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Ein stilistisches Feuerwerk, das den Bogen spannt von Vaudeville-Klamauk und überdrehter Sixties-Romantik über Siebziger-Disco-Verve bis hin zum Neoglamour der Scissor Sisters.

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Produktbeschreibung
Ein stilistisches Feuerwerk, das den Bogen spannt von Vaudeville-Klamauk und überdrehter Sixties-Romantik über Siebziger-Disco-Verve bis hin zum Neoglamour der Scissor Sisters.
Trackliste
CDEXT
1Grace Kelly00:03:16
2Lollipop00:03:04
3My Interpretation00:03:35
4Love Today00:03:56
5Relax, Take It Easy00:04:31
6Any Other World00:04:19
7Billy Brown00:03:15
8Big Girl (You Are Beautiful)00:04:08
9Stuck In The Middle00:04:09
10Splash Page Live Link
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2007

Grace Kellys blaue Augen
Zwischen den Stilen und Geschlechtern: Der Sänger Mika ist zu gut für eine Clubkarriere

Es gibt Fotos, auf denen sieht er aus wie der junge Bob Dylan - verstrubbelt, verschwitzt, mürrisch. Die dunklen Augen mustern das Gegenüber skeptisch und traurig. Aber sobald man Mika singen hört, verschwindet zunächst jeder Gedanke an den genialen Weltenspiegler Dylan. Kein Zweifel, dass die Stimme jene vier Oktaven umfasst, von denen die Werbebroschüren schwärmen. Am liebsten sind ihm die ganz hohen Töne, irgendwo zwischen Countertenor und Falsett. Darum heißt das erste Hören Zeitreise. Die "Four Seasons" fallen einem ein, die in den sechziger Jahren als Erste die virile Sangeswelt auf den Kopf stellten; dazu die als Stimm-Eunuchen verspotteten, aber beliebten "Bee Gees" oder Prince, der einen Song vom Sopran bis in bassig tiefen Bariton jagen konnte. Die Kraft, mit der Mika lange Töne stemmt, erinnert an Freddie Mercury und Robbie Williams, und bei der absolut taktsicheren Hippeligkeit, mit der er durch andere Songs rast, assoziiert man die "Scissor Sisters".

Von deren Stil und dem Superhit "I just Died in Your Arms Tonight" der "Cutting Crew" ließ sich Mika 2006 bei seiner Debütsingle "Relax, Take it Easy" inspirieren. In den Charts landete er nicht, etablierte sich aber unter den Top Ten der englischen Gay-Disco-Hits. Womit der schlanke, lockige und glutäugige Zweiundzwanzigjährige - so präsentiert ihn jedenfalls seine Agentur - als topaktueller dreamboy der aktuellen internationalen Schwulenwelle abgehakt werden könnte.

Wären da nicht die vielen Widerhaken seiner Lieder. Die aber hört man erst später. Anfangs versinkt alles im ohrenbetäubenden Eklektizismus der zehn Songs, die Mika, sämtlich von ihm getextet und komponiert, auf seinem ersten Album vorstellt. Da rauschen bei langsamen Nummern tausend Geigen, dröhnt zuweilen ein Flügel so einsam, als würde gleich Frankieboy eine seiner bluesgetönten Balladen singen. Dann wieder hetzen Keyboards und Schlagzeug im Funk- und Soul-Stil, dröhnen Rockgitarren und schmettern Swing-Trompeten, intoniert der Hintergrundchor mal so glockenklar wie einst die "Swingle Singers", mal so guttural, als wäre das Gospel wiedergeboren. Mika plündert, wie schon der norwegisch klingende Name zeigt, wo er will. Beeindruckt haben ihn, sagt er, Joan Baez und Bob Dylan, Serge Gainsbourg und Flamenco. Er schätzt Prince, Harry Nilson, Elton John. Die Finesse, mit der er all das mischt, hat er sich am "Royal College of Music" in London erworben. Die Stadt war Endstation einer Odyssee, die die Familie des in Beirut geborenen Sohns einer Libanesin und eines Amerikaners zunächst nach Paris, dann nach Kuweit und schließlich nach England verschlagen hatte. Der Junge reagierte mit Schock, wurde stumm.

"Die Musik half mir wieder auf die Beine": Er wurde ein Wunderkind, gequält vom russischen Gesangslehrer, umworben von Agenturen. Er sang im Royal Opera House und einen Werbejingle für Orbit-Kaugummis, trat elfjährig unter der Regie von David Hockney in einer Strauss-Oper auf und war in der Warteschleife von British Airways zu hören. Der Neunzehnjährige unterschrieb einen Plattenvertrag, an dem er bald verzweifelte, weil man nicht ihn wollte, sondern ein Double der gerade erfolgreichen Popboys wie Craig David.

Aus Wut schrieb er "Grace Kelly", einen "dicken klanglichen Mittelfinger" für die Plattenbosse. Mut hatten ihm Demo-Sessions in Miami gemacht, wo ihn - ein Omen - der Toningenieur der "Bee Gees" betreute. Im Januar 2007 schoss das Lied auf Platz eins der englischen Hitparade; in Deutschland tönt es derzeit auf jedem Pop-Rock-Sender. "I tried to be like Grace Kelly. But all her looks were too sad. So I tried a little Freddie, I've gone identity mad!" Ist er nun versessen auf Identitäten oder irre an ihnen geworden? Ist Mika freiwillig ein Chamäleon oder nur, weil ihn das Metier dazu zwingt? Sein Album jedenfalls erzählt vom Außenseitertum, das jeden überfallen und in die verzweifelte Suche nach dem wahren Ich zwingen kann.

"Big girl, you are beautiful", heißt es in einem Lied. Der Titel erinnert an das "Big Girls Don't Cry" der "Four Seasons". Wie diese, nur musikalisch ungleich raffinierter mahnt Mika die Betroffenen, ihre Gefühle nicht im Halseisen der Konvention zu erwürgen. Doch sein großes Mädchen ist eine überall auffallende Hünin, die er verzweifelt-munter drängt, heimlichen Spott zu ignorieren. "Stuck in the Middle", die swingendste Nummer des Albums, erschreckt mit dem Nebensatz, der Sänger stelle sich sein Gegenüber als sterbend vor. "Lollipop", momentan etwas mühsam die Stufenleiter der englischen Hitparade erklimmend, handelt von einem lieben kleinen Mädchen, dem Mutti rät, seinen Lutscher maßvoll zu gebrauchen, weil dann, wie in der Liebe, die Süße länger vorhalte. Mäßigung als Lebensprinzip - am Ende schreit der Sänger, sie habe ihn dazu geführt, sich wie ein Einbeiniger durchs Leben zu schleppen.

"Billy Brown", nicht umsonst an Frank Zappas Titel "Bobby Brown" erinnernd, ist das hintergründigste Lied. Ein Mann mit "ordinary life", sprich: Job, Haus und Familie, verliebt sich plötzlich, "victory of times", Opfer der Umstände, in einen anderen Mann. Nach gehabtem Glück flüchtet er sich, ein Seelenkrüppel wie Zappas Bobby, auf eine Insel im Golf von Mexiko, die er wohl schon als Werbung eines Reisebüros auf dem Computerbildschirm hatte.

Denn genauso zeigt ihn einer der Cartoons im Begleitheft der CD. Sie erinnern - Eklektizismus bis ins kleinste Detail - an Kurt Edelmanns Zeichnungen zur "Yellow Submarine" der Beatles. Nur ist wie in die Lieder auch in die fröhlichen Bildchen Schwefelsäure eingeflossen. Eines zeigt eine fidele Rummelplatzmaschine mit Sternen und Kreiseln. Auf ihren Transportbändern stehen eine bestrapste Schönheit und ein effeminierter Harlekin. Der Junge, der vor ihnen davonrennt, stürzt in eine kastenförmige Öffnung. Entweder wird er in die Maschine zurückbefördert und neu verhackstückt, oder er landet in einer Versandhauskiste.

Der Sänger, Komponist und Texter Mika wird nicht so schnell in einer Kiste landen. Wenn er so sperrig bleibt wie momentan, werden ihn weder die Gay Discos noch die Teenieclubs vereinnahmen können. Unrecht hätten sie nicht, aber, das beweist dieses Album, auch keinerlei Exklusivansprüche. Nicht einmal auf Grace Kelly. Sie hatte, so erinnert man sich nach dem Lied, gletscherblaue Augen. Tödliche Kälte, die ihr schmelzendes Lächeln dementierte. Phantasie? Gewiss. Aber eine, so zeigt Mikas Weltspiegel, die sich aus Erfahrungen speist.

DIETER BARTETZKO

Mika, Life In Cartoon Motion. Island Records 1723382 (Universal)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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