Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 17. Oktober 2008
- Hersteller: NRW Vertrieb / Pirouet Records,
- EAN: 4260041180345
- Artikelnr.: 25029775
CD | |||
1 | Linjanja | 00:07:05 | |
2 | Slow Roundabout | 00:03:06 | |
3 | Ensormasque | 00:06:50 | |
4 | Dewey Redman | 00:06:24 | |
5 | Misha Antlers | 00:03:46 | |
6 | Scarine | 00:03:39 | |
7 | Imbo | 00:06:02 | |
8 | Dorobo | 00:04:14 | |
9 | Blue-Brailled | 00:05:48 | |
10 | Stanley Park | 00:04:05 |
Frankfurter Allgemeine ZeitungHört hin, solange es geht
Epiloge auf dem Jazz-Klavier von Kaufmann/Copland
Man muss kein Jazz-Prophet sein, um Blasinstrumenten und Quartetten eine baldige Renaissance vorauszusagen. Die Dominanz des Klaviertrios war in den vergangenen Jahren, gerade im jungen europäischen Jazz, so ausgeprägt, dass man heute kurz vor einer Übersättigung steht, die nach den Ohren des Publikums bald auch den Nachwuchs in den Proberäumen ereilen wird. Auf den Jazz wird ein solcher Paradigmenwechsel wie so oft vitalisierend wirken.
Das neue Album des konzeptionell und tonal wohl kühnsten deutschen Jazzpianisten Achim Kaufmann ist ein eigenwilliger Epilog, der sich nur noch in der Instrumentierung, nicht aber in den genretypischen Rollenzuschreibungen und den darin angelegten dramaturgischen Verlaufsformen der Idee des Trios fügt. In dem kalifornischen Schlagzeuger Jim Black und dem isländischen Bassisten Vladi Kolli hat der Wahl-Amsterdamer zudem zwei Mitspieler gefunden, die in der Einstellung, mit der sie spielen, scheinbar vollkommen davon abstrahieren können, herausragende Jazzmusiker zu sein.
Welche Ausdrucksmöglichkeiten das in sich birgt, zeigt sich schon im ersten Stück "Linjanje": Nach einem Webernschen Pianointro, das eine allegro, von Sekunden und verminderten Quinten geprägte Motiv-Zerfaserung vollzieht, setzt in einem Tempo, das nicht wirklich Halftime, sondern etwas langsamer ist, ein wuchtiger Slow-Blues-Groove ein, zu dem sich ein schnoddriges, nur mit Zigarette im Mundwinkel spielbares 3-Ton-Bass-Riff gesellt. Die Bewegung, die so entsteht, wird auf Makroebene als stete Verlangsamung oder Bremsung erlebt und zeigt sich besorgt mitzählenden Geistern auf Mikroebene als fermatendurchwehter und insofern verhinderter 7/4-Takt. Da bläst also ein ordentlicher Wind und lässt Motivfetzen und atonale Tontrauben durcheinanderpurzeln.
Das darauf folgende Pianosolo "Slow Roundabout" ist eine Art musikalische Destillerie, bei der aus perlendem Broadway-Schwulst langsam Messiaensche Gedankenschwaden aufsteigen. Vermutlich hat Kaufmann hier an einen ewigen Kreislauf, eine Art Perpetuum mobile zwischen Kitsch und Kunst gedacht - frei nach Baudelaires Mon Coeur mis au nu: "Verflüchtigung, Verdunstung und Einwärtsfassung, Sammlung des Ichs. Hierin ist alles enthalten."
Im weiteren Verlauf erweist sich "Kyrill" als eines jener Alben, das zunächst aufgrund sperriger Free-Jazz-Klangskulpturen-Intermezzi und Kaufmanns anspruchsvoller Melodik irritiert, vielleicht gar anstrengt, um dann aber bei jedem weiteren Hören umso strukturierter, durchdachter und vielschichtiger zu wirken. So entdeckt man peu à peu ein ironisch gebrochenes, zuweilen heiter resignierendes, dann fast wieder clowneskes Musizieren, dem es gelingt, sich als reflexiver Abstand zu sich selbst zu inszenieren. Wie viel Selbstkontrolle im Dienste der ästhetischen Kohärenz Kaufmann sich dabei auferlegt, demonstriert das mitreißend-swingende "Dorobo", in dem der Pianist in einer langen Improvisation, die eines Brad Mehldau würdig wäre, schlichtweg beeindruckt. Dem als Jazz-Experten weithin unbeliebten Adorno hätte "Kyrill" jedenfalls gefallen, wusste doch schon der Dialektiker der Aufklärung, dass "der Jazz erst dann zu kritisieren ist, wenn die zeitlose Mode sich als modern, womöglich als Avantgarde verkennt".
Den Esprit einer solchen Mode versprüht der Amerikaner Marc Copland mit seinem Trio ohnehin weitaus mehr als der musician's musician Kaufmann. Mit dem dritten und letzten Teil seiner "New York Trio Recordings"-Trilogie ist Copland, der diesmal von Drew Gress am Bass und einem superben Bill Stewart am Schlagzeug sekundiert wird, das gelungen, was man in der angelsächsischen Welt der Sekundärliteratur als "minor classic" bezeichnet.
Es sind gleichsam Fußnoten zum großen Bill Evans Trio, die "Night Whispers" auf höchstem Niveau der Interaktion bietet. Kristallisationspunkte dieses atmosphärisch sehr dichten Albums sind Eigenkompositionen Coplands wie "The Bell Tolls" - der fünfzigjährige Pennsylvanier liebt Glocken (und diese ihn offenbar auch) -, das mehrfach elegisch anklingende "Emily" sowie eine überzeugend spritzige Cover-Version des Miles-Davis-Klassikers "So What": Deutlich schneller gespielt, präsentiert diese Copland als einen Pianisten, der sich fabelhaft darauf versteht, mit französisch-impressionistischer Harmonik neue Nuancen in zeitlose Moden einzubringen.
ALESSANDRO TOPA
Achim Kaufmann, Kyrill. Pirouet 3034 (MVH)
Marc Copland, New York Trio Recordings, Vol. 3: Night Whispers. Pirouet 3037 (MVH)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Epiloge auf dem Jazz-Klavier von Kaufmann/Copland
Man muss kein Jazz-Prophet sein, um Blasinstrumenten und Quartetten eine baldige Renaissance vorauszusagen. Die Dominanz des Klaviertrios war in den vergangenen Jahren, gerade im jungen europäischen Jazz, so ausgeprägt, dass man heute kurz vor einer Übersättigung steht, die nach den Ohren des Publikums bald auch den Nachwuchs in den Proberäumen ereilen wird. Auf den Jazz wird ein solcher Paradigmenwechsel wie so oft vitalisierend wirken.
Das neue Album des konzeptionell und tonal wohl kühnsten deutschen Jazzpianisten Achim Kaufmann ist ein eigenwilliger Epilog, der sich nur noch in der Instrumentierung, nicht aber in den genretypischen Rollenzuschreibungen und den darin angelegten dramaturgischen Verlaufsformen der Idee des Trios fügt. In dem kalifornischen Schlagzeuger Jim Black und dem isländischen Bassisten Vladi Kolli hat der Wahl-Amsterdamer zudem zwei Mitspieler gefunden, die in der Einstellung, mit der sie spielen, scheinbar vollkommen davon abstrahieren können, herausragende Jazzmusiker zu sein.
Welche Ausdrucksmöglichkeiten das in sich birgt, zeigt sich schon im ersten Stück "Linjanje": Nach einem Webernschen Pianointro, das eine allegro, von Sekunden und verminderten Quinten geprägte Motiv-Zerfaserung vollzieht, setzt in einem Tempo, das nicht wirklich Halftime, sondern etwas langsamer ist, ein wuchtiger Slow-Blues-Groove ein, zu dem sich ein schnoddriges, nur mit Zigarette im Mundwinkel spielbares 3-Ton-Bass-Riff gesellt. Die Bewegung, die so entsteht, wird auf Makroebene als stete Verlangsamung oder Bremsung erlebt und zeigt sich besorgt mitzählenden Geistern auf Mikroebene als fermatendurchwehter und insofern verhinderter 7/4-Takt. Da bläst also ein ordentlicher Wind und lässt Motivfetzen und atonale Tontrauben durcheinanderpurzeln.
Das darauf folgende Pianosolo "Slow Roundabout" ist eine Art musikalische Destillerie, bei der aus perlendem Broadway-Schwulst langsam Messiaensche Gedankenschwaden aufsteigen. Vermutlich hat Kaufmann hier an einen ewigen Kreislauf, eine Art Perpetuum mobile zwischen Kitsch und Kunst gedacht - frei nach Baudelaires Mon Coeur mis au nu: "Verflüchtigung, Verdunstung und Einwärtsfassung, Sammlung des Ichs. Hierin ist alles enthalten."
Im weiteren Verlauf erweist sich "Kyrill" als eines jener Alben, das zunächst aufgrund sperriger Free-Jazz-Klangskulpturen-Intermezzi und Kaufmanns anspruchsvoller Melodik irritiert, vielleicht gar anstrengt, um dann aber bei jedem weiteren Hören umso strukturierter, durchdachter und vielschichtiger zu wirken. So entdeckt man peu à peu ein ironisch gebrochenes, zuweilen heiter resignierendes, dann fast wieder clowneskes Musizieren, dem es gelingt, sich als reflexiver Abstand zu sich selbst zu inszenieren. Wie viel Selbstkontrolle im Dienste der ästhetischen Kohärenz Kaufmann sich dabei auferlegt, demonstriert das mitreißend-swingende "Dorobo", in dem der Pianist in einer langen Improvisation, die eines Brad Mehldau würdig wäre, schlichtweg beeindruckt. Dem als Jazz-Experten weithin unbeliebten Adorno hätte "Kyrill" jedenfalls gefallen, wusste doch schon der Dialektiker der Aufklärung, dass "der Jazz erst dann zu kritisieren ist, wenn die zeitlose Mode sich als modern, womöglich als Avantgarde verkennt".
Den Esprit einer solchen Mode versprüht der Amerikaner Marc Copland mit seinem Trio ohnehin weitaus mehr als der musician's musician Kaufmann. Mit dem dritten und letzten Teil seiner "New York Trio Recordings"-Trilogie ist Copland, der diesmal von Drew Gress am Bass und einem superben Bill Stewart am Schlagzeug sekundiert wird, das gelungen, was man in der angelsächsischen Welt der Sekundärliteratur als "minor classic" bezeichnet.
Es sind gleichsam Fußnoten zum großen Bill Evans Trio, die "Night Whispers" auf höchstem Niveau der Interaktion bietet. Kristallisationspunkte dieses atmosphärisch sehr dichten Albums sind Eigenkompositionen Coplands wie "The Bell Tolls" - der fünfzigjährige Pennsylvanier liebt Glocken (und diese ihn offenbar auch) -, das mehrfach elegisch anklingende "Emily" sowie eine überzeugend spritzige Cover-Version des Miles-Davis-Klassikers "So What": Deutlich schneller gespielt, präsentiert diese Copland als einen Pianisten, der sich fabelhaft darauf versteht, mit französisch-impressionistischer Harmonik neue Nuancen in zeitlose Moden einzubringen.
ALESSANDRO TOPA
Achim Kaufmann, Kyrill. Pirouet 3034 (MVH)
Marc Copland, New York Trio Recordings, Vol. 3: Night Whispers. Pirouet 3037 (MVH)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main