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Trackliste
CD
1Orphans00:03:15
2Gamma Ray00:02:56
3Chemtrails00:04:40
4Modern Guilt00:03:14
5Youthless00:02:59
6Walls00:02:22
7Replica00:03:25
8Soul Of A Man00:02:36
9Profanity Prayers00:03:43
10Volcano00:04:28
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2008

Die Schuld ist nimmer zweifellos

Ablenkung ist die Religion der Entleerten; wenden wir uns also dem Wesentlichen zu: der neuen Beck-Platte, die nicht nur Kopf und Beine unterhält, sondern endlich auch das Herz.

Die letzte Platte von Beck war eine äußerst traurige Angelegenheit. Sie zeigte einen Künstler als Resteverkäufer seiner eigenen Ideen; es war ein bisschen so, als begegnete man dem ehemals lässigsten Jungen aus der Klasse, nur um festzustellen, dass der immer noch dasselbe ausgeleierte T-Shirt aus den frühen Neunzigern trägt. "The Information" hieß dieses Beck-Album, und es klang wie eine Vorführung all dessen, was an den Neunzigern so furchterregend war: "The Information" war spaßig ohne jeden echten Humor, stilverpanschend ohne Sinn und Verstand, schlaff und gleichgültig wie ein Marihuana-Kränzchen und von einer kühlen Ironie, die einen daran erinnerte, dass man sich dieses Stilmittel besser als Verteidigungswaffe für Momente der Verletztheit aufheben sollte, statt mit ihm lautstark jede Tür einzurennen.

Dieses unangenehme Nachwehen einer Dekade klang allerdings gerade deshalb so unschön, weil Beck mit seiner Mischung aus clownesker Schluffi-Aura, musikalischer Bildung und fortgeschrittener Postmodernität rückblickend sicher der quintessentielle Popstar der Neunziger war - mehr noch als Kurt Cobain, der die Sache ja viel zu ernst nahm. Beck dampfte nur so vor Ungreifbarkeit und Unvorhersehbarkeit, und bei all seinen alchimistischen Pantschereien bewies er stets ein hohes Stilgefühl. Umso schlimmer, dass der einstmals furchtlose Spinner mit seinen müden Schlurf-Rhythmen und dem schlappen Rap-Kauderwelsch nun offenbar als unfreiwilliger Selbstparodist gestrandet war. Es musste etwas passieren. Zum Glück sah Beck das auch so.

Ein paar Daten zu Becks neuem Album: "Modern Guilt" versammelt zehn kurze Songs, das Album ist gerade mal dreiunddreißig Minuten lang (ein Umstand, der Quantitätsfetischisten vor Wut schäumen lassen dürfte), und als Produzent wurde diesmal ein Mann hinzugezogen, dessen Name derzeit für modernen, humorvollen Eklektizismus steht: Brian Joseph Burton, besser bekannt als Danger Mouse - Hälfte des genialischen Kasper-Pop-Duos Gnarls Barkley und Klanggestalter für Gorillaz, The Good The Bad & The Queen und The Shortwave Set. Vor allem die Wahl des Produzenten ist aufschlussreich, ist Danger Mouse doch historisch gesehen ein Nachfolger Becks - ein Schüler als Retter.

Danger Mouse vollbringt etwas Großartiges: Er lässt Beck wieder Beck sein, ohne dass dieser sich auf sicheres Terrain - dösigen Hip-Hop oder Folk-Freakerei - zurückziehen würde. Der Siebenunddreißigjährige klingt hier tatsächlich wieder verwirrend, waghalsig, schwer greifbar, mitunter gar ziemlich far out. Das passt, denn "Modern Guilt" ist eine zeitgemäße Psychedelic-Pop-Platte - für die Beck zum Glück seine besten Songs seit vielen Jahren geschrieben hat: Lieder wie "Orphans" (ein Sixties-Song, der gewissermaßen durch eine Spaghettiwestern-Stadt reitet), "Gamma Ray" (eine von einer Roboterband gespielte Garagennummer) und der Titelsong sind eingängige Lieder, die alle aber einen gehörigen Knick in der Perspektive haben, eine Sollbruchstelle in der Konstruktion. Übersteuerte Trommeln scheppern, Zombie-Chöre seufzen, Gitarren spielen rüde Riffs, seltsame Soundschlieren tauchen auf und verschwinden wieder. Und am Ende gewinnt der Song.

Anderswo lassen sich Beck und Danger Mouse noch mehr gehen: "Chemtrails" beginnt in Brian Wilsons Sandkasten und reitet dann auf einer Funk-Rock-Rakete ins Weltall, "Walls" ist ein überblendetes Hippie-Katerlied mit depressivem Text und Purzelbaum-Schlagzeug, und "Profanity Prayers" klingt, als würden die jung eingefrorenen Buffalo Springfield ein Acid-Rock-Stück in der Zukunft spielen. So ansteckend verrückt, lustvoll und frei wie "Modern Guilt" hat in diesem Jahr noch kein Popalbum geklungen (auch keines, an dem Danger Mouse beteiligt war).

Es steigert den Effekt der Platte, dass Beck diesmal sehr ernste, wenngleich wie immer verspielte Texte geschrieben hat. Es weht ein starker Gegenwarts-Skeptizismus durch diese Songs, alles scheint im Zusammenbruch begriffen, allenthalben herrscht Desorientierung: "Think I'm stranded but I don't know where", singt Beck im ersten Song. "What are you gonna do when those walls are falling down - falling down on you?", fragt er ein paar Stücke später.

Es mutet in diesem Zusammenhang etwas seltsam an, dass der Scientologe Beck hier mit allerhand religiösen Begrifflichkeiten hantiert: Da ist die diffuse "moderne Schuld" des Albumtitels, Kaktus-Kronen werden getragen, in "Orphans" phantasiert er eine Begegnung mit seinem Schöpfer herbei; ein anderes Mal gerät Ablenkung zur Religion der spirituell Entleerten; wieder ein anderes Mal fragt er sich, wer denn nur all die weltlichen Gebete erhören möge. Zwischen diesen aufgeladenen Bildern: Berge von Schuld, Leid, Angst und Hoffnungslosigkeit. Freilich bleiben all die religiösen Verweise ungreifbar, man kann sich jedoch des Eindrucks nur schwer erwehren, dass man es hier mit einem streng Ego-Gläubigen zu tun hat, der Sinnfragen stellt und Stoßgebete am Altar des Selbst entsendet - kein spezifisch scientologisches Problem übrigens. Den Vorwurf der Hohlheit kann man Beck nicht machen: Die leere Mitte war in seiner Musik immer mit angelegt - und sie war schon viel leerer.

Im letzten Song "Volcano" wird Beck sogar richtig anrührend; das ist ihm, mit Ausnahme von "Sea Change", bislang kaum gelungen. Zu sehr war er immer damit beschäftigt, Kopf und Beine zu unterhalten, um auch nur über das Herz nachzudenken. Von all den Tränen sei nichts übrig geblieben als der salzige Geschmack auf der Zunge, singt Beck mit müder Stimme. Von einem japanischen Mädchen ist die Rede, das in den Vulkan gesprungen sei, womöglich, um sich wieder im Mutterleib der Erde sicher zu fühlen. Und auch das lyrische Ich des Songs ist nun auf dem Weg zu diesem Vulkan: "I don't want to fall in though. Just want to warm my bones on that fire a while." Beck hat ein so verrücktes wie wärmendes Album gemacht. Er hätte es glatt "Volcano" nennen können.

ERIC PFEIL

Beck, Modern Guilt. XL Recordings/Beggars Group 369 (Indigo)

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