Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 6. März 2009
- Hersteller: Warner Music Group Germany Hol / Parlophone Label Group (PLG),
- EAN: 5099921662126
- Artikelnr.: 25986626
CD | |||
1 | A Chloris (S'il est vrai) | 00:03:03 | |
2 | Sombrero | 00:01:36 | |
3 | Elégie op. 10 | 00:03:13 | |
4 | Mélodies op. 18 Nr. 1-3 (Trois mélodies) (Auszug) | ||
5 | Mélodies op. 2 Nr. 1-7 (Auszug) | ||
6 | Mélodies op. 18 Nr. 1-3 (Trois mélodies) (Auszug) | ||
7 | Mignonne | 00:02:58 | |
8 | Fêtes galantes (Les donneurs de sérénades) | 00:01:50 | |
9 | Le temps de lilas | 00:03:48 | |
10 | Mélodies op. 2 Nr. 1-7 (Auszug) | ||
11 | Viens, uns flûte invisible soupire | 00:02:45 | |
12 | Mélodies (Trois chansons de Camille Mauclair) op. 27 Nr. 1-3 (Auszug) | ||
13 | Rondels Nr. 1-12 (Auszug) | ||
14 | Offrande (Voici des fruits) | 00:02:34 | |
15 | Nuits Persanes op. 26 Nr. 1-6 (6 Lieder) (Auszug) | ||
16 | Romances de Paul Bourget (Deux Romances) (Auszug) | ||
17 | Amours (Buch 1) (Auszug) | ||
18 | Nuit d'Espagne | 00:03:27 | |
19 | Sur une tombe | 00:03:58 | |
20 | Violons dans le soir | 00:05:15 | |
Weitere 4 Tracks anzeigen | |||
21 | Nocturne | 00:03:34 | |
22 | Les donneurs de sérénade | 00:02:22 | |
23 | Lied maritime op. 43 | 00:02:39 | |
24 | L'heure exquise (Chansons grises Nr. 5) | 00:02:15 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2009Zerfließend im Glück künstlicher Paradiese
Überraschung! Der Countertenor Philippe Jaroussky brilliert mit französischen Liedern vom Fin de Siècle
Großartig ist das, und es war längst überfällig: Philippe Jaroussky hat Lieder der Belle Époque aufgenommen. Aber in seltsamer Scheu glaubt er, sich für dieses Album rechtfertigen zu müssen. Er stellt sich im Beiheft der Frage "Warum ein Countertenor in diesem Repertoire?". Seine Argumente sind wiederum bescheiden und rein pragmatischer Natur: Auch die Stimmen barocker Kastraten hätten doch völlig anders geklungen als die heutiger Countertenöre. Mithin könne dieses Stimmfach kaum je historische Authentizität für sich beanspruchen - und er sei daher frei, sich jeder Musik zuzuwenden, die ihm liege, auch der französischen des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts.
Doch es spricht sehr viel mehr dafür, dass ein Countertenor sich ausgerechnet der französischen "mélodie" von Camille Saint-Saëns bis Reynaldo Hahn widmet. Man hat ja die Belle Époque oft ein "zweites Rokoko" genannt, ihre Bezugnahmen auf die Vergangenheit reichen sogar noch weiter zurück. In den Stilzitaten der Architektur, Malerei, Musik und in den Textildessins jener Zeit ist das Bedürfnis nach einer ästhetischen Aussöhnung der Bourgeoisie mit dem Ancien Régime überall zu spüren. Nicht von ungefähr zitiert Marcel Proust, der literarische Chronist dieser Gesellschaft, in seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" so oft die Briefe der Madame de Sévigné aus dem 17. Jahrhundert: Er verknüpft damit die Salonkultur der Belle Époque mit ihren Ursprüngen im Frankreich des feudalen Absolutismus.
In charismatischer Klugheit eröffnen Jaroussky und sein Begleiter Jérôme Ducros, dessen Klavierspiel für die empfindliche Stimme Schutz und Stütze ist, das Album mit "À Chloris" von Reynaldo Hahn. Die pastorale Liebeslyrik des Théophile de Viau aus dem Frühbarock goss Hahn um in ein neobarockes Air im Vierhalbetakt mit sinkender Durtonleiter im Bass. Das ist von bezwingender, berühmt gewordener Grazie.
Die kindliche Zartheit von Jarousskys Stimme gibt diesem Schäferspiel eine Reinheit und Naivität, die in rührendem Kontrast steht zum Raffinement historischer Mimikry bei Hahn. Seine Erfahrung mit alter Musik, die Beweglichkeit seines Soprans kommen ihm besonders bei den Miniaturen von Cécile Chaminade und Paul Dukas nach Texten des Renaissance-Dichters Pierre de Ronsard zugute. Und auch Ducros imitiert mit heiterer Professionalität das Spiel alter Flöten, Lauten und Zinken auf dem Klavier, fast ohne Pedalgebrauch, so im achten von Hahns Rondellen (nach einem Gedicht des Herzogs von Orléans aus dem 15. Jahrhundert). An die Stelle kühler Neutralität vieler Countertenöre hat Philippe Jaroussky die Innigkeit gesetzt, das Affektierte mancher Kollegen ist bei ihm einem strengen Geschmack gewichen. Vermutlich hat es noch nie eine Männerstimme in diesem Register gegeben, die so weich klingt, weitgehend homogen in allen Lagen anspricht, trübungsfrei jeden Ton ansetzt.
Dennoch fehlt Jaroussky jene überfließende Fülle, jenes - sei es auch noch so gezügelte - sinnliche Lodern einer Susan Graham oder Elly Ameling, die in diesem Repertoire den Stand der Interpretationskunst definiert haben. Unterhält man sich mit Jaroussky, geizt er, sich seiner Grenzen bewusst, auch nicht mit Lob für die Frauenstimmen. Er zerfließt fast vor Glück, wenn er davon schwärmt, wie hinreißend Sandrine Piau vor zwei Jahren auf ihrer deutsch-französischen Lieder-CD "Évocation" (naïve V 5063, siehe F.A.Z. vom 18. Februar 2008) Ernest Chaussons "Le temps des lilas" gesungen habe. Doch gerade bei diesen düster-fahlen Zeugnissen französischer Wagnerverehrung ist Jaroussky selbst besonders überzeugend. In Chaussons "Les heures" beschreibt er mit entfärbtem Klang und allerstrengstem Legato das langsame Vergehen der Zeit. In Guillaume Lekeus "Sur un tombe" findet er den Ton einer illusionslosen Zärtlichkeit, wie ihn nur Todkranke oder Sterbensmüde aufbringen.
Man muss dem Geiger Renaud Capuçon dankbar sein, dass er Jaroussky überredet hat, dieses Repertoire auszuprobieren. Capuçon wirkt selbst mit bei den symbolistischen "Violons dans le soir" von Saint-Saëns, sein Bruder Gautier spielt das Cello in Jules Massenets schwarzsamtener "Élégie", Emmanuel Pahud die Flöte in André Caplets "La flûte invisible". "Opium" heißt das Album nach Saint-Saëns' panischer Beschreibung eines Drogen-Traums, darüber hinaus erinnert der Titel an Charles Baudelaires Plädoyer für den Rausch und andere "künstliche Paradiese". Die bessere Welt, in welche die Kunst entrückt, ist nichts als die Kunst selbst. Das hatte die Belle Époque in aller Nüchternheit erkannt und in aller Üppigkeit gefeiert. Mit diesem Bekenntnis zur Künstlichkeit der Paradiese ist aber auch die Forderung nach "Natürlichkeit" des Gesanges hinfällig und also die Beschäftigung eines Countertenors, der die natürlichen Grenzen von Geschlecht und Stimme verwischt, bereits historisch legitimiert.
JAN BRACHMANN
"Opium". Mélodies françaises von Reynaldo Hahn, Cécile Chaminade, Paul Dukas, Claude Debussy, Camille Saint-Saëns, Vincent d'Indy, César Franck, Gabriel Fauré, Guillaume Lekeu, Ernest Chausson, Gabriel Dupont und Jules Massenet. Philippe Jaroussky, Jérôme Ducros, Renaud Capuçon, Gautier Capuçon, Emmanuel Pahud. Virgin 216621 (EMI)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Überraschung! Der Countertenor Philippe Jaroussky brilliert mit französischen Liedern vom Fin de Siècle
Großartig ist das, und es war längst überfällig: Philippe Jaroussky hat Lieder der Belle Époque aufgenommen. Aber in seltsamer Scheu glaubt er, sich für dieses Album rechtfertigen zu müssen. Er stellt sich im Beiheft der Frage "Warum ein Countertenor in diesem Repertoire?". Seine Argumente sind wiederum bescheiden und rein pragmatischer Natur: Auch die Stimmen barocker Kastraten hätten doch völlig anders geklungen als die heutiger Countertenöre. Mithin könne dieses Stimmfach kaum je historische Authentizität für sich beanspruchen - und er sei daher frei, sich jeder Musik zuzuwenden, die ihm liege, auch der französischen des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts.
Doch es spricht sehr viel mehr dafür, dass ein Countertenor sich ausgerechnet der französischen "mélodie" von Camille Saint-Saëns bis Reynaldo Hahn widmet. Man hat ja die Belle Époque oft ein "zweites Rokoko" genannt, ihre Bezugnahmen auf die Vergangenheit reichen sogar noch weiter zurück. In den Stilzitaten der Architektur, Malerei, Musik und in den Textildessins jener Zeit ist das Bedürfnis nach einer ästhetischen Aussöhnung der Bourgeoisie mit dem Ancien Régime überall zu spüren. Nicht von ungefähr zitiert Marcel Proust, der literarische Chronist dieser Gesellschaft, in seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" so oft die Briefe der Madame de Sévigné aus dem 17. Jahrhundert: Er verknüpft damit die Salonkultur der Belle Époque mit ihren Ursprüngen im Frankreich des feudalen Absolutismus.
In charismatischer Klugheit eröffnen Jaroussky und sein Begleiter Jérôme Ducros, dessen Klavierspiel für die empfindliche Stimme Schutz und Stütze ist, das Album mit "À Chloris" von Reynaldo Hahn. Die pastorale Liebeslyrik des Théophile de Viau aus dem Frühbarock goss Hahn um in ein neobarockes Air im Vierhalbetakt mit sinkender Durtonleiter im Bass. Das ist von bezwingender, berühmt gewordener Grazie.
Die kindliche Zartheit von Jarousskys Stimme gibt diesem Schäferspiel eine Reinheit und Naivität, die in rührendem Kontrast steht zum Raffinement historischer Mimikry bei Hahn. Seine Erfahrung mit alter Musik, die Beweglichkeit seines Soprans kommen ihm besonders bei den Miniaturen von Cécile Chaminade und Paul Dukas nach Texten des Renaissance-Dichters Pierre de Ronsard zugute. Und auch Ducros imitiert mit heiterer Professionalität das Spiel alter Flöten, Lauten und Zinken auf dem Klavier, fast ohne Pedalgebrauch, so im achten von Hahns Rondellen (nach einem Gedicht des Herzogs von Orléans aus dem 15. Jahrhundert). An die Stelle kühler Neutralität vieler Countertenöre hat Philippe Jaroussky die Innigkeit gesetzt, das Affektierte mancher Kollegen ist bei ihm einem strengen Geschmack gewichen. Vermutlich hat es noch nie eine Männerstimme in diesem Register gegeben, die so weich klingt, weitgehend homogen in allen Lagen anspricht, trübungsfrei jeden Ton ansetzt.
Dennoch fehlt Jaroussky jene überfließende Fülle, jenes - sei es auch noch so gezügelte - sinnliche Lodern einer Susan Graham oder Elly Ameling, die in diesem Repertoire den Stand der Interpretationskunst definiert haben. Unterhält man sich mit Jaroussky, geizt er, sich seiner Grenzen bewusst, auch nicht mit Lob für die Frauenstimmen. Er zerfließt fast vor Glück, wenn er davon schwärmt, wie hinreißend Sandrine Piau vor zwei Jahren auf ihrer deutsch-französischen Lieder-CD "Évocation" (naïve V 5063, siehe F.A.Z. vom 18. Februar 2008) Ernest Chaussons "Le temps des lilas" gesungen habe. Doch gerade bei diesen düster-fahlen Zeugnissen französischer Wagnerverehrung ist Jaroussky selbst besonders überzeugend. In Chaussons "Les heures" beschreibt er mit entfärbtem Klang und allerstrengstem Legato das langsame Vergehen der Zeit. In Guillaume Lekeus "Sur un tombe" findet er den Ton einer illusionslosen Zärtlichkeit, wie ihn nur Todkranke oder Sterbensmüde aufbringen.
Man muss dem Geiger Renaud Capuçon dankbar sein, dass er Jaroussky überredet hat, dieses Repertoire auszuprobieren. Capuçon wirkt selbst mit bei den symbolistischen "Violons dans le soir" von Saint-Saëns, sein Bruder Gautier spielt das Cello in Jules Massenets schwarzsamtener "Élégie", Emmanuel Pahud die Flöte in André Caplets "La flûte invisible". "Opium" heißt das Album nach Saint-Saëns' panischer Beschreibung eines Drogen-Traums, darüber hinaus erinnert der Titel an Charles Baudelaires Plädoyer für den Rausch und andere "künstliche Paradiese". Die bessere Welt, in welche die Kunst entrückt, ist nichts als die Kunst selbst. Das hatte die Belle Époque in aller Nüchternheit erkannt und in aller Üppigkeit gefeiert. Mit diesem Bekenntnis zur Künstlichkeit der Paradiese ist aber auch die Forderung nach "Natürlichkeit" des Gesanges hinfällig und also die Beschäftigung eines Countertenors, der die natürlichen Grenzen von Geschlecht und Stimme verwischt, bereits historisch legitimiert.
JAN BRACHMANN
"Opium". Mélodies françaises von Reynaldo Hahn, Cécile Chaminade, Paul Dukas, Claude Debussy, Camille Saint-Saëns, Vincent d'Indy, César Franck, Gabriel Fauré, Guillaume Lekeu, Ernest Chausson, Gabriel Dupont und Jules Massenet. Philippe Jaroussky, Jérôme Ducros, Renaud Capuçon, Gautier Capuçon, Emmanuel Pahud. Virgin 216621 (EMI)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main