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Produktdetails
Trackliste
CD
1Distant drums00:15:35
2Silver streetcar for the orchestra00:17:29
3The sacred fox00:04:27
4Opera with objects00:11:25
5Nothing is real00:10:31
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2004

Der Wille steckt in Ding und Pling

Vor einem Mann wie Alvin Lucier sind alle Schwingungen gleich. Egal, ob der amerikanische Cage-Schüler und Avantgardist, Jahrgang 1931, Gehirnwellen verstärkt wie in seiner "Music for Solo Performer" Mitte der sechziger Jahre (damit lag er im Trend, auch der Pianist David Tudor machte "neuronale Musik" mit unzähligen Transistoren, die von selbst muntere Knackgeräusche von sich gaben) oder ob er ein opernhaftes Solo für Triangel schreibt - einmal mehr beweist Lucier Arthur Schopenhauers Weltformel, daß der Wille im Ding steckt. Der Wille des Triangel (lateinisch: triangulum, Dreieck; wienerisch: Tr., das) ist es, angeschlagen zu werden. Alvin Lucier setzte ihn vor fünfzehn Jahren mit dem siebzehn Minuten langen, gleichmäßig, aber schnell hintereinander gepulsten Solo "Silver Streetcar for the Orchestra" konsequent um. Tatsächlich entfaltet der in früheren Militärmusikzeiten zum Viereck mit Rasselringen gebogene Stahlstift mit dem höchsten Obertonspektrum abendländischer Musikinstrumente in diesem Bereich kleinster, mitschwingender Intervalle einen Belcanto der Reduktion. Was anfangs wie das akustische Signal einer herunterfahrenden Eisenbahnschranke klingt, die sich asymptotisch dem Asphalt nähert, um diesen dann doch nie zu erreichen - also ein Dauerklingelzeichen -, entpuppt sich spätestens nach fünf Minuten bim-bim-bim als Referenzaufnahme für den audiophilen Kunstkopfliebhaber. Aufnahme- und spieltechnisch ist die vom Label Wergo gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk produzierte Einspielung mit Solowerken Luciers ("Nothing is real" WER 66602) durch den Performance-Künstler und Perkussionisten Matthias Kaul ein Meisterstück und zugleich ein Beweis, daß das Gleiche in der Musik eben nicht das Gleiche ist, wenn es später noch einmal gespielt wird. Bei Luciers grandios monströsem Versuch über den Triangel kann nicht nur die mehr als Fetisch denn als Gebrauchsartikel fungierende Hi-Fi-Anlage zeigen, was in ihr steckt, und der Besitzer von zigfach schräg gegen die Maserung verleimtem Boxenholz samt baßreflexiver Membran darüber staunen, mit wieviel fein unterschiedenen Graden das auf keine exakte Tonhöhe festgelegte Schlagzeuginstrument klangräumlich und dynamisch abgebildet wird. Es sind eben nicht emsige Klopfzeichen aus dem Souterrain von Heinzelmännchen, die sich als kraftmeiernde Nibelungen gebärden. Der Hörer selbst ist Protagonist dieses instrumentalen Theaters. Dessen Bühne ist der Kopf. Die Gehirnwindungen bilden jene Stollen, durch die sich Kaul mit jedem Schlag weiter in tiefere Wahrnehmungsschichten vormeißelt. Nach circa zehn Minuten sind bereits unzählige Stadien des Triangelklanges abgerufen worden. Fließend sind die Übergänge zwischen gleißender Helligkeit und dunklem Timbre, als Durchführung gewissermaßen wird dem Triangel das Nachklingen genommen, die Resonanz des Metalls ganz abgedämpft. Dann ist das schöne Sirren der sich überlappenden Ausschwingvorgänge vieler rascher Schläge vorbei. Was folgt, wirkt matt, niedergeschlagen, trostlos - bis in Manier einer verkürzten Exposition die ursprünglich hellen, frei klingenden Schläge wiederaufgenommen werden, die nun noch schneller aufeinanderfolgen: per aspera ad astra. Was im klassischen Orchestertutti wie eine Pantomime scheint, bekommt durch Luciers Partitur, oft nur eine Handlungsanweisung, seinen großen Auftritt. Ob man den Triangel im Finale denn auch höre, wurde einmal ein deutscher Symphoniker um die Jahrhundertwende gefragt. Antwort: "Wenn sie nicht dabei wäre, wäre es ein anderer Klang."

ACHIM HEIDENREICH

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