Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 1. Januar 2012
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / World Circuit,
- EAN: 0769233007216
- Artikelnr.: 35942486
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2005Sogar ein Esel kann einmal Bürgermeister werden
Songs von archaischer Modernität, die jede Polizei unruhig machen müßten: Diverse Sänger machen vor, wie man den Blues erneuert
Eine Imageberatung käme ihm ganz gelegen: Der Blues gilt nicht nur bei Jugendlichen als antiquierte Spielart, die mit den Sehnsüchten und Leidenschaften der Gegenwart wenig, mit Nostalgie und Traurigkeit dagegen viel zu tun hat. Daß der Blues die geheime Kraftquelle der modernen Rockmusik ist, interessiert in diesem Zusammenhang kaum. Blues wird allzu häufig als eine immer gleiche Musik wahrgenommen, die von verlassenen alten Männern handelt und Klischees feiert: "Woke up this morning and my baby's gone."
Selbst in der amerikanischen black community wollen die stoischen Leidens- und Schicksalsberichte des alten Blues nicht mehr zum neuen schwarzen Selbstbewußtsein passen. Der Dancefloor mit seinen Coolness-Ritualen läßt der geduldigen Erzählweise des Blues keinen Raum mehr. Deshalb horchte die Musikindustrie auch gleich auf, als der Journalist Joe Cushley vom britischen "Mo-jo"-Magazin Ende vergangenen Jahres den Begriff Nu Blues kreierte, um ein unerhörtes Amalgam aus Mississippi-Melancholie, Chicago-Elektrik und hartem Hip-Hop zu umschreiben. Nach "Nu Metal" jetzt also "Nu Blues": In beiden Fällen geht es um die Verschmelzung von traditionellen Stilen mit dem besonderen Groove von Rap-Rezitation und elektronischer Perkussion.
Da singt eine akustische Slide-Gitarre, eine Mundharmonika kreischt in den Klangraum, Plattenspieler beginnen zu scratchen, Beats bringen die Beine in Bewegung. Über alldem erhebt sich die schartige Stimme des fünfundzwanzigjährigen Londoners Jay Nichols. Mit der Band "NuBlues" aus Colchester - für das Konzept und die meisten Stücke zeichnet der Gitarrist und "Drumloopist" Ramon Goose verantwortlich - läßt er Robert Johnson auf dem "Piccadilly Circus" tanzen. Ein anderes Mal klingt ihr Hybrid-Blues, als hätte Ry Cooder den Soundtrack für "Star Wars" geschrieben: All die Scratches, Raps, Beats, Loops und Samplings verbünden sich auf dem innovativen Album "Dreams Of A Blues Man" mit singbaren Geschichten. Mal taucht staubiger Field-hollers-Gesang aus dem irisierenden Klangstrom auf, dann wieder bricht der Titel "Contradiction" in elektronisch-rotierendem Sound-Design das Blues-Schema von innen auf. Und immer ist die Musik druckvoll, beseelt und magisch. Das Knistern einer alten Vinyl-Schallplatte etabliert sich als rhythmisches Grundrauschen, während Ramon Goose mit messerscharfen Gitarrenläufen die dräuende Idylle durchschneidet. Chuck D. von "Public Enemy" hatte einst Hip-Hop als "CNN der Schwarzen" charakterisiert - ganz nebenbei beweisen die vier von "NuBlues" jetzt, daß der Atem dieser "Teufelsmusik" nicht, wie oft behauptet, aus Funk und Disko der Siebziger, sondern vielmehr aus dem geisterhaften Talkin' Blues eines Bukka White oder John Lee Hooker herüberweht.
Songs von archaischer Modernität produziert auch der Gitarrist Elliott Sharp mit seiner Gruppe "Terraplane". Die Songs seines neuen Albums "Secret Life" sind im Hudson-Delta angesie-delt, auf der Insel Manhattan. Als Protagonist der New Yorker Downtown-Szene um John Zorn, Christian Marclay und Vernon Reid lotet Sharp neben seinen Kompositionsaufträgen für das "Kronos"-Streichquartett hier die Abgründe des zeitgenössischen Blues aus. "Ich spielte mit den Reagenzgläsern meines Chemiebaukastens schon Slide-Gitarre, bevor ich die ersten Akkorde auf der Gitarre lernte." Im aufstöhnenden "Clandestiny" besänftigen Saxophone und Posaunen die jaulenden Saiten.
Es ist ein Blues-Bastard, der ständig aus seinem Gefängnis der zwölf Takte auszubrechen versucht. Fluchthilfe erhält er vom Gast-Gitarristen Hubert Sumlin und vom Schlagzeuger Lance Carter, der auf knochentrockenen Fellen die Befreiungsversuche in visionäre Morsezeichen übersetzt. Eric Mingus, der schwergewichtige Sohn der Baß-Legende Charles Mingus, entpuppt sich in diesem neurotischen New-York-Blues als statuarische Stimme, dunkel und mysteriös. "Crackertown Two Step" zum Beispiel klingt wie ein futuristisches Blues-Szenario, wie eine zärtliche Symphonie aus Warnsirenen und Hilfeschreien. Anstelle von romantischen Reminiszenzen an weite Baumwollfelder repräsentiert das Blues-Konzept von "Terra-plane" irrlichternde Momentaufnahmen einer Großstadt im Ausnahmezustand ihrer Klanggewalten.
Die Blues-Polizei dürfte auch beim neuen Album von Otis Taylor unruhig werden: Sein "Below The Fold" huldigt explizit einem Trance-Blues-Modell, das mit minimalistischer Akribie Banjo-Picking, Baß-Figuren, Motive von Cello und Fiddle mit zirpenden E-Gitarren zu einem drohenden Soundwall auftürmt. Mit hohler, ächzender Stimme erzählt Taylor vor dieser Wand von heroindealenden Müttern, wahnsinnig gewordenen Vietnam-Veteranen und den kleinen Rassismen des amerikanischen Alltags. 1948 in Chicago geboren, später in Denver aufgewachsen, ist der vollbärtige Sänger und Gitarrist Otis Taylor der vielleicht radikalste Wortführer der neuen Blues-Bewegung: "Wir Schwarzen wurden von der weißen Musikindustrie um unsere Kultur gebracht." Mit zwei, drei Akkorden setzt er sich gegen diese Enteignung zur Wehr, verdichtet kleinste melodische Einheiten zu einem hypnotischen Hämmern.
Auf seinem siebten Album ist das tiefe Stöhnen der Plantagengesänge ebenso gegenwärtig wie das urbane Geheul aus Detroit und Memphis. Echos aus der Weite Afrikas mischen sich mit der dröhnenden Lebenslust einer marching band aus New Orleans, die von einem Begräbnis heimkehrt. Und immer wieder melden sich die psychedelischen Griffbrettsounds von Jimi Hendrix und Eric Clapton aus den späten Sechzigern zu Wort.
Die Songs von Otis Taylor besitzen allesamt ein Zeitgefühl, das sich nicht länger um gegliederte Takteinheiten schert. Taylor steigert sich mit heiser deklamierender Stimme in seine spärlichen Riffs hinein, bis sich alles in einem pulsierenden, kontinuierlichen Strom auflöst, während die Rhythmusgruppe unerbittlich den Beat hält. Vieles klingt hier nach dem Minimal-Blues eines John Lee Hooker, nur ist es viel archaischer. "Um wirklich etwas Neues zu machen, mußt du erst einmal bei den alten Meistern anfangen - und die sind in Afrika. Von hier aus muß sich der Blues erneuern, muß sich aus der Zwangsjacke des Zwölf-Takte-Schemas befreien."
Wie treffsicher Otis Taylor die Situation analysiert, zeigt jetzt das Album "In The Heart Of The Moon" von Ali Farka Touré und Toumani Diabaté. Griots, jene die Geschichte bewahrenden Geschichtenerzähler aus Mali, entpuppen sich als die Ahnen des Blues. Sie evozieren die Bilder der Vergangenheit als Zeichen der Zukunft vor allem durch ihr Spiel auf der Kora. Diabaté beherrscht diese 21saitige Kürbisharfe mit einer flirrenden Virtuosität, die derzeit ihresgleichen sucht. Zusammen mit dem dreißig Jahre älteren Ali Farka Touré, dem großen alten Mann der westafrikanischen Gitarre, erzeugt er ein mondsüchtiges Stück Musik, versunken, geerdet durch tiefe Spiritualität.
Eigentlich müßte sich Touré, Vater von elf Kindern, um die Ernte auf seinen Feldern kümmern. Musiker ist der besessene Bauer inzwischen nur noch im Zweitberuf. Doch immerhin ist er durch seine Kunst, die Technik der einsaitigen N'goni auf die elektrische Blues-Gitarre zu übertragen, inzwischen zum reichsten Mann der Stadt Niafunke und zu deren Bürgermeister geworden. Seinen Beinamen "Farka" - der Esel, der Störrische - trägt Touré zu Recht. Sein Durchhaltevermögen ist legendär, gelang es ihm doch als einzigem von zehn Kindern, zu überleben: "Ich bin kein Esel, auf dem sich reiten läßt." Das mußte schon Ry Cooder erfahren, der vor elf Jahren mit Touré das grammygekrönte Album "Talking Timbuktu" einspielte. "Meine Musik ist so süß wie Honig, und sie braucht keinen weißen Zucker, um noch süßer zu klingen." Touré fängt in seinen gezupften Akkordfolgen den Wind der Wüste und den sanften Wellenschlag des Niger ein. Am Ufer dieses Flusses war jetzt auch im Mandé-Hotel von Bamako das mobile Studio aufgebaut, das die Zwiegespräche von Gitarre und Kora konservierte.
Intimität und Spontaneität - auf diese Begriffe läßt sich vielleicht die Begegnung von Touré und Diabaté reduzieren. Die Musik der beiden gleicht einem ruhigen Dahinströmen und vermittelt eine Ahnung von erfüllter Unendlichkeit. Die simple Pendelharmonik der Improvisationen entfaltet eine seltene Sogwirkung. Kora und Gitarre sind vollkommen gleichberechtigte Melodie- und Rhythmusinstrumente. Zwar steuert Ry Cooder auf einigen Titeln - ein Bassist und ein Perkussionist sind dann auch mit von der Partie - geheimnisvolle Klänge eines "Kawai"-Pianos bei, doch die karge Schönheit dieser Musik lebt aus der Sphärenharmonie des Saitenspiels. Die etwas heller klingende Kora gibt oft die Entwicklungsrichtung einer melodischen Figur vor, dafür besitzt Tourés Gitarre mehr Restsüße. Oft meint man, die sanften Klangströme dieser Platte könnten nicht von dieser Welt sein. Und doch darf man sie als eine Form von afrikanischem Ambient-Blues bejubeln.
PETER KEMPER
NuBlues, Dreams Of A Blues Man. Dixiefrog/Rattay Music DFGCD 8584
Elliott Sharp's Terraplane, Secret Life. Intuition INT 3385
Otis Taylor, Below The Fold. Telarc 83627
Ali Farka Touré und Toumani Diabaté, In The Heart Of The Moon. World Circuit WCDO 72
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Songs von archaischer Modernität, die jede Polizei unruhig machen müßten: Diverse Sänger machen vor, wie man den Blues erneuert
Eine Imageberatung käme ihm ganz gelegen: Der Blues gilt nicht nur bei Jugendlichen als antiquierte Spielart, die mit den Sehnsüchten und Leidenschaften der Gegenwart wenig, mit Nostalgie und Traurigkeit dagegen viel zu tun hat. Daß der Blues die geheime Kraftquelle der modernen Rockmusik ist, interessiert in diesem Zusammenhang kaum. Blues wird allzu häufig als eine immer gleiche Musik wahrgenommen, die von verlassenen alten Männern handelt und Klischees feiert: "Woke up this morning and my baby's gone."
Selbst in der amerikanischen black community wollen die stoischen Leidens- und Schicksalsberichte des alten Blues nicht mehr zum neuen schwarzen Selbstbewußtsein passen. Der Dancefloor mit seinen Coolness-Ritualen läßt der geduldigen Erzählweise des Blues keinen Raum mehr. Deshalb horchte die Musikindustrie auch gleich auf, als der Journalist Joe Cushley vom britischen "Mo-jo"-Magazin Ende vergangenen Jahres den Begriff Nu Blues kreierte, um ein unerhörtes Amalgam aus Mississippi-Melancholie, Chicago-Elektrik und hartem Hip-Hop zu umschreiben. Nach "Nu Metal" jetzt also "Nu Blues": In beiden Fällen geht es um die Verschmelzung von traditionellen Stilen mit dem besonderen Groove von Rap-Rezitation und elektronischer Perkussion.
Da singt eine akustische Slide-Gitarre, eine Mundharmonika kreischt in den Klangraum, Plattenspieler beginnen zu scratchen, Beats bringen die Beine in Bewegung. Über alldem erhebt sich die schartige Stimme des fünfundzwanzigjährigen Londoners Jay Nichols. Mit der Band "NuBlues" aus Colchester - für das Konzept und die meisten Stücke zeichnet der Gitarrist und "Drumloopist" Ramon Goose verantwortlich - läßt er Robert Johnson auf dem "Piccadilly Circus" tanzen. Ein anderes Mal klingt ihr Hybrid-Blues, als hätte Ry Cooder den Soundtrack für "Star Wars" geschrieben: All die Scratches, Raps, Beats, Loops und Samplings verbünden sich auf dem innovativen Album "Dreams Of A Blues Man" mit singbaren Geschichten. Mal taucht staubiger Field-hollers-Gesang aus dem irisierenden Klangstrom auf, dann wieder bricht der Titel "Contradiction" in elektronisch-rotierendem Sound-Design das Blues-Schema von innen auf. Und immer ist die Musik druckvoll, beseelt und magisch. Das Knistern einer alten Vinyl-Schallplatte etabliert sich als rhythmisches Grundrauschen, während Ramon Goose mit messerscharfen Gitarrenläufen die dräuende Idylle durchschneidet. Chuck D. von "Public Enemy" hatte einst Hip-Hop als "CNN der Schwarzen" charakterisiert - ganz nebenbei beweisen die vier von "NuBlues" jetzt, daß der Atem dieser "Teufelsmusik" nicht, wie oft behauptet, aus Funk und Disko der Siebziger, sondern vielmehr aus dem geisterhaften Talkin' Blues eines Bukka White oder John Lee Hooker herüberweht.
Songs von archaischer Modernität produziert auch der Gitarrist Elliott Sharp mit seiner Gruppe "Terraplane". Die Songs seines neuen Albums "Secret Life" sind im Hudson-Delta angesie-delt, auf der Insel Manhattan. Als Protagonist der New Yorker Downtown-Szene um John Zorn, Christian Marclay und Vernon Reid lotet Sharp neben seinen Kompositionsaufträgen für das "Kronos"-Streichquartett hier die Abgründe des zeitgenössischen Blues aus. "Ich spielte mit den Reagenzgläsern meines Chemiebaukastens schon Slide-Gitarre, bevor ich die ersten Akkorde auf der Gitarre lernte." Im aufstöhnenden "Clandestiny" besänftigen Saxophone und Posaunen die jaulenden Saiten.
Es ist ein Blues-Bastard, der ständig aus seinem Gefängnis der zwölf Takte auszubrechen versucht. Fluchthilfe erhält er vom Gast-Gitarristen Hubert Sumlin und vom Schlagzeuger Lance Carter, der auf knochentrockenen Fellen die Befreiungsversuche in visionäre Morsezeichen übersetzt. Eric Mingus, der schwergewichtige Sohn der Baß-Legende Charles Mingus, entpuppt sich in diesem neurotischen New-York-Blues als statuarische Stimme, dunkel und mysteriös. "Crackertown Two Step" zum Beispiel klingt wie ein futuristisches Blues-Szenario, wie eine zärtliche Symphonie aus Warnsirenen und Hilfeschreien. Anstelle von romantischen Reminiszenzen an weite Baumwollfelder repräsentiert das Blues-Konzept von "Terra-plane" irrlichternde Momentaufnahmen einer Großstadt im Ausnahmezustand ihrer Klanggewalten.
Die Blues-Polizei dürfte auch beim neuen Album von Otis Taylor unruhig werden: Sein "Below The Fold" huldigt explizit einem Trance-Blues-Modell, das mit minimalistischer Akribie Banjo-Picking, Baß-Figuren, Motive von Cello und Fiddle mit zirpenden E-Gitarren zu einem drohenden Soundwall auftürmt. Mit hohler, ächzender Stimme erzählt Taylor vor dieser Wand von heroindealenden Müttern, wahnsinnig gewordenen Vietnam-Veteranen und den kleinen Rassismen des amerikanischen Alltags. 1948 in Chicago geboren, später in Denver aufgewachsen, ist der vollbärtige Sänger und Gitarrist Otis Taylor der vielleicht radikalste Wortführer der neuen Blues-Bewegung: "Wir Schwarzen wurden von der weißen Musikindustrie um unsere Kultur gebracht." Mit zwei, drei Akkorden setzt er sich gegen diese Enteignung zur Wehr, verdichtet kleinste melodische Einheiten zu einem hypnotischen Hämmern.
Auf seinem siebten Album ist das tiefe Stöhnen der Plantagengesänge ebenso gegenwärtig wie das urbane Geheul aus Detroit und Memphis. Echos aus der Weite Afrikas mischen sich mit der dröhnenden Lebenslust einer marching band aus New Orleans, die von einem Begräbnis heimkehrt. Und immer wieder melden sich die psychedelischen Griffbrettsounds von Jimi Hendrix und Eric Clapton aus den späten Sechzigern zu Wort.
Die Songs von Otis Taylor besitzen allesamt ein Zeitgefühl, das sich nicht länger um gegliederte Takteinheiten schert. Taylor steigert sich mit heiser deklamierender Stimme in seine spärlichen Riffs hinein, bis sich alles in einem pulsierenden, kontinuierlichen Strom auflöst, während die Rhythmusgruppe unerbittlich den Beat hält. Vieles klingt hier nach dem Minimal-Blues eines John Lee Hooker, nur ist es viel archaischer. "Um wirklich etwas Neues zu machen, mußt du erst einmal bei den alten Meistern anfangen - und die sind in Afrika. Von hier aus muß sich der Blues erneuern, muß sich aus der Zwangsjacke des Zwölf-Takte-Schemas befreien."
Wie treffsicher Otis Taylor die Situation analysiert, zeigt jetzt das Album "In The Heart Of The Moon" von Ali Farka Touré und Toumani Diabaté. Griots, jene die Geschichte bewahrenden Geschichtenerzähler aus Mali, entpuppen sich als die Ahnen des Blues. Sie evozieren die Bilder der Vergangenheit als Zeichen der Zukunft vor allem durch ihr Spiel auf der Kora. Diabaté beherrscht diese 21saitige Kürbisharfe mit einer flirrenden Virtuosität, die derzeit ihresgleichen sucht. Zusammen mit dem dreißig Jahre älteren Ali Farka Touré, dem großen alten Mann der westafrikanischen Gitarre, erzeugt er ein mondsüchtiges Stück Musik, versunken, geerdet durch tiefe Spiritualität.
Eigentlich müßte sich Touré, Vater von elf Kindern, um die Ernte auf seinen Feldern kümmern. Musiker ist der besessene Bauer inzwischen nur noch im Zweitberuf. Doch immerhin ist er durch seine Kunst, die Technik der einsaitigen N'goni auf die elektrische Blues-Gitarre zu übertragen, inzwischen zum reichsten Mann der Stadt Niafunke und zu deren Bürgermeister geworden. Seinen Beinamen "Farka" - der Esel, der Störrische - trägt Touré zu Recht. Sein Durchhaltevermögen ist legendär, gelang es ihm doch als einzigem von zehn Kindern, zu überleben: "Ich bin kein Esel, auf dem sich reiten läßt." Das mußte schon Ry Cooder erfahren, der vor elf Jahren mit Touré das grammygekrönte Album "Talking Timbuktu" einspielte. "Meine Musik ist so süß wie Honig, und sie braucht keinen weißen Zucker, um noch süßer zu klingen." Touré fängt in seinen gezupften Akkordfolgen den Wind der Wüste und den sanften Wellenschlag des Niger ein. Am Ufer dieses Flusses war jetzt auch im Mandé-Hotel von Bamako das mobile Studio aufgebaut, das die Zwiegespräche von Gitarre und Kora konservierte.
Intimität und Spontaneität - auf diese Begriffe läßt sich vielleicht die Begegnung von Touré und Diabaté reduzieren. Die Musik der beiden gleicht einem ruhigen Dahinströmen und vermittelt eine Ahnung von erfüllter Unendlichkeit. Die simple Pendelharmonik der Improvisationen entfaltet eine seltene Sogwirkung. Kora und Gitarre sind vollkommen gleichberechtigte Melodie- und Rhythmusinstrumente. Zwar steuert Ry Cooder auf einigen Titeln - ein Bassist und ein Perkussionist sind dann auch mit von der Partie - geheimnisvolle Klänge eines "Kawai"-Pianos bei, doch die karge Schönheit dieser Musik lebt aus der Sphärenharmonie des Saitenspiels. Die etwas heller klingende Kora gibt oft die Entwicklungsrichtung einer melodischen Figur vor, dafür besitzt Tourés Gitarre mehr Restsüße. Oft meint man, die sanften Klangströme dieser Platte könnten nicht von dieser Welt sein. Und doch darf man sie als eine Form von afrikanischem Ambient-Blues bejubeln.
PETER KEMPER
NuBlues, Dreams Of A Blues Man. Dixiefrog/Rattay Music DFGCD 8584
Elliott Sharp's Terraplane, Secret Life. Intuition INT 3385
Otis Taylor, Below The Fold. Telarc 83627
Ali Farka Touré und Toumani Diabaté, In The Heart Of The Moon. World Circuit WCDO 72
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