Produktdetails
- Hersteller: Decca,
- EAN: 8014394401666
- Artikelnr.: 61067622
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2024Ein Goldstreif am Ende der Finsternis
Erfolgreiche Rückkehr: Anna Netrebko ist umwerfend als "La Gioconda" bei den Osterfestspielen.
Von Christian Gohlke, Salzburg
Die Uraufführung von Amilcare Ponchiellis "La Gioconda" war 1876 in Mailand zwar ein großer Erfolg beim Publikum, bald jedoch meldeten Kritiker ernste ästhetische Bedenken an: der Brahms-Freund Eduard Hanslick zum Beispiel war der Ansicht, dass die "besseren Nummern" der Oper ihre Vorbilder bei Verdi hätten, der Komponist also lediglich ein Epigone sei. Auch die Geschichte selbst - das Textbuch, das auf ein Drama von Victor Hugo zurückgeht, stammt von Arrigo Boito (dem späteren Librettisten von Verdis "Falstaff") - konnte der Kritiker nicht goutieren: Barnaba, ein Denunziant, will die Straßensängerin Gioconda für sich gewinnen. Die allerdings liebt Enzo Grimaldo, einen aus Venedig verbannten Edelmann, der wiederum in Laura verliebt ist, die leider unglücklich mit dem venezianischen Patrizier Alvise verheiratet wurde. Am Ende dieses "grausigen Intriguengespinstes" verzichtet Gioconda zugunsten ihrer Rivalin Laura auf Enzo, weil diese einst ihre blinde, der Hexerei bezichtigte Mutter vor dem wütenden Mob errettete. Was der Heldin bleibt, ist der Freitod, mit dem dieses Spektakel voller Mord und Dolch sein dramatisches Ende findet.
Im Repertoire behaupten konnte sich diese Oper nie, doch von Zeit zu Zeit wird sie an großen Häusern neu inszeniert. Jetzt ist das Werk aus dem "Reich der effektvollen Unwahrscheinlichkeit" (Hanslick) bei den Salzburger Osterfestspielen zu erleben, und Oliver Mears' Deutung, die, wie der Regisseur in einem Interview sagte, "so zugänglich wie möglich" sein will, wird auch von der Greek National Opera und dem Royal Opera House in London übernommen.
Um die Sprunghaftigkeiten im Charakter der Titelfigur zu erklären, die bald nach Rache dürstet und bald alle eigenen Wünsche edel hintanstellt, konstruiert Mears eine düstere Vorgeschichte. Er wittert einen schlimmen Fall des Kindesmissbrauchs. Davon erzählt im dritten Akt zum berühmten "Tanz der Stunden" die Ballett-Einlage auf dem Ball im Goldenen Palast. Gioconda wird nach dem Tod des Vaters von der eigenen Mutter in der Not zur Prostitution angeboten, unter anderem auch Barnaba, der seither vollkommen auf sie fixiert zu sein scheint. Gioconda weist seit dieser Erfahrung alle Männer brüsk zurück und rammt am Ende sogar ihrem Gastgeber Alvise (Tareq Nazmi) das Messer in den Leib. Doch mehr als ein greller Effekt zu einer steilen These ist dieser Einfall kaum.
Dass der Regisseur sich dafür entschieden hat, die Handlung, die er doch psychologisch glaubhaft erzählen will, zwar in Venedig zu belassen, sie aber vom 17. Jahrhundert in unsere Gegenwart zu verlegen, macht die ganze Geschichte nicht plausibler. Im Gegenteil: Was in einem historischen Milieu noch hingenommen werden könnte (dass der Inquisitor zum Beispiel durch seine Machtstellung die wütende Menge vom Lynchmord an Giocondas Mutter abhält), erscheint als krass unglaubhaft, wenn ein Herr im Straßenanzug einige Choristen ermahnt, die sich als geschmacklos gekleidete Massentouristen (Kostüme: Annemarie Woods) im historischen Gemäuer Venedigs umtun (Bühne: Philipp Fürhofer). Szenisch ist dieser Rettungsversuch der "Gioconda" gründlich misslungen.
So ist es jetzt in Salzburg wie beinahe immer, wenn diese Oper gegeben wird: Was bleibt, ist die Musik, üppige Melodien, effektvolle Tableaus und große Arien. Wie also steht es damit im Großen Festspielhaus? Unter der Leitung von Antonio Pappano konnte das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit seiner jugendlichen Musizierlust, die bei dramatischen Ausbrüchen mitunter grobschlächtig laut wurde, den Mangel an Farben und artikulatorischer Prägnanz nicht ganz wettmachen.
Flirrender, klangsinnlicher hätte man sich etwa die Geigen in der kurzen Orchestereinleitung zu Enzos Arie "Cielo e mar" gewünscht, der Jonas Kaufmann den tenoralen Glanz schuldig blieb. Wie von Mehltau belegt, wirkte seine Stimme am Premierenabend, sodass man die nervöse Fiebrigkeit, mit der er seine Geliebte Laura herbeisehnt, kaum spürte. Eve-Maud Hubeaux gab diese Partie überzeugend mit schlankem, in der Tiefe nicht zu üppigem Mezzosopran, der schön mit der Altstimme von Agnieszka Rehlis in der Rolle von Giocondas Mutter harmonierte. Als dräuender Bösewicht bewährte sich Luca Salsi in der Rolle des Barnaba mit kernigem, dunkel grundiertem, immer klar geführtem Bariton, der seine große Finsterlings-Arie "O monumento" mit düsterem Nachdruck zu gestalten wusste.
Nur Anna Netrebko gelangte in der Titelpartie zu einer noch intensiveren Darstellung. Mag sein, dass Maria Callas in ihren Aufnahmen (1952/59) die seelische Zerrissenheit der Figur mit viel rückhaltloserer Leidenschaft offenlegte. Dennoch ist Netrebkos Leistung stimmlich wie darstellerisch überwältigend. Ihr Sopran, der an Tiefe noch gewonnen hat, ohne die geschmeidige Höhe einzubüßen, die noch immer ohne jede Schärfe oder unschöne Härte auskommt, flutet warm und weich auch im Piano den Saal und überstrahlt auch die tumultuösesten Massenszenen wie ein leuchtender Goldstreif den dunklen Horizont. Zudem gebietet die Sängerin über den nötigen Tonumfang von beinahe zwei Oktaven, der für ihre große Arie "Suicidio!" im vierten Akt nötig ist. Wenn Gioconda noch einmal an eine bessere Vergangenheit denkt, so wird dieses Erinnerungsglück in der leichten Höhe von Netrebkos Stimme ebenso ahnbar wie gleich darauf die inneren Kämpfe mit den "Flammen der Leidenschaft". Fahl und resignativ erklingt am Ende die trostlose Einsicht, ausgebrannt zu sein und ins Finstere zu stürzen.
Doch derart viel weibliche Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft scheint dem Regisseur nicht recht geheuer zu sein. Und so ersticht Gioconda in Salzburg nicht sich selbst, sondern wie zuvor schon Alvise nun auch Barnaba. Zwei männliche Leichen also anstatt einer toten Heldin. Was für ein Fortschritt!
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erfolgreiche Rückkehr: Anna Netrebko ist umwerfend als "La Gioconda" bei den Osterfestspielen.
Von Christian Gohlke, Salzburg
Die Uraufführung von Amilcare Ponchiellis "La Gioconda" war 1876 in Mailand zwar ein großer Erfolg beim Publikum, bald jedoch meldeten Kritiker ernste ästhetische Bedenken an: der Brahms-Freund Eduard Hanslick zum Beispiel war der Ansicht, dass die "besseren Nummern" der Oper ihre Vorbilder bei Verdi hätten, der Komponist also lediglich ein Epigone sei. Auch die Geschichte selbst - das Textbuch, das auf ein Drama von Victor Hugo zurückgeht, stammt von Arrigo Boito (dem späteren Librettisten von Verdis "Falstaff") - konnte der Kritiker nicht goutieren: Barnaba, ein Denunziant, will die Straßensängerin Gioconda für sich gewinnen. Die allerdings liebt Enzo Grimaldo, einen aus Venedig verbannten Edelmann, der wiederum in Laura verliebt ist, die leider unglücklich mit dem venezianischen Patrizier Alvise verheiratet wurde. Am Ende dieses "grausigen Intriguengespinstes" verzichtet Gioconda zugunsten ihrer Rivalin Laura auf Enzo, weil diese einst ihre blinde, der Hexerei bezichtigte Mutter vor dem wütenden Mob errettete. Was der Heldin bleibt, ist der Freitod, mit dem dieses Spektakel voller Mord und Dolch sein dramatisches Ende findet.
Im Repertoire behaupten konnte sich diese Oper nie, doch von Zeit zu Zeit wird sie an großen Häusern neu inszeniert. Jetzt ist das Werk aus dem "Reich der effektvollen Unwahrscheinlichkeit" (Hanslick) bei den Salzburger Osterfestspielen zu erleben, und Oliver Mears' Deutung, die, wie der Regisseur in einem Interview sagte, "so zugänglich wie möglich" sein will, wird auch von der Greek National Opera und dem Royal Opera House in London übernommen.
Um die Sprunghaftigkeiten im Charakter der Titelfigur zu erklären, die bald nach Rache dürstet und bald alle eigenen Wünsche edel hintanstellt, konstruiert Mears eine düstere Vorgeschichte. Er wittert einen schlimmen Fall des Kindesmissbrauchs. Davon erzählt im dritten Akt zum berühmten "Tanz der Stunden" die Ballett-Einlage auf dem Ball im Goldenen Palast. Gioconda wird nach dem Tod des Vaters von der eigenen Mutter in der Not zur Prostitution angeboten, unter anderem auch Barnaba, der seither vollkommen auf sie fixiert zu sein scheint. Gioconda weist seit dieser Erfahrung alle Männer brüsk zurück und rammt am Ende sogar ihrem Gastgeber Alvise (Tareq Nazmi) das Messer in den Leib. Doch mehr als ein greller Effekt zu einer steilen These ist dieser Einfall kaum.
Dass der Regisseur sich dafür entschieden hat, die Handlung, die er doch psychologisch glaubhaft erzählen will, zwar in Venedig zu belassen, sie aber vom 17. Jahrhundert in unsere Gegenwart zu verlegen, macht die ganze Geschichte nicht plausibler. Im Gegenteil: Was in einem historischen Milieu noch hingenommen werden könnte (dass der Inquisitor zum Beispiel durch seine Machtstellung die wütende Menge vom Lynchmord an Giocondas Mutter abhält), erscheint als krass unglaubhaft, wenn ein Herr im Straßenanzug einige Choristen ermahnt, die sich als geschmacklos gekleidete Massentouristen (Kostüme: Annemarie Woods) im historischen Gemäuer Venedigs umtun (Bühne: Philipp Fürhofer). Szenisch ist dieser Rettungsversuch der "Gioconda" gründlich misslungen.
So ist es jetzt in Salzburg wie beinahe immer, wenn diese Oper gegeben wird: Was bleibt, ist die Musik, üppige Melodien, effektvolle Tableaus und große Arien. Wie also steht es damit im Großen Festspielhaus? Unter der Leitung von Antonio Pappano konnte das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit seiner jugendlichen Musizierlust, die bei dramatischen Ausbrüchen mitunter grobschlächtig laut wurde, den Mangel an Farben und artikulatorischer Prägnanz nicht ganz wettmachen.
Flirrender, klangsinnlicher hätte man sich etwa die Geigen in der kurzen Orchestereinleitung zu Enzos Arie "Cielo e mar" gewünscht, der Jonas Kaufmann den tenoralen Glanz schuldig blieb. Wie von Mehltau belegt, wirkte seine Stimme am Premierenabend, sodass man die nervöse Fiebrigkeit, mit der er seine Geliebte Laura herbeisehnt, kaum spürte. Eve-Maud Hubeaux gab diese Partie überzeugend mit schlankem, in der Tiefe nicht zu üppigem Mezzosopran, der schön mit der Altstimme von Agnieszka Rehlis in der Rolle von Giocondas Mutter harmonierte. Als dräuender Bösewicht bewährte sich Luca Salsi in der Rolle des Barnaba mit kernigem, dunkel grundiertem, immer klar geführtem Bariton, der seine große Finsterlings-Arie "O monumento" mit düsterem Nachdruck zu gestalten wusste.
Nur Anna Netrebko gelangte in der Titelpartie zu einer noch intensiveren Darstellung. Mag sein, dass Maria Callas in ihren Aufnahmen (1952/59) die seelische Zerrissenheit der Figur mit viel rückhaltloserer Leidenschaft offenlegte. Dennoch ist Netrebkos Leistung stimmlich wie darstellerisch überwältigend. Ihr Sopran, der an Tiefe noch gewonnen hat, ohne die geschmeidige Höhe einzubüßen, die noch immer ohne jede Schärfe oder unschöne Härte auskommt, flutet warm und weich auch im Piano den Saal und überstrahlt auch die tumultuösesten Massenszenen wie ein leuchtender Goldstreif den dunklen Horizont. Zudem gebietet die Sängerin über den nötigen Tonumfang von beinahe zwei Oktaven, der für ihre große Arie "Suicidio!" im vierten Akt nötig ist. Wenn Gioconda noch einmal an eine bessere Vergangenheit denkt, so wird dieses Erinnerungsglück in der leichten Höhe von Netrebkos Stimme ebenso ahnbar wie gleich darauf die inneren Kämpfe mit den "Flammen der Leidenschaft". Fahl und resignativ erklingt am Ende die trostlose Einsicht, ausgebrannt zu sein und ins Finstere zu stürzen.
Doch derart viel weibliche Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft scheint dem Regisseur nicht recht geheuer zu sein. Und so ersticht Gioconda in Salzburg nicht sich selbst, sondern wie zuvor schon Alvise nun auch Barnaba. Zwei männliche Leichen also anstatt einer toten Heldin. Was für ein Fortschritt!
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