Produktdetails
- Anzahl: 1 Audio CD
- Erscheinungstermin: 30. März 2007
- Hersteller: ROUGH TRADE / Warp,
- EAN: 0801061015527
- Artikelnr.: 22605641
CD | |||
1 | Girls who play guitars | 00:03:12 | |
2 | Our velocity | 00:03:20 | |
3 | Books from boxes | 00:03:28 | |
4 | Russian literature | 00:03:07 | |
5 | Karaoke plays | 00:04:08 | |
6 | Your urge | 00:03:57 | |
7 | The unshockable | 00:03:16 | |
8 | By the monument | 00:02:59 | |
9 | Nosebleed | 00:03:25 | |
10 | A fortnight's time | 00:03:01 | |
11 | Sandblasted and set free | 00:03:58 | |
12 | Parisian skies | 00:03:55 |
Frankfurter Allgemeine ZeitungBritrock für Bücherwürmer
Was unterscheidet gute von großen Platten? Die "Arctic Monkeys" und "Maximo Park"
Es sind seltsame Zeiten für britische Gitarrenmusik mit Indie-Stallgeruch. Oder doch nicht? Ist am Ende doch alles genau wie früher, nur schneller - also so wie im Kino, wo die Schnittfrequenz immer mehr ansteigt, aber letztlich doch die alten Geschichten über Liebe, Rache und Autofahren erzählt werden?
Wenn man wachen Auges durch die Rockwelt streift, stellt man fest, dass gerade ein Generationsproblemchen für eine seltsam hysterisch-depressive Stimmung sorgt: Die Indie-Clubs sind voll; Frühzwanziger mit Schlips reiben sich an Mittdreißigern mit einsetzender Bauch- und Haarproblematik. Die Hälfte dieser Mittdreißiger tut so, als wäre der Indie-für-jedermann-Boom etwas gewesen, worauf doch alle immer gewartet haben, und mischen mit Schaum vorm Mund weiter mit, als gäb's keine Vorsorgeuntersuchungen oder andere wichtige Dinge zu erledigen. Die anderen stehen kopfschüttelnd am Rand und verstehen nicht mehr, was aus der ganzen Sache mit der musikalischen Distinktion geworden ist und wo all die gleich aussehenden Mädchen herkommen, die sich ja leider nur für die ganzen gleich aussehenden Jungen interessieren. Was sollen die schon zusammen anfangen? Schwedische "Oasis"-Imitate hören?
Schiebt man die Sorge um das Internet, das sich ja nun mal ums Verrecken nicht wieder löschen lässt, und die angeblich so schlimme fortschreitende "Mainstreamisierung des Indie" beiseite, muss man feststellen: Eigentlich ist wirklich fast alles wie immer im Indie-geprägten Britpop-Betrieb. Es gibt einige sehr gute, viele mittelmäßige und etliche äußerst schlechte Bands. Genau wie in den Neunzigern, als das Musikgeschäft den heutigen Mittdreißigern noch verständlich schien: Damals gab es die großen Flaggschiffe "Oasis", "Blur", "Pulp" und "Suede", eine Art zweite Liga mit Bands wie "Gene" oder "Supergrass" und jede Menge musizierendes Gekreuch, das nicht nur rückblickend zum Schmunzeln einlädt: Kann sich noch jemand an "Menswear", "Dodgy", "Mansun", "The Cast" oder - um Gottes willen - "Kula Shaker" erinnern? Wenn das nicht viel zu viele unnötige Bands waren, dann ist Paul Weller eigentlich Herrenoberbekleidungsverkäufer.
In diesen Wochen nun veröffentlichen jene Bands ihre vermeintlich schwierigen zweiten Alben, die im Fahrwasser der Vorreitergruppen "The Libertines" und "Franz Ferdinand" vor etwa anderthalb Jahren debütierten und die Indiepop-Hysterie noch weiter anfachten. Die Ergebnisse dieser Zweitwerksflut sind gemischt: Die Hohlpfosten von den "Kaiser Chiefs" haben schon beim ersten Mal nicht mehr als trinkerfreundlichen Autoscooter-Pop hinbekommen, kein Wunder, dass ihr zweites Album noch mehr nach zukünftigen Auftritten in "Was macht eigentlich"-Shows klingt. Ebenfalls unglücklich geriet das Nachfolgewerk von "Bloc Party", die wohl dachten, sie müssten tatsächlich zwanghaft schwierig klingen. Überschätzt wurde die Band immer schon ein bisschen - jetzt leider auch von sich selbst.
Nun legen zwei äußerst unterschiedliche Exemplare des aktuellen Brit-Packs nach: "Arctic Monkeys" aus Sheffield und "Maximo Park" aus Newcastle. Ersteren kommt scheinbar eine Sonderrolle zu. Die extrem jungen Musiker schrieben als eine der ersten über das Internet zum Erfolg geschwappten Bands schon Popgeschichte, ihr Erstling war das "fastest-selling debut in British chart history". Wie beruhigend es für die Musikindustrie tatsächlich ist, dass bei der neuen Platte das Internet komplett schwieg, ist ein anderes Thema.
Die Musik auf "Favourite Worst Nightmare" ist großartig. Die Band spielt weiterhin den extrem drückenden funky Soul-Rock, der das Debüt zum qualmenden Party-Aschenbecher machte, spreizt die Flügel aber noch weiter und schreibt bessere Songs. Die ersten vier Stücke sind die pure Party: Vier dürre Hungerhaken klauen hier den harten tätowierten Rock-Asis alles, von dem sie glaubten, es gehörte noch ihnen. Hört sich - jede Wette - auf dem Tanzflur toll an. Dann in der Mitte bricht die Platte auf: "Fluorescent Adolescent" ist ein fröhlich-fatalistischer Midtempo-Hit mit dezentem Karibik-Überzug, der leicht an den Schnodder-Briten Jamie T erinnert. "Only Ones Who Know" ist ein sommerlich überstrahlter Alkoholfilm, bei dem Frühzwanziger und Mittdreißiger gemeinsam still werden können; "Do Me a Favour" schließlich ist so dramatisch wie nichts zuvor. Danach kombinieren die "Arctic Monkeys" das Beste beider Welten - die letzten fünf Songs sind kontemplativer Proll-Funk-Punk, wer hätte gedacht, dass das möglich ist?
So gut die neue "Arctic Monkeys"-Platte auch ist: Die Kollegen von "Maximo Park" mit ihrem exaltierten Sänger und Songschreiber Paul Smith haben eine wirklich große Platte gemacht. "Our Earthly Pleasures" ist ein belesenes, lustig prätentiöses Stimmungsverderberalbum voller Stimmungshits. Der Platte vorangestellt ist ein Zitat aus F. Scott Fitzgeralds "Zärtlich ist die Nacht", dem zufolge das eigentliche Vergnügen stets im unauffällig verflogenen Moment zwischen den Hochereignissen besteht. In diesem Sinne verwendet Smith in seinen Songs die Nacht als Synonym für den Moment, dessen Kostbarkeit allzu oft in öder Feierei ertränkt wird. Wo? Im Indie-Club? Ja, auch dort.
Die Platte, die stilvoll und behutsam den angejangelten Pop von Bands wie "The Smiths", "Aztec Camera" oder "The Go-Betweens" aufgreift, hat einige Instant-Hits. Am schönsten aber ist "Books In Boxes". Zu einer Johnny-Marr-Gitarre singt Smith: "You spent the evening unpacking books from boxes." Das gibt's heute nur noch bei Bücherwürmern wie Paul Smith: eine Frau, die so viele Bücher besitzt, dass sie einen ganzen Abend zum Auspacken braucht. Die Alt/Neu-Debatte wird bei diesen schönen Songs obsolet. Obwohl Smith singt: "This is something new / But it turns out it was borrowed too / ,Why does every letdown have to be so thin'". Zwei neue Platten: eine gute und eine große. Übrigens: Beide werden noch besser, wenn man alle zwanzig Sekunden an "Kula Shaker" denkt.
ERIC PFEIL.
Arctic Monkeys, Favourite Worst Nightmare. Domino WIG 188 (Rough Trade).
Maximo Park, Our Earthly Pleasures. Warp 155 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was unterscheidet gute von großen Platten? Die "Arctic Monkeys" und "Maximo Park"
Es sind seltsame Zeiten für britische Gitarrenmusik mit Indie-Stallgeruch. Oder doch nicht? Ist am Ende doch alles genau wie früher, nur schneller - also so wie im Kino, wo die Schnittfrequenz immer mehr ansteigt, aber letztlich doch die alten Geschichten über Liebe, Rache und Autofahren erzählt werden?
Wenn man wachen Auges durch die Rockwelt streift, stellt man fest, dass gerade ein Generationsproblemchen für eine seltsam hysterisch-depressive Stimmung sorgt: Die Indie-Clubs sind voll; Frühzwanziger mit Schlips reiben sich an Mittdreißigern mit einsetzender Bauch- und Haarproblematik. Die Hälfte dieser Mittdreißiger tut so, als wäre der Indie-für-jedermann-Boom etwas gewesen, worauf doch alle immer gewartet haben, und mischen mit Schaum vorm Mund weiter mit, als gäb's keine Vorsorgeuntersuchungen oder andere wichtige Dinge zu erledigen. Die anderen stehen kopfschüttelnd am Rand und verstehen nicht mehr, was aus der ganzen Sache mit der musikalischen Distinktion geworden ist und wo all die gleich aussehenden Mädchen herkommen, die sich ja leider nur für die ganzen gleich aussehenden Jungen interessieren. Was sollen die schon zusammen anfangen? Schwedische "Oasis"-Imitate hören?
Schiebt man die Sorge um das Internet, das sich ja nun mal ums Verrecken nicht wieder löschen lässt, und die angeblich so schlimme fortschreitende "Mainstreamisierung des Indie" beiseite, muss man feststellen: Eigentlich ist wirklich fast alles wie immer im Indie-geprägten Britpop-Betrieb. Es gibt einige sehr gute, viele mittelmäßige und etliche äußerst schlechte Bands. Genau wie in den Neunzigern, als das Musikgeschäft den heutigen Mittdreißigern noch verständlich schien: Damals gab es die großen Flaggschiffe "Oasis", "Blur", "Pulp" und "Suede", eine Art zweite Liga mit Bands wie "Gene" oder "Supergrass" und jede Menge musizierendes Gekreuch, das nicht nur rückblickend zum Schmunzeln einlädt: Kann sich noch jemand an "Menswear", "Dodgy", "Mansun", "The Cast" oder - um Gottes willen - "Kula Shaker" erinnern? Wenn das nicht viel zu viele unnötige Bands waren, dann ist Paul Weller eigentlich Herrenoberbekleidungsverkäufer.
In diesen Wochen nun veröffentlichen jene Bands ihre vermeintlich schwierigen zweiten Alben, die im Fahrwasser der Vorreitergruppen "The Libertines" und "Franz Ferdinand" vor etwa anderthalb Jahren debütierten und die Indiepop-Hysterie noch weiter anfachten. Die Ergebnisse dieser Zweitwerksflut sind gemischt: Die Hohlpfosten von den "Kaiser Chiefs" haben schon beim ersten Mal nicht mehr als trinkerfreundlichen Autoscooter-Pop hinbekommen, kein Wunder, dass ihr zweites Album noch mehr nach zukünftigen Auftritten in "Was macht eigentlich"-Shows klingt. Ebenfalls unglücklich geriet das Nachfolgewerk von "Bloc Party", die wohl dachten, sie müssten tatsächlich zwanghaft schwierig klingen. Überschätzt wurde die Band immer schon ein bisschen - jetzt leider auch von sich selbst.
Nun legen zwei äußerst unterschiedliche Exemplare des aktuellen Brit-Packs nach: "Arctic Monkeys" aus Sheffield und "Maximo Park" aus Newcastle. Ersteren kommt scheinbar eine Sonderrolle zu. Die extrem jungen Musiker schrieben als eine der ersten über das Internet zum Erfolg geschwappten Bands schon Popgeschichte, ihr Erstling war das "fastest-selling debut in British chart history". Wie beruhigend es für die Musikindustrie tatsächlich ist, dass bei der neuen Platte das Internet komplett schwieg, ist ein anderes Thema.
Die Musik auf "Favourite Worst Nightmare" ist großartig. Die Band spielt weiterhin den extrem drückenden funky Soul-Rock, der das Debüt zum qualmenden Party-Aschenbecher machte, spreizt die Flügel aber noch weiter und schreibt bessere Songs. Die ersten vier Stücke sind die pure Party: Vier dürre Hungerhaken klauen hier den harten tätowierten Rock-Asis alles, von dem sie glaubten, es gehörte noch ihnen. Hört sich - jede Wette - auf dem Tanzflur toll an. Dann in der Mitte bricht die Platte auf: "Fluorescent Adolescent" ist ein fröhlich-fatalistischer Midtempo-Hit mit dezentem Karibik-Überzug, der leicht an den Schnodder-Briten Jamie T erinnert. "Only Ones Who Know" ist ein sommerlich überstrahlter Alkoholfilm, bei dem Frühzwanziger und Mittdreißiger gemeinsam still werden können; "Do Me a Favour" schließlich ist so dramatisch wie nichts zuvor. Danach kombinieren die "Arctic Monkeys" das Beste beider Welten - die letzten fünf Songs sind kontemplativer Proll-Funk-Punk, wer hätte gedacht, dass das möglich ist?
So gut die neue "Arctic Monkeys"-Platte auch ist: Die Kollegen von "Maximo Park" mit ihrem exaltierten Sänger und Songschreiber Paul Smith haben eine wirklich große Platte gemacht. "Our Earthly Pleasures" ist ein belesenes, lustig prätentiöses Stimmungsverderberalbum voller Stimmungshits. Der Platte vorangestellt ist ein Zitat aus F. Scott Fitzgeralds "Zärtlich ist die Nacht", dem zufolge das eigentliche Vergnügen stets im unauffällig verflogenen Moment zwischen den Hochereignissen besteht. In diesem Sinne verwendet Smith in seinen Songs die Nacht als Synonym für den Moment, dessen Kostbarkeit allzu oft in öder Feierei ertränkt wird. Wo? Im Indie-Club? Ja, auch dort.
Die Platte, die stilvoll und behutsam den angejangelten Pop von Bands wie "The Smiths", "Aztec Camera" oder "The Go-Betweens" aufgreift, hat einige Instant-Hits. Am schönsten aber ist "Books In Boxes". Zu einer Johnny-Marr-Gitarre singt Smith: "You spent the evening unpacking books from boxes." Das gibt's heute nur noch bei Bücherwürmern wie Paul Smith: eine Frau, die so viele Bücher besitzt, dass sie einen ganzen Abend zum Auspacken braucht. Die Alt/Neu-Debatte wird bei diesen schönen Songs obsolet. Obwohl Smith singt: "This is something new / But it turns out it was borrowed too / ,Why does every letdown have to be so thin'". Zwei neue Platten: eine gute und eine große. Übrigens: Beide werden noch besser, wenn man alle zwanzig Sekunden an "Kula Shaker" denkt.
ERIC PFEIL.
Arctic Monkeys, Favourite Worst Nightmare. Domino WIG 188 (Rough Trade).
Maximo Park, Our Earthly Pleasures. Warp 155 (Rough Trade)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main