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Produktdetails
Trackliste
CD
1Preludio00:01:00
2Un Solo Bacio00:04:05
3Corro Con Te00:03:16
4Calice00:03:35
5A Ibn-Hamdis00:05:21
6Aiuta Il Liquore E Ti Da Gioia00:03:59
7Una Luna00:04:48
8E cosi snello00:04:27
9Fin Quando Durerà00:03:15
10Sicilia Mia00:03:14
11Janchi00:04:32
12Non Credete00:04:28
13Apparve (Trilogia Della Visione)00:04:51
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2008

Wir europäischen Sizilianer

Prozessionen im Ohr, ein Feuerwerk, eine Messe: Aus mittelalterlicher arabischer Lyrik hat sich Etta Scollo einen schönen Strauß neuer Lieder gebunden.

Diese Platte ist ein Glücksfall. Sie balanciert über jenen Pass zwischen Kommerz und Kunst, der auch einem mainstreamfernen Projekt Erfolg bringen könnte. Selbst das hat freilich einen Preis, hier bezahlt ihn die Poesie an den Pop, doch dafür ist sie aus der Vergessenheit in die Gegenwart wiedererweckt und läuft dem Zugriff davon "come i lupi corrono alla montagna". Es sind ins Italienische gebrachte mittelalterliche Gedichte arabischer Sehnsucht von Männern zu Männern wie zu Frauen, vor allem aber zu der an die Normannen verlorenen Heimat Sizilien - einem paradiesischen Garten auf Erden, der sich Etta Scollo (schreibt sie) "uns europäischen Sizilianern" erst über diese Lyrik aufgeschlossen habe. Nun schließt Scollo sie uns Hörern auf.

Das geht uns auch etwas an, kaum ein anderes Land repräsentiert ähnlich gerafft den Beginn unserer Kultur wie diese Insel. "Se volete vedere la Grecia", heißt es, "andate alla Sicilia." Auch Griechenlands Ursprung lag ja im Orient, der prägte Europa noch einmal tief durch die arabische Herrschaft auf Sizilien zwischen 700 und 1000 nach Christus. Das Abendland, insgesamt, wurde von seinem Morgen geboren. In diesem Umfeld sind Scollos Lieder zu hören. Und der Dichter Jano Burgaretta macht dem Exilierten auf Sizilianisch, nicht Italienisch bitter deutlich, wie weit das heutige Sizilien von seiner mittelalterlichen Blüte entfernt ist und wie weit, denkt man, der heutige fundamentale Islam von der leuchtenden Blume der Heimat Ibn Hamdis'. Es sei unmöglich, schreibt Ungaretti, sich seiner im Dunkel vergangener Jahrhunderte liegenden Herkunft zu entziehen. Das wird die Scollo, als sie sich in die Dichtungen versenkte, gespürt haben. Wer ihr zuhört, spürt es mit. Auch wir haben ja das Bewusstsein unserer Herkünfte, haben unsere kulturelle Identität verloren und schauen ganz wie Ibn Hamdis aus einem Westen nach dem Osten zurück, wohin uns Markus Stockhausens schöne Trompete ruft.

Freilich ist das auch Warnung: "Un solo bacio su quella bocca", schreibt At-Tûbî, öffne den Weg der Angst. Darüber täuschen die Geigenseligkeiten nicht hinweg, die manche Vertonungen Scollos ganz furchtbar übersüßen. Ihre Arrangements sind überall dort nicht auf der Höhe der poetischen Vorlagen, wo mit spätromantischem Orchesterapparat Stimmung erzeugt werden soll. Doch immer wartet die Scollo mit eigenwilligen Stilkombinationen auf, dass man aufmerkt, gerührt und manchmal begeistert.

Einige Lieder sind meisterhaft, etwa das widerspenstige "Non Credete", aber auch Burgarettas Ibn Hamdis zugeeignete Klage: Die Scollo singt sie zur Gitarre mit angedeuteten arabischen Koloraturen, eine Bratsche kommt hinzu, Toninstrument in Zwischenlage, schon kippt das Lied und wird Chanson. Dazu lässt das Streichquartett insgesamt an ein Akkordeon, ja einen Tango denken, sogar an Klezmer: In solchen Augenblicken hat man ganz Osteuropa im Ohr, und der verlorene Garten, in dem der Löwe friedlich beim Lamm liegt und tolerant der Muslim bei Mose und Christ, leuchtet momentlang heraus, als wären es Pfeile, "die brennend die Gewänder der Finsternis mit einer Feuersbrunst zerreißen" (Ibn Bishrî). Doch verweht Nabil Salamehs Rezitation wie die leuchtende Blume selbst. Das letzte Lied ist eine kleine Trilogie aus Aufbruch, Ausbruch und Entflammung sowie einer Ergebung, die dem arabischen Gesang vorbehalten ist. In einem aggressiv gedrückten Streicherakkord klingt er nicht aus, er wird weggeschnitten: Man hört momentlang Leere.

Es muss mitlesen, wer Etta Scollos Kunst schätzen lernen will. Die Musik eignet sich nicht sehr zur Untermalung, vielleicht, weil sie sich allzu sehr dazu eignet: das ist ihr Dilemma. Denn wer auf konzentriertes Hören aus ist, den stören abgegriffene Pop-Stanzen, die sirupgetränkte Mumien der ersten Wiener Klassik sind - oder das Klavier geht in einen tausendfach gehörten Jazz-Standard über, aus dem allein erlöst, dass die Begleitstimme diesmal nicht arabisch, sondern französisch dazu singt und der Bezugsrahmen so unversehens gewechselt wird, dass man sich bei Serge Gainsbourg angekommen fühlt.

Zudem ist die mittelalterliche Bildwelt nicht immer leicht zu entschlüsseln: "ma questa luce è un modo del distruggersi /manda luce chi perde la sua vita." Solche sehr abstrakten Bilder weiß Scollos Vortrag - vor allem im Zusammenklang mit den ausgesprochen männlichen Stimmen - wirklich zu gestalten. Nur habe ich mir manchmal gewünscht, sie hätte die instrumentale Begleitung klein gehalten, wäre bei ihrer Gitarre, bei der Oud und der Laute geblieben, bei Oboe und Bratsche, Giovanni Sollimas schönem Cello und Stockhausens Trompete.

Scollos Stimme, ihr Seufzen, ihr Beben, ihre bisweiligen Ausbrüche, die ganze expressive Innerlichkeit trügen es - aber es wäre dann eine experimental-puristische Compact Disc geworden und nicht die einer Volkssängerin, die die Scollo ja sein will. Ihr Auftritt kürzlich auf dem Berliner Monbijoufestival im kleinen hölzernen Amphitheater machte das einmal mehr klar. Die Scollo ist sich nicht zu schade, auch vor kleinem Publikum aufzutreten, sie ist dann ganz bei sich und in jedem Fall mitreißend authentisch, anders, als wenn sie sich in Orchesterlieder wirft, deren komponierte Faktur allenfalls mit André Rieu konkurriert.

Populismus geht halt immer auf Kosten der Kunst, in diesem Fall auf Kosten der mittelalterlichen Gedichte. Und erst, liest man die Texte im - ausgesprochen schönen -- Booklet mit, wird manch Musikmotz schlüssig oder spielt doch keine Rolle mehr. Im Übrigen schadet es nicht, hat man palermitanische Prozessionen im Ohr, die sich durch die nächtlichen Gassen um die Via Marqueda drücken, von Blasinstrumenten geführt und in einem Feuerwerk, nach der Messe, endend. Manchmal hört man sogar die Fischverkäufer des alten Catania ihre tetrachordischen abbaniatine rufen, mit denen Luciano Berio seine Voci komponierte. Dann wieder, in dem homosexuellen Liebeslied "È così snello", finden sich zwei, drei Geigenphrasen, die an Schlussseufzer bei Othmar Schoeck denken lassen.

Dazu der Scollo Schmeicheln, der Scollo Beschwören, der Scollo Trauern, ihr Turteln und Schmettern; sie kann, das ahnt man, furchtbar zanken. Da ist der Eindruck kaum abwegig, sie habe für dieses Projekt bei einer anderen Volkssängerin, der großen Oum Kalthoum, um arabischen Ausdruck nachgelauscht. In jedem Fall zieht sie am 30. Oktober, Krönung ihrer Tournee, mit vollem Recht in die Räume des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie ein; und ich hoffe, sie lässt das Pop-Orchester draußen und gestattet sich und ihren Solisten einen nicht von Geigenbataillonen zubombardierten Raum. Sie wüsste ihn auch ohne Bombast und uns ganz zu erfüllen.

ALBAN NIKOLAI HERBST

Etta Scollo, Il Fiore Splendente. Berlin Classics 7821 24163624 (edel)

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