Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 5. April 2013
- Hersteller: Edel Music & Entertainment GmbH / ACT,
- EAN: 0614427903013
- Artikelnr.: 37179057
LP 1 | |||
1 | Lento | 00:03:04 | |
2 | Lament | 00:03:40 | |
3 | Hurt | 00:05:22 | |
4 | Empty dream | 00:04:20 | |
5 | Momento magico | 00:05:32 | |
6 | |||
7 | |||
8 | |||
9 | |||
10 | |||
11 | |||
LP 2 | |||
1 | Soundless bye | 00:03:44 | |
2 | Full circle | 00:03:36 | |
3 | Ghost riders in the sky | 00:04:58 | |
4 | Waiting | 00:03:30 | |
5 | Arirang | 00:04:25 | |
6 | New dawn | 00:03:42 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2013Was sie anfasst, wird zu Jazz
In Frankreich ein Star, in Deutschland entdeckt: die koreanische Sängerin Youn Sun Nah
Ihre Musik wirkt weiträumig und frei, sie lässt viel Luft. Ein ungewöhnlich klarer, schlanker Sound.
Eines Tages, sie war gerade aus Korea nach Paris eingewandert, suchte Youn Sun Nah die Boxen ihrer Stereoanlage ab und prüfte Kabel. Da lief etwas, das sie noch nie gehört hatte: Tom Waits. "Ich war sicher, dass meine Anlage kaputt ist. So kann man doch nicht singen!", sagt sie.
Youn Sun Nah ist voll von solchen Anekdoten. Seit noch nicht einmal zwanzig Jahren lebt sie im Westen, von dem Eintritt ins Wunderland schwärmt diese Alice aber noch heute. Damals will sie ihrem Lehrer einmal gesagt haben: Ich gebe auf und fahre zurück nach Korea. "Ich hatte Billie Holiday gehört und dachte damals, man braucht so eine tiefe, rauhe Stimme, sonst ist es kein Jazz", erklärt sie. "Ich dachte also, ich kann keinen Jazz." Sie kann aber doch. Und wie. Auch wenn die Mär von einem weiblichen Kaspar Hauser des Jazz, mag sie auch wahr sein, etwas übertrieben wirkt. Sie beweist ja nur eins: Jazz ist eine Weltsprache wie Englisch oder HTML. Aber Youn Sun Nah ist das Jazzwunder dieser Saison.
Auf Youtube kann man ein Video sehen, da steht sie allein auf der Bühne mit nichts als einem Mikrofon und einer Loop-Station. Einem Gerät also, das einmal Eingesungenes auf Knopfdruck immer wieder spielt. Die kleinen Kisten sind im Moment das Lieblingsspielzeug von etwa dem Spaß-DJ Erobique. Bei einer höflichen Jazzerin aus Fernost wurden sie noch nie gesehen. Youn Sun Nah singt also mit sich selbst, sie scattet, schnalzt und knarrt, sie begleitet sich, summt und pfeift, aus dem Nichts entsteht da ein Glaspalast aus Gesang. So etwas kann schrecklich gewollt werden. Nur, wie sie es macht, ist es phantastisch. Man möchte, dass es immer weitergeht.
Diese Frau ist, endlich, der Schlusspunkt unter ein Elend mit den Jazzsängerinnen, das schon lang andauert. Millionenfach verkaufte sich Norah Jones' erstes Album vor zehn Jahren und sagte der Welt: Jazz ist, wenn eine Frau seicht und warm singt, ohne dabei ein Risiko einzugehen. Daran haben sich fortan alle gehalten. So genannte Jazzhoffnungen kamen und gingen, überraschend war keine. Die Norwegerin Rebekka Bakken landete beim Folk. Diana Krall ruht sich auf ihrem hohen Niveau aus. Silje Nergaard, Sidsel Endresen, Jane Monheit, alle waren solide und gut. Irgendetwas fehlte immer. Wo waren diese unendlich lang ausgehaltenen Noten von Shirley Bassey, wo das Gänsehaut-Vibrato von Sarah Vaughan, wo Ella Fitzgeralds Lässigkeit? Jazz war doch Wagnis gewesen.
Vielleicht mussten erst ein paar Dinge glücklich zusammenkommen, bis man daran nun wieder glauben kann. Die deutsche Plattenfirma Act, die in den vergangenen fünfzehn Jahren so viele Talente entdeckt hat wie niemand sonst. Und Ulf Wakenius, der schwedische Gitarrist, der jahrelang mit Oscar Peterson spielte, dessen weicher, bluesartiger Klang sich nie aufdrängt und viel Raum lässt. Das muss er auch für die Art von Musik. Ulf Wakenius und Youn Sun Nah spielen einen für den aktuellen Jazz ungewöhnlich klaren, schlanken Sound. Selten hört man überhaupt mehr als zwei Instrumente gleichzeitig. Diese Musik wirkt weiträumig und frei, sie lässt viel Luft. Das ist fast ECM-Jazz, aber ohne den spirituellen Einschlag.
"Ich möchte so einfach wie möglich klingen", sagt Youn Sun Nah. "Minimalistisch soll die Musik sein." Singt sie "My Favourite Things", den Swing-Klassiker aus dem Musical "The Sound of Music", hört man nur eine Stimme und dazu das immergleiche Muster von einer Kalimba, dem afrikanischen Mini-Instrument mit dem glockigen, märchenhaften Klang. Nach solchen Meditationen kann dann eine rasante Scat-Nummer folgen, wie "Momento Magical" vom neuen Album, ein rasendes Experiment mit Gitarre und Stimme. Verrücktheiten, wie sie zuletzt Chick Corea in den siebziger Jahren mit der Brasilianerin Flora Purim veranstaltet hat.
"Lento", die neue Platte von Youn Sun Nah, ist zwar im Studio entstanden, ist aber quasi ein Live-Album - es wurde in zwei Tagen aufgenommen, einige Nummern hat die Band vorher nie geübt. Es klingt, als wenn da ein paar hervorragende Musiker mit viel Spaß experimentiert hätten. Selbst an die durch Johnny Cash bekannte Countrynummer "Ghost Riders in the Sky" wagen sie sich, einen Song, zu dem man sich nicht gerade eine zierliche Sängerin denkt. Die lässt mit herber Stimme den Old Cowboy unter zerfurchtem Himmel reiten, sie gibt alles, sie schreit. Haben wir nicht alle auf die neue Janis Joplin gewartet? Auch das kann endlich ein Ende haben.
Die 43-Jährige hat in Seoul in der Mode gearbeitet. Nebenbei schrieb sie sich bei einer Ausbildung zu Comedy und Musical ein. Singen gefiel ihr. Irgendwer sagte ihr, sie solle es mit Jazz versuchen. Youn Sun Nah wusste nicht, was das ist. Erst in Paris, wo sie seit 1995 lebt, hörte sie zum ersten Mal Miles Davis und John Coltrane. Die derzeit interessanteste Jazzsängerin der Welt hat erst mit Ende zwanzig die Musik kennengelernt, der sie nun neues Leben gibt.
Wenn die Franzosen "Charlie Parker" sagten, klang es wie "Scharli Pakehr", Youn Sun Nah verstand schon wieder nichts. "Ich war wie ein Schwamm. Ich nahm einfach alles auf, sagte alles nach." Sie spielte mit Deutschen, Iren, Israelis, sang Schwedisch und hin und wieder Folklore aus ihrer Heimat. Der Eklektizismus wurde ein Teil von Youn Sun Nah. Bis heute singt sie alles, aber alles wird bei ihr zu Jazz. Auch eine Nummer der Nine Inch Nails, etwa, auf der neuen Platte.
In ihrer Wahlheimat Frankreich spricht sie in Talkshows und ist auf Magazin-Titelseiten abgedruckt. Dort verkaufte sie mehr als hunderttausend Alben, das ist sehr viel für Jazz, auf diesem Niveau verkauft in Deutschland Max Raabe. Sie hat mit Wynton Marsalis in New York gespielt, sie hat alle großen Jazzpreise bekommen. Jetzt werden die Deutschen sie entdecken - das neue Album ist erst wenige Tage auf dem Markt und führt schon alle Jazz-Charts an.
Youn Sun Nahs Erfolg passt auch zum rasanten Aufstieg Südkoreas als Kulturnation. Da war der Technopop "Gangnam Style", der Ende 2012 das meistgesehene Youtube-Video der Geschichte wurde. Und die meisten Smartphones verkauft nicht Apple, sondern die koreanische Firma Samsung. In den Szenevierteln Berlins sind plötzlich die koreanischen Restaurants angekommen. Und die 20-jährige Hyeyoon Park spielt Beethovens Violinsonaten kraftvoll und farbig wie lange niemand. Eine Nation, kaum so groß wie das alte Westdeutschland, erobert die Welt. Youn Sun Nah glaubt, das Geheimnis sei die gute Laune: "Die Koreaner sind die Südamerikaner Asiens. Wir singen gern, wir tanzen gern, wir betrinken uns."
Auch wenn das alles gar nicht zu dem kühlen Tom Waits passt - heute liebt sie die Musik, die sie damals nicht verstand. "Seine Stimme klingt wie ein Instrument, nicht wie ein Mensch." Genau das ist auch zu ihrem Konzept geworden: "Eine Stimme sollte untergehen und verschwinden in der Musik. Ich mag es nicht, wenn sich eine nach vorn drängt, wie das viele Sängerinnen heute tun. Das ist nicht Jazz."
Man kann das anders sehen als diese faszinierende Südkoreanerin. Aber ihr Jazz ist ein großartiger Jazz. So viel hat sie bewiesen.
THOMAS LINDEMANN
Youn Sun Nah: Lento (Act)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Frankreich ein Star, in Deutschland entdeckt: die koreanische Sängerin Youn Sun Nah
Ihre Musik wirkt weiträumig und frei, sie lässt viel Luft. Ein ungewöhnlich klarer, schlanker Sound.
Eines Tages, sie war gerade aus Korea nach Paris eingewandert, suchte Youn Sun Nah die Boxen ihrer Stereoanlage ab und prüfte Kabel. Da lief etwas, das sie noch nie gehört hatte: Tom Waits. "Ich war sicher, dass meine Anlage kaputt ist. So kann man doch nicht singen!", sagt sie.
Youn Sun Nah ist voll von solchen Anekdoten. Seit noch nicht einmal zwanzig Jahren lebt sie im Westen, von dem Eintritt ins Wunderland schwärmt diese Alice aber noch heute. Damals will sie ihrem Lehrer einmal gesagt haben: Ich gebe auf und fahre zurück nach Korea. "Ich hatte Billie Holiday gehört und dachte damals, man braucht so eine tiefe, rauhe Stimme, sonst ist es kein Jazz", erklärt sie. "Ich dachte also, ich kann keinen Jazz." Sie kann aber doch. Und wie. Auch wenn die Mär von einem weiblichen Kaspar Hauser des Jazz, mag sie auch wahr sein, etwas übertrieben wirkt. Sie beweist ja nur eins: Jazz ist eine Weltsprache wie Englisch oder HTML. Aber Youn Sun Nah ist das Jazzwunder dieser Saison.
Auf Youtube kann man ein Video sehen, da steht sie allein auf der Bühne mit nichts als einem Mikrofon und einer Loop-Station. Einem Gerät also, das einmal Eingesungenes auf Knopfdruck immer wieder spielt. Die kleinen Kisten sind im Moment das Lieblingsspielzeug von etwa dem Spaß-DJ Erobique. Bei einer höflichen Jazzerin aus Fernost wurden sie noch nie gesehen. Youn Sun Nah singt also mit sich selbst, sie scattet, schnalzt und knarrt, sie begleitet sich, summt und pfeift, aus dem Nichts entsteht da ein Glaspalast aus Gesang. So etwas kann schrecklich gewollt werden. Nur, wie sie es macht, ist es phantastisch. Man möchte, dass es immer weitergeht.
Diese Frau ist, endlich, der Schlusspunkt unter ein Elend mit den Jazzsängerinnen, das schon lang andauert. Millionenfach verkaufte sich Norah Jones' erstes Album vor zehn Jahren und sagte der Welt: Jazz ist, wenn eine Frau seicht und warm singt, ohne dabei ein Risiko einzugehen. Daran haben sich fortan alle gehalten. So genannte Jazzhoffnungen kamen und gingen, überraschend war keine. Die Norwegerin Rebekka Bakken landete beim Folk. Diana Krall ruht sich auf ihrem hohen Niveau aus. Silje Nergaard, Sidsel Endresen, Jane Monheit, alle waren solide und gut. Irgendetwas fehlte immer. Wo waren diese unendlich lang ausgehaltenen Noten von Shirley Bassey, wo das Gänsehaut-Vibrato von Sarah Vaughan, wo Ella Fitzgeralds Lässigkeit? Jazz war doch Wagnis gewesen.
Vielleicht mussten erst ein paar Dinge glücklich zusammenkommen, bis man daran nun wieder glauben kann. Die deutsche Plattenfirma Act, die in den vergangenen fünfzehn Jahren so viele Talente entdeckt hat wie niemand sonst. Und Ulf Wakenius, der schwedische Gitarrist, der jahrelang mit Oscar Peterson spielte, dessen weicher, bluesartiger Klang sich nie aufdrängt und viel Raum lässt. Das muss er auch für die Art von Musik. Ulf Wakenius und Youn Sun Nah spielen einen für den aktuellen Jazz ungewöhnlich klaren, schlanken Sound. Selten hört man überhaupt mehr als zwei Instrumente gleichzeitig. Diese Musik wirkt weiträumig und frei, sie lässt viel Luft. Das ist fast ECM-Jazz, aber ohne den spirituellen Einschlag.
"Ich möchte so einfach wie möglich klingen", sagt Youn Sun Nah. "Minimalistisch soll die Musik sein." Singt sie "My Favourite Things", den Swing-Klassiker aus dem Musical "The Sound of Music", hört man nur eine Stimme und dazu das immergleiche Muster von einer Kalimba, dem afrikanischen Mini-Instrument mit dem glockigen, märchenhaften Klang. Nach solchen Meditationen kann dann eine rasante Scat-Nummer folgen, wie "Momento Magical" vom neuen Album, ein rasendes Experiment mit Gitarre und Stimme. Verrücktheiten, wie sie zuletzt Chick Corea in den siebziger Jahren mit der Brasilianerin Flora Purim veranstaltet hat.
"Lento", die neue Platte von Youn Sun Nah, ist zwar im Studio entstanden, ist aber quasi ein Live-Album - es wurde in zwei Tagen aufgenommen, einige Nummern hat die Band vorher nie geübt. Es klingt, als wenn da ein paar hervorragende Musiker mit viel Spaß experimentiert hätten. Selbst an die durch Johnny Cash bekannte Countrynummer "Ghost Riders in the Sky" wagen sie sich, einen Song, zu dem man sich nicht gerade eine zierliche Sängerin denkt. Die lässt mit herber Stimme den Old Cowboy unter zerfurchtem Himmel reiten, sie gibt alles, sie schreit. Haben wir nicht alle auf die neue Janis Joplin gewartet? Auch das kann endlich ein Ende haben.
Die 43-Jährige hat in Seoul in der Mode gearbeitet. Nebenbei schrieb sie sich bei einer Ausbildung zu Comedy und Musical ein. Singen gefiel ihr. Irgendwer sagte ihr, sie solle es mit Jazz versuchen. Youn Sun Nah wusste nicht, was das ist. Erst in Paris, wo sie seit 1995 lebt, hörte sie zum ersten Mal Miles Davis und John Coltrane. Die derzeit interessanteste Jazzsängerin der Welt hat erst mit Ende zwanzig die Musik kennengelernt, der sie nun neues Leben gibt.
Wenn die Franzosen "Charlie Parker" sagten, klang es wie "Scharli Pakehr", Youn Sun Nah verstand schon wieder nichts. "Ich war wie ein Schwamm. Ich nahm einfach alles auf, sagte alles nach." Sie spielte mit Deutschen, Iren, Israelis, sang Schwedisch und hin und wieder Folklore aus ihrer Heimat. Der Eklektizismus wurde ein Teil von Youn Sun Nah. Bis heute singt sie alles, aber alles wird bei ihr zu Jazz. Auch eine Nummer der Nine Inch Nails, etwa, auf der neuen Platte.
In ihrer Wahlheimat Frankreich spricht sie in Talkshows und ist auf Magazin-Titelseiten abgedruckt. Dort verkaufte sie mehr als hunderttausend Alben, das ist sehr viel für Jazz, auf diesem Niveau verkauft in Deutschland Max Raabe. Sie hat mit Wynton Marsalis in New York gespielt, sie hat alle großen Jazzpreise bekommen. Jetzt werden die Deutschen sie entdecken - das neue Album ist erst wenige Tage auf dem Markt und führt schon alle Jazz-Charts an.
Youn Sun Nahs Erfolg passt auch zum rasanten Aufstieg Südkoreas als Kulturnation. Da war der Technopop "Gangnam Style", der Ende 2012 das meistgesehene Youtube-Video der Geschichte wurde. Und die meisten Smartphones verkauft nicht Apple, sondern die koreanische Firma Samsung. In den Szenevierteln Berlins sind plötzlich die koreanischen Restaurants angekommen. Und die 20-jährige Hyeyoon Park spielt Beethovens Violinsonaten kraftvoll und farbig wie lange niemand. Eine Nation, kaum so groß wie das alte Westdeutschland, erobert die Welt. Youn Sun Nah glaubt, das Geheimnis sei die gute Laune: "Die Koreaner sind die Südamerikaner Asiens. Wir singen gern, wir tanzen gern, wir betrinken uns."
Auch wenn das alles gar nicht zu dem kühlen Tom Waits passt - heute liebt sie die Musik, die sie damals nicht verstand. "Seine Stimme klingt wie ein Instrument, nicht wie ein Mensch." Genau das ist auch zu ihrem Konzept geworden: "Eine Stimme sollte untergehen und verschwinden in der Musik. Ich mag es nicht, wenn sich eine nach vorn drängt, wie das viele Sängerinnen heute tun. Das ist nicht Jazz."
Man kann das anders sehen als diese faszinierende Südkoreanerin. Aber ihr Jazz ist ein großartiger Jazz. So viel hat sie bewiesen.
THOMAS LINDEMANN
Youn Sun Nah: Lento (Act)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main