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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2012

Schülerdisko in der Geisterbahn
Hörer zwischen Wut und Verzückung - das neue Album von Ariel Pink

Man soll die neue Ariel-Pink-Platte rezensieren und will dann fünfzig verschiedene Sachen über ihn schreiben. Ariel Pink ist ein Genie, Ariel Pink ist ein blöder Schnösel, Ariel Pink soll mit dem Quatsch aufhören und so weiter. Aber er sagt auf der Platte ja auch selbst etwas über sich, vielleicht kann man damit anfangen: "I'm just a Rock 'n' Roller from Beverly Hills, my name is Ariel, and I'm a nymph." So. Der Teil über Beverly Hills ist wahr, Rock 'n' Roller eher nicht, aber das mit der Nymphomanin wird interessanter, je länger man darüber nachdenkt. Es stimmt nämlich insofern, als er sich offenkundig nicht so richtig zurückhalten kann, sondern mit fast jeder Musikrichtung ins Bett geht, wenn sie ihm nur eine halbwegs nachdrückliche Offerte macht. Wobei er damit billiger klingt, als das gemeint ist. Man sollte sich wirklich einmal anhören, was bei diesen Begegnungen so rauskommt.

Ariel Pink ist nämlich eben nicht nur ein Nympho, sondern schon auch ein Genie. Ein Kind mit ADS und einem riesigen Plattenschrank, und es zieht eine Platte nach der anderen heraus und spielt einem lauter Songs vor, die total so klingen wie etwas, das man kennt, aber man kann sich nicht mehr genau erinnern, was es war, aber es war richtig gute Musik. Das Ganze kommt durch den speziellen Ariel-Pink-Plattenspieler, aus dem die Musik ein bisschen so klingt wie durch das Mikro von einem "My First Sony"-Kassettenrekorder aufgenommen und dann an die teuerste Anlage der Welt angeschlossen. Die Produktion ist wirklich unglaublich.

Ariel Pink ist aber eben leider auch ein blöder Schnösel. Man kann ihn mit Lust hassen. Man stelle sich einen begnadeten Jahrhundertfußballer vor, seinesgleichen hat die Welt noch nicht gesehen. Ein langer Ball kommt fast unmöglich aus dem Mittelfeld, und er nimmt ihn an, ohne erkennbare Mühe, tanzt durch die Abwehr wie durch einen Säulengang, vernascht, wie man leider so sagt, schließlich noch den Torwart, und unter dem entsetzten Aufschrei der Tribünen spielt er den Ball dann gelangweilt ins Seitenaus statt ins leere Tor.

Man hat den Eindruck, es sei alles ein bisschen zu leicht für ihn, und wenn er die Gelegenheit zu einem sensationellen Tor, einem superslicken Popsong hat, dann kriegt er einen Horror vor seiner merkwürdig begabten Existenz, in der ihm so etwas einfach zum Fenster reingeflogen kommt, und einen Ekel vor den Leuten, die ihn dafür bewundern. Also verzieht er total, absichtlich, unverzeihlich. Oder? Denn vielleicht weiß er ja auch genau, was er tut, vielleicht sind die Sottisen, mit denen er die antizipierte Schönheit zerdrischt, auch einfach nur einer Begabung geschuldet, die Reiz in Dingen erkennt, die sich dem Normalsterblichen nicht so wirklich erschließen.

Trotzdem: Ariel Pink soll mit dem Quatsch aufhören. Manches auf "Mature Themes" kann wirklich nur ihn selbst interessieren. Das kann er auch in seinem Schlafzimmer machen oder mit den Kollegen im Proberaum. Einige Songs sind so, wie man sich einen schlechten Trip vorstellt, ohne je einen gehabt zu haben. Bei "Early Birds of Babylon" auf der Hälfte der Platte zum Beispiel denkt man an einen ganz netten Hells Angel der siebziger Jahre, der total high auf LSD ist und in der Telefonzelle einer verkommenen Kaschemme erfahren muss, dass seine Mutter soeben totgefahren wurde. Man will in solche Welten gar nicht eingeführt werden, man will die Platte entsetzt wegschmeißen. Geht stattdessen aber einen Song weiter und kriegt den "Schnitzel Boogie", zu dem einem keine Drogenallegorie mehr einfällt (im Hintergrund der Musik läuft ein Gespräch über Essen, man hört ". . . ketchup and onions . . .", eine Frauenstimme: "Do you want cheese?", und man denkt: Schnitzel halt). Eine letzte Chance noch, "Symphony of the Nymph" heißt die Nummer, oh Gott. Aber: Man fängt doch an zu lachen, weil der Song gleichzeitig so bekloppt und so extrem verführerisch ist. Ein Thema darin scheint Cowboyreiten zu sein, Pink erwähnt im Text auch das vergessene Game-Boy-Spiel "Dr. Mario", das eigentlich ziemlich gut war, und die Musik klingt so wie Schülerdisko in der Geisterbahn.

Gegen Ende der Platte ist das alles dann nicht mehr zu leugnen in seiner Berechtigung, durchgeknallt, ja, aber supersmart, und es macht teilweise Riesenspaß. Der Anfang von "Live It Up" zum Beispiel. Der Einzige, der derzeit so schöne Synthesizer macht, ist John Maus, aber der ist ja auch ein Freund von Mr. Pink. So klar und trotzdem warm, das schöne englische Wort dafür ist "crisp", und die Melodie ist wirklich knatschsüßer Pop, eine von der Art, die Pink anscheinend ohne Ende raushauen kann, und andere versuchen es ihr Leben lang und kriegen nicht eine. Oder der letzte Song, "Baby", ein Cover. Es ist wirklich so, als habe er dafür James Brown als Gastsänger und The Delegation als Band eingeladen. Darunter kann man sich vielleicht schwer etwas vorstellen, aber hoffentlich macht es bitte Lust darauf, sich das Stück mal anzuhören, es ist wirklich gut.

"Baby" verklingt, schade, und halb vorfreudig, halb sich wappnend ist man verführt, doch wieder von vorne anzufangen. Erster Song, eine Doors-Hippieorgel und dazu die eröffnenden Worte: "A Kinski Assassin blew a hole in my chest." Mann! Ariel Pink macht Quatsch, er ist ein genialer Schnösel.

ALARD VON KITTLITZ

"Mature Themes" erscheint am Freitag bei 4AD/Beggars Group/Indigo.

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