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  • EAN: 4011354509680
  • Artikelnr.: 28212693
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2011

Bis in den letzten Wink der Fingerspitze

Ingo Metzmacher hat eine märchenhafte Besetzung gefunden für die Rehabilitierung der "Königskinder" von Engelbert Humperdinck.

Seine Oper "Hänsel und Gretel" taucht regelmäßig vor Weihnachten in den Spielplänen auf. Doch Engelbert Humperdincks übrige Kompositionen verschwanden im Schatten dieses Welterfolgs, darunter dreizehn weitere Bühnenwerke, ebenfalls vorwiegend nach Märchensujets, von denen einige sofort für "nicht lebensfähig" erklärt wurden. Erst in jüngster Zeit wächst das Interesse daran. So wurden etwa Humperdincks Lieder in einer Neuausgabe wieder zugänglich gemacht und eine sehr schöne Gesamteinspielung erarbeitet (Oehms Classics OC 807/harmonia mundi). Die Oper "Die Königskinder" erfuhr vor sechs Jahren in München durch Andreas Homoki und Fabio Luisi eine erste Wiederbelebung, Ingo Metzmacher brachte sie danach am Zürcher Opernhaus heraus, und während Metzmachers Ägide als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin bildete sie dann das musikdramatische Herzstück der Konzertreihe "Aufbruch 1909". Und der Mitschnitt dieser konzertanten Aufführung in der Berliner Philharmonie macht auf Anhieb deutlich, wie stark und lebendig diese Musik tatsächlich ist.

Zwar "wagnert" es allerorten bei Humperdinck, der ein großer Verehrer Wagners und eine Zeitlang sein Assistent in Bayreuth gewesen war. Durchaus bewegt sich die Diktion von Hexe, Gänsemagd und Königssohn zwischen "Tristan" und "Rheingold", sind die Volksszenen der "Königskinder" von einem "Meistersinger"-Ton getragen. Doch das ist gerade der Reiz einer Partitur, die ansonsten auf alle Wagnerschen Ingredienzien, etwa die Leitmotiv-Technik, verzichtet und sich eher an einem romantischen Volkston nach dem Vorbild Schumanns orientiert. Dass dies ohne tümelnde Naivität geschieht, macht die Geschichte anrührend, und die Librettistin Elsa Bernstein gab ihr darüberhinaus realistische, gesellschaftkritische Facetten. Nicht die Hexe mit ihren Zauberkünsten hintertreibt die Liebe zwischen den beiden Königskindern, treibt sie in den Tod; es sind die missgünstigen und gewinnsüchtigen Mitmenschen, selbst soziale Verlierer, die sich einen König und Anführer wünschen, ihn aber im Bettlergewand, ohne Zeichen von Pracht und Macht nicht (an)erkennen wollen.

Einzig der Spielmann durchschaut das böse Spiel. Er kommentiert das Geschehen, wird quasi moralische Instanz. Christian Gerhaher ist in dieser Rolle überragend. Er verleiht der Spielmann-Figur mit seinem warmen geschmeidigen Bariton intensive Farben des Mitleidens, die den Hörer sofort auf die Seite der Protagonisten ziehen. Vor allem aber ist es die absolut un-betuliche Klarheit seiner Artikulation, eine aus dem Liedgesang abgeleitete Kultur der Sprachgestaltung, die differenzierteste Ausdrucksnuancen ermöglicht.

Die anderen Sängerinnen und Sänger stehen ihm darin nicht nach: Eine Besetzung, die ihresgleichen sucht! Andreas Hörl zum Beispiel trifft, obgleich er kurzfristig einsprang für diese Produktion, genau den Polterton des Grobians als Holzhacker, Stephan Rügamer als Besenbinder steuert ein verschlagen-fahles Tenortimbre bei. Gabriele Schnaut ist eine charaktervolle Hexe, die trotz einiger angestrengter Töne ihren Part mit dramatischer Spannkraft erfüllt, und Jacquelyn Wagner als deftige Wirtstochter steht ihr in der Charakterzeichnung kaum nach.

Klaus Florian Vogt, Bayreuths Heldentenor, vollzieht glaubhaft die Wandlung des Königsohnes vom Sonnyboy zum zärtlichen, schließlich verzweifelten Liebenden. Und die Sopranistin Juliane Banse als eine Gänsemagd königlichen Geblüts hat damit einen Höhepunkt ihrer lyrisch-dramatischen Kunst erreicht. Alles Enge, Verkrampfte ist von ihrer Stimme abgefallen; Nuancen heiterer Verspieltheit stehen ihr ebenso zu Gebot wie ahnungsvolle Ausbrüche von Glück oder Verzweiflung, bis hin zur völligen Ermattung im Sterben. Dabei ist es so, dass Humperdinck seinen Sängern nichts schenkt. Er stürzt sie nicht nur in ein Wechselbad der Emotionen, sondern mutet ihnen auch weitest gespannte Melodik und Dynamik zu. Ingo Metzmacher trägt sie auf Händen. Auch den Rundfunkchor Berlin und den entzückenden Berliner Mädchenchor führt er behutsam. Und das DSO, das mit seinem anspruchsvollen Chef nicht immer glücklich war, folgt ihm bis in den letzten Wink der Fingerspitzen: ein Muster an Klangsinn, Transparenz und Prägnanz. Für eine verkannte Kostbarkeit wie die "Königskinder" ist so eine Referenzaufnahme nicht hoch genug zu bewerten.

ISABEL HERZFELD

Engelbert

Humperdinck:

Königskinder.

Juliane Banse, Klaus Florian Vogt, Christian Gerhaher, Rundfunkchor Berlin, DSO, Ingo Metzmacher.

3 CDs, Crystal Classics N 67044 (Delta)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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