Produktdetails
Trackliste
CD
1Formentera Lady
2Sailor's Tale
3The Letters
4Ladies of the Road
5Song of the Gulls (Prelude)
6Islands
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2011

Darauf einen warmen Händedruck von Jimi Hendrix
Im Inselreich des karmesinroten Königs: Jetzt gibt es die endgültige Neuedition des King-Crimson-Klassikers "Islands"

Unversöhnliche Härte und süße Melancholie: Auf "Islands", dem vierten Album von King Crimson, prallen die Gegensätze schroff aufeinander. Mit seiner rigiden Mixtur aus Rock, Jazz, Klassik, Folk, Psychedelic und Blues wirkte es schon 1971 wie ein einsamer Monolith in der aufschäumenden Progressive-Rock-Bewegung. Als vielleicht vielschichtigste und zugleich widersprüchlichste King-Crimson-Platte markierte das Album den Abschluss der ersten Band-Periode. Endlich hatte der erklärte Monomane Robert Fripp eine tourneetaugliche Formation gefunden, die in der Lage war, das komplexe Songmaterial in skrupulösen Improvisationsprozessen immer weiter zu verdichten.

Wie weit sich King Crimson damals ins unerforschte Niemandsland des New Jazz wagten und welche Faszination von diesen riskanten Exkursionen noch heute ausgeht, demonstriert die Neuedition von "Islands" im Rahmen der "40th Anniversary Series". Das Album wurde schon manches Mal wiederveröffentlicht, jetzt aber liegt die ultimative Neuausgabe vor. Zu diesem Zweck hat Fripp sich mit dem Produzenten Steven Wilson von der Band Porcupine Tree zusammengetan, der zuallererst für das Remixing der alten Aufnahmen und die Edition der neunzehn erst jetzt veröffentlichten Bonus-Titel, darunter Studio-Outtakes und Live-Versionen, verantwortlich zeichnet. Und Wilson erledigt seine Arbeit grandios: Er schafft es nicht zuletzt auf der beiliegenden Audio-DVD, jedem Instrument seinen eigenen Raum zum Atmen zu geben und dennoch einen perfekten Gesamtklang zu erreichen.

Der immense Gewinn gegenüber den bisherigen Ausgaben von "Islands", was einen Gewinn an Plastizität, Trennschärfe und Dichte angeht, ist unüberhörbar. Schon im Eröffnungsstück "Formentera Lady" hat man das Gefühl, als ob plötzlich eine dreidimensionale Klangskulptur in den Raum träte und bisher verborgene Details in der Interaktion der Flötenlinien und Piano-Kaskaden zutage förderte. Die Variation altenglischer Volksmusik gerät hier in kunstvolles Schlingern, wenn die Sopranistin Pauline Lucas ihren Gesang mit dem Saxophon von Mel Collins überblendet und Fripp über zwingendem Beat seine subtile Akustikgitarre zupft. Instrumente mischen sich beiläufig in das Klanggeschehen ein, verschmelzen miteinander, bevor sie aus der Strudelbewegung entkommen können.

Dem Remix des Originalalbums ist jetzt ein "Alternative Album" beigefügt, das, ohne Anspruch auf Vollständigkeit der einzelnen Songs, eine Art Blaupause der Aufnahmen liefert: Macho-Magie und zerbrechliche Zärtlichkeit. Robert Fripp hatte für "Islands" neben dem Pianisten Keith Tippett mit dem Trompeter und Kornett-Spieler Mark Charig sowie dem Kontrabassisten Harry Miller brillante Vorkämpfer der britischen Free-Jazz-Szene eingeladen. Sie trieben das Prinzip Improvisation, das King Crimson in seinen Konzerten immer schon feierten, auf die Spitze.

Den vielleicht größten Schritt nach vorn machte die Band damals mit "Sailor's Tale". Die barbarischen Akkord-Hiebe des Gitarrensolos wirken noch heute wie die Gewitterfront aus einer anderen Welt. Fripps rechte Hand nutzt hier die rasante Schlagtechnik des Banjo-Spiels und erinnert zugleich an den Free-Jazz-Berserker Sonny Sharrock. Auch Pete Townshends Windmühlen-Rotationen des rechten Arms lassen grüßen. Es ist dieser "Urschrei eines Solos", der alle symphonischen und jazzigen Reminiszenzen des Stücks überstrahlt, ein Wegweiser in jene fraktalen Eiswüsten der Klänge, die spätere King-Crimson-Alben charakterisieren sollten.

"Islands" hatte immer zwei Gesichter: Während die A-Seite der Original-LP als hinterhältige Suite begriffen werden konnte, entfesselte die B-Seite mit dem bluesigen Bekenntnis zu den Groupie-Gefälligkeiten in "Ladies of the Road", dem symphonischen "Prelude" und dem wie ein Begräbnismarsch ausklingenden "Islands" hypnotische Sogwirkung: Peter Sinfields Textzeilen wie "Stone headed Frisco spacer, ate all the meat I gave her" erzeugen die unwirkliche Atmosphäre eines sanften Surrealismus. Doch erst die Seligkeit des Titelstücks, seine unaufdringliche Eleganz und hellwache Klarheit, stecken dem Album am Ende das wahre Glanzlicht auf. Nie hat Raymond "Boz" Burrell traumverlorener gesungen als im "Islands"-Lied. Seine fast hingehauchten Sätze sind von pastoraler Freundlichkeit, zugleich jedoch von einer stillen Sehnsucht bedrängt und schaffen tröstliche Intimität. Fast fühlt man sich von der Stimme in die Weiten des Weltraums hinausgezogen, aus dem man dann auf ein paradiesisches Inselreich hinunterzuschauen meint.

Der heilige Gral für jeden "Crimhead" aber dürfte das bisher unveröffentlichte "A Peacemaking Stint Unrolls" sein, das mit melodischen Motiven der späteren Kompositionen "Lark Tongues in Aspic Part I." und "Lament" jongliert. Mit klarem, unverzerrtem Gitarrenton interpretiert Fripp ein elliptisches Melodiemotiv: verschachtelte Akkord-Rhythmik und vertracktes Skalenspiel, ein ständiges Oszillieren zwischen delikat verträumter Formensprache und gewalttätig-wüsten Lärmstrukturen. Dieses knapp vierminütige Instrumental erklärt, warum Jimi Hendrix den Gitarristen über alle Maßen schätzte. Als Hendrix dem King-Crimson-Chef Ende der Sechziger erstmals begegnete, reichte er ihm seine linke Hand. Nun war Hendrix Linkshänder. Da er jedoch Fripps fein verästelte Griffbrettartistik bewunderte, begründete er seine Begrüßung mit den Worten: "Ich reiche dir meine Linke, weil sie näher am Herzen ist."

PETER KEMPER.

King Crimson, Islands.

CD und DVD. Discipline Global Mobile/KSP 4 (Galileo Music Communication)

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