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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2023

Von Lavalampen zum Laserlicht
Die britische Band Soft Machine macht vergangene Ekstasen zukunftstauglich

Der Titel ihres neuen Albums scheint auf eine Redensart anzuspielen: "Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere." In der Tat markiert "Other Doors" wieder einmal einen Wendepunkt in der glorreichen Geschichte von Soft Machine. Vor fünfundfünfzig Jahren gegründet, hat das Kollektiv eine Serie von Häutungen erlebt. Die fortlaufenden Besetzungswechsel waren Programm: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu! Insofern kam jede neue Formation einer Frischzellenkur gleich.

Mehr als dreißig Musiker spielten bis heute in den verschiedenen Bandausgaben. Da fiel es selbst eingefleischten Fans schwer, noch den Überblick zu behalten, zumal zahlreiche Nebenprojekte wie "Softs", "Soft Heap", "Soft Ware", "Soft Works" oder "Soft Machine Legacy" den Canterbury-Sound favorisierten. Dabei galten die Maschinisten um Robert Wyatt und Mike Ratledge Ende der Sechziger als erste Band, der es gelang, traumverlorene psychedelische Sounds, energetischen Progressive Rock und improvisationsverliebten Fusion-Jazz zu einem unwiderstehlichen Amalgam aufzukochen. Es war gerade jene Elastizität melodischer Linien über einer fast formalisiert wirkenden Struktur, die jene fruchtbare Spannung zwischen Strenge und Nachgiebigkeit erzeugte, wie sie für die besten Soft-Machine-Stücke charakteristisch ist.

Fünf Jahre nach ihrem letzten Studioalbum "Hidden Details" entpuppt sich die mittlerweile sechsundzwanzigste Ausgabe der "weichen Maschine" einmal mehr als gut geölte Zeitmaschine. Zwar ist längst kein Gründungsmitglied mehr dabei, und auch altgediente Veteranen wie der Bassist Roy Babbington und der Drummer John Marshall verabschieden sich mit dem neuen Album in den wohlverdienten Ruhestand. Doch dem nimmermüden Quartett um den Gitarristen John Etheridge gelingt ein Manifest kompromissloser Gegenwärtigkeit: In seltenem Klangfarbenreichtum schwelgend, in ausgedehnten Kollektivimprovisationen immer für Überraschungen gut, oft provozierend eingängig und immer wieder versöhnlich - so als navigiere ein lebender Organismus durch einen Irrgarten wild wuchernder Elektronik und stilistischer Gegensätze.

Vor allem der Neuzugang Fred Thelonious Baker - ein Urgestein der Canterbury-Szene, der vor allem in Phil Millers Band In Cahoots seinen Fretless-Bass im Spiel hatte - verstärkt die jazzigen Anteile in den atmosphärischen Soundarchitekturen. Im Soft-Machine-Klassiker "Joy of a Toy" vom Debütalbum übernimmt Baker leichthändig die Führungsrolle und verleiht dem blubbernden "Unterwasser"- Bass - im Original von Kevin Ayers gezupft - unerhörten Swing, durch die behutsamen Wah-Wah-Injektionen von Etheridges Gitarre noch verstärkt. Auch im Bass-Duo "Now! Is the Time" mit Babbington, der hier einen letzten Gastauftritt absolviert, fasziniert Baker durch seine lässigen Flageolett-Kunststückchen. Nicht selten erinnert er in Phrasierung und Improvisationsstil an das "Wunderkind" Jaco Pastorius in seiner klassischen Phase bei Weather Report.

Dass hier keine Altherren-Jazzrocker am Werk sind, sondern ein hungriges Ensemble, demonstriert beispielhaft das Stück "Fell to Earth". Inspiriert durch Nicolas Roegs Science-Fantasy-Film "The Man Who Fell to Earth", in dem David Bowie als Außerirdischer die Erde heimsuchte, entfaltet es betäubende Schubkraft, angetrieben von einem aufwühlenden Thema und dräuenden Sound-Effekten: So könnte ein zeitgemäßes Dystopie-Drama klingen, als verführerischer Missklang, majestätisch und melancholisch zugleich. Theo Travis hat sich inzwischen zu einer Art Schaltzentrale im Maschinenraum entwickelt: An den Keyboards liefert er die entscheidenden Strukturelemente, auf Saxophon und Flöte grundiert er die melodische Sogwirkung der Stücke.

Zwar entfaltet die einlullende Karl-Jenkins-Komposition "Penny Hitch" vom 1973er-Album "Seven" noch jenen sanft vorwärts drängenden Groove, der so typisch ist für frühe Soft Machine-Aufnahmen, doch probt das Tenorsaxophon von Travis hier einen brachialen Aufstand. Der wahre Fan sollte zur Vinyl-Ausgabe von "Other Doors" greifen, denn das Doppelalbum enthält nicht weniger als sieben zusätzliche Stücke, von denen die Neufassung der Klassiker "Backwards/Noisette" zweifellos einen Höhepunkt markiert, mit wundervoll schlingerndem Sopransax-Solo, das sich allmählich in glitzernde Höhen windet.

Noch immer gilt John Etheridge im globalen Gitarren-Pantheon als unterbewertet. Zu welch persönlicher Imagination er längst fähig ist, demonstriert seine Laid-Back-Nummer "The Stars Apart" - eine Saiten-Meditation, wie in einer sacht schaukelnden Hängematte gespielt. In den Sechzigern war es ein Alleinstellungsmerkmal von Soft Machine, auf einen Gitarristen zu verzichten und stattdessen die Verführungskräfte von Keyboard-Schichtungen auszukosten. Erst 1975 füllte mit Allan Holdsworth - zu Recht trägt seine Werkschau heute den anmaßenden Titel "The Man Who Changed Guitar Forever" - ein wahrer Griffbrett-Wizard die Lücke. Doch seitdem er im darauffolgenden Jahr das Plektrum an Etheridge weiterreichte, konnte der die melodische Konturen der Improvisationen kontinuierlich weiterschärfen.

Nicht zuletzt seiner gut gelaunten Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass die Zukunft von Soft Machine heute in denkbar besten Händen liegt. Längst weiß Etheridge: "Man kann nicht wirklich frei improvisieren, wenn man keine demokratische Bandstruktur hat. Stell dir beispielsweise eine Dinner Party vor, mit - sagen wir - vier Leuten. Wenn einer davon die ganze Zeit redet, langweilen sich die anderen. Wenn einer gar nichts sagt, wirkt das genauso befremdlich. Wahre Freiheit entsteht auch in der Musik erst durch gelungene soziale Interaktion." PETER KEMPER

Soft Machine:

"Other Doors".

Dyad Records DY032. Vinyl-Ausgabe als

Doppelalbum auf

Tonefloat tf205;

digital über Bandcamp

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