Mit diesem neuen Albums bietet Paul McCartney uns einen kleinen Blick auf die "Songs hinter den Songs" - die Klassiker, mit denen er in seiner Kindheit aufwuchs. Es ist seine Hommage an persönliche Lieblingssongs, zudem wartet er mit zwei brandneuen eigenen Songs auf. Das Album entstand mit Hilfe des mit einem Grammy ausgezeichneten Produzenten Tommy LiPuma und mit Diana Krall und ihrer Band, sowie Gastauftritten von Eric Clapton und Stevie Wonder. Das Album wurde im Laufe des Jahres 2011 in den legendären Capitol Studios in Los Angeles, New York und London aufgenommen. Auf den beiden Eigenkompositionen 'My Valentine' und 'Only Our Hearts' haben Eric Clapton bzw. Stevie Wonder als Gastmusiker mitgewirkt.
CD | |||
1 | I'm Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter | 00:02:36 | |
2 | Home (When Shadows Fall) | 00:04:04 | |
3 | It's Only A Paper Moon | 00:02:35 | |
4 | More I Cannot Wish You | 00:03:03 | |
5 | The Glory Of Love | 00:03:45 | |
6 | We Three (My Echo, My Shadow And Me) | 00:03:22 | |
7 | Ac-Cent-Tchu-Ate The Positive | 00:02:31 | |
8 | My Valentine | 00:03:14 | |
9 | Always | 00:03:49 | |
10 | My Very Good Friend The Milkman | 00:03:04 | |
11 | Bye Bye Blackbird | 00:04:26 | |
12 | Get Yourself Another Fool | 00:04:42 | |
13 | The Inch Worm | 00:03:42 | |
14 | Only Our Hearts | 00:04:23 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2012Briefe in Hexametern
Sankt Paul und Ringo Rumpel: Zweimal Vergangenheitsbewältigung durch Ex-Beatles - der eine habilitiert sich, der andere rockt das Altersheim.
Von Oliver Jungen
Der stärkste meiner Feldherren übernehme das Reich, sprach der Hegemon und verschied. Das bin doch ich, dachte ein jeglicher, und ein großes Gehaue hob an. So in Makedonien. Im Weltreich des Pop begannen die Diadochenkämpfe sogar schon vor dem Ableben des göttergleichen Herrschers. Ausgerechnet der Zurückhaltendste, George Harrison, lag zunächst vorn: Martin Scorsese hat dem spirituellen Avantgardisten soeben ein Denkmal gesetzt. Die Gefährten aber steckten nicht zurück, weder Paul McCartney, der sich stets als Haupterbe der Beatles sah, was zumindest im Hinblick auf das Songwriting fraglos stimmt, noch Richard Starkey alias Ringo Starr, der, stimmlich nicht unbedingt begnadet, in Windeseile Musikstile und Projekte wechselte, bis er irgendwann verstummte, um in den Neunzigern als Liebe und Frieden bringender Vollblutoptimist wiederzukehren. Seither sind seine Finger permanent zur Peace-Geste gespreizt, welche aber nun einmal - Achtung, Paul! - deckungsgleich mit dem Victory-Zeichen ist.
Gleichzeitig haben nun die Granden, beide um die siebzig, neue Alben auf den Markt geworfen, die gerade wegen aller Rivalitätsdementis zum Vergleich herausfordern. Sie sind grundverschieden, arbeiten sich jedoch beide an der Vergangenheit ab. Eine Hommage an die Heroen des Great American Songbook liefert McCartney ab, sozusagen das "Prequel" zu den Beatles. Es soll den Einfluss von Swing und Jazz auf die Fab Four belegen, der allerdings nie in Frage stand. Sir Paul wollte wohl vor allem seine überzeugende, wenngleich in den hohen Registern etwas dünne Stimme spazieren führen, die Tradition ehren und in Kindheitserinnerungen schwelgen. Und das sei ihm ebenso gegönnt wie Nat King Coles Originalmikrofon.
Einige unerwartete Titel haben McCartney und Produzent Tommy LiPuma zusammengesucht, stets von Diana Krall auf dem Piano begleitet, mitunter auch vom London Symphony Orchestra und illustren Gästen wie Eric Clapton oder Stevie Wonder, und ja, man fühlt sich vom ersten Drum-Besenstrich an in die Zeit der Great Depression versetzt. Gleichwohl klingt alles ein wenig nach Arte-Themenabend oder Hintergrundmusik in einer überteuerten Hotelbar, zumal dieselbe Zeitreise schon von Phil Collins, Rod Stewart, Robbie Williams und anderen unternommen wurde, wenn auch selten so ernst und perfekt wie hier.
Ton in Ton fügen sich die beiden Eigenkompositionen im altehrwürdigen Stil ein, "My Valentine", an einem regnerischen Marokko-Nachmittag geschrieben, und "Only Our Hearts": zwei Hymnen McCartneys an seine dritte Frau Nancy. Im atmosphärischen Eröffnungsstück "I'm Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter", komponiert 1935 von Fred Ahlert zum Text von Joseph Young, findet sich die Zeile: "Kisses on the bottom". Der Titel bedeutet also nicht (nur), dass der Musikgeschichte der Allerwerteste geküsst wird. Ein, quasi in Hexametern verfasster, Brief an sich selbst, das ist jedenfalls ein gutes Bild für dieses letztlich doch etwas streberhaft anmutende Werk.
Ringo Starr dagegen restauriert die Vergangenheit nicht, sondern schäkert mit ihr. Frech hätte er sein druckvolles Album beinahe "Wings" genannt - wie McCartneys Band. Nun heißt es schlicht "Ringo 2012", erinnert also an den Solo-Durchbruch "Ringo" von 1973. "Step Lightly" und "Wings" wurden neu eingespielt und mit mehr Reggae abgeschmeckt. Gut gelaunt swingt und bluest das Album vor sich hin, kennt keine Angst vor großen Hintergrundchören. Der Rock kommt nicht zu kurz, hervorragend etwa das flotte Leadbelly-Cover "Rock Island Line". Dieser Drummer, der heute besser aussieht als je zuvor und der auf dem Cover natürlich wieder das V-Zeichen macht, muss niemandem mehr etwas beweisen. Er genießt es einfach, mit gefragten Profis Musik zu machen, die nicht für die Ewigkeit ist, weil er die Ewigkeit längst bedient hat. Und dabei gelingen ihm direkte, begeisternde Songs, die ohne musikhistorischen Unterbau funktionieren. Natürlich blickt auch Ringo Starr zurück. So befindet er sich wieder jung und knospend "In Liverpool", was auch eine Wiedergutmachung ist für die übel aufgestoßene Bemerkung, er vermisse nichts an dieser Stadt: "Me and the boys, me and the gang, living out phantasies / Breaking the rules, acting like fools, that's how it was for me / How was it for you?" Allein diese Frage! McCartney würde sie gar nicht einfallen. Das gemeinsam mit Dave Stewart von den Eurythmics komponierte Lalala-Lied hat eine solide Gitarren-Schlagzeug-Struktur, dazu Streicher, Piano, Chor, fertig ist die Hütte. Am stärksten hallen wohl das erste und letzte Stück des Albums nach, die mit dem erfolgreichen Musikproduzenten Glen Ballard verfasste Slow-Rock-Nummer "Anthem", in der idiotischerweise die Love-and-Peace-Armee marschiert, und der unter Beteiligung von Joe Walsh entstandene und keineswegs langsame Titel "Slow Down", eine Art bescheuerter Freudentanz, weil man in den wilden Jahren dabei war und immer noch da ist. Diese Freude überträgt sich.
Zwei Quastenflosser also: Der eine legt eine Art Habilitation vor, der andere rockt das Altersheim. Was verdienstvoller ist, lässt sich schwer entscheiden, ist vielleicht aber auch nicht entscheidend, denn Diadochenreiche sind ohnehin nur Provisorien.
Ringo Starr,
Ringo 2012
Roccabella 1739204 (Universal)
Paul McCartney, Kisses On The Bottom
Hear Music 1866746 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sankt Paul und Ringo Rumpel: Zweimal Vergangenheitsbewältigung durch Ex-Beatles - der eine habilitiert sich, der andere rockt das Altersheim.
Von Oliver Jungen
Der stärkste meiner Feldherren übernehme das Reich, sprach der Hegemon und verschied. Das bin doch ich, dachte ein jeglicher, und ein großes Gehaue hob an. So in Makedonien. Im Weltreich des Pop begannen die Diadochenkämpfe sogar schon vor dem Ableben des göttergleichen Herrschers. Ausgerechnet der Zurückhaltendste, George Harrison, lag zunächst vorn: Martin Scorsese hat dem spirituellen Avantgardisten soeben ein Denkmal gesetzt. Die Gefährten aber steckten nicht zurück, weder Paul McCartney, der sich stets als Haupterbe der Beatles sah, was zumindest im Hinblick auf das Songwriting fraglos stimmt, noch Richard Starkey alias Ringo Starr, der, stimmlich nicht unbedingt begnadet, in Windeseile Musikstile und Projekte wechselte, bis er irgendwann verstummte, um in den Neunzigern als Liebe und Frieden bringender Vollblutoptimist wiederzukehren. Seither sind seine Finger permanent zur Peace-Geste gespreizt, welche aber nun einmal - Achtung, Paul! - deckungsgleich mit dem Victory-Zeichen ist.
Gleichzeitig haben nun die Granden, beide um die siebzig, neue Alben auf den Markt geworfen, die gerade wegen aller Rivalitätsdementis zum Vergleich herausfordern. Sie sind grundverschieden, arbeiten sich jedoch beide an der Vergangenheit ab. Eine Hommage an die Heroen des Great American Songbook liefert McCartney ab, sozusagen das "Prequel" zu den Beatles. Es soll den Einfluss von Swing und Jazz auf die Fab Four belegen, der allerdings nie in Frage stand. Sir Paul wollte wohl vor allem seine überzeugende, wenngleich in den hohen Registern etwas dünne Stimme spazieren führen, die Tradition ehren und in Kindheitserinnerungen schwelgen. Und das sei ihm ebenso gegönnt wie Nat King Coles Originalmikrofon.
Einige unerwartete Titel haben McCartney und Produzent Tommy LiPuma zusammengesucht, stets von Diana Krall auf dem Piano begleitet, mitunter auch vom London Symphony Orchestra und illustren Gästen wie Eric Clapton oder Stevie Wonder, und ja, man fühlt sich vom ersten Drum-Besenstrich an in die Zeit der Great Depression versetzt. Gleichwohl klingt alles ein wenig nach Arte-Themenabend oder Hintergrundmusik in einer überteuerten Hotelbar, zumal dieselbe Zeitreise schon von Phil Collins, Rod Stewart, Robbie Williams und anderen unternommen wurde, wenn auch selten so ernst und perfekt wie hier.
Ton in Ton fügen sich die beiden Eigenkompositionen im altehrwürdigen Stil ein, "My Valentine", an einem regnerischen Marokko-Nachmittag geschrieben, und "Only Our Hearts": zwei Hymnen McCartneys an seine dritte Frau Nancy. Im atmosphärischen Eröffnungsstück "I'm Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter", komponiert 1935 von Fred Ahlert zum Text von Joseph Young, findet sich die Zeile: "Kisses on the bottom". Der Titel bedeutet also nicht (nur), dass der Musikgeschichte der Allerwerteste geküsst wird. Ein, quasi in Hexametern verfasster, Brief an sich selbst, das ist jedenfalls ein gutes Bild für dieses letztlich doch etwas streberhaft anmutende Werk.
Ringo Starr dagegen restauriert die Vergangenheit nicht, sondern schäkert mit ihr. Frech hätte er sein druckvolles Album beinahe "Wings" genannt - wie McCartneys Band. Nun heißt es schlicht "Ringo 2012", erinnert also an den Solo-Durchbruch "Ringo" von 1973. "Step Lightly" und "Wings" wurden neu eingespielt und mit mehr Reggae abgeschmeckt. Gut gelaunt swingt und bluest das Album vor sich hin, kennt keine Angst vor großen Hintergrundchören. Der Rock kommt nicht zu kurz, hervorragend etwa das flotte Leadbelly-Cover "Rock Island Line". Dieser Drummer, der heute besser aussieht als je zuvor und der auf dem Cover natürlich wieder das V-Zeichen macht, muss niemandem mehr etwas beweisen. Er genießt es einfach, mit gefragten Profis Musik zu machen, die nicht für die Ewigkeit ist, weil er die Ewigkeit längst bedient hat. Und dabei gelingen ihm direkte, begeisternde Songs, die ohne musikhistorischen Unterbau funktionieren. Natürlich blickt auch Ringo Starr zurück. So befindet er sich wieder jung und knospend "In Liverpool", was auch eine Wiedergutmachung ist für die übel aufgestoßene Bemerkung, er vermisse nichts an dieser Stadt: "Me and the boys, me and the gang, living out phantasies / Breaking the rules, acting like fools, that's how it was for me / How was it for you?" Allein diese Frage! McCartney würde sie gar nicht einfallen. Das gemeinsam mit Dave Stewart von den Eurythmics komponierte Lalala-Lied hat eine solide Gitarren-Schlagzeug-Struktur, dazu Streicher, Piano, Chor, fertig ist die Hütte. Am stärksten hallen wohl das erste und letzte Stück des Albums nach, die mit dem erfolgreichen Musikproduzenten Glen Ballard verfasste Slow-Rock-Nummer "Anthem", in der idiotischerweise die Love-and-Peace-Armee marschiert, und der unter Beteiligung von Joe Walsh entstandene und keineswegs langsame Titel "Slow Down", eine Art bescheuerter Freudentanz, weil man in den wilden Jahren dabei war und immer noch da ist. Diese Freude überträgt sich.
Zwei Quastenflosser also: Der eine legt eine Art Habilitation vor, der andere rockt das Altersheim. Was verdienstvoller ist, lässt sich schwer entscheiden, ist vielleicht aber auch nicht entscheidend, denn Diadochenreiche sind ohnehin nur Provisorien.
Ringo Starr,
Ringo 2012
Roccabella 1739204 (Universal)
Paul McCartney, Kisses On The Bottom
Hear Music 1866746 (Universal)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main