Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 28. Oktober 2002
- Hersteller: ALIVE AG / !K7 Record,
- EAN: 0730003713521
- Artikelnr.: 20068638
CD | |||
1 | Rhein in Flammen | 00:03:49 | |
2 | Die Internationale | 00:03:19 | |
3 | Club der schönen Mütter | 00:03:54 | |
4 | Der Fremde | 00:03:51 | |
5 | Schnöselmaschine | 00:03:23 | |
6 | Was der Himmel verbietet | 00:03:56 | |
7 | Reiselust | 00:03:10 | |
8 | Du Ran du Ran | 00:02:42 | |
9 | Das Leben zum Buch | 00:03:49 | |
10 | Die kleine Geldwäscherei | 00:03:21 | |
11 | Herzen gelandet | 00:03:17 | |
12 | Sieh nie nach vorn | 00:09:30 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2003Traumtore mit letzter Kraft
Es gehört zur Magie des Fußballs, daß verloren geglaubte Spiele noch in letzter Minute kippen können. Wer im vergangenen Jahr das traditionelle Derby zwischen deutschen Rockmusikern verfolgt hat, die in ihrer Muttersprache, und denen, die englisch singen, hatte im Herbst nicht mehr an einen Sieg deutschsprachiger Bands geglaubt. Zu klar waren die Fremdsprachen gleich zu Spielbeginn durch die herrlich herausgespielte CD "Neon Golden" der Weilheimer Routiniers von "The Notwist" in Führung gegangen, die später von Talenten wie "Readymade" aus Wiesbaden oder "Slut" aus Ingolstadt weiter ausgebaut wurde. Welch große Chancen dagegen wurden auf der anderen Seite vergeben!
Das neue Album von "Tocotronic" enttäuschte im Sommer selbst treue Anhänger - kaum verwunderlich, wenn selbst die beiden besten Stücke "This Boy is Tocotronic" und "Hi Freaks" Eigentore sind. Über die Leistungen des deutschsprachigen Mittelfelds, das man in der Popmusik leider "Mainstream" nennt, von Punk-Aufguß "Mia" über die "Sportfreunde Stiller" bis zu Herbert "Es-ist-schon-okay-es-tut-gleichmäßig-weh"-Grönemeyer sei besser geschwiegen. Ein Anschlußtreffer gelang dann im Oktober den einstigen NDW-Helden "Fehlfarben" um Sänger Peter Hein, die alles in allem doch ihrem eigenen Mythos ein Schnippchen schlugen und ein gelungenes Comeback starteten. Ihnen gebührt die Palme für den markantesten Plattentitel der Saison: "Knietief im Dispo" ist in unseren depressiven Zeiten schon zum geflügelten Wort geworden. Wenn auch ihre deutschrockende Musik das Irritationsniveau der Texte nicht halten kann, ist es Hein durch eine List der Vernunft noch einmal gelungen, seine persönliche Befindlichkeit mit der geistigen Situation einer Zeit zu synchronisieren, die sich im "Club der schönen Mütter" vergnügt, während die sozialen Sicherungssysteme einstürzenden Altbauten gleichen. Also Ausgleich.
Dann wechselte sich zum Jahresende eine Band ein, die mit Technik und Kraft den bisherigen Spielverlauf regelrecht auf den Kopf stellte. "Kettcar" aus Hamburg haben mit "Du und wieviel von deinen Freunden" (Grand Hotel van Cleef / Indigo 001) die beste deutschsprachige Platte des Jahres gemacht. Sänger und Texter Marcus Wiebusch hatte schon zuvor mit der Punkband ". . . But Alive" bewiesen, daß Wut und Depression auf intelligente, dennoch ungekünstelte Weise Ausdruck jenseits billiger Rockposen finden können - vor allem auf deren letztem Album "Hallo Endorphin". Was damals noch als schroffe Abrechnung mit Popjournalisten und Linksliberalen daherkam, ist bei "Kettcar" musikalisch eingängiger, fast hitverdächtig, textlich aber privater und zugleich vieldeutiger geworden: "Was für Nervenstränge sollen das denn sein? Und wer wischt das Blut weg? / Wäre er echt. / Wer schützt die Notaufnahmen und wer hält die ganzen Hände? / Wäre er echt." Seelische Schutzmechanismen gegen Traumata von Verlust und Verwundung werden ebenso unaufdringlich besungen wie das Scheitern alternativer Lebenspläne ("Landungsbrücken raus") und der seltsame Übergangszustand zwischen Party und Nachdurst ("Ausgetrunken"). Was beim ersten Hören als Kitsch oder Konvention erscheinen könnte, enthält so viele Haken und Ösen, daß die Lieder selbst dann noch Spannung erzeugen, wenn man sie auswendig kennt und an jede Wand sprühen möchte. St. Pauli zum Trotz - Hamburg spielt mit "Kettcar" um die deutsche Meisterschaft.
RICHARD KÄMMERLINGS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gehört zur Magie des Fußballs, daß verloren geglaubte Spiele noch in letzter Minute kippen können. Wer im vergangenen Jahr das traditionelle Derby zwischen deutschen Rockmusikern verfolgt hat, die in ihrer Muttersprache, und denen, die englisch singen, hatte im Herbst nicht mehr an einen Sieg deutschsprachiger Bands geglaubt. Zu klar waren die Fremdsprachen gleich zu Spielbeginn durch die herrlich herausgespielte CD "Neon Golden" der Weilheimer Routiniers von "The Notwist" in Führung gegangen, die später von Talenten wie "Readymade" aus Wiesbaden oder "Slut" aus Ingolstadt weiter ausgebaut wurde. Welch große Chancen dagegen wurden auf der anderen Seite vergeben!
Das neue Album von "Tocotronic" enttäuschte im Sommer selbst treue Anhänger - kaum verwunderlich, wenn selbst die beiden besten Stücke "This Boy is Tocotronic" und "Hi Freaks" Eigentore sind. Über die Leistungen des deutschsprachigen Mittelfelds, das man in der Popmusik leider "Mainstream" nennt, von Punk-Aufguß "Mia" über die "Sportfreunde Stiller" bis zu Herbert "Es-ist-schon-okay-es-tut-gleichmäßig-weh"-Grönemeyer sei besser geschwiegen. Ein Anschlußtreffer gelang dann im Oktober den einstigen NDW-Helden "Fehlfarben" um Sänger Peter Hein, die alles in allem doch ihrem eigenen Mythos ein Schnippchen schlugen und ein gelungenes Comeback starteten. Ihnen gebührt die Palme für den markantesten Plattentitel der Saison: "Knietief im Dispo" ist in unseren depressiven Zeiten schon zum geflügelten Wort geworden. Wenn auch ihre deutschrockende Musik das Irritationsniveau der Texte nicht halten kann, ist es Hein durch eine List der Vernunft noch einmal gelungen, seine persönliche Befindlichkeit mit der geistigen Situation einer Zeit zu synchronisieren, die sich im "Club der schönen Mütter" vergnügt, während die sozialen Sicherungssysteme einstürzenden Altbauten gleichen. Also Ausgleich.
Dann wechselte sich zum Jahresende eine Band ein, die mit Technik und Kraft den bisherigen Spielverlauf regelrecht auf den Kopf stellte. "Kettcar" aus Hamburg haben mit "Du und wieviel von deinen Freunden" (Grand Hotel van Cleef / Indigo 001) die beste deutschsprachige Platte des Jahres gemacht. Sänger und Texter Marcus Wiebusch hatte schon zuvor mit der Punkband ". . . But Alive" bewiesen, daß Wut und Depression auf intelligente, dennoch ungekünstelte Weise Ausdruck jenseits billiger Rockposen finden können - vor allem auf deren letztem Album "Hallo Endorphin". Was damals noch als schroffe Abrechnung mit Popjournalisten und Linksliberalen daherkam, ist bei "Kettcar" musikalisch eingängiger, fast hitverdächtig, textlich aber privater und zugleich vieldeutiger geworden: "Was für Nervenstränge sollen das denn sein? Und wer wischt das Blut weg? / Wäre er echt. / Wer schützt die Notaufnahmen und wer hält die ganzen Hände? / Wäre er echt." Seelische Schutzmechanismen gegen Traumata von Verlust und Verwundung werden ebenso unaufdringlich besungen wie das Scheitern alternativer Lebenspläne ("Landungsbrücken raus") und der seltsame Übergangszustand zwischen Party und Nachdurst ("Ausgetrunken"). Was beim ersten Hören als Kitsch oder Konvention erscheinen könnte, enthält so viele Haken und Ösen, daß die Lieder selbst dann noch Spannung erzeugen, wenn man sie auswendig kennt und an jede Wand sprühen möchte. St. Pauli zum Trotz - Hamburg spielt mit "Kettcar" um die deutsche Meisterschaft.
RICHARD KÄMMERLINGS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main