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- Hersteller: EMI,
- EAN: 5099925214123
- Artikelnr.: 37397892
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2024Penner trifft Rampensau
Von Jürgen Kaube, Salzburg
Einmal drei ist nicht gleich dreimal eins. Die Liebe rechnet anders als die Mathematik. Hoffmann, der Dichter, liebt drei Frauen. Genauer schwärmt er sie an, sind sie seine erotischen Fetische. Die Puppe Olympia, die lungenkranke Sängerin Antonia, die durchtriebene Kurtisane Giulietta. Sind sie, wie es das Libretto von Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" mehrfach nahelegt, nur drei Aspekte derselben Frau, Stella? Oder liebt er, was nur einzeln zu haben ist, und fantasiert sich im Rausch seine Stella aus den entgegengesetzten Eigenschaften derer zusammen, die ihn anziehen?
Jede Inszenierung von "Le Contes des Hoffmann" muss diese Frage beantworten. Schon deshalb, weil sie sich entscheiden muss, Olympia, Antonia und Giulietta entweder mit einer oder mit drei Sängerinnen zu besetzen. Bei den Salzburger Festspielen hat jetzt die französische Regisseurin Mariame Clément der Einmal-Drei-Variante den Vorzug gegeben. Die Sopranistin Kathryn Lewek singt alle drei (und mit Stella alle vier) Hoffmann-Fetische, und sie singt sie auf so wunderbare Weise, dass jeder Zuhörer darüber hinwegsehen kann, dass diese Frau keineswegs Puppe, Kunstidol und Edelprostituierte zugleich sein kann. Es muss folglich jeweils der Gesang und nicht die körperliche Bezauberung gewesen sein, die Hoffmann überwältigt hat. Anders formuliert: Er war zur Projektion bereit.
Was wunderbar an Leweks Stimme ist, lässt sich näher bestimmen. Sie kommt aus einem starken Körper, Lewek steht mit beiden Beinen viel mehr auf dem Boden als es die von Offenbach entworfenen Geliebten Hoffmans tun. Ihre Olympia ist kein Aufziehautomat, sondern eine Rampensau im Barbarella-Look, die wegläuft, als ihr Hoffmann unter den Rock zu greifen versucht. Ihre Antonia verblutet nicht durch Gesang, sondern entzieht sich dem kunstreligiösen Theater, das um sie aufgeführt wird, durch einen resoluten Abgang. Als der Arzt gerufen wird, muss er sich, anders als im Original, nicht um sie, sondern um Hoffmann kümmern. Als Giulietta ist sie keine Königin der Nächte, aber ihr Gesang beglaubigt die Macht, die sie auf Hoffmann ausübt, weil sie ihre Koloraturen nicht kopfstimmig piepst, sondern aus der Brust mit vielen Zwischentönen singt. In Salzburg hörten wir so eine Sängerin, die sich den Männerprojektionen, wie Geliebte zu singen hätten, entzieht, ohne Abstriche an ihrer stimmlichen Leistung machen zu müssen.
Damit war sie das Zentrum eines Abends, der sich einige Freiheiten gegenüber Offenbachs Text herausnahm. Hoffmann schiebt der grauwandigen Kulisse entlang zunächst als Obdachloser einen Einkaufswagen vor sich her, in dem sich seine Habe und auch Flaschen befinden, deren Reste er trinkt. Für einen, der auf dem Trottoir pennt, waren seine Blue Jeans aber erstaunlich sauber. Nicht Studenten umringen ihn dann, sondern Komparsen eines Filmdrehs. Aus dem Gastwirt Luther wird ein Caterer. Immer läuft eine Kamera, sind die Bilder, die sich Hoffmann macht, auf Zelluloid festgehalten und werden noch am Set geprüft.
Regisseurin Clément hält an diesem Motiv der Filmszenerie bis zum Schluss fest. Das geht mal besser, mal weniger gut auf. Mitunter lenkt der gesanglich und choreographisch virtuose Wiener Staatsopernchor, wenn seine Mitglieder auf der Bühne nur dasitzen, einfach vom Geschehen ab. Mitunter bringt die Regie mehr Motive ins Spiel, als wahrgenommen werden können. Aus dem Namen Stella schließt Clément, dass es sich bei den Frauen und Hoffmann um konkurrierende Stars handelt. Was bei E. T. A. Hoffmann und Offenbach ein Automat war, Olympia, wird so zu einem koketten Starlet, das den Drehbuchautor in die Garderobe zieht, aber empört ist, als er aufdringlich wird. Der Widerspruch bei Offenbach, dass die Aufziehpuppe durchaus nicht "mechanisch" singt, ist dadurch aufgelöst. Sie lebt in dem, was als Klischee von den romantischen Entwürfen übrig bleibt, wenn sie in Serie gehen. Die Oper schlägt in einen Comic um, das Publikum lacht über die trotzig-vulgäre Olympia.
Wie aus dem Obdachlosen Hoffmann im zweiten Teil ein Regisseur werden konnte, bleibt offen. Im Kammerdrama um die angeblich kranke Antonia, bewährt sich das Filmmotiv jedoch: Hoffmann gibt allen Akteuren so aufgeregt wie hilflos Anweisungen, während er die Sängerin im Gesang anschmachtet, auf der Bühne aber gleichzeitig links stehen lässt. Mitunter singt der überragende Benjamin Bernheim dabei wie vom Blatt, und als Antonias tote Mutter angeblich die Treppe heruntersingt, um ihre Tochter heimzuholen, wird betont, wie stereotyp das alles ist. Die Stimme der Mutter kommt aus dem Off, ihr Kleid weht ohne Inhalt an einer Angel die Treppe herunter. Von der Dämonie bleiben die Regietricks übrig.
Diese entzaubernde Geste findet sich auch in Cléments Behandlung der Teufelsfigur. Der Conseiller Lindorf, wie alle Bösewichter höhnisch-mächtig gesungen von Christian Van Horn, ist optisch eine Art Ion Tiriac: der bedrohlich wirkende Impresario, der auf den Autor herabschaut und hinter der Hauptdarstellerin her ist. Schon im Gespensterkammerspiel um Antonia und vollends am Ende, im Venedig Giuliettas, hat er sich in einen Beelzebub verwandelt, mit Hörnern, riesigen Händen und einem roten Schwanz. Als Rauschtraum Hoffmanns gedeutet, heißt das: Der Dichter, dessen Begehren unerfüllt bleibt, treibt in immer verrücktere Phantasien über denjenigen hinein, der ihm den Erfolg genommen haben soll.
Bleibt die vom Salzburger Publikum zurecht frenetisch gefeierte Kate Lindsey in der anrührendsten Rolle des Stücks. Sie spielt die Muse, die sich in den Gehilfen Nicklausse verwandelt. Zunächst singt sie ihre Arien wie nebenbei, wie um nicht die der anderen zu stören, und stimmt dann schließlich das berühmteste Duett der Oper, die Barcarole, zusammen mit Giulietta an. Wie kommt es - beide haben zuvor und danach nichts miteinander zu tun - zu diesem dramaturgischen Coup? In Salzburg beendet er eine Entwicklung, die Hoffmann durchläuft. Als Autor liebt er das Starlet, das mit ihm spielt, um ihn dann zurückzuweisen. Als Regisseur hadert er narzisstisch mit der Hauptdarstellerin, die ihren eigenen Weg geht. In Venedig haben ihn dann alle künstlerischen Kräfte verlassen, er deliriert nur noch und muss erleben, wie das sanfteste und darum schönste Lied völlig unabhängig von ihm gesungen wird: von einer Figur, die ihre Liebe zu ihm stets verborgen hat, und einer Figur, die dabei ist, ihm sein Spiegelbild zu entwenden.
Gespielt wurde Offenbachs Albtraumwandeloper in Salzburg von den Wiener Philharmonikern unter Marc Minkowski. Nicht immer temposicher, Bühne und Graben sind mitunter auseinander, und die musikalische Anlage wirkt etwas zu getragen, zu pathetisch für ein Stück, in dem ständig von Elektrizität die Rede ist, von Boshaftigkeit und davon, das Genie müsse sich an der Asche seines Herzens entzünden. Zu getragen vor allem für eine Inszenierung, die nicht an Überraschungsarmut leidet. Es wäre aber ganz falsch, auf einem Misston zu enden. Der Abend war großartig - irritierend.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Von Jürgen Kaube, Salzburg
Einmal drei ist nicht gleich dreimal eins. Die Liebe rechnet anders als die Mathematik. Hoffmann, der Dichter, liebt drei Frauen. Genauer schwärmt er sie an, sind sie seine erotischen Fetische. Die Puppe Olympia, die lungenkranke Sängerin Antonia, die durchtriebene Kurtisane Giulietta. Sind sie, wie es das Libretto von Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" mehrfach nahelegt, nur drei Aspekte derselben Frau, Stella? Oder liebt er, was nur einzeln zu haben ist, und fantasiert sich im Rausch seine Stella aus den entgegengesetzten Eigenschaften derer zusammen, die ihn anziehen?
Jede Inszenierung von "Le Contes des Hoffmann" muss diese Frage beantworten. Schon deshalb, weil sie sich entscheiden muss, Olympia, Antonia und Giulietta entweder mit einer oder mit drei Sängerinnen zu besetzen. Bei den Salzburger Festspielen hat jetzt die französische Regisseurin Mariame Clément der Einmal-Drei-Variante den Vorzug gegeben. Die Sopranistin Kathryn Lewek singt alle drei (und mit Stella alle vier) Hoffmann-Fetische, und sie singt sie auf so wunderbare Weise, dass jeder Zuhörer darüber hinwegsehen kann, dass diese Frau keineswegs Puppe, Kunstidol und Edelprostituierte zugleich sein kann. Es muss folglich jeweils der Gesang und nicht die körperliche Bezauberung gewesen sein, die Hoffmann überwältigt hat. Anders formuliert: Er war zur Projektion bereit.
Was wunderbar an Leweks Stimme ist, lässt sich näher bestimmen. Sie kommt aus einem starken Körper, Lewek steht mit beiden Beinen viel mehr auf dem Boden als es die von Offenbach entworfenen Geliebten Hoffmans tun. Ihre Olympia ist kein Aufziehautomat, sondern eine Rampensau im Barbarella-Look, die wegläuft, als ihr Hoffmann unter den Rock zu greifen versucht. Ihre Antonia verblutet nicht durch Gesang, sondern entzieht sich dem kunstreligiösen Theater, das um sie aufgeführt wird, durch einen resoluten Abgang. Als der Arzt gerufen wird, muss er sich, anders als im Original, nicht um sie, sondern um Hoffmann kümmern. Als Giulietta ist sie keine Königin der Nächte, aber ihr Gesang beglaubigt die Macht, die sie auf Hoffmann ausübt, weil sie ihre Koloraturen nicht kopfstimmig piepst, sondern aus der Brust mit vielen Zwischentönen singt. In Salzburg hörten wir so eine Sängerin, die sich den Männerprojektionen, wie Geliebte zu singen hätten, entzieht, ohne Abstriche an ihrer stimmlichen Leistung machen zu müssen.
Damit war sie das Zentrum eines Abends, der sich einige Freiheiten gegenüber Offenbachs Text herausnahm. Hoffmann schiebt der grauwandigen Kulisse entlang zunächst als Obdachloser einen Einkaufswagen vor sich her, in dem sich seine Habe und auch Flaschen befinden, deren Reste er trinkt. Für einen, der auf dem Trottoir pennt, waren seine Blue Jeans aber erstaunlich sauber. Nicht Studenten umringen ihn dann, sondern Komparsen eines Filmdrehs. Aus dem Gastwirt Luther wird ein Caterer. Immer läuft eine Kamera, sind die Bilder, die sich Hoffmann macht, auf Zelluloid festgehalten und werden noch am Set geprüft.
Regisseurin Clément hält an diesem Motiv der Filmszenerie bis zum Schluss fest. Das geht mal besser, mal weniger gut auf. Mitunter lenkt der gesanglich und choreographisch virtuose Wiener Staatsopernchor, wenn seine Mitglieder auf der Bühne nur dasitzen, einfach vom Geschehen ab. Mitunter bringt die Regie mehr Motive ins Spiel, als wahrgenommen werden können. Aus dem Namen Stella schließt Clément, dass es sich bei den Frauen und Hoffmann um konkurrierende Stars handelt. Was bei E. T. A. Hoffmann und Offenbach ein Automat war, Olympia, wird so zu einem koketten Starlet, das den Drehbuchautor in die Garderobe zieht, aber empört ist, als er aufdringlich wird. Der Widerspruch bei Offenbach, dass die Aufziehpuppe durchaus nicht "mechanisch" singt, ist dadurch aufgelöst. Sie lebt in dem, was als Klischee von den romantischen Entwürfen übrig bleibt, wenn sie in Serie gehen. Die Oper schlägt in einen Comic um, das Publikum lacht über die trotzig-vulgäre Olympia.
Wie aus dem Obdachlosen Hoffmann im zweiten Teil ein Regisseur werden konnte, bleibt offen. Im Kammerdrama um die angeblich kranke Antonia, bewährt sich das Filmmotiv jedoch: Hoffmann gibt allen Akteuren so aufgeregt wie hilflos Anweisungen, während er die Sängerin im Gesang anschmachtet, auf der Bühne aber gleichzeitig links stehen lässt. Mitunter singt der überragende Benjamin Bernheim dabei wie vom Blatt, und als Antonias tote Mutter angeblich die Treppe heruntersingt, um ihre Tochter heimzuholen, wird betont, wie stereotyp das alles ist. Die Stimme der Mutter kommt aus dem Off, ihr Kleid weht ohne Inhalt an einer Angel die Treppe herunter. Von der Dämonie bleiben die Regietricks übrig.
Diese entzaubernde Geste findet sich auch in Cléments Behandlung der Teufelsfigur. Der Conseiller Lindorf, wie alle Bösewichter höhnisch-mächtig gesungen von Christian Van Horn, ist optisch eine Art Ion Tiriac: der bedrohlich wirkende Impresario, der auf den Autor herabschaut und hinter der Hauptdarstellerin her ist. Schon im Gespensterkammerspiel um Antonia und vollends am Ende, im Venedig Giuliettas, hat er sich in einen Beelzebub verwandelt, mit Hörnern, riesigen Händen und einem roten Schwanz. Als Rauschtraum Hoffmanns gedeutet, heißt das: Der Dichter, dessen Begehren unerfüllt bleibt, treibt in immer verrücktere Phantasien über denjenigen hinein, der ihm den Erfolg genommen haben soll.
Bleibt die vom Salzburger Publikum zurecht frenetisch gefeierte Kate Lindsey in der anrührendsten Rolle des Stücks. Sie spielt die Muse, die sich in den Gehilfen Nicklausse verwandelt. Zunächst singt sie ihre Arien wie nebenbei, wie um nicht die der anderen zu stören, und stimmt dann schließlich das berühmteste Duett der Oper, die Barcarole, zusammen mit Giulietta an. Wie kommt es - beide haben zuvor und danach nichts miteinander zu tun - zu diesem dramaturgischen Coup? In Salzburg beendet er eine Entwicklung, die Hoffmann durchläuft. Als Autor liebt er das Starlet, das mit ihm spielt, um ihn dann zurückzuweisen. Als Regisseur hadert er narzisstisch mit der Hauptdarstellerin, die ihren eigenen Weg geht. In Venedig haben ihn dann alle künstlerischen Kräfte verlassen, er deliriert nur noch und muss erleben, wie das sanfteste und darum schönste Lied völlig unabhängig von ihm gesungen wird: von einer Figur, die ihre Liebe zu ihm stets verborgen hat, und einer Figur, die dabei ist, ihm sein Spiegelbild zu entwenden.
Gespielt wurde Offenbachs Albtraumwandeloper in Salzburg von den Wiener Philharmonikern unter Marc Minkowski. Nicht immer temposicher, Bühne und Graben sind mitunter auseinander, und die musikalische Anlage wirkt etwas zu getragen, zu pathetisch für ein Stück, in dem ständig von Elektrizität die Rede ist, von Boshaftigkeit und davon, das Genie müsse sich an der Asche seines Herzens entzünden. Zu getragen vor allem für eine Inszenierung, die nicht an Überraschungsarmut leidet. Es wäre aber ganz falsch, auf einem Misston zu enden. Der Abend war großartig - irritierend.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.