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Nothing Pressing - Leger,Jerry
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

O wie analog ist Kanada
Unser Ryan Adams heißt Jerry Leger: Der Singer-Songwriter legt eine schöne Rock-'n'-Roll-Platte vor und mit ihr eine geheimnisvolle Spur

Auf einer von Neil Youngs Countryplatten findet sich im Innencover folgende Notiz: "Belated Thanks to George Grantham und Jim Messina for bass and drums on the Reprise album Neil Young". Verspätet ist gut - die beiden hatten auf dem Solodebüt von 1968 mitgespielt und fanden sich 1985 gewürdigt. Vielleicht hatten sie Young damit die ganze Zeit in den Ohren gelegen, vielleicht fiel es diesem auch da erst wieder ein; jedenfalls, so wird er sich gedacht haben, besser spät als nie.

Solche Ergebenheitsadressen sind nicht nur von buchhalterischem Wert. Rockgeschichtlich interessierte Hörer sind naturgemäß konservativ und freuen sich, wenn Kontinuitäten hergestellt werden. Deswegen wird es ihnen so schnell auch nicht langweilig, wenn sie immer wieder nachlesen, wer auf wessen Platte einst mitgespielt hat. Das beruhigt sie.

Man muss kein Kulturpessimist sein, um die Einschätzung zu äußern, dass in der räumlich und zeitlich limitierten Welt des Analogen solche Datenverarbeitungen den digitalen, die auch den weniger Interessierten oder Passionierten wahllos alles und ohne Verzug wissen lassen, an Wert und Würde überlegen sind. Ich erinnere mich, wie sehr damals die für sich genommen wenig überraschende Nachricht in mir nachwirkte, dass anno dunnemals bei Neil Young zwei Mitglieder von Countryrockpionieren wie Buffalo Springfield und Poco mitgemacht hatten. Youngs Platte wurde dadurch nicht besser; aber gerade dass einem die Information so lange vorenthalten worden war, machte sie irgendwie interessanter, auf jeden Fall mehr, als wenn man sie, per Internet, sofort und jederzeit hätte haben können. Dieser George Grantham, Schlagzeuger auf vielen vorzüglichen Poco-Platten, hat übrigens einen späten Doppelgänger: Jerry (eigentlich Gerald Michael) Leger sieht ihm (dem Damaligen) zum Verwechseln ähnlich - Beatles-Frisur, gutmütiger Schnauzer, alles da. 1985 in Neil Youngs Geburtsstadt Toronto geboren, hat er sich in den vergangenen fünfzehn Jahren auf zehn Platten den Status eines Singer-Songwriters erspielt, der mit Landsleuten wie Jason Collett oder Ron Sexsmith problemlos mithalten kann und sich selbst hinter good old Neil nicht zu verstecken braucht.

Man hat das jüngste, vom kanadischen Cowboy-Junkie Michael Timmins produzierte und im Gesamtbild wieder überzeugende Album "Nothing Pressing" noch gar nicht aufgelegt, da weiß man schon, dass dieser Mann es mit dem Analogen hat. Darauf deuten schon die scheinbar nichtssagenden Notizen im Innencover hin: "I'll be there, Man. Sean Whelan 1982-2020" und "This album is dedicated to the memory of Sean Whelan and Jan Kooi". Wer sind beziehungsweise waren diese Leute? Beide machten selbst keine Musik, aber liebten sie ohne Zweifel. Whelan arbeitete in einem Kaffeeladen von Toronto und sammelte Oldtimer und Vinyl-Platten. Er war Legers bester Freund und taucht in einem seiner Videos auf, das reine Nostalgie ist: Ein Mann, der rein äußerlich auch bei den Byrds nicht weiter aufgefallen wäre, betritt einen Plattenladen, bleibt bei Bad Company hängen und hört über den Ladenlautsprecher das Lied, zu dem das Video selbst gedreht wurde, "Big Smoke Blues" von Legers Opus magnum "Nonsens And Heartache" (2017). Das Gehörte gefällt ihm so gut, dass er sich die am Tresen ausliegende Platte kauft, mit nach Hause nimmt und dort mit seinen Freunden fachsimpelt. Und Jan Kooi war ein Groninger Plattenhändler, der, wie nicht anders zu erwarten, ebenfalls für die Sache brannte.

Die Verewigten hätten schwerlich den Anspruch erheben können, in die Rockgeschichte einzugehen; aber jetzt sind sie plötzlich doch drin. Allein die Tatsache, dass sie, wie das heute heißt, keine digitalen Fußspuren hinterlassen haben, macht aus der Widmung eine kostbare, rührende Geste. Mit ihr ist man, ohne Eifer und Wichtigtuerei an die Hand genommen, schon mittendrin in Legers analogem Reich, bevor man auch nur einen Ton vom neuen Album gehört und sich in der Vermutung bestätigen lassen hat, es hier mit einem neuen Ryan Adams zu tun zu haben, einem musikalischen Tier, weniger genialisch, dafür steter, ohne den destruktiven Mutwillen, den Adams schon viel zu lange an den Tag legt.

Leger, der von der waidwunden Folk-Ballade über deftigen Midtempo-Rock bis zu hartem Rockabilly voller Hank-Marvin-Twang jede einschlägige Gangart instinktiv draufhat, ist ein versierter Gitarrist mit Hang zum Knochentrockenen und holt aus seiner alles andere als machtvollen Stimme das Beste heraus, die auf diese Weise zum idealen, vielseitig einsetzbaren Rock-'n'-Roll-Organ wird. Er kann flüstern und jammern wie Neil Young und höhnen wie Bob Dylan, um im nächsten Moment einen unwiderstehlichen Liebeswalzer anzustimmen.

Fehlte bloß noch die Bemerkung: Es gibt sie noch, die guten Dinge. Nun, es gab und wird sie immer geben. Jerry Leger ist aber kein Manufactum-Musiker; dafür ist er viel zu lässig und hat es im Übrigen gar nicht nötig, sich von irgendetwas abzugrenzen. Seine Musik ist ein unaufdringliches Angebot, zu kommunizieren - mit den eigenen Vorlieben, wenn man will, auch mit der Rockgeschichte. Man kann es eigentlich nicht ablehnen. EDO REENTS

Jerry Leger:

"Nothing Pressing".

Latent Records (Bertus)

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