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Autorenporträt
Bob Dylan (Robert Allen Zimmermann), geb. 1941 in Duluth/Minnesota. Idol in den 60ern, Star in den 70ern und seither Legende. Dylan hat in den letzten 40 Jahren die Geschichte der populären Musik geprägt wie kein anderer und gilt darüber hinaus als einer der großen und einflussreichsten Lyriker unserer Zeit. Für sein Schaffen wurde er 2016 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet
Trackliste
LP 1
1Thunder on the Mountain00:05:55
2Spirit on the Water00:07:42
3Rollin' and Tumblin'00:06:01
4When the Deal Goes Down00:05:04
5Someday Baby00:04:55
LP 2
1Workingman's Blues #200:06:07
2Beyond the Horizon00:05:36
3Nettie Moore00:06:52
4The Levee's Gonna Break00:05:43
5Ain't Talkin'00:08:48
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2006

Die Zeiten sind auch nicht mehr das, was sie mal wa-ha-ren
Gut, daß wir Bob Dylan haben: Auf "Modern Times" swingt, rockt und reitet er wie Gott im Alten Testament

Eine Platte von Bob Dylan ist eine Platte von Bob Dylan ist aber auch bloß eine Platte. Allerdings von Bob Dylan. Auf Erden ist mehr Freude über das mickrigste Lebenszeichen eines Großen als über hundert Heiligsprechungen der Geringen. Andererseits wirkt es in Zeiten immer noch nicht abgeschlossener Vergöttlichung dieses Musikers ("der reine Wahnsinn: Die never ending tour hört und hört nicht auf!" Deswegen heißt sie ja so.) ernüchternd banal, daß Dylan wie ein hergelaufener Hitparadenlümmel noch Musik macht, die man ganz normal kaufen kann.

Wie ist es denn diesmal? Für uns alle gilt: Wer unter euch nur gute Platten gemacht hat, der werfe den letzten Stein. Auch Dylan hatte schlechte, und diese hier ist seine dreißigste ("die dreißigste schlechte?" Die dreißigste Studioaufnahme, ungefähr jedenfalls), in den Köpfen der von ihm Begeisterten wie Angenervten aber sicher schon die vom Hundertsten ins Tausendste, wasweißich. ("Du redest wie Günter Grass." Das ist Absicht.) "Modern Times" heißt sie, das ist ein äußerst unorigineller und doch guter Titel. So hieß seit Chaplins Film wohl kein Werk mehr. ("Doch, es gibt ein Lied, das heißt so. Allerdings nicht von Dylan." Wir reden von Werken!) Und man könnte vermuten, daß Dylan ein gewisses Unbehagen an der Gegenwart zum Ausdruck bringen will wie damals der andere und zweifellos größere Komiker. Dylan war immer der Meinung, daß früher alles besser war; aber es wirkt nie bräsig-selbstzufrieden, er darf so reden. ("Wer ist eigentlich dieser Jack Frost?" Keine Ahnung, der hat schon "Love And Theft" produziert. Ich vermute, es ist Dylan selbst.)

Das erste Lied hat Dylan schon mal ganz souverän bei sich selbst geklaut und ist so gut, daß man glaubt, hier kann nichts mehr schiefgehen: "Thunder on the Mountain" dauert 5:54 Minuten und hat, obwohl es als Rhythm & Blues anders angelegt ist, die gleiche Melodie wie dieses eine Lied von der 1965er-Platte, der zweiten elektrischen ("Like a Rolling Stone? Das dauert 5:59 Minuten." Nein, das, welches ich meine, ist viel kürzer), wie geht das noch, "God said to Abraham" ("Ach so, ,Highway 61 Revisited', 3:15 Minuten." Sag' ich doch).

Der Anfang ist so tanzkapellenhaft hingehauen, daß man sich nicht vorstellen kann, wie Dylans bewährte Rhythmiker da freiwillig mitgemacht haben. Im Ernst: Tony Garnier (Baß), George Receli (Schlagzeug), Stu Kimball und Denny Freeman (Gitarren) sowie Donnie Herron (Steelgitarre und Verwandtes) ist es doch bloß zu verdanken, daß die niemals endende Tour nicht längst schon aus dem Ruder gelaufen ist, so komisch, wie Dylan da immer singt. ("Irgendwo stand, seine Stimme sei jetzt glasklar." Das kann nicht stimmen, sie war ja noch nie klar.)

Man versteht ihn aber jetzt wieder besser, so daß man es sich sparen kann, die Songtexte zusammenzugoogeln, und glauben tut man ihm sowieso jedes Wort: "I got trouble so hard, I just can't stand this straight" - diese Zeilen stammen aus dem gleichfalls mitreißenden "Rollin' and Tumblin'", dem dritten Song. Dylan wird sich gedacht haben, so was muß man triumphierend herauskrähen, sonst klingt es nach Blueswehleidigkeit - eine wahre Stampede, bei der sich der alternde Cowboy prächtig im Sattel hält, die Gitarren machen drrzz-drrzz und gleichzeitig leis' pling-pling, während der Staub sich über den Davonpreschenden wundert. Das zweite Lied, "Spirit on the Water", ist dann ganz anders, hingezupfter Barjazz, zu dem man gut Körper an Körper über die Tanzfläche schieben und schubidu murmeln kann: absolut dylanuntypisch. ("Nichts ist dylanuntypisch, das ist ja das Typische." Meinetwegen.) Als viertes ein dezenter Jazz, "When the Deal Goes Down", der wie das sacht swingende "Beyond the Horizon" nun schon eine Geschmacksfrage ist.

Insgesamt löst Dylan den Albumtitel schlüssig ein, indem er einfach das Gegenteil dessen behauptet, was er bedeutet ("Dylan? Der ,bedeutet' doch gar nichts." Ich meine den Titel, was der bedeutet). Das bedeutet also, daß Dylan sehr alte, aber trotzdem neu- und selbstgeschriebene Sachen bringt, Lieder, die hinter die Rock-'n'-Roll-Zeit zurückreichen, also Crosby, Sinatra, Porter, Cole ("Cole? Porter heißt doch Cole mit Vornamen." Ich meine Nat King). Und das ist ein kleines Problem, auch wenn sich hier nichts kulturbeflissen anhört.

Denn bei sich ist Dylan, wenn es bluesig groovt und knarzt. Hier liegen seine eigentlichen Leistungen: außer in den genannten, schnellen Anfangssongs im "Workingman's Blues # 2", einer Pop-Perle mit wunderbarem Gitarrenpicking, die Dylan geduldig in nun offenbar schon selbstverständlichen sechs Minuten - fast keines ist kürzer - vor sich hin rollt und bei der man sich nur fragt, wann endlich die Mundharmonika kommt. Die hat Dylan auch sonst meistens in der Tasche gelassen. "Nettie Moore" ist ganz im Stile des früh-klassischen Meisters, eine bittere Moritat nach Art von "The Lonesome Death of Hattie Carroll" oder "The Death of Emmett Till", Songs über Leben und Tod, ein ganz großes Thema natürlich, aber auch eines für alle und keinen. Es kommt darauf an, was man daraus macht.

Der alte Dylan greift es sich noch einmal mit seinen Gichthänden und macht es sich restlos zu eigen. Wo er früher Geschichten und Parabeln auch über andere erzählte ("Er meinte doch immer nur sich selbst, gerade, wenn er Dinge sang wie ,It ain't me, Babe'." Schwätzer), da redet er jetzt nur von sich. Nachdem in der vorletzten Nummer noch ein weiteres Mal unerhört lässig geswingt wird ("The Levee's Gonna Break"), geht es mit "Ain't Talkin'" richtig in die vollen - eine fast neunminütige Reise in Dylans Hirn oder, falls er so was besitzt, in seine Seele, eine Rückschau auf imponierend Zurückgelegtes.

Der Messias geht nun zu Fuß, sein Esel ist krank, sein Pferd blind: "As I walked out tonight in the misty garden", man sieht ihn direkt vor sich, nachdenklich und irgendwie wohl auch dankbar schlendernd wie Beckenbauer auf dem römischen Rasen. Und weiter: "Well, the whole world is filled with speculation." ("Weiß Gott, und Dylan ist daran nicht ganz unschuldig." Da hast du ausnahmsweise recht.) Klanglich erinnert der große Schlußsong dieser mehr als zufriedenstellenden, merkwürdig versunkenen Platte an "Love Sick", das bedrückende Lied von "Time Out Of Mind", auf der Dylan zuletzt richtig Biß zeigte. Mein Gott, wenn man sich das Rückcover von damals heute ansieht - Dylan wirkte da mit sechsundfünfzig fast noch jugendlich. Heute ist er fünfundsechzig. Eigentlich kein Alter.

EDO REENTS

Bob Dylan, Modern Times. Columbia 87606 (Sony)

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