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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Es ist mehr so ein Gefühl

Krautrock, Postpunk, Elektronik und ein Ohlalala: das braucht es, um jenen Feindbildproduzenten etwas entgegenzusetzen, die sich die Welt machen, wie sie sich für sie anfühlt. "Gebt doch endlich zu, euch fällt sonst nichts mehr ein / zu euren fucking Privilegien, eurem Unwohlsein / Ihr edlen Erfinder der Menschenrechte / braucht doch in Wahrheit outgesourcte Knechte." Dass Die Goldenen Zitronen die europäische Flüchtlingspolitik (und noch viel mehr) kritisieren und in Zusammenhang bringen mit dem globalen Arbeitsmarkt und Warenverkehr, ist nicht neu. Sie taten das schon vor mehr als zehn Jahren mit "Wenn ich ein Turnschuh wär", also lange bevor irgendjemand von einer sogenannten Flüchtlingskrise sprach. Auch von den Lügen des Populismus und dem G-20-Gipfel in Hamburg können sie auf ihrem neuen Album "More Than A Feeling" (Buback) ein galliges Liedchen singen. Sequenzer, Drum-Machines und scharfkantige Textkonglomerate zwingen selbst jene dazu, sich an die eigene Nase zu fassen, die meinen, stellvertretend für die Verdammten dieser Erde einzutreten. Wenn jeder seine Rolle kennt, weiß keiner mehr ein noch aus.

axmü

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Was die CD "Soundscape: Leonardo da Vinci" (dhm/Sony), deren Front die bekannte anatomische Zeichnung des Renaissancekünstlers schmückt, zu dieser Titelgestaltung qualifiziert, wird auch durch das Booklet und den Verweis auf das Universalgeniale des Mannes, das eben auch die Musik umfasst, nicht recht klar. Aber die Vokal- und Instrumentalmusik, die Katharina Bäuml mit ihrem fabelhaften Ensemble Capella de la torre darauf versammelt, stammt immerhin ungefähr aus Leonardos Zeit, ein Fragment, von ihm komponiert, ist auch dabei. Und über die atemberaubende Rhythmenvielfalt auch in ein und demselben Stück (etwa im anonymen "Il marchese o di Salutio", das die CD eröffnet), über die mal knatternden, dann wieder gesanglich weichen Bläser, über den Schwung, der sich vom ersten bis zum letzten Stück durch das Album zieht, über die hörbar kontrollierte Lust der Musiker, sich das Fremde anzueignen - etwa in einer Preziose wie dem wiederum ohne Angabe des Komponisten überlieferte "Basse Danse Jouissance" aus dem 15. Jahrhundert -, sieht man über die Da-Vinci-Frage locker hinweg.

spre

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Multitalente sind im Jazz die Regel, aber Emiliano Sampaio ist doch eine besondere Nummer. Nicht nur, dass er Posaune und Gitarre spielt - an sich schon eine ungewöhnliche Kombination -, und zwar beides ziemlich gut, nein, er ist auch noch ein vorzüglicher Komponist, Arrangeur und Big-Band-Leiter. Auf der Doppel-CD "Music for Small & Large Ensembles" (Sessionwork/Harmonia Mundi) ist der Brasilianer zunächst zusammen mit der Big Band Mega Mereneu Project zu hören, die österreichische Koryphäen wie den Saxophonisten Heinrich von Kalnein und den Trompeter Gerhard Ornig vereint (Sampaio hat bei Ed Partyka in Graz Posaune studiert). Hier kombiniert Sampaio den Poetry-Slammer David Friedrich und seinen krassen Rundumschlag "Islamwissenschaft", der bei AfD-Politikern Schnappatmung auslösen dürfte, mit messerscharfen Bläsersätzen, den Jazzklassiker "Round Midnight" von Thelonious Monk mit der Sängerin Elina Viluma oder den auf seinen Erfahrungen mit der hr-Bigband beruhenden "Hessischen Waltz" mit einem feinen Sopran-Solo von Heinrich von Kalnein. Auf der zweiten CD präsentiert Sampaio sein Meretrio, in dem er dank Loop-Technik an Gitarre und Posaune gleichzeitig zu hören ist, während er mit dem Schlagzeuger Luis André und dem Bassisten Gustavo Boni verzwickte Tempi, ausgeruhte Grooves und verträumt Psychedelisches ganz selbstverständlich miteinander verschmelzen lässt.

roth

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Als Wolfgang Rihm 2014 sein "Gedicht des Malers" für Violine und Orchester komponierte, ließ er sich von der Vorstellung leiten, Max Beckmann male den legendären Geiger Eugène Ysaÿe. Der hörenden Phantasie genügt dieser Hinweis ohne dezidiert programmatische Vorgaben. Pinsel wie Bogen streichen mit unterschiedlichem Druck mal schneller, mal bedächtiger über Leinwand oder Saiten. Die Geigerin Tianwa Yang hat das Stück nun mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Leitung von Christoph-Mathias Mueller eingespielt (Naxos). Das erste Album ihrer geplanten Gesamtaufnahme von Rihms "Konzerten" für ihr Instrument enthält zudem die "Dritte Musik" (1993) und "Lichtzwang" (1976). Es umspannt damit Rihms kompositorische Entwicklung der letzten fünf Dekaden. Bei all diesen Werken setzt sich der Solopart nie spektakulär in Szene, sondern ist stets verwoben mit vielgestaltigem Orchesterklang, der ihn selten freigibt. Yang gestaltet ihn jeweils mit feindosierter Dynamik und subtiler Expression. Brillante Technik kommt ihr da ebenso zugute wie Vertrautheit mit Rihms Tonsprache seit ihrer phänomenalen Interpretation seiner Solowerke für Violine.

wmg.

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