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Produktbeschreibung
Einer der letzten Romantiker und ein Anwalt der Entrechteten
Trackliste
CD
1Adele Tschüssikowski00:02:37
2Indisch Essen00:02:40
3Humankapital00:02:44
4Gelingendes Leben00:03:58
5Bodenunebenheiten00:02:26
6Bundesadler00:02:31
7Bärtiger Delphin00:02:07
8Hobbynutte00:04:03
9Blutige Halme00:03:52
10Die Zeit00:02:57
11Da stehen sie00:02:59
12Haus aus Styropor00:03:20
13Steuerflüchtling00:03:55
14Jeden Tag Leben00:03:16
15Dingficker00:02:52
16Noch ein Wort00:02:11
17Fotos von Ohren00:03:23
18Nebelmaschine00:09:06
19All die Matrosen00:03:26
20Mein Volk00:03:46
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2005

Als Gerhard Schröder Bundeskanzler war
Der königliche Hofdichter zeigt den Deutschen den Vogel: Sogar für Wappentiere auf erotischen Abwegen wecken Funny van Dannens Balladen Mitgefühl

Wie der Name schon sagt, war der Königliche Hof in Moers einmal das erste Haus am Platze. Heute ist nur noch der Name übrig. Orangefarbene Buchstaben kleben an einem Geschäftshaus, das 1955 an der Stelle des im Krieg zerstörten Hotels errichtet wurde. Natürlich in dem damals modernen Stil, also ohne alles, was den Gedanken an ein Schloß hätte wecken können: ein vergitterter Kasten mit Aufsatz, der vor fünfzig Jahren wahrscheinlich als Hochhaus durchging. Wo seit Friedrich Wilhelms IV. Aufenthalt anno 1852 fürs Bleiben fürstlich gesorgt war, ist jetzt ein Kommen und Gehen. Vor allem ein Gehen. Auf der anderen Straßenseite liegt der Busbahnhof. Kein königsfernerer, kein unhöflicherer Ort in Deutschland. Eines Samstags im Mai, vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, am Morgen nach dem Geburtstagsfest für den Ehrenbürger Hanns Dieter Hüsch, stand vor dem Königlichen Hof ein roter Sonnenschirm. Die SPD machte Wahlkampf. Drei Gestalten machten Musik. Man verstand den Halbvers "Danke, Gerhard Schröder". Und blieb stehen. Mit diesem Lied kann man doch keinen Wahlkampf für die SPD machen! Das ist doch ironisch gemeint!

"Nachdenken im Auto" ist ein Lied von Funny van Dannen, zu finden auf "Uruguay", seinem vierten Album aus dem Jahre 1999. Beim Nachhören im Sessel kommt man dann doch ins Umdenken. "Wir dachten schon, die Welt ist schlecht und die Menschen würden immer blöder. Aber jetzt sieht alles anders aus: Danke, Gerhard Schröder!" Da hat sich das lyrische Ich einen Reim auf die politische Lage im Jahr eins des rot-grünen Projekts gemacht, den es schon damals nicht wirklich ernst nehmen konnte. Einem Mann - und dann noch diesem Mann - dafür danken zu wollen, daß man sich die Welt noch als gut denken kann und die Verblödung als reversibel, klingt eigentlich auch blöd. Aber völlig unernst ist der Dank an den schlauen Aufsteiger auch nicht gemeint. Im Konzert lachen die Leute an dieser Stelle. Lachen sie über sich selbst? Es ist ein Lachen des Wiedererkennens, doch der Lachende tritt sich nicht wie einem Ding gegenüber, er läßt sein Ich, das plötzlich eine seltsame Figur macht, nicht einfach stehen. Das wäre unsolidarisch.

"Ich sing für die Verrückten, die seitlich Umgeknickten", sang Hanns Dieter Hüsch. Funny van Dannen singt für die, die nicht aus ihrer Haut können. Die Kontingenz der Individualität ist sein großes Thema. Es könnte alles anders sein. Aber es ist nicht anders. Darum sei der Kanzler auch bedankt. Er ist wohl wegzudenken, aber so leicht nicht wegzukriegen. Der Nachdenker im Auto läßt die eigene Existenz Revue passieren, während er die Straße im Auge haben muß. Er kann sein Leben nur führen, nicht steuern. "Mein Vater war schon SPD, ich bin's natürlich auch. Wir sind halt für Gerechtigkeit, das ist bei uns so Brauch." Müßig, nach Gründen für biographische Prägungen oder moralische Evidenzen zu fragen. "Ich glaube an den Zauber von ganz banalen Sachen, die, ohne was zu kosten, ganz viel Freude machen."

Das ist so banal gesagt, zumal mit dem doppelten Kitschsignal des Verstärkers "ganz" wie bei Volker Lechtenbrink in "ganz doll dich", daß man es lustig nennen muß. Und doch ist es ein poetologisches Selbstzeugnis, das an Präzision nichts zu wünschen übrigläßt. An dieser Stelle tritt das Lied in eine der für Funny van Dannen charakteristischen Schleifen ein: "Zum Beispiel Nachdenken im Auto, voll konzentriert." Auch Funny van Dannens Melodien kehren wieder zum Anfang zurück; manchmal glaubt man sogar, er habe nur eine einzige Rolle in seinem Leierkasten.

Den poetischen Zustand des voll konzentrierten Schweifens kennt man aus eigener Erfahrung. Resultat der in sich kreisenden Selbstbeschäftigung sind fixe Ideen, von denen die Mitwelt nichts mitbekommen muß. Tritt ihr aber der Niederschlag der geheimen Liebhabereien vor Augen, ist sie peinlich berührt. Da gibt es auf dem achten Album "Nebelmaschine" den Fotosammler, einen Vorläufer oder Wiedergänger des derzeit in Zürich ausgestellten tschechischen Frauenbeinknipsers. "Ich habe mein wertvolles Album verloren, es ist ein Album mit Fotos von Ohren, Ohren von Menschen und Ohren von Tieren, ich liebe es, Ohren zu fotografieren." Der Fetischist kann den Wert des geliebten Objekts nicht erklären, nur den Lobpreis variieren. "Ohren faszinieren mich so sehr, daß ich am liebsten selbst eins wär." Und mit einemmal tritt der Sonderling mit dem Messer im Kopf hinüber in ein fremdes Dasein und entwirft die Innenansicht vom moralischen Leben eines Subjekts, das ganz Ohr wäre.

Ansicht allerdings gerade nicht: "Ich würde alles hören und nichts verstehen. Ich müßte nichts sagen und gar nichts sehen." Was gäbe es auch zu verstehen? Vom Scheitern einer Ehe zum Beispiel kann man nur erzählen. Alle sachlichen Zutaten zur Geschichte vom Zerfall der Zweiheit sind groteske Einzelheiten, denen man die schicksalhafte Bedeutung nicht beimessen möchte, die aber irgend etwas annehmen mußte: "Ich fing den bärtigen Delphin, dadurch zerbrach mein großes Glück. Denn meine Frau fuhr in die Stadt, und sie kam nie mehr zurück." Warum geht der Dichter auf Fabeltierfang? Funny van Dannen ist ein Emblematiker. Seine Geschichten sind angefüllt mit anschaulichen Details, deren Sinn kryptisch bleibt. Die Steinbrück-Unterstützer-Band hatte sich unter dem Königlichen Hof ganz richtig postiert. Wie der Nicht-Ort zu seinem romantischen Namen gekommen ist, kann man nur historisch erklären. Eben weil dem Namen keine Sache mehr entspricht, ist er - um eine ästhetische Kategorie zu bemühen, die der herrschenden Meinung ebenso obsolet erscheint wie die Liebe zur Gerechtigkeit - authentisch. Echt wirkt im Zweifelsfall alles, was in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Erstaunlich, für welche Evolutionsverlierer wir Mitgefühl aufbringen, wenn wir in Funny van Dannens Zoo aus dem Lachen herauskommen. Sie werden nicht glauben, daß die Eheprobleme eines Wappentiers Sie rühren könnten. Hören Sie die Ballade aus der Zeit, "bevor der Bundesadler Bundesadler wurde": Die Gattin des komischen Vogels, der in seinen sexuellen Vorlieben jede artgerechte Haltung vermissen läßt, wird Ihnen nicht Hekuba sein. Mimesis ans Nicht-Identische läßt erspüren, was die Menschen einander schuldig bleiben.

Nur das Ding, das keiner voll aussinnt, entzieht sich der Individualisierung. "Die Zeit kriegt keine Kinder, sie kann keine Kriege führen. Die Zeit kann nichts gewinnen, sie kann keine Zeit verlieren." Wer dieses todtraurige Lied auskostet, darf sich von der Pointe trösten lassen: Es ist witzlos, der Zeit aus ihrer Unmenschlichkeit einen Vorwurf zu machen. "Die Zeit bricht keine Herzen, sie kann den Wind nicht drehen. Die Zeit kann fast überhaupt nichts, die Zeit kann nur vergehen."

Hüsch amüsierte sich gerne über Kollegen, die ihm vorhielten: Das kann man doch heute nicht mehr machen! "Das" war ein Lied in C-Dur oder ein Bekenntnis zum Guten im Menschen. Was haben die linken Geschmacksrichter erreicht, denen das Gutmenschentum peinlich war? Die kulturelle Hegemonie liegt bei den Schamlosen, die Leistungsträger loben und sich selbst damit meinen. Wenn aber die Zeit wirklich nichts kann, dann ist es nicht unmodern, Jugendliche zu besingen, die Lehrstellen finden, und Immigranten, die sich auf deutsch unterhalten. "Dies hier ist ein schönes Lied, und es heißt: Gelingendes Leben."

Man hat über Funny van Dannen gesagt, er teile Deutschland: Entweder man liebe ihn, oder man kenne ihn nicht. Wer ihn kennt, so steht zu vermuten, wird sich schwertun mit einem öffentlichen Diskurs, der nicht mehr wissen will, wie verschlungen Lebensfäden sind, und daher alle Arbeitslosen für arbeitsscheu hält und jeden Türken für einen geborenen Ehrenmörder.

Die Fans von Funny van Dannen werden indes nicht alle dasselbe wählen. Erstens hat man die Parteipräferenz oft vom Vater geerbt, und zweitens ist der Musikgeschmack mindestens so sehr Privatsache wie das Ohrenfotosammeln. Wem der Dank der Nation gebührt, mag sich erst auf dem Weg ins Wahllokal finden beim Nachdenken im Auto.

PATRICK BAHNERS

Funny van Dannen, Nebelmaschine. Trikont US-0336

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