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Lazaretto - White,Jack
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Produktdetails
Trackliste
LP (Vinyl)
1Three Women00:03:57
2Lazaretto00:03:39
3Temporary Ground00:03:12
4Would You Fight For My Love?00:04:08
5High Ball Stepper00:03:53
6Just One Drink00:02:36
7Alone In My Home00:03:26
8That Black Bat Licorice00:03:50
9Entitlement00:04:07
10I Think I Found The Culprit00:03:49
11Want and Able00:02:34
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Hör auf den Totenvogelruf, den Schluckauf des Honkytonk-Pianos!
Du trinkst Wasser, ich trinke Sprit: Jack Whites zweites Soloalbum glänzt mit Vielfalt und Entschlossenheit

Als jüngstes von zehn Kindern ist Jack White, Jahrgang 1975, in der Industrieruinenstadt Detroit aufgewachsen - der Benjamin der Bande, also etwas besonders Schützenswertes, andererseits aber auch das Endglied einer langen Traditionskette. Für ein zehntes Kind ist die Welt ja voller älterer Bruder- und Schwesterautoritäten. So wird man naturgemäß ein narzisstischer Traditionalist, mit anderen Worten: ein Bluesrocker, bei dem eine sensible Seele hinter den Power-Akkorden wohnt.

"Lazaretto" - der Titel von Whites zweitem Soloalbum nach dem umjubelten "Blunderbuss" - klingt halb nach einer neuen Eiscremekreation, halb nach einer erlesenen Form von Krankenhaus. Die Wortgeschichte verweist auf die Seemannsquarantänestationen, in denen einst vor Venedig die ansteckenden Fälle verwahrt wurden. Jack White in Liebesquarantäne? Es wird jetzt viel gemunkelt von der Scheidungskrise und den Frauenproblemen eines kreativen Egomanen und dem Elend, das darin besteht, dass Dan Auerbach von den Black Keys gerade ebenfalls seine Scheidung musikalisch verarbeitet - für White (sensible Seele!) ist Auerbach ja in jeder Hinsicht ein Plagiator.

Die Songtexte von "Lazaretto" beweisen jedenfalls einen gewissen Leidensdruck und eine Schuldzuweisungsbereitschaft: "You drink water / I drink gasoline / One of us is happy / One of us is mean" - eine Variation auf Howlin' Wolfs scharfe Zeile "I asked for water / You gave me gasoline". Noch schöner: "I think I found the culprit / It looks like you, it must be you." Klar, schuldig fühlt man sich selbst, Schuld hat aber immer der andere.

Man sollte diese Schmerzlichkeit jedoch nicht zu ernst nehmen; sie widerspricht dem entspannten, oft sehr augenzwinkernden Charakter der Musik. Breites Schmunzeln stellt sich ein, wenn im Titelstück - cooler, satter Riffrock mit bewährten Led-Zeppelin-Anklängen - genau dann, wenn man ein Gitarrensolo erwartet, stattdessen zwei wild gewordene Geigen aufspielen, eine "two fiddle attack", wie sie in diesem Moment der abgeklärteste Hörer nicht auf der Rechnung hat. Avancierte Popkritiker mögen sich nun nicht mehr über Gegniedel, sondern über Gefiedel beschweren.

Vor einigen Jahren gab es die Gitarristendokumentation "It Might Get Loud"; ihre Helden waren nicht die notorischen Virtuosen, nicht Steve Vai oder Steve Morse, sondern Pioniere der Lautstärke: Urgestein Jimmy Page, der um 1970 das Gitarrenriff zur Wuchtbrumme steigerte, The Edge von U2, der mit gewaltigen Sound- und Hall-Apparaturen ein simples Arpeggio in schwellenden Stadionrock überführt, und eben Jack White, der sich mit dem Rohen und nicht mit dem Ausgekochten einen Namen gemacht hat, nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit des Instruments im Sinn. Beeindruckt konnte man zuschauen, wie er zwischen grasenden Kühen aus primitiven Zutaten eine rudimentäre einsaitige E-Gitarre zusammenhämmerte und damit gleich munter drauflosmuhte. Als Musiker, Bandleader, Produzent, Labelchef und Ladenbesitzer von Third Man Records hat sich White zu einem der wichtigsten Hüter der Tradition entwickelt: Blues fürs 21. Jahrhundert, dazu und inzwischen aber auch ein breites Spektrum von Americana.

"Lazaretto" beginnt mit einer aufgepeppten Version von Blind Willie McTells "Three Women Blues" - aus dem Jahr 1928. Zum Liebling der Popkritik wurde White dadurch, dass er sich nicht als Bürgermeister des Blues geriert wie der ältere Clapton, sondern das Archaische ganz unzottelig-jugendfrisch präsentiert und mit stilsicherem Design verbindet. Die anfangs rot-weißen, jetzt blau-schwarzen Inszenierungen der Alben, Musikerporträts und Bühnendekorationen sprechen eine Sprache, die man in den maßgeblichen Magazinen versteht. Jack White ist der Johnny Depp der Rockmusik.

Vom Lo-Fi-Primitivismus der White Stripes, auch vom Heavy-Blues-Getöse seiner Supergroup Dead Weather entfernt sich White bei seinen Soloalben jedoch zunehmend: "Lazaretto" ist über weite Strecken von kammermusikalischer Feinheit, ein Umspannwerk für die urwüchsige Energie und den Furor, mit dem dieser Musiker 1999 seinen Platz in der ausdifferenzierten Rockmusiklandschaft beanspruchte. Das Album bietet einerseits bewährte Kost, andererseits aber auch genug Ecken, Kanten und eigenwillige Hinhörmomente. Die schweren Siebziger-Sounds von Hammondorgel, Moog und Clavinet wechseln mit luftigen, ganz unbräsigen Country- und Bluegrass-Tönen, akustischen Gitarren, Mandolinengezirp, dem zarten Hintergrundgesang von Lillie Mae Rische und Ruby Amanfu.

"Alone in My Home" ist geprägt von einer zauberhaften, spieluhrhaften Pianomelodie. Mit diesem Song über die "lost feelings of love" bleibt man zu Hause nicht allein, es ist ein Lieblingslied für die ganze Familie. Sehr schön auch "Just One Drink", ein Country-Rocker, wie ihn die Rolling Stones seit vierzig Jahren leider nicht mehr hinkriegen; auf "Exile On Main St." hätte er gute Figur gemacht. "I Think I Found the Culprit" zeigt Whites Talent, aus konventionellstem Material ein spannendes Stück zu machen: in der Hauptsache die Wiederholung der Akkordfolge e-Moll, G-Dur, D-Dur, A-Dur, und doch ist das Lied durch Stop-and-go-Rhetorik, Wechsel in Dynamik und Lautstärke voller Spannung. Dazu, mit abgedämpften Saiten, ein kleines, geschrubbtes Intro auf der akustischen Gitarre und die Melodielinie von der Pedal-Steel dezent mitgejodelt.

Das längste Stück dieses erstaunlich südstaatlichen, durch souveräne Stilvielfalt und sorgfältige Produktion überzeugenden Albums ist "High Ball Stepper", ein Instrumental mit Morricone-Ehrgeiz, das sich als Filmmusik für einen ausgedörrten Spaghettiwestern oder eine Tarantino-Schlachtplatte empfiehlt. Das minimalistische Hauptmotiv wirkt wie ein kurioser Totenvogelruf, es folgt ein Schluckauf des Honkytonk-Pianos (lustig!), schließlich brutzelt und brüllt ausgiebig Whites verzerrte Gitarre, als wäre der bestellte Whiskey seit Wochen überfällig.

Wer es nachspielen will: In Whites "Third Man-Records"-Laden gibt es nicht nur die alte Telefonzelle, die jüngst zur Aufnahmestation für ein merkwürdiges Neil-Young-Album wurde ("A Letter Home"), sondern auch das Bumble-Buzz-Effektgerät, mit dem sich solche fetten Fuzzsounds produzieren lassen. Auf nach Nashville!

WOLFGANG SCHNEIDER.

Jack White: Lazaretto. Third Man Records 5002683 XL Recordings

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