Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 8. Januar 2010
- Hersteller: GOODTOGO / DOMINO RECORDS,
- EAN: 5034202018421
- Artikelnr.: 23441320
CD | |||
1 | U.R.A. Fever | 00:02:16 | |
2 | Cheap And Cheerful | 00:02:26 | |
3 | Tape Song | 00:03:35 | |
4 | Getting Down | 00:02:55 | |
5 | Last Day Of Magic | 00:03:21 | |
6 | Hook And Line | 00:02:03 | |
7 | Black Balloon | 00:03:46 | |
8 | M.E.X.I.C.O. | 00:01:37 | |
9 | Sour Cherry | 00:03:06 | |
10 | Alphabet Pony | 00:01:45 | |
11 | What New York Used To Be | 00:03:15 | |
12 | Goodnight Bad Morning | 00:03:51 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2008Wer nicht verrückt ist, langweilt uns
Wüst und romantisch: Das Rockduo The Kills
Männer und Frauen können nie Freunde sein, der Sex kommt ihnen immer wieder dazwischen. So lautet eine kurzsichtige Weisheit aus der Komödie "Harry und Sally", die zum Gemeinplatz geworden ist, obwohl sie doch etwa in der Musikszene erfolgreich widerlegt wurde. Mann und Frau können sehr wohl zusammenfinden, sich ein paar Instrumente umschnallen und wie etwa The White Stripes kräftig Remmidemmi machen - und sollte ihnen trotzdem irgendwann einmal die geschlechtliche Anziehung dazwischengekommen sein, will man das eigentlich gar nicht so genau wissen.
Die Entstehung des Duos The Kills war freilich kompliziert, galt es doch, nach einer flüchtigen Bekanntschaft zunächst transatlantische Beziehungen aufzubauen, weswegen die Amerikanerin Alison Mosshart, genannt "VV", und der Brite Jamie Hince alias "Hotel" vor acht Jahren ganz altmodisch Brieffreundschaft schlossen. Als das Hin- und Herschicken von Songideen jedoch zu mühsam wurde, zog Mosshart nach England. Das Debütalbum "Keep On Your Mean Side" bezauberte durch so unterschiedliche Einflüsse wie Velvet Underground und Blind Willie Johnson. Die nachhaltige Medienwirkung verdankte die Band aber nicht nur dem kantigen, ungeschlachten Zweitwerk "No Wow", das rüde den Blues bei seinen Wurzeln packte, sondern auch der Aufmerksamkeit der Boulevards, da Hince eine Liaison mit Model und Trendsetterin Kate Moss begann, an deren exzellentem Musikgeschmack - siehe Pete Doherty - ja kein Zweifel besteht.
Musikalisch besteht die Attraktion der Kills in der Suggestion eines zu seinen Ursprüngen zurückgekehrten Sounds. Zwei Leute können nun mal nicht allzu viele Instrumente gleichzeitig bedienen, weswegen ihre Produktionen in Zeiten ausdifferenzierter Aufnahmetechnik reduziert, minimalistisch und unverfälscht klingen. Kettenraucher und Veganer Hince an Gitarre und Schlagzeug, Mosshart am Bass, beide am Mikrofon, das hört sich oft nach Rumpelkammer und Drogenhöhle an, nach Anrüchigkeit und Punk, nach durchgemachten Nächten und abblätternden Tapeten.
Auch auf dem neuen Album "Midnight Boom", das mit einigen schäbigen Beats aus einem alten Akai-MPC-60-Drum-Sequencer den Charme des Proberaums versprüht, gibt man sich unangepasst und verquer. Fragt man sich in "Sour Cherry" noch vermeintlich niedlich, ob man wohl die einzige Sauerkirsche am Obststand sei, ist die Sache beim mit einem räudigen Raucherhusten beginnenden "Cheap And Cheerful" schon deutlich klarer: "I'm bored of cheap and cheerful (. . .) I want you to be crazy / 'Cause you're boring baby when you're straight." Zu solchen Texten, vor allem zu oft von Handclaps unterstützten Rhythmen, ließ sich die Band von Call-and-Response-Liedern wie "This-A-Way Batman" und Abzählreimen schwarzer Schulkinder inspirieren, die sie in dem amerikanischen Dokumentarfilm "Pizza Pizza Daddy-O" aus den späten sechziger Jahren kennenlernte.
"Midnight Boom" versammelt zeitgemäße Schulhofsongs wie "Alphabet Pony" - was allemal besser ist, als den Nachwuchs Sido oder Bushido zu überlassen, zumal sich The Kills keiner Chauvinismen bedienen, dafür aber verrucht, frech und sexy losrocken. Die erste Single-Auskopplung "U. R. A. Fever" etwa kommt mit nur wenigen, aber umso schmutzigeren Gitarreneskapaden derart ungeschliffen und cool daher, dass sie ohne weiteres zum Independent-Hit des Jahres taugt. Überhaupt lässt sich festhalten, dass auf dem aktuellen Werk etwas seltener - wenn allerdings, dann richtig und, wo nötig, heftig - in die Saiten gegriffen wird als auf dem Vorgänger; dafür durfte Produzent Alex Epton die Platte tanzbarer, vielschichtiger und eingängiger gestalten, natürlich ohne dem Massengeschmack von Großraumdisco, Après-Ski-Party und Formatradio entgegenzukommen. Denn wenn man in angesagten Kreisen eines nicht verlieren darf, ist es die Glaubwürdigkeit, der Ruch von Authentizität und vom Widerstand gegen die auf Schritt und Tritt drohende Kommerzialisierung.
Diese Gefahr besteht nicht, und die programmatische Refrainzeile "We Ain't Born Typical" wird vermutlich bald als Graffiti-Slogan auf Häuserwänden auftauchen oder alternativ gestimmte T-Shirts zieren. Vergisst man aber für einen Moment all das leidige Drumherum einer Band, die in poptheoretischen Diskursen gewollt oder ungewollt für einen Lebensstil herhalten muss, als Lifestyle-Abziehbildchen einer vor allem auf Hipness abzielenden Boheme, bleibt da immer noch ein großartiges, aufregendes und intensives Album für die Freunde avancierter, wüst-romantischer Rockmusik.
ALEXANDER MÜLLER
The Kills, Midnight Boom. Domino WIG 184
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wüst und romantisch: Das Rockduo The Kills
Männer und Frauen können nie Freunde sein, der Sex kommt ihnen immer wieder dazwischen. So lautet eine kurzsichtige Weisheit aus der Komödie "Harry und Sally", die zum Gemeinplatz geworden ist, obwohl sie doch etwa in der Musikszene erfolgreich widerlegt wurde. Mann und Frau können sehr wohl zusammenfinden, sich ein paar Instrumente umschnallen und wie etwa The White Stripes kräftig Remmidemmi machen - und sollte ihnen trotzdem irgendwann einmal die geschlechtliche Anziehung dazwischengekommen sein, will man das eigentlich gar nicht so genau wissen.
Die Entstehung des Duos The Kills war freilich kompliziert, galt es doch, nach einer flüchtigen Bekanntschaft zunächst transatlantische Beziehungen aufzubauen, weswegen die Amerikanerin Alison Mosshart, genannt "VV", und der Brite Jamie Hince alias "Hotel" vor acht Jahren ganz altmodisch Brieffreundschaft schlossen. Als das Hin- und Herschicken von Songideen jedoch zu mühsam wurde, zog Mosshart nach England. Das Debütalbum "Keep On Your Mean Side" bezauberte durch so unterschiedliche Einflüsse wie Velvet Underground und Blind Willie Johnson. Die nachhaltige Medienwirkung verdankte die Band aber nicht nur dem kantigen, ungeschlachten Zweitwerk "No Wow", das rüde den Blues bei seinen Wurzeln packte, sondern auch der Aufmerksamkeit der Boulevards, da Hince eine Liaison mit Model und Trendsetterin Kate Moss begann, an deren exzellentem Musikgeschmack - siehe Pete Doherty - ja kein Zweifel besteht.
Musikalisch besteht die Attraktion der Kills in der Suggestion eines zu seinen Ursprüngen zurückgekehrten Sounds. Zwei Leute können nun mal nicht allzu viele Instrumente gleichzeitig bedienen, weswegen ihre Produktionen in Zeiten ausdifferenzierter Aufnahmetechnik reduziert, minimalistisch und unverfälscht klingen. Kettenraucher und Veganer Hince an Gitarre und Schlagzeug, Mosshart am Bass, beide am Mikrofon, das hört sich oft nach Rumpelkammer und Drogenhöhle an, nach Anrüchigkeit und Punk, nach durchgemachten Nächten und abblätternden Tapeten.
Auch auf dem neuen Album "Midnight Boom", das mit einigen schäbigen Beats aus einem alten Akai-MPC-60-Drum-Sequencer den Charme des Proberaums versprüht, gibt man sich unangepasst und verquer. Fragt man sich in "Sour Cherry" noch vermeintlich niedlich, ob man wohl die einzige Sauerkirsche am Obststand sei, ist die Sache beim mit einem räudigen Raucherhusten beginnenden "Cheap And Cheerful" schon deutlich klarer: "I'm bored of cheap and cheerful (. . .) I want you to be crazy / 'Cause you're boring baby when you're straight." Zu solchen Texten, vor allem zu oft von Handclaps unterstützten Rhythmen, ließ sich die Band von Call-and-Response-Liedern wie "This-A-Way Batman" und Abzählreimen schwarzer Schulkinder inspirieren, die sie in dem amerikanischen Dokumentarfilm "Pizza Pizza Daddy-O" aus den späten sechziger Jahren kennenlernte.
"Midnight Boom" versammelt zeitgemäße Schulhofsongs wie "Alphabet Pony" - was allemal besser ist, als den Nachwuchs Sido oder Bushido zu überlassen, zumal sich The Kills keiner Chauvinismen bedienen, dafür aber verrucht, frech und sexy losrocken. Die erste Single-Auskopplung "U. R. A. Fever" etwa kommt mit nur wenigen, aber umso schmutzigeren Gitarreneskapaden derart ungeschliffen und cool daher, dass sie ohne weiteres zum Independent-Hit des Jahres taugt. Überhaupt lässt sich festhalten, dass auf dem aktuellen Werk etwas seltener - wenn allerdings, dann richtig und, wo nötig, heftig - in die Saiten gegriffen wird als auf dem Vorgänger; dafür durfte Produzent Alex Epton die Platte tanzbarer, vielschichtiger und eingängiger gestalten, natürlich ohne dem Massengeschmack von Großraumdisco, Après-Ski-Party und Formatradio entgegenzukommen. Denn wenn man in angesagten Kreisen eines nicht verlieren darf, ist es die Glaubwürdigkeit, der Ruch von Authentizität und vom Widerstand gegen die auf Schritt und Tritt drohende Kommerzialisierung.
Diese Gefahr besteht nicht, und die programmatische Refrainzeile "We Ain't Born Typical" wird vermutlich bald als Graffiti-Slogan auf Häuserwänden auftauchen oder alternativ gestimmte T-Shirts zieren. Vergisst man aber für einen Moment all das leidige Drumherum einer Band, die in poptheoretischen Diskursen gewollt oder ungewollt für einen Lebensstil herhalten muss, als Lifestyle-Abziehbildchen einer vor allem auf Hipness abzielenden Boheme, bleibt da immer noch ein großartiges, aufregendes und intensives Album für die Freunde avancierter, wüst-romantischer Rockmusik.
ALEXANDER MÜLLER
The Kills, Midnight Boom. Domino WIG 184
(Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main