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In Rainbows - Radiohead
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Produktdetails
Trackliste
LP (Vinyl)
115 Step00:03:57
2Bodysnatchers00:04:02
3Nude00:04:15
4Weird Fishes / Arpeggi00:05:18
5All I Need00:03:48
6Faust Arp00:02:09
7Reckoner00:04:50
8House Of Cards00:05:28
9Jigsaw Falling Into Place00:04:08
10Videotape00:04:41
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2007

Angriff der Körnerfresser

Raus aus der Virtualität, rein in den Plattenladen: "In Rainbows", das neue Album von Radiohead, setzt wieder auf Songs, doch schwankt es zwischen Gesten von Intimität und Distanzierung.

Eine Revolution im Musikgeschäft oder nur ein rebellischer Akt, der aus der Not geboren war? Angesichts der aufgeregten Diskussion über den ungewöhnlichen Vertriebsweg des siebten Studio-Albums von Radiohead hätte man beinahe die entscheidende Frage vergessen: Was gibt es eigentlich darauf zu hören?

Auch wenn das britische Quintett ohnehin stets einen eigenwilligen Weg gegangen ist, der etwa die sonst übliche Bewerbung seiner Veröffentlichungen nahezu komplett ausschloss, überraschte es doch nicht unerheblich mit der Ankündigung, "In Rainbows" zunächst ausschließlich online, auf der eigenen Homepage und ohne die Beteiligung eines Plattenlabels, zur Verfügung zu stellen - zu einem Preis, den der Kunde selbst bestimmte, was den kostenlosen Download ausdrücklich ermöglichte. Nun, da sich die Gemüter beruhigt haben und der physisch greifbare Tonträger zum wenig verkaufsfördernden Termin kurz nach Weihnachten doch in den Läden steht, kann man endlich kühlen Kopfes darüber reden, was das Album musikalisch taugt oder, wenn man so will, was es tatsächlich "wert" ist.

So viel sei vorweggenommen: "In Rainbows" ist keine künstlerische Neuerfindung der Musiker um Sänger Thom Yorke, wie sie ihre einst bahnbrechenden Alben wie "OK Computer" von 1997 oder "Kid A" (2000) unternahmen; das macht es trotzdem nicht weniger hörenswert. Mit dem vor vier Jahren auf den Markt gebrachten Werk "Hail To The Thief" zeichnete sich schon ab, dass Radiohead nach einer sperrigen experimentellen Phase zum geradlinigen Song zurückkehren. Zwar wagte Yorke im vergangenen Jahr mit "The Eraser" ein an den zeitgenössischen Avantgardisten der elektronischen Musik orientiertes Solodebüt, was pessimistische Auguren als das nahende Ende der Combo deuteten. Wieder vereint mit den Bandkollegen, versucht er eine pflegeleichtere und zugänglichere Synthese der unterschiedlichen Einflüsse aus Pop, Rock, Noise und Ambient-Techno: weg von den harten, aggressiven Gitarrenriffs der Anfangsjahre, die noch im Zeichen von Grunge standen, aber auch weg vom zuweilen anstrengenden, polyrhythmischen Gefrickel und Geknarze der späten Neunziger, das inzwischen eher unauffällig als sanfte Reminiszenz an strapaziösere Zeiten auftaucht.

Stattdessen dominieren Akustikgitarre, Synthesizer, Piano und Streicher, überlagert von Yorkes flehendem Falsett. Eine Ausnahme macht das großartige "Bodysnatchers", dynamisch, zornig und treibend, mit einem plötzlich aufheulenden Gitarrensolo, das zunächst unschön an den Stadionrock von U2 erinnert, dann jedoch in ein furioses Finale mündet, das die im Text formulierte Verzweiflung spürbar macht: "I have no idea what I am talking about / I'm trapped in this body and can't get out." Direkt danach folgt mit "Nude" eine dieser wundervoll elegischen, zarten Balladen, die den Vergleich mit einigen Radiohead-Klassikern wie "Karma Police" oder "Pyramid Song" nicht zu scheuen brauchen. Das Stück wurde allerdings auch bereits während der Sessions zu "OK Computer", also vor sage und schreibe zehn Jahren, arrangiert und mehrfach unter dem Titel "Big Ideas" live gespielt, schaffte es bis dato rätselhafterweise aber nie auf ein reguläres Album; es zeugt wohl vom ungebrochenen Selbstbewusstsein einer Band, wenn sie es sich leisten kann, ihr Hit-taugliches Material so lange ruhen zu lassen, bis sie das angemessene Umfeld für eine Publikation gefunden hat.

Insgesamt macht das Album einen sehr schlüssigen und durchdachten Eindruck, was allerdings eine gewisse Gleichförmigkeit der zehn Kompositionen nach sich zieht. Bemerkenswert bleibt dennoch, wie mühelos in jedem Track eine unheimliche Spannung aufgebaut wird, deren Entladung freilich auf sich warten lässt. Das läuft gängigen Rockmustern entgegen, oft setzt sich der Schwebezustand auf beinahe unerträgliche Weise fort und lässt den Hörer manchmal einsam zurück. So etwa im bedrückenden "Weird Fishes/Arpeggi", in dem Yorke einmal mehr sein Verschwinden inszeniert, auf den Grund des Ozeans, um Würmern und seltsamen Fischen anheimzufallen: "Everybody leaves / If they get the chance / And this is my chance."

So bleibt ein Grundton der Hoffnungs- und Ausweglosigkeit, aber auch der Verweigerung und des Widerstands erhalten - gegen bequeme Hörgewohnheiten und zu rasches Verständnis, gegenüber der Verwertungsmaschinerie der Industrie. Yorke scheint immer auf der Flucht vor zwischenmenschlicher, künstlerischer oder finanzieller Ausbeutung - und vor zu viel Nähe. Der vorläufige Abschied wird daher auf dem gestrigen Medium "Videotape" festgehalten, unsagbar traurig, als melancholischer Ausklang eines wenig ermutigenden, gleichwohl ergreifenden, zwischen gewahrter Distanz und Intimität schwankenden Albums: "This is my way of saying goodbye / Because I can't do it face to face."

Die Download-Plattform der Band wurde übrigens inzwischen geschlossen; die Revolution war nur von kurzer Dauer. Nun ist "In Rainbows" zu einem Preis zu erwerben, den der Plattenhandel Ihres Vertrauens diktiert - den es aber allemal wert sein wird.

ALEXANDER MÜLLER

Radiohead, In Rainbows. XL Recordings/Beggars Group 907522 (Indigo)

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