfte sie weder alte Fans noch den Mainstream verprellen, in dem sie nun auch angekommen ist. Sie kann dort nie schaden. Und den Plastikpenis benutzt sie auf der Bühne schon längst nicht mehr.
CHRISTINA HOFFMANN
"I Feel Cream" (XL Recordings)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main