Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 11. November 2016
- Hersteller: 375 Media GmbH / MATADOR/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0744861075400
- Artikelnr.: 46912686
- Herstellerkennzeichnung
- Beggars UK Ltd.
- 375 Media GmbH
- Schachthofstraße 36a
- 21079 Hamburg
- https://375media.com/
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2008Schwester Leichtfuß trägt jetzt Moll
Chan Marshall alias Cat Power ist die Königin der Pop-Interpretation. Mit ihrem neuen Cover-Album "Jukebox" zieht sie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Seelenkrise.
Und immer wieder Bob Dylan. Die Trailer zu "I'm Not There", Tood Haynes biografischem Episodenfilm, laufen in den Kinos, der dazugehörende Soundtrack mit 33 Coverversionen des Unanwesenden ist bereits veröffentlicht - Letzteres eine erfrischend unessentielle Angelegenheit: Nichts ändert sich an der Lesart der Songs durch diese Versionen, vielleicht gerade weil man den Interpreten ihre Liebe zum Original so deutlich anhört. Auch die sechsunddreißigjährige Sängerin Chan Marshall aus Georgia, die seit 1995 als Cat Power Musik macht, darf hier natürlich nicht fehlen. Sie ist glühender Dylan-Fan (Lieblingsalbum: "Desire") und gilt seit ihrer CD "The Covers Album" - obwohl selbst eine versierte Songschreiberin - aus dem Jahr 2000 als so etwas wie die moderne Königin der Interpretation.
Zu Recht. Weil sie die von ihr interpretierten Songs nicht einfach nur Bearbeitungen oder Umkehrungen unterzieht, sondern weil sie - na ja, man muss es wohl so hippiehaft sagen: weil sie mit ihnen tanzt, mit ihnen streitet, sie anschreit, stehen lässt, zurückkommt, sich versöhnt. Dies jedoch ohne zwanghafte stimmliche Leistungsschau oder emotionalisierte Effekthascherei.
Das Bemerkenswerte ist: Ihr Dylan-Tribute-Beitrag tut all dies nicht. Mit ihrer Version des unverwüstlichen "Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again", diesem fröhlich ruckelnden Psycho-Panorama aus Dylans wildhaariger Amphetamin-Phase, stellt sie sich vollkommen zurück. Sie feiert den Song, sie schenkt ihm unterwürfig ihre pausbäckige, schnutige, nie jedoch einfach nur liebreizende oder zickige Stimme. Deshalb ist ihre Version so schön: Man kann diesen Song nicht neu interpretieren oder umdenken, er gehört ganz Dylan. Aber man kann ihm zu Ehren eine Party veranstalten, genau das tut Chan Marshall, und es ist eine Freude, ihr zuzuhören.
Ganz anders zeigt sie sich nun auf ihrem neuen Album "Jukebox", ihrer zweiten stark interpretationslastigen Platte nach dem "Covers Album". Hier saugt sie wieder das Material auf und verleibt es sich auf geniale Weise ein. Als wollte sie uns diese Technik an einem plakativen Beispiel verdeutlichen, beginnt sie das Album mit Sinatras Leichtfuß-Swing "New York": Wo Sinatra euphorisiert angetrunken klingt, hört es sich bei der trockenen Alkoholikerin Marshall nach einem bösen Kater an; das Schlagzeug poltert schwer, während die Sängerin die Wahrheit nicht länger in Dur, sondern in Moll sucht.
Einen Song später, in dem sie eine Hank-Williams-Vorlage zum Bekenntnis einer "Ramblin' Woman" macht, klingt die Musik sogar wie eine heroinverlangsamte Taxifahrt durch die eingangs besungene Stadt. Im Rücken hat Marshall ihre großartige Dirty Delta Blues Band: Ihre Musiker beherrschen die Kunst, punktgenau und dennoch lapidar zu klingen, schön zu hören bei der Version von George Jacksons "Aretha, Sing One For Me", wo jede Betonung sitzt und alle Musiker dennoch so spielen, als würden sie sich nebenher unentwegt Zigaretten anzünden. Und wo wir schon beim Soul sind: Den hat Chan Marshall zwar im Überfluss, es ist ihr jedoch dafür zu danken, dass sie ihn, anders als viele andere weiße Sängerinnen, nie ausstellt, sondern eher runterspielt. Auch davon leben ihre Interpretationen, lebt überhaupt ihr umherwandelnder Gesang.
Manchmal, das muss man allerdings zugeben, kann einem Chan Marshall auch etwas auf die Nerven gehen, wie das so ist bei Menschen, die man mag. Etwas Anstrengendes, Launisches hatte sie ja ohnehin immer schon - vor allem in ihren Indie-Tagen in den Neunzigern, als sie Konzertbühnen nach zwei, drei Songs schon mal wutschnaubend oder unter Tränen verließ, weil es ihr im Publikum zu laut war. Natürlich war man geneigt, sie gerade deshalb zu lieben und diese Verletzbarkeit in dummer Romantisierung als zwingend für ihre sensible Kunst zu betrachten. Dabei war sie einfach auch nur einer von vielen Menschen, die in aller Ruhe mal ihren Kram auf die Reihe kriegen müssen.
Zuletzt stand es bedenklich um die fragile Sängerin, als sie kurz nach Veröffentlichung ihrer millionenfach abgesetzten letzten Platte "The Greatest" einen Nervenzusammenbruch erlitt. Insofern ist das vorliegende Album auch eine Stabilisierungsplatte, ein Konsolidierungswerk. Auf "Jukebox" verhebt sie sich kaum. Eigentlich nur einmal - ausgerechnet bei Bob Dylans "I Believe In You", das ihr zu rustikal gerät.
Schon ein Stück später, bei ihrem eigenen neuen "Song To Bobby", einer Ode an den Songschreiber, hat sie sich wieder gefangen und macht sich, wie immer, wenn Dylan ins Spiel kommt, ganz klein: Sie imitiert liebevoll dessen Gesangsstil der "Blood On The Tracks"-Phase und erzählt rührend von persönlichen Dylan-Momenten. Kein großer Song, aber ein fast heiteres Intermezzo, bevor es am Schluss noch mal ans Eingemachte weiblicher Liedkunst geht: Billie Holidays "Don't Explain" als bittere, horizontbreite Bar-Ballade, Janis Joplins "Woman Left Lonely" fast als gepresstes Herunterspielen verzweifelten Verlangens und schließlich Joni Mitchells "Blue" als bläulich schillernde Nebelausleuchtung hintereinander weg - für solche Lieder muss man schon weitaus mehr sein als nur eine tolle Sängerin oder eine gute Interpretin.
ERIC PFEIL
Cat Power, Jukebox. Matador 905302 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chan Marshall alias Cat Power ist die Königin der Pop-Interpretation. Mit ihrem neuen Cover-Album "Jukebox" zieht sie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Seelenkrise.
Und immer wieder Bob Dylan. Die Trailer zu "I'm Not There", Tood Haynes biografischem Episodenfilm, laufen in den Kinos, der dazugehörende Soundtrack mit 33 Coverversionen des Unanwesenden ist bereits veröffentlicht - Letzteres eine erfrischend unessentielle Angelegenheit: Nichts ändert sich an der Lesart der Songs durch diese Versionen, vielleicht gerade weil man den Interpreten ihre Liebe zum Original so deutlich anhört. Auch die sechsunddreißigjährige Sängerin Chan Marshall aus Georgia, die seit 1995 als Cat Power Musik macht, darf hier natürlich nicht fehlen. Sie ist glühender Dylan-Fan (Lieblingsalbum: "Desire") und gilt seit ihrer CD "The Covers Album" - obwohl selbst eine versierte Songschreiberin - aus dem Jahr 2000 als so etwas wie die moderne Königin der Interpretation.
Zu Recht. Weil sie die von ihr interpretierten Songs nicht einfach nur Bearbeitungen oder Umkehrungen unterzieht, sondern weil sie - na ja, man muss es wohl so hippiehaft sagen: weil sie mit ihnen tanzt, mit ihnen streitet, sie anschreit, stehen lässt, zurückkommt, sich versöhnt. Dies jedoch ohne zwanghafte stimmliche Leistungsschau oder emotionalisierte Effekthascherei.
Das Bemerkenswerte ist: Ihr Dylan-Tribute-Beitrag tut all dies nicht. Mit ihrer Version des unverwüstlichen "Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again", diesem fröhlich ruckelnden Psycho-Panorama aus Dylans wildhaariger Amphetamin-Phase, stellt sie sich vollkommen zurück. Sie feiert den Song, sie schenkt ihm unterwürfig ihre pausbäckige, schnutige, nie jedoch einfach nur liebreizende oder zickige Stimme. Deshalb ist ihre Version so schön: Man kann diesen Song nicht neu interpretieren oder umdenken, er gehört ganz Dylan. Aber man kann ihm zu Ehren eine Party veranstalten, genau das tut Chan Marshall, und es ist eine Freude, ihr zuzuhören.
Ganz anders zeigt sie sich nun auf ihrem neuen Album "Jukebox", ihrer zweiten stark interpretationslastigen Platte nach dem "Covers Album". Hier saugt sie wieder das Material auf und verleibt es sich auf geniale Weise ein. Als wollte sie uns diese Technik an einem plakativen Beispiel verdeutlichen, beginnt sie das Album mit Sinatras Leichtfuß-Swing "New York": Wo Sinatra euphorisiert angetrunken klingt, hört es sich bei der trockenen Alkoholikerin Marshall nach einem bösen Kater an; das Schlagzeug poltert schwer, während die Sängerin die Wahrheit nicht länger in Dur, sondern in Moll sucht.
Einen Song später, in dem sie eine Hank-Williams-Vorlage zum Bekenntnis einer "Ramblin' Woman" macht, klingt die Musik sogar wie eine heroinverlangsamte Taxifahrt durch die eingangs besungene Stadt. Im Rücken hat Marshall ihre großartige Dirty Delta Blues Band: Ihre Musiker beherrschen die Kunst, punktgenau und dennoch lapidar zu klingen, schön zu hören bei der Version von George Jacksons "Aretha, Sing One For Me", wo jede Betonung sitzt und alle Musiker dennoch so spielen, als würden sie sich nebenher unentwegt Zigaretten anzünden. Und wo wir schon beim Soul sind: Den hat Chan Marshall zwar im Überfluss, es ist ihr jedoch dafür zu danken, dass sie ihn, anders als viele andere weiße Sängerinnen, nie ausstellt, sondern eher runterspielt. Auch davon leben ihre Interpretationen, lebt überhaupt ihr umherwandelnder Gesang.
Manchmal, das muss man allerdings zugeben, kann einem Chan Marshall auch etwas auf die Nerven gehen, wie das so ist bei Menschen, die man mag. Etwas Anstrengendes, Launisches hatte sie ja ohnehin immer schon - vor allem in ihren Indie-Tagen in den Neunzigern, als sie Konzertbühnen nach zwei, drei Songs schon mal wutschnaubend oder unter Tränen verließ, weil es ihr im Publikum zu laut war. Natürlich war man geneigt, sie gerade deshalb zu lieben und diese Verletzbarkeit in dummer Romantisierung als zwingend für ihre sensible Kunst zu betrachten. Dabei war sie einfach auch nur einer von vielen Menschen, die in aller Ruhe mal ihren Kram auf die Reihe kriegen müssen.
Zuletzt stand es bedenklich um die fragile Sängerin, als sie kurz nach Veröffentlichung ihrer millionenfach abgesetzten letzten Platte "The Greatest" einen Nervenzusammenbruch erlitt. Insofern ist das vorliegende Album auch eine Stabilisierungsplatte, ein Konsolidierungswerk. Auf "Jukebox" verhebt sie sich kaum. Eigentlich nur einmal - ausgerechnet bei Bob Dylans "I Believe In You", das ihr zu rustikal gerät.
Schon ein Stück später, bei ihrem eigenen neuen "Song To Bobby", einer Ode an den Songschreiber, hat sie sich wieder gefangen und macht sich, wie immer, wenn Dylan ins Spiel kommt, ganz klein: Sie imitiert liebevoll dessen Gesangsstil der "Blood On The Tracks"-Phase und erzählt rührend von persönlichen Dylan-Momenten. Kein großer Song, aber ein fast heiteres Intermezzo, bevor es am Schluss noch mal ans Eingemachte weiblicher Liedkunst geht: Billie Holidays "Don't Explain" als bittere, horizontbreite Bar-Ballade, Janis Joplins "Woman Left Lonely" fast als gepresstes Herunterspielen verzweifelten Verlangens und schließlich Joni Mitchells "Blue" als bläulich schillernde Nebelausleuchtung hintereinander weg - für solche Lieder muss man schon weitaus mehr sein als nur eine tolle Sängerin oder eine gute Interpretin.
ERIC PFEIL
Cat Power, Jukebox. Matador 905302 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main