Lieblingsfarben und Tiere heisst das neue Album von Element of Crime. Das Schöne: alles wie immer. Das noch Schönere: doch nicht. Alles wie immer: Perfekt komponierte Songs, dessen Perfektion beiläufig und naturgegeben klingt. Präzis gespielte, rumpelde Balladen, als träte Bob Dylan mit Band auf einer Kleinstadtkirmes auf. Walzerartige, aus der Ferne mexikanisch klingende Stücke, bei denen die Musiker hoffentlich weiße Cowboyhüte tragen. Und wie immer Texte, die nur jemandem einfallen können, der nebenbei ein großer Schriftsteller ist und weiß: seit 200 Jahren müssen die wahren Romantiker mit jedem Satz den Krieg gegen die Sentimentalität gewinnen. Mit Worten das mit Worten Unsagbare sagen. Abgegriffene Münzen mkt dem richtigen Dreh zum Glänzen bringen. Und alles ist auch ganz anders? Nicht ganz, aber doch: Die Instrumente befreien sich häufiger vom Zentrum des Songs, sie probieren mehr aus.
So klingen die Songs musikalisch komplexer, angenehm zerzauster als zuletzt, aber - Entwarnung - nie doof experimentell, falsch ambitioniert oder prätentiös. Es ist immer Element of Crime. Es ist immer die Musik, die Fans brauchen, wenn der Himmel grauer ist als erlaubt. Es sind immer die Songs, die die Angst oder das Nichts in ein elegantes Lächeln verwandeln.
So klingen die Songs musikalisch komplexer, angenehm zerzauster als zuletzt, aber - Entwarnung - nie doof experimentell, falsch ambitioniert oder prätentiös. Es ist immer Element of Crime. Es ist immer die Musik, die Fans brauchen, wenn der Himmel grauer ist als erlaubt. Es sind immer die Songs, die die Angst oder das Nichts in ein elegantes Lächeln verwandeln.
CD | |||
1 | Am Morgen danach | 00:03:42 | |
2 | Lieblingsfarben und Tiere | 00:04:14 | |
3 | Schade dass ich das nicht war | 00:02:31 | |
4 | Rette mich (vor mir selber) | 00:03:58 | |
5 | Liebe ist kälter als der Tod | 00:04:10 | |
6 | Schwert, Schild und Fahrrad | 00:04:46 | |
7 | Immer so weiter | 00:03:16 | |
8 | Dunkle Wolke | 00:03:47 | |
9 | Dieselben Sterne | 00:03:07 | |
10 | Wenn der Wolf schläft müssen alle Schafe ruhen | 00:03:44 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2014Fünfundfünfzig Wege in das Paradies
Ein Wagnis, ein Skandal, eine Zumutung ist dieses Stück! Deshalb gibt es Menschen, die Ludwig van Beethovens Chorfantasie op. 80 überhaupt nicht mögen. Dabei ist dieser Zwitter aus Klavierkonzert, Rhapsodie und Vokalsymphonie das allerkühnste unter seinen experimentellen Werken. Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes stellt das Stück jetzt ans Ende seiner Gesamteinspielung der konzertanten Werke für Klavier, die im Zuge einer weltweiten "Beethoven Journey" entstand, die Andsnes noch bis 2015 zusammen mit dem Mahler Chamber Orchestra unternimmt. Die Chorfantasie erscheint auf der CD (Sony) nicht von ungefähr nach dem parallel entstandenen Fünften Klavierkonzert: Andsnes interpretiert sie vielmehr als das eigentliche Finale eines gewaltigen viersätzigen Es-Dur-Konzerts. Das erinnert ein wenig an Ferruccio Busonis Klavierkonzert op. 39 (ebenso experimentell, ebenfalls mit Schlusschor). Bei Andsnes geht die Verkoppelung der beiden Beethoven-Werke auf, weil er beide konsequent entromantisiert und gerade das oft zur Symphonie mit obligatem Soloklavier aufgeblähte Fünfte Konzert von allem Bombast befreit. Das Ergebnis tönt streng klassisch, schnörkellos, formal ungewöhnlich stringent und technisch brillant, besitzt aber die gleiche Eisblumenschönheit wie die Bauten des Osloer Architektenbüros Snøhetta, das unter anderem die Norwegische Nationaloper errichtete. Ein nordischer Beethoven, dessen unerhörte Erfindungsgewalt frösteln machen kann.
wild
*
Lebenspralle, kerngesunde, wendige und kugelrunde Dinger sind die Mazurken op. 50, 56 und 59 von Frédéric Chopin. So glücklich wie seit seiner Kindheit nicht mehr sei ihr Komponist gewesen, als er sie zwischen 1842 und 1847 geschaffen habe, schreibt die Pianistin Janina Fialkowska im Beiheft zu ihrer Gesamteinspielung der Mazurken (Atma Classique/Musikwelt Tonträger Münster). Sie begreift sie als fünfundfünfzig Möglichkeiten, das Paradies zu betreten. Und dieses Paradies muss ein fröhliches Dorf sein mit würzigen Düften, die den Parfüms hinter den Ohrläppchen gut gewaschener Damen kaum ähneln. Fialkowska weiß genau, dass ein Staccato bei diesen polnischen Tänzen fürs Springen, ein Legato fürs Drehen steht. Artikulation ist hier eine Frage der Körperbewegung - und umgekehrt. Natürlich nimmt sie manchmal die nachdenkliche Distanz eines Menschen ein, der sich ans Springen und Drehen nur nostalgisch erinnert, statt es mitzumachen. Aber den Chopin, der "mit unendlicher Anmut zu husten verstand", wie es eine Pariser Salonière recht spitz formulierte, den hört man hier nicht. Dieser Chopin hat Kraft und stampft auch manchmal auf - nicht grob, aber herzhaft.
jbm.
*
Viele Pianisten ignorieren die gewichtige Klaviersonate es-Moll von Paul Dukas. Sie haben offenbar immer noch nicht mitbekommen, was ihnen entgeht. Die Zurückhaltung mag auch an den enormen Schwierigkeiten und den kolossalen Dimensionen des dreiviertelstündigen Werkes liegen. Dukas, Zeitgenosse von Gustav Mahler, Richard Strauss und Jean Sibelius, hat die viersätzige Sonate im Jahr 1900 komponiert. Sie beerbt Beethovens "Hammerklavier"- und Liszts h-Moll-Sonate, hält im Fahrwasser von César Franck aber auch Kontakt zum Impressionismuszauber des Dukas-Freundes Claude Debussy. Die dicht gearbeitete Musik schaut zurück ins alte und voraus ins neue Jahrhundert. Nach Marc-André Hamelins Aufnahme von 2006, die Maßstäbe setzte, legt nun der französische Pianist Laurent Wagschal eine weitere mustergültige Einspielung vor (timpani/Note 1). Er meistert den komplexen, fast orchestralen Klaviersatz manuell souverän und mit klugem Pedaleinsatz. Die "Rameau-Variationen", entstanden zwischen 1899 und 1902, eine Haydn-Hommage von 1909 und das atmosphärische "La Plainte, au loin, du Faune . . ." von 1920 vervollständigen das Bild des Klavierkomponisten Dukas.
wmg
*
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr klein, leg eine Platte von Element Of Crime ein (beziehungsweise auf), und alles andere - lass sein. Ungefähr so, so vorsätzlich windschief, mit herrlichen, den Liedvortrag verzögernden Zeilen- und Strophensprüngen reimt Sven Regener auf der neuen Platte "Lieblingsfarben und Tiere" (Vertigo/Universal), zehn wunderbare, nun geradezu handgreiflich am späten Bob Dylan orientierte Lieder, die etwas schlampig vor sich hin rumpeln, doch Regener trägt seine dem Alltag abgewonnene, sehr strapazierfähige Philosophie so warm und unprätentiös vor, dass einem ganz wohl und wehe wird ums Herz. "Am Morgen danach" und "Dunkle Wolke" sind sicherlich das Anrührendste, das es derzeit so gibt im Deutschrock. Gut, dass der Mann nicht nur gute Bücher schreibt.
edo.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Wagnis, ein Skandal, eine Zumutung ist dieses Stück! Deshalb gibt es Menschen, die Ludwig van Beethovens Chorfantasie op. 80 überhaupt nicht mögen. Dabei ist dieser Zwitter aus Klavierkonzert, Rhapsodie und Vokalsymphonie das allerkühnste unter seinen experimentellen Werken. Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes stellt das Stück jetzt ans Ende seiner Gesamteinspielung der konzertanten Werke für Klavier, die im Zuge einer weltweiten "Beethoven Journey" entstand, die Andsnes noch bis 2015 zusammen mit dem Mahler Chamber Orchestra unternimmt. Die Chorfantasie erscheint auf der CD (Sony) nicht von ungefähr nach dem parallel entstandenen Fünften Klavierkonzert: Andsnes interpretiert sie vielmehr als das eigentliche Finale eines gewaltigen viersätzigen Es-Dur-Konzerts. Das erinnert ein wenig an Ferruccio Busonis Klavierkonzert op. 39 (ebenso experimentell, ebenfalls mit Schlusschor). Bei Andsnes geht die Verkoppelung der beiden Beethoven-Werke auf, weil er beide konsequent entromantisiert und gerade das oft zur Symphonie mit obligatem Soloklavier aufgeblähte Fünfte Konzert von allem Bombast befreit. Das Ergebnis tönt streng klassisch, schnörkellos, formal ungewöhnlich stringent und technisch brillant, besitzt aber die gleiche Eisblumenschönheit wie die Bauten des Osloer Architektenbüros Snøhetta, das unter anderem die Norwegische Nationaloper errichtete. Ein nordischer Beethoven, dessen unerhörte Erfindungsgewalt frösteln machen kann.
wild
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Lebenspralle, kerngesunde, wendige und kugelrunde Dinger sind die Mazurken op. 50, 56 und 59 von Frédéric Chopin. So glücklich wie seit seiner Kindheit nicht mehr sei ihr Komponist gewesen, als er sie zwischen 1842 und 1847 geschaffen habe, schreibt die Pianistin Janina Fialkowska im Beiheft zu ihrer Gesamteinspielung der Mazurken (Atma Classique/Musikwelt Tonträger Münster). Sie begreift sie als fünfundfünfzig Möglichkeiten, das Paradies zu betreten. Und dieses Paradies muss ein fröhliches Dorf sein mit würzigen Düften, die den Parfüms hinter den Ohrläppchen gut gewaschener Damen kaum ähneln. Fialkowska weiß genau, dass ein Staccato bei diesen polnischen Tänzen fürs Springen, ein Legato fürs Drehen steht. Artikulation ist hier eine Frage der Körperbewegung - und umgekehrt. Natürlich nimmt sie manchmal die nachdenkliche Distanz eines Menschen ein, der sich ans Springen und Drehen nur nostalgisch erinnert, statt es mitzumachen. Aber den Chopin, der "mit unendlicher Anmut zu husten verstand", wie es eine Pariser Salonière recht spitz formulierte, den hört man hier nicht. Dieser Chopin hat Kraft und stampft auch manchmal auf - nicht grob, aber herzhaft.
jbm.
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Viele Pianisten ignorieren die gewichtige Klaviersonate es-Moll von Paul Dukas. Sie haben offenbar immer noch nicht mitbekommen, was ihnen entgeht. Die Zurückhaltung mag auch an den enormen Schwierigkeiten und den kolossalen Dimensionen des dreiviertelstündigen Werkes liegen. Dukas, Zeitgenosse von Gustav Mahler, Richard Strauss und Jean Sibelius, hat die viersätzige Sonate im Jahr 1900 komponiert. Sie beerbt Beethovens "Hammerklavier"- und Liszts h-Moll-Sonate, hält im Fahrwasser von César Franck aber auch Kontakt zum Impressionismuszauber des Dukas-Freundes Claude Debussy. Die dicht gearbeitete Musik schaut zurück ins alte und voraus ins neue Jahrhundert. Nach Marc-André Hamelins Aufnahme von 2006, die Maßstäbe setzte, legt nun der französische Pianist Laurent Wagschal eine weitere mustergültige Einspielung vor (timpani/Note 1). Er meistert den komplexen, fast orchestralen Klaviersatz manuell souverän und mit klugem Pedaleinsatz. Die "Rameau-Variationen", entstanden zwischen 1899 und 1902, eine Haydn-Hommage von 1909 und das atmosphärische "La Plainte, au loin, du Faune . . ." von 1920 vervollständigen das Bild des Klavierkomponisten Dukas.
wmg
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Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr klein, leg eine Platte von Element Of Crime ein (beziehungsweise auf), und alles andere - lass sein. Ungefähr so, so vorsätzlich windschief, mit herrlichen, den Liedvortrag verzögernden Zeilen- und Strophensprüngen reimt Sven Regener auf der neuen Platte "Lieblingsfarben und Tiere" (Vertigo/Universal), zehn wunderbare, nun geradezu handgreiflich am späten Bob Dylan orientierte Lieder, die etwas schlampig vor sich hin rumpeln, doch Regener trägt seine dem Alltag abgewonnene, sehr strapazierfähige Philosophie so warm und unprätentiös vor, dass einem ganz wohl und wehe wird ums Herz. "Am Morgen danach" und "Dunkle Wolke" sind sicherlich das Anrührendste, das es derzeit so gibt im Deutschrock. Gut, dass der Mann nicht nur gute Bücher schreibt.
edo.
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