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Produktdetails
Trackliste
CD
1Quasi una fantasmagoria Nr. 1-5
2Nr. 200:03:42
3Nr. 300:04:18
4Nr. 400:02:09
5Nr. 500:02:21
6Hard times-multisounds00:13:29
7Game for nine00:08:42
8Stravaganza00:12:00
9Epiklesis alpha00:11:05
10Mikrografien Nr. 1-3
11Nr. 200:01:17
12Nr. 300:00:56
13Nr. 400:01:10
14Tigolo00:08:23
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Unser alter Krautrock
Grönemeyer rettet das Werk der Band Neu!

Krautrock: Während dieser Begriff um 1970 als selbstironische Genrebezeichnung für alle Arten von Rock Made in Western Germany benutzt wurde, gilt er inzwischen längst als ein international anerkanntes Gütesiegel. Rückblickend hat sich gezeigt, wie viel die Platten von Kraftwerk oder Can zur Entwicklung der elektronischen Musik seit den 1980er Jahren beigetragen haben. Kraftwerks "Trans-Europa Express" oder "Die Mensch-Maschine" haben gleichermaßen Hip-Hop, Electro und Techno geprägt. Aufnahmen anderer Protagonisten waren ebenso stilbildend: Manuel Göttschings opus magnum "E2-E4" (1984) war nicht nur ein Standard im wichtigen New Yorker Disco- und Garage-Club Paradise Garage, sondern diente 1989 als Sample für eine Italo-House-Nummer und fand sich an den Spitzen der europäischen Hitparaden wieder.

Doch die Szene zwischen Hamburg, West-Berlin und dem Köln-Düsseldorfer Raum gab nicht nur der DJ-Kultur bedeutende Impulse. Auch die band-orientierte Rockmusik befeuerte sie mit Ideen, Ansätzen und Konzepten. Vor allem die Gruppe Neu! wird bis in die Gegenwart hinein immer wieder als wichtiger Einfluss zitiert, wenn es um Experimentierfreude geht. Zu den Bewunderern des Werks von Klaus Dinger und Michael Rother zählen Brian Eno und David Bowie, Sonic Youth und Stereolab genauso wie die Brit-Pop-Stars Thom Yorke und Damon Albarn.

Warum Neu! immer wieder als Referenz angeführt werden, lässt sich jetzt an einer umfassenden Werkschau abhören. In limitierter Auflage ist gerade eine Box herausgekommen, die alle drei Alben der Gruppe auf Vinyl vereint: "Neu!" Die Edition erscheint auf dem Label von Herbert Grönemeyer, dessen Verdienst es ist, dass die Musik von Neu! überhaupt wieder zugänglich wurde. Da ihr Vertrieb 1983 eingestellt wurde, waren die Aufnahmen lange nicht mehr offiziell verfügbar. Verhandlungen mit der ursprünglichen Plattenfirma über die Veröffentlichung auf CD endeten Mitte der 1990er Jahre vor Gericht. Bei einem weiteren Versuch konnten Dinger und Rother selbst auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Erst Grönemeyer schaffte es, die beiden zu einer Einigung zu bewegen, so dass die Platten seit 2001 erneut erhältlich sind. Das Besondere an dem Vinyl-Set sind deshalb auch nicht so sehr die schon geläufigen Alben, sondern zwei bislang unbekannte Tondokumente. Neben einer Maxi-Single mit einem Live-Mitschnitt von 1972 enthält die Ausgabe die vierte Platte, an der Dinger und Rother 1986 gearbeitet haben, die aber nie den Weg ins Presswerk gefunden hat.

Schlagzeuger Klaus Dinger und Gitarrist Michael Rother lernten sich 1971 kennen, als sie für kurze Zeit Mitglieder bei Kraftwerk waren. Nachdem sie die Gruppe verlassen hatten, gründeten sie Neu! und nahmen mit Conny Plank ihr erstes Album auf. Schon das Eröffnungsstück "Hallogallo" enthält alle Charakteristika ihrer Ästhetik. Das zehnminütige Lied weicht von den Üblichen Strophe-Refrain-Schema ab. Stattdessen entwickeln sich über einem durchgehenden, pulsierenden Beat und einer Wah-Wah-Gitarre an- und abschwellende Feedbackteppiche und Melodiebögen, die mal vorwärts, mal rückwärts abgespielt werden. Vor allem der Schlagzeug-Rhythmus, bei dem jede Zählzeit akzentuiert wird, entwickelt sich zu einem Markenzeichen der Band. Auf "Hallogallo" folgt "Sonderangebot", metallisch-abstrakte Flächen bearbeiteten Klangmaterials, für dessen Erzeugung Dinger, Rother und Plank das Studio in ein Instrument verwandelten.

Dass Dinger und Rother nicht nur Töne und Geräusche, sondern auch ganze Stücke verfremdeten, zeigte sich auf dem zweiten, "Neu! 2" betitelten Album. Aus Geldmangel konnte das Duo 1973 nur Stücke für eine Plattenseite fertigstellen. Die restliche Spielzeit füllten sie, indem sie die bereits aufgenommenen Lieder schneller und langsamer abspielten und damit eine frühe Form des Remixes praktizierten. Fast schon poppig fällt "Neu! '86" aus. Die Stücke sind kürzer und kommen direkt zur Sache, Texte erhalten mehr und mehr Bedeutung, entweder als ironischer Kommentar wie in "Dänzing" oder als Kritik am Apartheidsregime ("La Bomba"). Und auch wenn die Lieder technischer klingen, zeichnen sie sich nach wie vor durch die dynamische Spannung aus Rhythmus und Melodie, Systematik und Improvisation aus.

Krautrock genoss zunächst Reputation in England und Italien, wo Prog-Rock generell bis heute eine große Fangemeinde besitzt. Ein neues Publikum ist seit kurzem im postsozialistischen Russland herangewachsen. Doch auch im Entstehungsland ist der Zuspruch ungebrochen. Erst vor ein paar Monaten wurde der alles beherrschenden Band Kraftwerk eine Retrospektive im neuen Klanggewand gewidmet. Die Werkschau von Neu! kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.

SVEN BECKSTETTE

Neu!, Vinyl Box. 4 LPs. Groenland 5318225 (Cargo)

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