Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 16. Juni 2003
- Hersteller: ROUGH TRADE / Ninja Tune,
- EAN: 5021392288123
- Artikelnr.: 20165631
- Herstellerkennzeichnung
- Believe Digital GmbH
- Im Mediapark 6B
- 50670 Köln
- legal.de@believe.com
CD | |||
1 | The projectionist | 00:00:06 | |
2 | Melody | 00:00:20 | |
3 | Dawn | 00:04:00 | |
4 | The awakening of a woman (Burnout) | 00:10:20 | |
5 | Reel life (Evolution II) | 00:06:57 | |
6 | Postlude | 00:01:45 | |
7 | Evolution | 00:05:47 | |
8 | Work it! (Man with the Movie Camera) | 00:08:05 | |
9 | Voyage | 00:00:22 | |
10 | Odessa | 00:02:05 | |
11 | Theme de Yoyo | 00:02:20 | |
12 | The magician | 00:02:26 | |
13 | Theme reprise | 00:02:53 | |
14 | Yoyo waltz | 00:01:17 | |
15 | Drunken tune | 00:04:50 | |
16 | The animated tripod | 00:01:12 | |
17 | All things | 00:06:06 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2003Die sind ja schneller als Miles Davis
Was mag Jason Swinscoe geritten haben, als er 1999 in London eine Formation aus Jazz- und Studiomusikern zusammenstellte und sie "The Cinematic Orchestra" nannte? War es die Liebe des einunddreißigjährigen Schotten zu den Soundtracks des Film noir, an die das Debüt "Channel 1 Suite" und noch deutlicher das gleichfalls 1999 erschienene Album "Motion" erinnern? War es die Begeisterung des Arrangeurs und seines wichtigsten Partners, des Bassisten Phil France, für einen so autonomen und dennoch dem vorgegebenen Film kongenialen Score wie dem von Miles Davis zu "Fahrstuhl zum Schafott", den der Trompeter 1957 in nur vier Tagen eingespielt hatte? Oder war es einfach die Faszination für Breitwand-Sound, der schließlich das Erfolgsalbum "Every Day" von 2002 prägen sollte? Wie dem auch sei - die endgültige Rechtfertigung des Bandnamens ist nun mit der neuesten Einspielung erfolgt: "The Man With the Movie Camera" (bei Zen/Vertrieb Ninja Tune). Bisweilen können Namen Faktizität schaffen. So geschah es Swinscoe und France, daß sie vor drei Jahren aus Porto der Auftrag ereilte, für eine Vorführung von Dziga Vertovs berühmtem Dokumentarfilm "Der Mann mit der Kamera" von 1929 eine neue Begleitmusik zu komponieren. Mag sein, daß sich die Portugiesen von der Bezeichnung "The Cinematic Orchestra" hatten blenden lassen, mag auch sein, daß sie die wenig verbreiteten ersten Arbeiten kannten. Jedenfalls machten sich Swinscoe und France an die Arbeit, und pünktlich zum Kulturstadtjahr der portugiesischen Metropole brachten sie dort 2001 ihre Musik zu Vertovs Film zur Aufführung. Mit der Einspielung auf Platte ließen sie sich mehr Zeit. Und doch nicht ganz, denn das "Cinematic Orchestra" pflegt einen musikalischen Stil des Zitats - darin der Filmvorlage adäquat. Manche Loops und Bläsersätze aus "The Man With the Movie Camera" fanden ihren Weg deshalb schon auf "Every Day", vor allem in das magische Stück "Evolution", für das Swinscoe die Jazzlegende Fontella Bass als Sängerin gewinnen konnte - die wie alle Vokalisten, die mit dem "Cinematic Orchestra" arbeiten, ihre Texte selbst für die vorgegebene Musik schrieb. Auf der jetzt erschienenen Platte aber findet sich die Keimzelle zu "Evolution", betitelt als "Evolution Versao Portuense" - ein Verweis auf die Entstehungsgeschichte, die jedoch noch weiter zurückverfolgt werden kann, denn der markante Bläsersatz des Stücks ist auch schon auf dem Remix enthalten, den Jason Swinscoe vor drei Jahren Nils Petter Molvaers "Vilderness" angedeihen ließ. Nichts Schöneres als Musikexegese bei einer so inspirierten Gruppe. France entstammt der Free-Jazz-Scene Londons, und seinem Baßspiel hört man das ebenso an wie dem phänomenalen Tom Chant, dessen Instrumentenspektrum von Sopran- bis Baritonsaxophon den Klang von "The Man With the Movie Camera" entscheidend prägt. Seit "Working Week" vor zwanzig Jahren hat es keine ähnlich souverän zwischen Pop und Jazz changierende Band mehr gegeben. Doch "The Cinematic Orchestra" legen ihre Interessen noch breiter an. Bis zum Herbst werden sie mit Vertovs Film (der allerdings gegenüber dem Original um fast ein Drittel gekürzt ist) durch europäische Kinos ziehen, um ihre Version der Musik dazu weiter zu perfektionieren. Immerhin hielten sie sich erst nach wiederholten Aufführungen im Vorjahr für versiert genug, um die insgesamt siebzehn zwischen wenigen Sekunden und zehn Minuten Länge währenden Impressionen einzuspielen - und sie haben Miles Davis geschlagen, denn ihnen reichten zwei Tage für ihr Album. Gleichzeitig erscheint übrigens auch die DVD mit Vertovs Film, auf der man noch genauer nachvollziehen kann, wie die Schlagzeugsoli von Luke Flowers die Montage des russischen Avantgardisten aufnehmen, wie das subtile Klavierspiel von Jon Ellis die Stimmungen des Films aufnimmt und wie immer dann, wenn Vertov die Prinzipien seiner Arbeit auf der Leinwand offenlegt, das "Cinematic Orchestra" ihm darin folgt. Es ist nicht weniger als ein Musterbeispiel für Synästhesie, was hier geschieht.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was mag Jason Swinscoe geritten haben, als er 1999 in London eine Formation aus Jazz- und Studiomusikern zusammenstellte und sie "The Cinematic Orchestra" nannte? War es die Liebe des einunddreißigjährigen Schotten zu den Soundtracks des Film noir, an die das Debüt "Channel 1 Suite" und noch deutlicher das gleichfalls 1999 erschienene Album "Motion" erinnern? War es die Begeisterung des Arrangeurs und seines wichtigsten Partners, des Bassisten Phil France, für einen so autonomen und dennoch dem vorgegebenen Film kongenialen Score wie dem von Miles Davis zu "Fahrstuhl zum Schafott", den der Trompeter 1957 in nur vier Tagen eingespielt hatte? Oder war es einfach die Faszination für Breitwand-Sound, der schließlich das Erfolgsalbum "Every Day" von 2002 prägen sollte? Wie dem auch sei - die endgültige Rechtfertigung des Bandnamens ist nun mit der neuesten Einspielung erfolgt: "The Man With the Movie Camera" (bei Zen/Vertrieb Ninja Tune). Bisweilen können Namen Faktizität schaffen. So geschah es Swinscoe und France, daß sie vor drei Jahren aus Porto der Auftrag ereilte, für eine Vorführung von Dziga Vertovs berühmtem Dokumentarfilm "Der Mann mit der Kamera" von 1929 eine neue Begleitmusik zu komponieren. Mag sein, daß sich die Portugiesen von der Bezeichnung "The Cinematic Orchestra" hatten blenden lassen, mag auch sein, daß sie die wenig verbreiteten ersten Arbeiten kannten. Jedenfalls machten sich Swinscoe und France an die Arbeit, und pünktlich zum Kulturstadtjahr der portugiesischen Metropole brachten sie dort 2001 ihre Musik zu Vertovs Film zur Aufführung. Mit der Einspielung auf Platte ließen sie sich mehr Zeit. Und doch nicht ganz, denn das "Cinematic Orchestra" pflegt einen musikalischen Stil des Zitats - darin der Filmvorlage adäquat. Manche Loops und Bläsersätze aus "The Man With the Movie Camera" fanden ihren Weg deshalb schon auf "Every Day", vor allem in das magische Stück "Evolution", für das Swinscoe die Jazzlegende Fontella Bass als Sängerin gewinnen konnte - die wie alle Vokalisten, die mit dem "Cinematic Orchestra" arbeiten, ihre Texte selbst für die vorgegebene Musik schrieb. Auf der jetzt erschienenen Platte aber findet sich die Keimzelle zu "Evolution", betitelt als "Evolution Versao Portuense" - ein Verweis auf die Entstehungsgeschichte, die jedoch noch weiter zurückverfolgt werden kann, denn der markante Bläsersatz des Stücks ist auch schon auf dem Remix enthalten, den Jason Swinscoe vor drei Jahren Nils Petter Molvaers "Vilderness" angedeihen ließ. Nichts Schöneres als Musikexegese bei einer so inspirierten Gruppe. France entstammt der Free-Jazz-Scene Londons, und seinem Baßspiel hört man das ebenso an wie dem phänomenalen Tom Chant, dessen Instrumentenspektrum von Sopran- bis Baritonsaxophon den Klang von "The Man With the Movie Camera" entscheidend prägt. Seit "Working Week" vor zwanzig Jahren hat es keine ähnlich souverän zwischen Pop und Jazz changierende Band mehr gegeben. Doch "The Cinematic Orchestra" legen ihre Interessen noch breiter an. Bis zum Herbst werden sie mit Vertovs Film (der allerdings gegenüber dem Original um fast ein Drittel gekürzt ist) durch europäische Kinos ziehen, um ihre Version der Musik dazu weiter zu perfektionieren. Immerhin hielten sie sich erst nach wiederholten Aufführungen im Vorjahr für versiert genug, um die insgesamt siebzehn zwischen wenigen Sekunden und zehn Minuten Länge währenden Impressionen einzuspielen - und sie haben Miles Davis geschlagen, denn ihnen reichten zwei Tage für ihr Album. Gleichzeitig erscheint übrigens auch die DVD mit Vertovs Film, auf der man noch genauer nachvollziehen kann, wie die Schlagzeugsoli von Luke Flowers die Montage des russischen Avantgardisten aufnehmen, wie das subtile Klavierspiel von Jon Ellis die Stimmungen des Films aufnimmt und wie immer dann, wenn Vertov die Prinzipien seiner Arbeit auf der Leinwand offenlegt, das "Cinematic Orchestra" ihm darin folgt. Es ist nicht weniger als ein Musterbeispiel für Synästhesie, was hier geschieht.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main