Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 8. September 2006
- Hersteller: ALIVE AG / XNO Record,
- EAN: 4260002082527
- Artikelnr.: 20884751
CD | |||
1 | Down the drain | 00:02:53 | |
2 | Between the lines | 00:02:13 | |
3 | Shortcut to heaven | 00:03:12 | |
4 | Ancing bar | 00:02:20 | |
5 | I never forget | 00:02:47 | |
6 | There'll be no one clapping hands at the end of the play | 00:02:19 | |
7 | My sweetest enemy | 00:01:44 | |
8 | Don't you | 00:03:24 | |
9 | Circus minimus | 00:03:49 | |
10 | Losin' ground | 00:03:53 | |
11 | Where beagles dare | 00:01:32 | |
12 | One by one | 00:02:32 | |
13 | Invisible friend | 00:03:45 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2006Mädchenärger
Die Punker von She-Male Trouble packen den Fuchsschwanz aus
Braucht Punkrock Frauenstimmen? Oder, anders gefragt: Kann eine Fata Morgana dermaßen laut sein? Kann ein Irrtum so schwitzen? Spielen Einbildungen als Zugabe Coverversionen von "AC/DC" und den "Bad Brains"? Man muß nach Lage der Dinge wohl davon ausgehen, vor ein paar Wochen wirklich erlebt zu haben, was bis heute nicht zu glauben ist: Die große Yvonne Ducksworth war für einen Kurzurlaub aus Amerika nach Berlin zurückgekehrt, und für zwei sofort hoffnungslos ausverkaufte Konzerte hatte es tatsächlich "Jingo de Lunch" wieder gegeben, eine der wichtigsten und besten Bands, die Kreuzberg in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hervorgebracht hat.
Dies fand statt in den unzumutbaren Kellerhöhlen des neuen White Trash an der Schönhauser Allee, also mythengeschichtlich auf astreinem Ost-Punk-Boden (gleich nebenan befand sich früher jenes besetzte Haus, in dem Aljoscha Rompe von "Feeling B", der legendären Vorgängerband von "Rammstein", seinen obskuren Aktivitäten nachging). Aber alle und ganz besonders Yvonne Ducksworth taten trotzdem so, als wäre es das SO 36 drüben in Kreuzberg, als wäre es wieder kurz vor 1990, die Welt also noch in Ordnung und am Moritzplatz zu Ende. "Jingo de Lunch" waren so vernünftig, auch fast ausschließlich ihre ersten beiden Alben "Perpetuum Mobile" von 1987 und "Axe to Grind" von 1989 runterzuspielen; denn alles, was danach kam - Mauerfall, Wiedervereinigung, Techno, alle weiteren "Jingo de Lunch"-Platten -, ist der Band irgendwie nicht so gut bekommen. 1996 war Schluß, die Kanadierin Ducksworth verzog sich nach Arizona.
Und daß sie jetzt, als sie nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder in Berlin auf einer Bühne stand, kaum fassen konnte, was für enthusiastische Heilserwartungen ihr da entgegenschlugen, das hatte vielleicht eben doch nicht nur mit Nostalgie zu tun, sondern auch mit den herrschenden Verhältnissen und dem Bedürfnis, sich damit nicht abfinden zu wollen. Die Entwicklungen der letzten, sagen wir mal, fünf bis zehn Jahre haben es ja leider mit sich gebracht, daß man bei deutschen Bands sofort ein Bild steifleinerner Innerlichkeit vor Augen hat: traurig über den Gitarrenrand gehängte Köpfe, Verweigerungshaltungen, linkisches Benehmen, deutsche Texte, die klüger tun, als sie sind, und zuletzt immer wieder Mädchen, die Gymnasiastinnengedichte vorsingen.
Was nun "Jingo de Lunch" gezeigt haben, war: Deutsche Rockmusiker müssen nicht hinter ihren Gitarren stehen wie kritische Lehramtsstudenten, und Sängerinnen sind nicht dazu verpflichtet, gleichzeitig niedlich und nachdenklich zu tun, sie dürfen ruhig Rocker spielen, Tätowierungen zeigen, mit hardcoretypisch vorgebeugtem Oberkörper in Mikrofone brüllen und sich aufführen wie die schlimmsten Macho-Mucker; denn wenn irgend etwas den Punkrock als solchen heute überhaupt noch einmal spannend machen kann, dann nämlich genau das: charismatische Sängerinnen, die rabiaten Rockismus mit einer Lyrik verbinden, die sich ein Mann in diesem Business gar nicht zu bringen trauen würde.
Das alles muß vorausgeschickt werden, wenn im folgenden von der Band "She-Male Trouble" die Rede sein soll, denn sogar deren eigenes Pressematerial redet von "der charmantesten Frontfrau seit Yvonne Ducksworth". Was die Posiererei der Gitarristen und den Fuchsschwanz an der Baßgitarre anbelangt, gehen "She-Male Trouble" allerdings noch mal deutlich über "Jingo de Lunch" hinaus, und was den musikalischen Punker-Populismus, also die unmittelbare Mitsingbarkeit der Songs, betrifft, sowieso. Unentschieden ist nur, wer den seltsameren Namen hat. Daß "She-Male Trouble" ein bißchen an gesungene Judith-Butler-Aufsätze denken läßt, sollte niemanden schrecken. Die Sache ist schlicht die, daß es ursprünglich eine Mädchenband war, die sich nach dem John-Waters-Film "Female Trouble" nannte und sich dann so heillos zerstritt, bis die Sängerin alle Positionen außer ihrer eigenen durch Männer ersetzt hatte und die Geschlechtsumwandlung des Namens nötig wurde.
Das eben beim Kreuzberger Label XNO erschienene Album "Off The Hook" ist erst das zweite der Band, von der man lange dachte, daß sie gar keins zustande kriegt vor lauter Live-Konzerten und Europa-Tourneen. Das erste, "Back From The Nitty Gritty" von 2003, war schon hinreißend. Dieses hier ist noch homogener, noch süffiger und mit noch mehr Gimmicks, zum Beispiel Kastagnetten, aufgedonnert. Mit einer Entschlossenheit, wie sie für diesbezüglich oft leidgeprüfte Kreuzberger Frauen kennzeichnend ist, wird über die härtesten Gitarrenriffs unerschrocken Romantik eingefordert: "If I took you to a ballroom, would you ask me to dance?" Mit anderen Worten: Musik für Mädchen, die den "Motoraver" lesen. Und die Gestaltung der CD-Hülle läßt an unbekümmerter Peinlichkeit (Piratenkostüme!) auch nichts zu wünschen übrig.
Das alles ist insgesamt eine große Freude. Kreuzberg hat endlich wieder einen Sound und eine Sängerin, die es auch verdient. Aber das entbindet Yvonne Ducksworth trotzdem nicht von der Pflicht, noch einmal zurückzukommen. Diesmal aber wirklich. Und mit "Jingo de Lunch" neue Platten zu machen. Oder zumindest ein Doppelkonzert mit "She-Male Trouble". Im SO 36. Bitte.
PETER RICHTER
She-Male Trouble, Off The Hook. XNO B000GW8P7C (Alive)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Punker von She-Male Trouble packen den Fuchsschwanz aus
Braucht Punkrock Frauenstimmen? Oder, anders gefragt: Kann eine Fata Morgana dermaßen laut sein? Kann ein Irrtum so schwitzen? Spielen Einbildungen als Zugabe Coverversionen von "AC/DC" und den "Bad Brains"? Man muß nach Lage der Dinge wohl davon ausgehen, vor ein paar Wochen wirklich erlebt zu haben, was bis heute nicht zu glauben ist: Die große Yvonne Ducksworth war für einen Kurzurlaub aus Amerika nach Berlin zurückgekehrt, und für zwei sofort hoffnungslos ausverkaufte Konzerte hatte es tatsächlich "Jingo de Lunch" wieder gegeben, eine der wichtigsten und besten Bands, die Kreuzberg in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hervorgebracht hat.
Dies fand statt in den unzumutbaren Kellerhöhlen des neuen White Trash an der Schönhauser Allee, also mythengeschichtlich auf astreinem Ost-Punk-Boden (gleich nebenan befand sich früher jenes besetzte Haus, in dem Aljoscha Rompe von "Feeling B", der legendären Vorgängerband von "Rammstein", seinen obskuren Aktivitäten nachging). Aber alle und ganz besonders Yvonne Ducksworth taten trotzdem so, als wäre es das SO 36 drüben in Kreuzberg, als wäre es wieder kurz vor 1990, die Welt also noch in Ordnung und am Moritzplatz zu Ende. "Jingo de Lunch" waren so vernünftig, auch fast ausschließlich ihre ersten beiden Alben "Perpetuum Mobile" von 1987 und "Axe to Grind" von 1989 runterzuspielen; denn alles, was danach kam - Mauerfall, Wiedervereinigung, Techno, alle weiteren "Jingo de Lunch"-Platten -, ist der Band irgendwie nicht so gut bekommen. 1996 war Schluß, die Kanadierin Ducksworth verzog sich nach Arizona.
Und daß sie jetzt, als sie nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder in Berlin auf einer Bühne stand, kaum fassen konnte, was für enthusiastische Heilserwartungen ihr da entgegenschlugen, das hatte vielleicht eben doch nicht nur mit Nostalgie zu tun, sondern auch mit den herrschenden Verhältnissen und dem Bedürfnis, sich damit nicht abfinden zu wollen. Die Entwicklungen der letzten, sagen wir mal, fünf bis zehn Jahre haben es ja leider mit sich gebracht, daß man bei deutschen Bands sofort ein Bild steifleinerner Innerlichkeit vor Augen hat: traurig über den Gitarrenrand gehängte Köpfe, Verweigerungshaltungen, linkisches Benehmen, deutsche Texte, die klüger tun, als sie sind, und zuletzt immer wieder Mädchen, die Gymnasiastinnengedichte vorsingen.
Was nun "Jingo de Lunch" gezeigt haben, war: Deutsche Rockmusiker müssen nicht hinter ihren Gitarren stehen wie kritische Lehramtsstudenten, und Sängerinnen sind nicht dazu verpflichtet, gleichzeitig niedlich und nachdenklich zu tun, sie dürfen ruhig Rocker spielen, Tätowierungen zeigen, mit hardcoretypisch vorgebeugtem Oberkörper in Mikrofone brüllen und sich aufführen wie die schlimmsten Macho-Mucker; denn wenn irgend etwas den Punkrock als solchen heute überhaupt noch einmal spannend machen kann, dann nämlich genau das: charismatische Sängerinnen, die rabiaten Rockismus mit einer Lyrik verbinden, die sich ein Mann in diesem Business gar nicht zu bringen trauen würde.
Das alles muß vorausgeschickt werden, wenn im folgenden von der Band "She-Male Trouble" die Rede sein soll, denn sogar deren eigenes Pressematerial redet von "der charmantesten Frontfrau seit Yvonne Ducksworth". Was die Posiererei der Gitarristen und den Fuchsschwanz an der Baßgitarre anbelangt, gehen "She-Male Trouble" allerdings noch mal deutlich über "Jingo de Lunch" hinaus, und was den musikalischen Punker-Populismus, also die unmittelbare Mitsingbarkeit der Songs, betrifft, sowieso. Unentschieden ist nur, wer den seltsameren Namen hat. Daß "She-Male Trouble" ein bißchen an gesungene Judith-Butler-Aufsätze denken läßt, sollte niemanden schrecken. Die Sache ist schlicht die, daß es ursprünglich eine Mädchenband war, die sich nach dem John-Waters-Film "Female Trouble" nannte und sich dann so heillos zerstritt, bis die Sängerin alle Positionen außer ihrer eigenen durch Männer ersetzt hatte und die Geschlechtsumwandlung des Namens nötig wurde.
Das eben beim Kreuzberger Label XNO erschienene Album "Off The Hook" ist erst das zweite der Band, von der man lange dachte, daß sie gar keins zustande kriegt vor lauter Live-Konzerten und Europa-Tourneen. Das erste, "Back From The Nitty Gritty" von 2003, war schon hinreißend. Dieses hier ist noch homogener, noch süffiger und mit noch mehr Gimmicks, zum Beispiel Kastagnetten, aufgedonnert. Mit einer Entschlossenheit, wie sie für diesbezüglich oft leidgeprüfte Kreuzberger Frauen kennzeichnend ist, wird über die härtesten Gitarrenriffs unerschrocken Romantik eingefordert: "If I took you to a ballroom, would you ask me to dance?" Mit anderen Worten: Musik für Mädchen, die den "Motoraver" lesen. Und die Gestaltung der CD-Hülle läßt an unbekümmerter Peinlichkeit (Piratenkostüme!) auch nichts zu wünschen übrig.
Das alles ist insgesamt eine große Freude. Kreuzberg hat endlich wieder einen Sound und eine Sängerin, die es auch verdient. Aber das entbindet Yvonne Ducksworth trotzdem nicht von der Pflicht, noch einmal zurückzukommen. Diesmal aber wirklich. Und mit "Jingo de Lunch" neue Platten zu machen. Oder zumindest ein Doppelkonzert mit "She-Male Trouble". Im SO 36. Bitte.
PETER RICHTER
She-Male Trouble, Off The Hook. XNO B000GW8P7C (Alive)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main