Produktdetails
- Anzahl: 2 Vinyls
- Erscheinungstermin: 30. Januar 2015
- Hersteller: Universal Vertrieb - A Divisio / Sultan Günther Music,
- Gesamtlaufzeit: 43 Min.
- EAN: 4260393330276
- Artikelnr.: 41911914
- Herstellerkennzeichnung
- Universal Music GmbH
- Mühlenstr. 25
- 10243 Berlin
- productsafety@umusic.com
LP 1 | |||
1 | So'ne Musik | 00:03:12 | |
2 | Denken Sie groß | 00:04:04 | |
3 | Powered By Emotion | 00:03:31 | |
4 | Like mich am Arsch | 00:03:53 | |
5 | Oma gib Handtasche | 00:01:54 | |
6 | Die Welt ist fertig | 00:03:39 | |
LP 2 | |||
1 | Niveau Weshalb Warum | 00:04:02 | |
2 | Mehr als lebensgefährlich | 00:03:38 | |
3 | Was habt ihr? | 00:03:27 | |
4 | Porzellan und Elefanten | 00:03:37 | |
5 | Naschfuchs | 00:03:48 | |
6 | Hauptsache nichts mit Menschen | 00:04:30 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2015Ihr könnt es alle lieben!
Hier spricht die deutsche Seele: Was die Band "Deichkind" über unsere Gesellschaft erzählt
Zum Affen machen sich Männer um die vierzig bekanntlich oft und gern. Aber so gekonnt? Das verdient Respekt. Da steht einer auf einem Skateboard ohne Rollen, das wiederum liegt auf einem Baumstamm. Der Mann balanciert, trägt Tarnmuster-Hose, Batikpulli und eine Karnevalsperücke. Er ist "Porky" von Deichkind, allein dieser Name schon, und sein Rap gipfelt in einer Zeile, mit der er sich eigentlich selbst erklärt: "Der zerrockte Clown / zerfeiert euch zu Staub".
Wenn an diesem Wochenende "Niveau Weshalb Warum" erscheint, die neue, sechste Platte der Band "Deichkind", hat der deutsche Hiphop sich selbst zu Grabe getragen. Also die Hamburger Variante, die man früher gern "Gymnasiastenrap" nannte. Besonders gut ging es ihr sowieso nicht mehr, seit Jan Delay durchgedreht ist und Altherren-Rock macht. Der Rap der Bürgerkinder schafft sich voller Freude ab. Seine Waffen sind knallharte, schrille Sounds, die man eher vom Korea-Techno kennt, und ein entschlossener Wille zum Unfug. Ob das Hiphop ist oder Techno oder was auch immer - wen interessiert's.
Rein musikalisch könnte man Deichkind mit der Kammermusik Béla Bartóks vergleichen: Es gibt zwar wenig Instrumente, und der Sound ist klar wie ein Hamburger Doppelkorn. Aber die Instrumente, die spielen, geben Vollgas. Etwa so: ein pumpender Beat, dann ein einsamer sehr synthetischer Synthi, dessen Tonhöhe schwankt wie eine Saite, an der ein Bluesgitarrist zieht. (Die erste Nummer.) Ein pumpender Beat, dazu immer wieder die gleichen drei Plopp-Töne. (Die zweite Nummer.) Ein sägender Bass, dazu dann . . . ein pumpender Beat. Mehr nicht. (Die dritte Nummer.) So geht es weiter. Schreckliche, herrliche, stumpfe Musik. Das kommt dabei raus, wenn man großgewordenen Kids, die mit den Pling-Plang-Videospielsounds der Achtziger aufgewachsen sind, hochmoderne Musiktechnik in die Hand gibt. Da kommen die Chemical Brothers mit Ibiza-Techno zusammen, hier hat eine Band sich vorgenommen, jeder einzelne Song möge so gewaltig dröhnen wie "Sabotage" von den Beastie Boys.
"Ich bin aber gar kein Klangfetischist", stapelt Philipp Grütering alias Kryptik Joe tief. Er ist Gründungsmitglied und heute Zentrum der Band. "Der Sound trägt bei uns den Inhalt." Und der kommt aus dem Herzen der deutschen Befindlichkeit. Dort haust, weiß man heute besser denn je, eine Kapitalismuskritik, die schon aus alten Deichkind-Hits wie "Arbeit nervt" und "Bück dich hoch" sprach. Auf dem neuen Album parodieren Deichkind nun mit "Denken Sie groß" das Gefasel der Management- und Motivations-Coaches. ("Trinken Sie den Baikalsee auf Ex, zum Frühstück gibt's Blattgold auf die Smacks"). Aber irgendwas stimmt nicht. Aus dieser Musik spricht kein Groll. Es ist, als liebten sie den Wahnsinn, über den sie singen. Nur folgerichtig, dass echte Motivationstrainer auf Youtube ihre Werbung vor diesen Song schalten. Natürlich tut das ein Programm. Aber es zeigt doch, wie die Chancen von Kritik im Kapitalismus so stehen. Der Krawall von Deichkind ist auch ein Akt der Verzweiflung.
Wer schon nicht gehört wird, will wenigstens richtig feiern - auch mit bombastischer Bühnenshow und einem übergroßen Bierfass, in dem die Band durch das Publikum surft. Oft wurde ihr das Attribut "Prollrap" angeheftet. Grütering trifft das nicht, sagt er. "Das haben wir selbst hervorgerufen, mit dem hedonistischen Lifestyle, den wir gern propagieren." Grütering spricht leise und nachdenklich, er könnte kaum weiter entfernt sein von einem grölenden Hedonisten. "In jedem von uns steckt ein Proll, der mal Fastfood essend ins Blockbuster-Kino geht", sagt er. "Und dafür muss sich keiner schämen."
Der Mensch möchte wohl gern klug sein, aber die Gefühle rebellieren. Diesem Phänomen gibt Deichkind eine Stimme. Theodor W. Adorno erfand dafür lange vorher den Begriff der "pathischen Dummheit": Wir sollen froh sein, wenn wir Blödheit an uns bemerken, wenn wir in der Oper nicht zuhören können oder beim Lesen von Goethe immer einschlafen. Denn in diesen Momenten der Dummheit, gegen die man sich nicht wehren kann, erkennt man erst, welche Bedürfnisse echt eigene sind und welche nicht. "Die Bildung eines vernünftigen gesellschaftlichen Gesamtsubjekts, der Menschheit, misslang. Daran laboriert umgekehrt auch wieder jeder einzelne." Natürlich hilft es, beim Hören von Deichkind ansonsten nicht allzu viel an Adorno zu denken.
Denn sie sind die Band mit der "Wodka-Zitze", einer gigantischen Brust, die über ein Schlauchsystem das Publikum mit Alkohol versorgt. Sie greifen die Tradition der Funkband Parliament auf, die in den Siebzigern für ihre Bühnenshow mit einem "Mutterschiff" aus Pappe so viel Geld verpulverte, dass sie trotz aller Beliebtheit bald pleite war.
Das wird hier nicht passieren, dafür ist diese Band, die einfach alle umarmt, viel zu groß. Textzeilen wie, man höre, "Im Hobbykeller / Beim Klinkenputzen / in der Tagesklinik" eben neuerdings wieder "so ne Musik", wollen sagen: Ihr könnt es alle lieben. Eure Mütter aber auch. Das ist im deutschen Hiphop ziemlich selten. Die Fetten Brote oder Das Bo leben in einer Phantasiewelt, in der alle immer gut drauf sind und gerade auf den nächsten Cocktail warten. Bushido und Fler leben in einer Phantasiewelt, in der alle schlecht drauf sind und sich immer auf die Fresse hauen. Deichkind leben im echten Deutschland, irgendwo in der Fußgängerzone zwischen Tchibo und Handyshop.
Linke Medien hassen das alles meist, die "Junge Welt" rief der Band "hohlen Zynismus" nach. Doch das könnte ungerecht sein. Nur diese Musiker störten den WM-Taumel des vergangenen Sommers mit einer bitteren Kritik. In ihrem Song "Ich hab eine Fahne" hieß es: "Pack die Tiere auf den Grill / Sklave bau den Tempel auf / FIFA treibt das Vieh zusammen". Es war die erste Nummer, seit die Band sich selbständig gemacht hat (nun "Sultan Günther Music" statt Universal). Zuletzt hatten sie noch öffentlich zum Klauen ihrer Musik aufgerufen ("Damit Anarchie herrscht und die Lumpen an die Macht kommen"), nur um trotzdem eine halbe Million Platten zu verkaufen.
Die neue CD dürfte noch erfolgreicher werden, bei allem Nonsens. Auf dem verstörenden Endzeit-Rap "Die Welt ist fertig" singt Siri, die Stimme des iPhones. Ein anderer Song besteht nur aus Werbeslogans. Und "Like mich am Arsch" verlacht die Oberflächlichkeit von Facebook. Das ist dann wahrlich nichts Neues. Aber: Zwölf Nummern hat die Platte, sieben könnten Hits werden. "So ne Musik", die Hommage an Spaßtechno, ist die Single, aber "Was habt ihr" und "Mehr als lebensgefährlich" sind genauso gute Partykracher.
Grütering grübelt trotzdem manchmal über den Sinn hinterm Spaß. "Niveau weshalb warum - wer uns fragt bleibt dumm", sagt er, sei ganz ernst gemeint: "Wir haben nie Antworten gehabt. Das ist auch etwas Demokratisches. Du musst immer einen Konsens finden mit allen, da hilft es, nicht zu borniert zu sein." Der totale Blödsinn gleicht der totalen Toleranz unter den Friedlichen.
Noch so ein Wort, mit dem diese Rapper immer wieder zu tun hatten, ist: Musik für die "Spaßgesellschaft". Und die Band entstand ja auch Ende der Neunziger, als "Ballermann 6" im Kino war und die größten Jahre der Loveparade kamen. Dabei fing Deichkind eher ernst an, wie eben üblich im Deutschrap. Die erste Platte "Bitte ziehen sie durch" von 2000 klingt nach Fanta 4, nach Hiphop-Kunst, ständig wird die Heimat an der Elbe erwähnt, mit all den Klischees von Reeperbahn und Hafen, die heute so senil wirken. Nach dem zweiten Album verbietet Grütering das Wort Hamburg. Deichkind wird elektrischer. Seit "Yippie Yippie Yeah, Remmidemmi" von 2006 ist die Band für alle da, Hauptsache gute Laune. Ihre schrillen Bühnenkostüme entwickelten sich aus einem Gag. Irgendwo lagen Backstage Müllsäcke herum, und jemand kam auf die Idee, sie anzuziehen. Beim Melt-Festival 2006 bat die Band einfach alle Fans auf die Bühne, bis diese beinahe zusammenbrach. Im Juni 2007, auf dem Weg zu einem Gig in Dortmund, kommt Porky im Bandbus die Idee: Einfach mal tausend Bierdosen kaufen! Selbstverständlich gefällt der Vorschlag allen, man verteilt die Dosen dann im Publikum mit einer Anweisung: Bitte schütteln, hochhalten, und auf Befehl alle gleichzeitig aufmachen. "Ein erhabener Anblick", schwärmt Philipp Grütering noch heute.
Aber auch an Rückschlägen ist die Bandgeschichte reich. Malte Pittner, Mitgründer, geht 2006 nach persönlichen Streitigkeiten. Buddy Inflagranti ebenfalls. Der Produzent Sebastian Hackert stirbt 2009. Das Ende von Deichkind scheint gekommen. Und dann werden sie doch immer größer. Plötzlich nimmt Kampnagel die Diskursoperette "Deichkind in Müll" ins Programm. Die Band steht auf der Bühne, jeder sagt jedem vor Publikum, wie er die anderen sieht, es gibt Tränen.
Moderner als andere deutsche Musikprojekte ist die Band auch, weil sie gar keine Band ist. Es gibt Grütering und Henning Besser alias DJ Phono oder auch La Perla. Und dann gibt es eine Handvoll Musiker, die hier und da mal mitmachen - Porky und Ferris MC sind die nächsten. Keiner weiß so genau, wer noch dazugehört. Deichkind ist ein offenes Haus der Musik. Und es steht längst in Berlin. "Wie lange willst du das denn noch machen?", wird Grütering oft gefragt. Als gäbe es ein Verfallsdatum für Spaß, als müsse ein Mann gefälligst erwachsen werden. Das ist nicht geplant. Auch wenn ungefähr sieben Kinder in der Band gerade unterwegs seien, wie Grütering sich freut. In Kürze werden Deichkind, die Meister der gehobenen Eselei, wohl auch beweisen, dass man als Vater nie ruhiger werden muss. Eines ihrer Lieder hat nur eine Textzeile, ein geschrieenes "Oma gib Handtasche!"
"Niveau Weshalb Warum" ist die beste Platte dieser Band, auf die jetzt ein gigantischer Erfolg zukommen wird. Deutschland hat einen Nachfolger für Grönemeyer oder die Toten Hosen, eine Konsensband für das Volk, für uns alle - nur diesmal eine mit Humor. Sicher werden diese Männer bald zu politischen Talkshows eingeladen. Vermutlich werden sie nicht kommen, oder wenn, dann in bescheuerten Kostümen. Aber sie machen immerhin auch vor, wie man mit Pegida umgehen könnte. Das Bedürfnis der Menschen anerkennen nach wenig Arbeit, mehr Spaß und ab und zu ausflippen. Wer eine Wodka-Zitze bekommt, braucht dann bestimmt auch keinen Sündenbock mehr.
THOMAS LINDEMANN
Deichkind: "Niveau Weshalb Warum" (Sultan Günther Music)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier spricht die deutsche Seele: Was die Band "Deichkind" über unsere Gesellschaft erzählt
Zum Affen machen sich Männer um die vierzig bekanntlich oft und gern. Aber so gekonnt? Das verdient Respekt. Da steht einer auf einem Skateboard ohne Rollen, das wiederum liegt auf einem Baumstamm. Der Mann balanciert, trägt Tarnmuster-Hose, Batikpulli und eine Karnevalsperücke. Er ist "Porky" von Deichkind, allein dieser Name schon, und sein Rap gipfelt in einer Zeile, mit der er sich eigentlich selbst erklärt: "Der zerrockte Clown / zerfeiert euch zu Staub".
Wenn an diesem Wochenende "Niveau Weshalb Warum" erscheint, die neue, sechste Platte der Band "Deichkind", hat der deutsche Hiphop sich selbst zu Grabe getragen. Also die Hamburger Variante, die man früher gern "Gymnasiastenrap" nannte. Besonders gut ging es ihr sowieso nicht mehr, seit Jan Delay durchgedreht ist und Altherren-Rock macht. Der Rap der Bürgerkinder schafft sich voller Freude ab. Seine Waffen sind knallharte, schrille Sounds, die man eher vom Korea-Techno kennt, und ein entschlossener Wille zum Unfug. Ob das Hiphop ist oder Techno oder was auch immer - wen interessiert's.
Rein musikalisch könnte man Deichkind mit der Kammermusik Béla Bartóks vergleichen: Es gibt zwar wenig Instrumente, und der Sound ist klar wie ein Hamburger Doppelkorn. Aber die Instrumente, die spielen, geben Vollgas. Etwa so: ein pumpender Beat, dann ein einsamer sehr synthetischer Synthi, dessen Tonhöhe schwankt wie eine Saite, an der ein Bluesgitarrist zieht. (Die erste Nummer.) Ein pumpender Beat, dazu immer wieder die gleichen drei Plopp-Töne. (Die zweite Nummer.) Ein sägender Bass, dazu dann . . . ein pumpender Beat. Mehr nicht. (Die dritte Nummer.) So geht es weiter. Schreckliche, herrliche, stumpfe Musik. Das kommt dabei raus, wenn man großgewordenen Kids, die mit den Pling-Plang-Videospielsounds der Achtziger aufgewachsen sind, hochmoderne Musiktechnik in die Hand gibt. Da kommen die Chemical Brothers mit Ibiza-Techno zusammen, hier hat eine Band sich vorgenommen, jeder einzelne Song möge so gewaltig dröhnen wie "Sabotage" von den Beastie Boys.
"Ich bin aber gar kein Klangfetischist", stapelt Philipp Grütering alias Kryptik Joe tief. Er ist Gründungsmitglied und heute Zentrum der Band. "Der Sound trägt bei uns den Inhalt." Und der kommt aus dem Herzen der deutschen Befindlichkeit. Dort haust, weiß man heute besser denn je, eine Kapitalismuskritik, die schon aus alten Deichkind-Hits wie "Arbeit nervt" und "Bück dich hoch" sprach. Auf dem neuen Album parodieren Deichkind nun mit "Denken Sie groß" das Gefasel der Management- und Motivations-Coaches. ("Trinken Sie den Baikalsee auf Ex, zum Frühstück gibt's Blattgold auf die Smacks"). Aber irgendwas stimmt nicht. Aus dieser Musik spricht kein Groll. Es ist, als liebten sie den Wahnsinn, über den sie singen. Nur folgerichtig, dass echte Motivationstrainer auf Youtube ihre Werbung vor diesen Song schalten. Natürlich tut das ein Programm. Aber es zeigt doch, wie die Chancen von Kritik im Kapitalismus so stehen. Der Krawall von Deichkind ist auch ein Akt der Verzweiflung.
Wer schon nicht gehört wird, will wenigstens richtig feiern - auch mit bombastischer Bühnenshow und einem übergroßen Bierfass, in dem die Band durch das Publikum surft. Oft wurde ihr das Attribut "Prollrap" angeheftet. Grütering trifft das nicht, sagt er. "Das haben wir selbst hervorgerufen, mit dem hedonistischen Lifestyle, den wir gern propagieren." Grütering spricht leise und nachdenklich, er könnte kaum weiter entfernt sein von einem grölenden Hedonisten. "In jedem von uns steckt ein Proll, der mal Fastfood essend ins Blockbuster-Kino geht", sagt er. "Und dafür muss sich keiner schämen."
Der Mensch möchte wohl gern klug sein, aber die Gefühle rebellieren. Diesem Phänomen gibt Deichkind eine Stimme. Theodor W. Adorno erfand dafür lange vorher den Begriff der "pathischen Dummheit": Wir sollen froh sein, wenn wir Blödheit an uns bemerken, wenn wir in der Oper nicht zuhören können oder beim Lesen von Goethe immer einschlafen. Denn in diesen Momenten der Dummheit, gegen die man sich nicht wehren kann, erkennt man erst, welche Bedürfnisse echt eigene sind und welche nicht. "Die Bildung eines vernünftigen gesellschaftlichen Gesamtsubjekts, der Menschheit, misslang. Daran laboriert umgekehrt auch wieder jeder einzelne." Natürlich hilft es, beim Hören von Deichkind ansonsten nicht allzu viel an Adorno zu denken.
Denn sie sind die Band mit der "Wodka-Zitze", einer gigantischen Brust, die über ein Schlauchsystem das Publikum mit Alkohol versorgt. Sie greifen die Tradition der Funkband Parliament auf, die in den Siebzigern für ihre Bühnenshow mit einem "Mutterschiff" aus Pappe so viel Geld verpulverte, dass sie trotz aller Beliebtheit bald pleite war.
Das wird hier nicht passieren, dafür ist diese Band, die einfach alle umarmt, viel zu groß. Textzeilen wie, man höre, "Im Hobbykeller / Beim Klinkenputzen / in der Tagesklinik" eben neuerdings wieder "so ne Musik", wollen sagen: Ihr könnt es alle lieben. Eure Mütter aber auch. Das ist im deutschen Hiphop ziemlich selten. Die Fetten Brote oder Das Bo leben in einer Phantasiewelt, in der alle immer gut drauf sind und gerade auf den nächsten Cocktail warten. Bushido und Fler leben in einer Phantasiewelt, in der alle schlecht drauf sind und sich immer auf die Fresse hauen. Deichkind leben im echten Deutschland, irgendwo in der Fußgängerzone zwischen Tchibo und Handyshop.
Linke Medien hassen das alles meist, die "Junge Welt" rief der Band "hohlen Zynismus" nach. Doch das könnte ungerecht sein. Nur diese Musiker störten den WM-Taumel des vergangenen Sommers mit einer bitteren Kritik. In ihrem Song "Ich hab eine Fahne" hieß es: "Pack die Tiere auf den Grill / Sklave bau den Tempel auf / FIFA treibt das Vieh zusammen". Es war die erste Nummer, seit die Band sich selbständig gemacht hat (nun "Sultan Günther Music" statt Universal). Zuletzt hatten sie noch öffentlich zum Klauen ihrer Musik aufgerufen ("Damit Anarchie herrscht und die Lumpen an die Macht kommen"), nur um trotzdem eine halbe Million Platten zu verkaufen.
Die neue CD dürfte noch erfolgreicher werden, bei allem Nonsens. Auf dem verstörenden Endzeit-Rap "Die Welt ist fertig" singt Siri, die Stimme des iPhones. Ein anderer Song besteht nur aus Werbeslogans. Und "Like mich am Arsch" verlacht die Oberflächlichkeit von Facebook. Das ist dann wahrlich nichts Neues. Aber: Zwölf Nummern hat die Platte, sieben könnten Hits werden. "So ne Musik", die Hommage an Spaßtechno, ist die Single, aber "Was habt ihr" und "Mehr als lebensgefährlich" sind genauso gute Partykracher.
Grütering grübelt trotzdem manchmal über den Sinn hinterm Spaß. "Niveau weshalb warum - wer uns fragt bleibt dumm", sagt er, sei ganz ernst gemeint: "Wir haben nie Antworten gehabt. Das ist auch etwas Demokratisches. Du musst immer einen Konsens finden mit allen, da hilft es, nicht zu borniert zu sein." Der totale Blödsinn gleicht der totalen Toleranz unter den Friedlichen.
Noch so ein Wort, mit dem diese Rapper immer wieder zu tun hatten, ist: Musik für die "Spaßgesellschaft". Und die Band entstand ja auch Ende der Neunziger, als "Ballermann 6" im Kino war und die größten Jahre der Loveparade kamen. Dabei fing Deichkind eher ernst an, wie eben üblich im Deutschrap. Die erste Platte "Bitte ziehen sie durch" von 2000 klingt nach Fanta 4, nach Hiphop-Kunst, ständig wird die Heimat an der Elbe erwähnt, mit all den Klischees von Reeperbahn und Hafen, die heute so senil wirken. Nach dem zweiten Album verbietet Grütering das Wort Hamburg. Deichkind wird elektrischer. Seit "Yippie Yippie Yeah, Remmidemmi" von 2006 ist die Band für alle da, Hauptsache gute Laune. Ihre schrillen Bühnenkostüme entwickelten sich aus einem Gag. Irgendwo lagen Backstage Müllsäcke herum, und jemand kam auf die Idee, sie anzuziehen. Beim Melt-Festival 2006 bat die Band einfach alle Fans auf die Bühne, bis diese beinahe zusammenbrach. Im Juni 2007, auf dem Weg zu einem Gig in Dortmund, kommt Porky im Bandbus die Idee: Einfach mal tausend Bierdosen kaufen! Selbstverständlich gefällt der Vorschlag allen, man verteilt die Dosen dann im Publikum mit einer Anweisung: Bitte schütteln, hochhalten, und auf Befehl alle gleichzeitig aufmachen. "Ein erhabener Anblick", schwärmt Philipp Grütering noch heute.
Aber auch an Rückschlägen ist die Bandgeschichte reich. Malte Pittner, Mitgründer, geht 2006 nach persönlichen Streitigkeiten. Buddy Inflagranti ebenfalls. Der Produzent Sebastian Hackert stirbt 2009. Das Ende von Deichkind scheint gekommen. Und dann werden sie doch immer größer. Plötzlich nimmt Kampnagel die Diskursoperette "Deichkind in Müll" ins Programm. Die Band steht auf der Bühne, jeder sagt jedem vor Publikum, wie er die anderen sieht, es gibt Tränen.
Moderner als andere deutsche Musikprojekte ist die Band auch, weil sie gar keine Band ist. Es gibt Grütering und Henning Besser alias DJ Phono oder auch La Perla. Und dann gibt es eine Handvoll Musiker, die hier und da mal mitmachen - Porky und Ferris MC sind die nächsten. Keiner weiß so genau, wer noch dazugehört. Deichkind ist ein offenes Haus der Musik. Und es steht längst in Berlin. "Wie lange willst du das denn noch machen?", wird Grütering oft gefragt. Als gäbe es ein Verfallsdatum für Spaß, als müsse ein Mann gefälligst erwachsen werden. Das ist nicht geplant. Auch wenn ungefähr sieben Kinder in der Band gerade unterwegs seien, wie Grütering sich freut. In Kürze werden Deichkind, die Meister der gehobenen Eselei, wohl auch beweisen, dass man als Vater nie ruhiger werden muss. Eines ihrer Lieder hat nur eine Textzeile, ein geschrieenes "Oma gib Handtasche!"
"Niveau Weshalb Warum" ist die beste Platte dieser Band, auf die jetzt ein gigantischer Erfolg zukommen wird. Deutschland hat einen Nachfolger für Grönemeyer oder die Toten Hosen, eine Konsensband für das Volk, für uns alle - nur diesmal eine mit Humor. Sicher werden diese Männer bald zu politischen Talkshows eingeladen. Vermutlich werden sie nicht kommen, oder wenn, dann in bescheuerten Kostümen. Aber sie machen immerhin auch vor, wie man mit Pegida umgehen könnte. Das Bedürfnis der Menschen anerkennen nach wenig Arbeit, mehr Spaß und ab und zu ausflippen. Wer eine Wodka-Zitze bekommt, braucht dann bestimmt auch keinen Sündenbock mehr.
THOMAS LINDEMANN
Deichkind: "Niveau Weshalb Warum" (Sultan Günther Music)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main