Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 8. Januar 2010
- Hersteller: 375 Media GmbH / ROUGH TRADE/BEGGARS GROUP / INDIGO,
- EAN: 0883870053228
- Artikelnr.: 27346535
- Herstellerkennzeichnung
- Beggars UK Ltd.
- 375 Media GmbH
- Schachthofstraße 36a
- 21079 Hamburg
- https://375media.com/
CD | |||
1 | Breaking Locks | 00:02:21 | |
2 | Give Them A Token | 00:02:13 | |
3 | Buddy Bradley | 00:02:00 | |
4 | Goblin | 00:01:50 | |
5 | Bathing Birds | 00:02:14 | |
6 | What Makes Him Act So Bad | 00:02:17 | |
7 | Stadium Soul | 00:02:34 | |
8 | Cigarette Burns Forever | 00:01:56 | |
9 | Boss Inside | 00:02:06 | |
10 | Castles And Tassels | 00:02:45 | |
11 | Oh Shucks | 00:01:58 | |
12 | Don't Call Me Uncle | 00:02:57 | |
13 | Lockout | 00:02:09 | |
14 | You Blacken My Stay | 00:02:19 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2010Bradleys Beschwerden
Adam Green liegt auf der Couch der nuller Jahre
Man kann sich derzeit kaum retten vor Rückblicken auf das hinter uns liegende Jahrzehnt, die sogenannten nuller Jahre. Was die Popmusik betrifft, waren kometenhafte Aufstiege zu verzeichnen: so etwa der des New Yorker Sängers Adam Green, der 2002 mit nur einundzwanzig Jahren sein Solodebüt veröffentlichte und durch den insbesondere mit ihm verbundenen Begriff des Antifolk der musikalischen Dekade vielleicht den prägenden Stempel aufdrückte.
Warum er gerade in Deutschland so erfolgreich war - man erinnere sich an das Jahr 2005, als er mit seinem Song "Emily" durch Talkshows tingelte -, ist bis heute nicht ganz geklärt, zumal seine Stücke fast durchweg Belege einer voraussetzungsreichen, bisweilen hermetischen Dichtung sind. Nur vordergründig paradox ist, darauf bezogen, die Tatsache, dass auf seinen CDs häufig der Sticker mit der Aufschrift "explicit lyrics" klebt. Einerseits stimmt es zwar, dass Greens Lieder nie an sexueller Deutlichkeit sparen und einen Hang zum Perversen aufweisen. Andererseits jedoch verstellt man, wenn man nur dies immer wieder hervorhebt, den Blick darauf, dass an vielen seiner Sprachbilder und offensichtlich allegorisch angelegten Texte aber auch gar nichts deutlich ist; bei manchem Stück fällt es schwer, auch nur das Grundthema zu benennen ("That sounds like a pony"). Gerade die vermeintlich eindeutigen Nummern weisen dann doch wieder vielfältige Bedeutungsebenen auf ("Broken Joystick").
Es handelt sich also, und das ist abhebend von vieler Popmusik zu vermerken, um ein durchaus literarisches Werk von teilweise größtmöglicher Offenheit. Ebendies hatte man wohl auch im Hause Suhrkamp entdeckt, als man Green dort den Platz für ein Bändchen in der edition suhrkamp einräumte (F.A.Z. vom 18. Januar 2005). Die darin versammelten Gelegenheitsnotizen reichen allerdings an die vertonte Lyrik nicht heran; auch Greens Ankündigung, er werde das Äquivalent von Kerouacs "On the Road" für seine Generation schreiben und es werde "Stay at Home" heißen, wartet noch auf Einlösung.
Blickt man auf das bisherige Werk, so gewinnt man den Eindruck einer durch und durch zynischen Weltsicht, und zwar nicht nur bei den einschlägig bekannten Liedern wie jenem über die Countrysängerin Jessica Simpson. Als typisch kann dabei ein bisweilen extremer Gegensatz von Form und Inhalt gelten: In fröhlichen Zweiminutensongs mit Calypsorhythmen werden die abendländische Kultur und jeglicher Humanismus vor die Wand gefahren, in 1,36 Minuten die Menschheit zur Tötungsmasse einer riesigen "Bunnyranch" erklärt. Man könnte auch sagen, Green bewies bislang seine Unfähigkeit zu trauern.
Diese Haltung hat sich mit dem neuen Album "Minor Love" geändert - und man würde es auch merken, wenn man nicht die von der PR-Abteilung dankbar verbreitete Nachricht kennte, dass der Plattenaufnahme die Scheidung einer nur sehr kurzen Ehe des Sängers vorausgegangen ist. Am deutlichsten wird die Post-Trennungsthematik in dem nur zur Konzertgitarre vorgetragenen Stück "Boss Inside", das es, ungewöhnlich getragen im Tempo für Adam Green, auch sprachlich mit den schönsten Leonard-Cohen-Balladen aufnehmen könnte. In dunklem Bariton singt er: "I've already tried all the campus bars at night / Even cried alone at the diner".
Das Sexuelle darf bei Green natürlich nicht fehlen: Erneut liefert er hier Episoden ab, die auch aus Philip Roths Erotikon "Portnoys Beschwerden" stammen könnten ("Don't Call Me Uncle"). Als Identifikationsfigur des Albums dient allerdings nicht Portnoy, sondern ein gewisser Buddy Bradley, dessen Funktion sich aus dem gleichnamigen Stück nicht sofort erklärt. Hier lohnt es, als Interpret seine Hausaufgaben zu machen: Buddy Bradley ist eine Comicfigur des Robert-Crumb-Schülers Peter Bagge und gilt als Emblem einer antriebs- und orientierungslosen Grunge-Generation der neunziger Jahre. In der Serie "Hate" hat Bagge diesen modernen Taugenichts durch seine Teen- und Twenjahre begleitet und mit weiterem neurotischem, teils drogenabhängigem Personal umgeben, um ihn schließlich in ein sichereres, womöglich aber spießiges Erwachsenendasein zu entlassen.
Wenn Adam Green nun also singt "All I can be is Buddy Bradley", dann liefert er damit einen Schlüssel zum bisherigen Werk, und er unternimmt einen Schritt Richtung dichterischer Selbstanalyse, legt gewissermaßen die Kunstfigur Adam Green auf die Couch. "I've been too awful / To ever be thoughtful / To ever be nice", heißt es dazu im Eröffnungsstück "Breaking Locks".
Diese kritische Einstellung und die Trauerfähigkeit sind dem Album zugutegekommen, wenngleich Green manchmal noch gegen die Exgeliebte ordentlich austeilt. Vielleicht hat er die schmerzhafte Erkundung des Terrains endloser Beziehungszwistigkeiten und regelrechter Rosenkriege, wie man sie eben auch von Leonard Cohen kennt, noch vor sich. Wenn man beim Vergleich der beiden schwermütigen New-York-Dichter bedenkt, dass Green noch keine dreißig Jahre alt ist, dann hat er dafür noch viel Zeit.
JAN WIELE.
Adam Green, Minor Love. Rough Trade 5715568
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adam Green liegt auf der Couch der nuller Jahre
Man kann sich derzeit kaum retten vor Rückblicken auf das hinter uns liegende Jahrzehnt, die sogenannten nuller Jahre. Was die Popmusik betrifft, waren kometenhafte Aufstiege zu verzeichnen: so etwa der des New Yorker Sängers Adam Green, der 2002 mit nur einundzwanzig Jahren sein Solodebüt veröffentlichte und durch den insbesondere mit ihm verbundenen Begriff des Antifolk der musikalischen Dekade vielleicht den prägenden Stempel aufdrückte.
Warum er gerade in Deutschland so erfolgreich war - man erinnere sich an das Jahr 2005, als er mit seinem Song "Emily" durch Talkshows tingelte -, ist bis heute nicht ganz geklärt, zumal seine Stücke fast durchweg Belege einer voraussetzungsreichen, bisweilen hermetischen Dichtung sind. Nur vordergründig paradox ist, darauf bezogen, die Tatsache, dass auf seinen CDs häufig der Sticker mit der Aufschrift "explicit lyrics" klebt. Einerseits stimmt es zwar, dass Greens Lieder nie an sexueller Deutlichkeit sparen und einen Hang zum Perversen aufweisen. Andererseits jedoch verstellt man, wenn man nur dies immer wieder hervorhebt, den Blick darauf, dass an vielen seiner Sprachbilder und offensichtlich allegorisch angelegten Texte aber auch gar nichts deutlich ist; bei manchem Stück fällt es schwer, auch nur das Grundthema zu benennen ("That sounds like a pony"). Gerade die vermeintlich eindeutigen Nummern weisen dann doch wieder vielfältige Bedeutungsebenen auf ("Broken Joystick").
Es handelt sich also, und das ist abhebend von vieler Popmusik zu vermerken, um ein durchaus literarisches Werk von teilweise größtmöglicher Offenheit. Ebendies hatte man wohl auch im Hause Suhrkamp entdeckt, als man Green dort den Platz für ein Bändchen in der edition suhrkamp einräumte (F.A.Z. vom 18. Januar 2005). Die darin versammelten Gelegenheitsnotizen reichen allerdings an die vertonte Lyrik nicht heran; auch Greens Ankündigung, er werde das Äquivalent von Kerouacs "On the Road" für seine Generation schreiben und es werde "Stay at Home" heißen, wartet noch auf Einlösung.
Blickt man auf das bisherige Werk, so gewinnt man den Eindruck einer durch und durch zynischen Weltsicht, und zwar nicht nur bei den einschlägig bekannten Liedern wie jenem über die Countrysängerin Jessica Simpson. Als typisch kann dabei ein bisweilen extremer Gegensatz von Form und Inhalt gelten: In fröhlichen Zweiminutensongs mit Calypsorhythmen werden die abendländische Kultur und jeglicher Humanismus vor die Wand gefahren, in 1,36 Minuten die Menschheit zur Tötungsmasse einer riesigen "Bunnyranch" erklärt. Man könnte auch sagen, Green bewies bislang seine Unfähigkeit zu trauern.
Diese Haltung hat sich mit dem neuen Album "Minor Love" geändert - und man würde es auch merken, wenn man nicht die von der PR-Abteilung dankbar verbreitete Nachricht kennte, dass der Plattenaufnahme die Scheidung einer nur sehr kurzen Ehe des Sängers vorausgegangen ist. Am deutlichsten wird die Post-Trennungsthematik in dem nur zur Konzertgitarre vorgetragenen Stück "Boss Inside", das es, ungewöhnlich getragen im Tempo für Adam Green, auch sprachlich mit den schönsten Leonard-Cohen-Balladen aufnehmen könnte. In dunklem Bariton singt er: "I've already tried all the campus bars at night / Even cried alone at the diner".
Das Sexuelle darf bei Green natürlich nicht fehlen: Erneut liefert er hier Episoden ab, die auch aus Philip Roths Erotikon "Portnoys Beschwerden" stammen könnten ("Don't Call Me Uncle"). Als Identifikationsfigur des Albums dient allerdings nicht Portnoy, sondern ein gewisser Buddy Bradley, dessen Funktion sich aus dem gleichnamigen Stück nicht sofort erklärt. Hier lohnt es, als Interpret seine Hausaufgaben zu machen: Buddy Bradley ist eine Comicfigur des Robert-Crumb-Schülers Peter Bagge und gilt als Emblem einer antriebs- und orientierungslosen Grunge-Generation der neunziger Jahre. In der Serie "Hate" hat Bagge diesen modernen Taugenichts durch seine Teen- und Twenjahre begleitet und mit weiterem neurotischem, teils drogenabhängigem Personal umgeben, um ihn schließlich in ein sichereres, womöglich aber spießiges Erwachsenendasein zu entlassen.
Wenn Adam Green nun also singt "All I can be is Buddy Bradley", dann liefert er damit einen Schlüssel zum bisherigen Werk, und er unternimmt einen Schritt Richtung dichterischer Selbstanalyse, legt gewissermaßen die Kunstfigur Adam Green auf die Couch. "I've been too awful / To ever be thoughtful / To ever be nice", heißt es dazu im Eröffnungsstück "Breaking Locks".
Diese kritische Einstellung und die Trauerfähigkeit sind dem Album zugutegekommen, wenngleich Green manchmal noch gegen die Exgeliebte ordentlich austeilt. Vielleicht hat er die schmerzhafte Erkundung des Terrains endloser Beziehungszwistigkeiten und regelrechter Rosenkriege, wie man sie eben auch von Leonard Cohen kennt, noch vor sich. Wenn man beim Vergleich der beiden schwermütigen New-York-Dichter bedenkt, dass Green noch keine dreißig Jahre alt ist, dann hat er dafür noch viel Zeit.
JAN WIELE.
Adam Green, Minor Love. Rough Trade 5715568
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main