Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 17. Juni 2008
- Hersteller: 375 Media GmbH / DRAG CITY / INDIGO,
- EAN: 0781484035817
- Artikelnr.: 23601196
- Herstellerkennzeichnung
- Drag City, Inc.
- 375 Media GmbH
- Schachthofstraße 36a
- 21079 Hamburg
- https://375media.com/
Frankfurter Allgemeine ZeitungBringt alle sechzehn Akkorde mit
Richtig gute Musiker sind sie eigentlich nicht; trotzdem haben die Silver Jews jetzt eine der interessantesten Platten der Saison gemacht: delikaten Countryfolk, der auf jede überflüssige Zutat verzichten kann.
Eine Freude, die all jene nicht mehr kennen, die in diesem Jahrhundert das Gitarrespiel erlernen, bestand einst darin, einen Einkauf in Baums Musikladen mit dem Studium neuester Songbooks zu kombinieren. In den schmucken Oktavheften, die oft teurer als die Platten selbst waren, fanden so gut wie alle musikalischen Rätsel der Pubertät ihre Lösung und neun Minuten Pink Floyd ihre Reduktion auf einen Akkordwechsel. Diese beglückenden Lernprozesse fanden unter den bösen Blicken der Musikalienhändler statt und führten zu der Taktik, Saiten und Plektren erst dann zu kaufen, wenn man genug geschmökert hatte.
Aus dem Internet lassen sich heute nicht nur die Texte, sondern auch die Akkorde unzähliger Lieder hervorkramen. Eine Band, die im Booklet ihrer CD die harmonische DNA ihrer Songs offenlegt, beabsichtigt daher gewiss nicht, Verlag und Plattenfirma zu ärgern. Vielmehr lässt sich die Anbahnung künftiger Lagerfeuergitarrenduelle, die die Silver Jews mit der Aufmachung ihrer neuen CD "Lookout Mountain, Lookout Sea" leisten, als kritische Reflexion auf das Wesen des Songs im Zeitalter des allgegenwärtigen Herunterladens begreifen: Lieder sind primär zum Runterladen und Horten, sekundär zum Hören und Tauschen und nur tertiär zum Singen und Spielen da.
Damit rückt sogleich die Bandphilosophie dieser Weisen des amerikanischen Lo-Fizismus in den Blick: "Anyone can play these songs", steht da aufmunternd in der Gebrauchsanweisung zur beigelegten "Silver Chords"-Grifftabelle. Anders gesagt: Eine Band ist ein Kollektiv, zu dessen universeller Kleinkunst jeder etwas beitragen kann. Einzige Bedingung: Bring Freunde und sechzehn Akkorde mit. David Berman hat viele Freunde. Stephen Malkmus etwa, mit dem er an der University of Virginia studierte und eine Band gründete. Lang währte das nicht, denn Malkmus musste als Kopf von Pavement bald einige Subkapitel Rockgeschichte kritzeln. Der auftrittsscheue Berman hingegen konnte mit seinen Silver Jews nicht so recht landen, auch wenn die Freunde von Pavement oft mithalfen und Kritiker Trostpreise wie "siebzehntbestes Album des Jahres" erfanden.
Wie auch immer das gemeint war: Mit "Lookout Mountain, Lookout Sea" legen die Jews nun eine der bemerkenswertesten Scheiben der Saison vor. Ein schnörkelloses Album, auf dem eine Brise Country weht und trefflich inszenierte Songperlen sich zu einem Zyklus aufreihen, der ein schönes Bekenntnis zu akribischer Prägnanz im Songwriting ist. Schon die Spieldauer von knapp sechsunddreißig Minuten ist Programm. Anstatt den Hörer mit Musik zu mästen, die dieser nie als Einheit in seinen ästhetischen Metabolismus wird aufnehmen können, bieten die Silver Jews als Fingerfood getarnte Delikatessen an. Von denen nascht man dann gern umso öfter und vor allem länger als gedacht. Täglich wechseln die Lieblingsstücke, manche kommen gar ins Gespräch miteinander, und nach einer Weile weiß man: Diese CD ist mit Liebe zum Rezipienten gemacht. Bedenkt man, dass Frühwerke der Jews aus Überzeugung mit einem Walkman aufgenommen wurden, so nimmt sich "Lookout Mountain" fast wie audiophiler Verrat aus. Aber keine Angst, gute Musiker sind sie noch immer nicht. Die rhythmische Flexibilität, mit der sie manchmal in elliptischer Monumentalität um das Tempo eiern, hat viel Proberaumflair, und die - in der Substanz inspirierte - Produktion birgt in Detailfragen des Sounds und des Arrangements genügend Unvollkommenheiten in sich, um so menschlich wie möglich und provisorisch wie nötig zu klingen.
Auch die Tiroler-Tuba-Stupser, die Cassie Berman ihrem Bass abringt, könnten bei unsympathetischer Haltung Augenrollen verursachen. Doch wie soll man einer Kreatur grollen, die mit der Verzweiflung einer politisch engagierten Provinz-Beauty aus Tennessee die conditio humana im Fenster einer Jukebox reflektiert sieht: "Suffering jukebox, such a sad machine / You're all filled up with what other people mean / Hardship, damnation and guilt / Make you wonder why you were even built." Singer-Songwriter-Gatte David Berman grummelt indessen kryptisch anmutende Fragen und Beschreibungen, die sich mit etwas Abstand stets zu pointillistisch komponierten Stimmungsbildern und Reflexionen verdichten. Überflüssiges oder Dickaufgetragenes werden hier gemieden wie Knoblauch und Weihwasser bei Vampiren. Der Vertrauenspakt zwischen Autor und Leser ist somit bald gefestigt, und dieser spürt: Die "Joos" erzählen keinen Mumpitz. Der dichterische Ernst des Moralisten Berman deutet sich schon im Auftakt an: "What is not but could be if?", fragt er scheinbar unbekümmert im Secondhandshop der Lebensentwürfe, um sogleich desto entschlossener das Ideal der Aufrichtigkeit als Motor alles Neuanfangs zu benennen: "One has lived life carelessly / if he or she has failed to see / that the truth is not alive or dead / the truth is struggling to be said."
Das meisterhafte Schlüsselstück "My Pillow is the Threshold" präsentiert sich oberflächlich als überraschend britischer Ohrwurm. Gekonnt und von langer Hand wird die hymnische Erlösung im Refrain eingefädelt: Da sitzt einer abends allein zu Hause und trinkt koffeinfreien Kaffee, weil er nicht die ganze Nacht fernsehen will. Dann schaltet er alle Licht- und Geräuschquellen aus und schleudert mit schamanischer Brutalität Gedankenäxte in eine Welt, die nicht mehr die seine ist: "I throw my thoughts like tomahawks into this world which I disown."
Trennungsschmerz? Das Ende bestätigt eine solche Interpretation. Zwischen den Zeilen entwirft Berman hier freilich in selbstreferentieller Metaphorik eine Poetik. Sein Schreiben begreift sich im Horizont der Grunderfahrung des launischen Wesens Mensch, nie ganz über sich selbst verfügen zu können. Ist doch das Kissen, auf dem im Refrain geträumt wird, die Schwelle zu einem Königreich des Imaginären und, was wie Schlaf aussieht, aufrichtige Schwerstarbeit am Song des Lebens.
ALESSANDRO TOPA
Silver Jews, Lookout Mountain, Lookout Sea. Drag City 358 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richtig gute Musiker sind sie eigentlich nicht; trotzdem haben die Silver Jews jetzt eine der interessantesten Platten der Saison gemacht: delikaten Countryfolk, der auf jede überflüssige Zutat verzichten kann.
Eine Freude, die all jene nicht mehr kennen, die in diesem Jahrhundert das Gitarrespiel erlernen, bestand einst darin, einen Einkauf in Baums Musikladen mit dem Studium neuester Songbooks zu kombinieren. In den schmucken Oktavheften, die oft teurer als die Platten selbst waren, fanden so gut wie alle musikalischen Rätsel der Pubertät ihre Lösung und neun Minuten Pink Floyd ihre Reduktion auf einen Akkordwechsel. Diese beglückenden Lernprozesse fanden unter den bösen Blicken der Musikalienhändler statt und führten zu der Taktik, Saiten und Plektren erst dann zu kaufen, wenn man genug geschmökert hatte.
Aus dem Internet lassen sich heute nicht nur die Texte, sondern auch die Akkorde unzähliger Lieder hervorkramen. Eine Band, die im Booklet ihrer CD die harmonische DNA ihrer Songs offenlegt, beabsichtigt daher gewiss nicht, Verlag und Plattenfirma zu ärgern. Vielmehr lässt sich die Anbahnung künftiger Lagerfeuergitarrenduelle, die die Silver Jews mit der Aufmachung ihrer neuen CD "Lookout Mountain, Lookout Sea" leisten, als kritische Reflexion auf das Wesen des Songs im Zeitalter des allgegenwärtigen Herunterladens begreifen: Lieder sind primär zum Runterladen und Horten, sekundär zum Hören und Tauschen und nur tertiär zum Singen und Spielen da.
Damit rückt sogleich die Bandphilosophie dieser Weisen des amerikanischen Lo-Fizismus in den Blick: "Anyone can play these songs", steht da aufmunternd in der Gebrauchsanweisung zur beigelegten "Silver Chords"-Grifftabelle. Anders gesagt: Eine Band ist ein Kollektiv, zu dessen universeller Kleinkunst jeder etwas beitragen kann. Einzige Bedingung: Bring Freunde und sechzehn Akkorde mit. David Berman hat viele Freunde. Stephen Malkmus etwa, mit dem er an der University of Virginia studierte und eine Band gründete. Lang währte das nicht, denn Malkmus musste als Kopf von Pavement bald einige Subkapitel Rockgeschichte kritzeln. Der auftrittsscheue Berman hingegen konnte mit seinen Silver Jews nicht so recht landen, auch wenn die Freunde von Pavement oft mithalfen und Kritiker Trostpreise wie "siebzehntbestes Album des Jahres" erfanden.
Wie auch immer das gemeint war: Mit "Lookout Mountain, Lookout Sea" legen die Jews nun eine der bemerkenswertesten Scheiben der Saison vor. Ein schnörkelloses Album, auf dem eine Brise Country weht und trefflich inszenierte Songperlen sich zu einem Zyklus aufreihen, der ein schönes Bekenntnis zu akribischer Prägnanz im Songwriting ist. Schon die Spieldauer von knapp sechsunddreißig Minuten ist Programm. Anstatt den Hörer mit Musik zu mästen, die dieser nie als Einheit in seinen ästhetischen Metabolismus wird aufnehmen können, bieten die Silver Jews als Fingerfood getarnte Delikatessen an. Von denen nascht man dann gern umso öfter und vor allem länger als gedacht. Täglich wechseln die Lieblingsstücke, manche kommen gar ins Gespräch miteinander, und nach einer Weile weiß man: Diese CD ist mit Liebe zum Rezipienten gemacht. Bedenkt man, dass Frühwerke der Jews aus Überzeugung mit einem Walkman aufgenommen wurden, so nimmt sich "Lookout Mountain" fast wie audiophiler Verrat aus. Aber keine Angst, gute Musiker sind sie noch immer nicht. Die rhythmische Flexibilität, mit der sie manchmal in elliptischer Monumentalität um das Tempo eiern, hat viel Proberaumflair, und die - in der Substanz inspirierte - Produktion birgt in Detailfragen des Sounds und des Arrangements genügend Unvollkommenheiten in sich, um so menschlich wie möglich und provisorisch wie nötig zu klingen.
Auch die Tiroler-Tuba-Stupser, die Cassie Berman ihrem Bass abringt, könnten bei unsympathetischer Haltung Augenrollen verursachen. Doch wie soll man einer Kreatur grollen, die mit der Verzweiflung einer politisch engagierten Provinz-Beauty aus Tennessee die conditio humana im Fenster einer Jukebox reflektiert sieht: "Suffering jukebox, such a sad machine / You're all filled up with what other people mean / Hardship, damnation and guilt / Make you wonder why you were even built." Singer-Songwriter-Gatte David Berman grummelt indessen kryptisch anmutende Fragen und Beschreibungen, die sich mit etwas Abstand stets zu pointillistisch komponierten Stimmungsbildern und Reflexionen verdichten. Überflüssiges oder Dickaufgetragenes werden hier gemieden wie Knoblauch und Weihwasser bei Vampiren. Der Vertrauenspakt zwischen Autor und Leser ist somit bald gefestigt, und dieser spürt: Die "Joos" erzählen keinen Mumpitz. Der dichterische Ernst des Moralisten Berman deutet sich schon im Auftakt an: "What is not but could be if?", fragt er scheinbar unbekümmert im Secondhandshop der Lebensentwürfe, um sogleich desto entschlossener das Ideal der Aufrichtigkeit als Motor alles Neuanfangs zu benennen: "One has lived life carelessly / if he or she has failed to see / that the truth is not alive or dead / the truth is struggling to be said."
Das meisterhafte Schlüsselstück "My Pillow is the Threshold" präsentiert sich oberflächlich als überraschend britischer Ohrwurm. Gekonnt und von langer Hand wird die hymnische Erlösung im Refrain eingefädelt: Da sitzt einer abends allein zu Hause und trinkt koffeinfreien Kaffee, weil er nicht die ganze Nacht fernsehen will. Dann schaltet er alle Licht- und Geräuschquellen aus und schleudert mit schamanischer Brutalität Gedankenäxte in eine Welt, die nicht mehr die seine ist: "I throw my thoughts like tomahawks into this world which I disown."
Trennungsschmerz? Das Ende bestätigt eine solche Interpretation. Zwischen den Zeilen entwirft Berman hier freilich in selbstreferentieller Metaphorik eine Poetik. Sein Schreiben begreift sich im Horizont der Grunderfahrung des launischen Wesens Mensch, nie ganz über sich selbst verfügen zu können. Ist doch das Kissen, auf dem im Refrain geträumt wird, die Schwelle zu einem Königreich des Imaginären und, was wie Schlaf aussieht, aufrichtige Schwerstarbeit am Song des Lebens.
ALESSANDRO TOPA
Silver Jews, Lookout Mountain, Lookout Sea. Drag City 358 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main