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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2024

Karneval in Peking

Zu glauben, John Adams habe für seine Oper "Nixon in China", uraufgeführt 1987, nur einen Soundtrack komponiert, wäre ein grobes Missverständnis. Adams' Musik, die (wie in der amerikanischen Minimal Music üblich) ihre Form aus der Wiederholung einfacher Spielfiguren oder Rhythmen entwickelt, zielt zwar auf eine starke Atmosphäre. Zugleich erscheint sie dem Hörer als äußerst differenziert, weil Adams nicht nur dem Gesetz der Wiederholung gehorcht, sondern den Bruch dieses Gesetzes als eigentliche Möglichkeit für Kreativität entdeckt. Plötzlich kann es bei ihm zur Verdichtung oder Lichtung rhythmischer Muster kommen, abreißende Klangstränge bieten dem Hörer überraschende Perspektivwechsel; was zuvor gepanzerte Äußerlichkeit war, offenbart plötzlich ein vibrierendes Innenleben. Adams zeigt dabei einen ausgeprägten Sinn für die Klangfarben des Orchesters: oft ins Helle, Oszillierende spielend, aber auch mit der Fähigkeit, brutalste Kraftentfaltung in Töne zu setzen.

An der Deutschen Oper Berlin, wo "Nixon in China" nun vom Künstlerkollektiv "Hauen und Stechen" auf die Bühne gebracht wurde, interessiert das niemanden. Die Oper wird in einer Bilderflut ertränkt, deren Überfluss (in beiderlei Sinn) man im besten Fall als ein Abbild des kapitalistischen Wirtschaftssystems verstehen kann, für das Richard Nixon, der frühere amerikanische Präsident, hier steht. Wenn Nixon zum Besuch bei Mao Tse-tung aus dem Flugzeug steigt (in Berlin senkt sich eine fallschirmartige Riesenqualle aus der Höhe herab, in deren Tentakeln Nixon und sein Tross hängen), bringt er die Flut an visuellen Reizen quasi als Gastgeschenk mit. Bald laufen Stiere, Paviane und Pandabären über die Bühne, Mao steckt im Kostüm eines possierlich verschrumpelten Drachen, seine Sekretärinnen erscheinen im Reptilienlook. Zum Laufen gebracht werden Mao-Bibeln und Würste, Handgranaten und Herzen mit rotem Lieb-hab-Wuschelfell; als Riesenköpfe treten Darth Vader ebenso auf wie Adolf Hitler, dessen baumelndes Gemächt gleich unterm Kinn den Auftritt wohl als Witz entschuldigen soll; Gandalf schleppt sich, am Wanderstab hängend, über die Bühne, aber auch langfingrige Außerirdische; Kinder sind als Freiheitsstatue verkleidet oder als lackschwarz glänzende Entchen, die mit vorgehaltenen Gewehren Henry Kissinger, den Berater des Präsidenten, in Schach halten. Der Fleißpreis dieser Produktion geht eindeutig an die Kostümabteilung der Deutschen Oper und an Ausstatterin Christina Schmitt, die ihre Phantasie ungehemmt sprudeln lassen durfte.

Das alles muss erst mal vorgeführt sein. Während des gesamten Abends laufen auf der Bühne mindestens drei Szenerien gleichzeitig ab; selbstverständlich wird auch noch gefilmt mit Liveübertragung auf die Bühnenrückwand; die Übertitelungen, die Alice Goodmans gehaltvolles Libretto anzeigen, wollen aber auch noch gelesen sein: die totale visuelle Reizüberflutung.

In ironischer Brechung wollten John Adams und seine Librettistin eine Heldenoper nach romantischem Vorbild schreiben. Nixons epochaler Besuch 1972 in Peking (dessen Legendenhaftigkeit der amerikanische Präsident medial zu befeuern wusste) schien Adams dafür geeignet. In chronologischer Sorgfalt folgt die Oper dem Tagesprogramm jener Tage, die Härten und Feinheiten von Adams' Musik, ihr Wechsel zwischen starrem Auf-der-Stelle-Treten und soghafter Entfaltung wollen beides zeigen: die Maskenhaftigkeit der Macht wie die Intimität des Privaten. Die Regisseurinnen Julia Lwowski und Franziska Kronfoth aber fallen einem Trigger zum Opfer, wenn sie von Nixons Mediengeilheit, vorgeführt gleich bei der Ankunft in Peking, auf ein Generalthema dieser Oper schließen. Alles Propaganda - und die soll nun mit allen Regeln der Kunst ins Absurde getrieben werden. Dabei vergessen sie, dass Propaganda immer etwas mit Vereinheitlichung zu tun hat, dass sie eine karnevaleske Vielfalt, wie sie in Berlin zu sehen ist, aber bekämpfen würde.

Bei manisch sprudelnden Bilderwelten geschieht nun genau das, was nicht passieren dürfte: John Adams' Musik wird zum bloßen Soundtrack degradiert. Ob der Dirigent Daniel Carter und das Orchester der Deutschen Oper überhaupt eine Chance hatten? Sie nehmen jedenfalls den Kampf mit der Bühne auf und landen entsprechend bei großer Lautstärke und pauschalem Spiel. Von den Feinheiten der Musik ist kaum etwas zu hören, zur visuellen Überreizung gesellt sich die akustische. Die Sänger müssen per Lautsprecher verstärkt werden, der Chor der Deutschen Oper braucht das nicht, er singt schon so mit einschüchternder Präsenz. Dabei hätte mit den Sängern, fast alle aus dem Ensemble des Hauses, fein gearbeitet werden können: Ya-Chung Huangs sympathisch warmer Tenor könnte aufs Schönste Maos selbstgerechten Realitätsverlust bebildern, im Trubel der Bühne muss man ihn aber suchen. Maos Frau, bravourös gesungen von Hye-Young Moon, wechselt zwischen fundamentalistischer Härte (Adams schickt sie dann in die eisigsten Sopranhöhen) und Momenten der Verletzlichkeit, Thomas Lehmans Nixon hat alerte Geschmeidigkeit, der Bariton Kyle Miller singt den chinesischen Premierminister Tschou En-lai mit der Eleganz eines Diplomaten. "Wie viel von dem, was wir getan haben, war gut?" fragt er am Ende, als die Musik erschöpft ausdämmert und auch das Treiben auf der Bühne sich beruhigt. Was den Abend an sich angeht, ist das Publikum da geteilter Meinung. Verzückter Jubel mischt sich mit bellenden Buhs. CLEMENS HAUSTEIN

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