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  • EAN: 5020214400323
  • Artikelnr.: 53500272
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2024

Ach, die Klarinette nach dem "Ach"!

An der Oper Frankfurt liebt Richard Wagners Tannhäuser Männer. Das ist von Matthew Wild schlüssig erzählt. Thomas Guggeis zeigt als Dirigent großen Ehrgeiz.

Der Chor - an der Oper Frankfurt in Höchstform: bravissimo! - ist eine Rotte von Opportunisten. Er betet immer nur Prominenz an und folgt wie Herdenvieh dem Leithammel der öffentlichen Meinung.

Als der Schriftsteller Heinrich von Ofterdingen - so nennt der Regisseur Matthew Wild den Titelhelden Tannhäuser in Richard Wagners romantischer Oper - 1956 den Pulitzerpreis für seinen Roman "Montsalvat" gewinnt, stehen die Studenten, vor allen die Studentinnen, Schlange, um sich von dem Professor an der katholischen Stella Maris University in Kalifornien das Buch signieren zu lassen. Als er sich dann 1961 bei einem Poesiewettbewerb im Hörsaal als schwul outet und einen Studenten (Henri Klein) küsst, reißen die Studenten, vor allen die Studentinnen, die Seiten aus seinen Büchern und verbrennen sie (etwas zu viel des Bösen), angestiftet von der Professorenschaft (historisch ist das gut recherchiert, weil erst 1962 mit Illinois der erste Bundesstaat der Vereinigten Staaten die Strafverfolgung homosexueller Handlungen aufhob).

Ein Kardinalskollegium im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils - bei Wagner der Pilgerchor im dritten Aufzug - schneidet einem nackten Mann mit Bockskopf, also buchstäblich dem geilen Bock und Sündenbock in Personalunion, die Genitalien ab (die Verurteilung der Homosexualität durch Papst Paul VI. in der Enzyklika "Humanae vitae" von 1968 wird im inhaltsreichen Programmheft zitiert). Als dann aber 2015 die ehemalige Studentin Elisabeth Andrew - Wagners Elisabeth - Senior Professor an der Stella Maris University wird, weil sie über die Leidensgeschichte ihres Professors, der sich wegen der gesellschaftlichen Ächtung 1969 das Leben nahm, ein preisgekröntes Buch vorgelegt hat, da jubelt die Studentenschaft wieder und steht stramm zur LGBTQ-Bewegung.

Das ist schlüssig durchgeführt (bis in die Kostüme von Raphaela Rose hinein), erzählt viel über Fanatismus, der im Wort "Fan" steckt, über Feigheit und Rudelbildung. Vor allem bricht diese Inszenierung mit der Regiekonvention, Elisabeth zum Opfer zu machen und sie sterben zu lassen: Elisabeth überlebt. Es ist ihre Geschichte, die wir sehen. Und sie rettet das Werk eines Künstlers, der als Mensch moralisch diskreditiert wurde.

So überzeugend die große Linie der Regie ist, so viel lässt sich im Detail gegen sie einwenden. Zwar ist die Orientierungskrise Tannhäusers zwischen der Liebe zu Frauen oder zu Männern in drei gleichzeitig zu sehenden Hotelzimmern (Bühne von Herbert Barz-Maurer) konfliktreich ausgeleuchtet, doch strotzt sie nur so von schwulen Klischees mit einem Jüngling im Matrosenshirt wie Luchino Viscontis Tadzio in "Tod in Venedig", mit einem schwarzflügeligen Engel von Caravaggio, mit einem Ludwig II., der einem Jungen mit Schwanenfedern Brust und Schenkel streichelt. Männliche Homosexualität wird als latent pädophil, zumindest ephebophil und rein lustbesessen dargestellt. Axel Ranisch, viel sensibler für Fragen der Normierung und der körperlichen Selbstzurichtung in schwulen Milieus, hätte das sicher ganz anders inszeniert. Und die Videos von Clemens Walter mit ihren Wanderdünen von Muskeln unter nackter Männerhaut verharren auf dem Stand der Jean-Cocteau-Softpornos mit Jean Marais.

Thomas Guggeis als neuer Generalmusikdirektor dirigiert seinen ersten "Tannhäuser". Man hört aus dem Graben Ehrgeiz, Aufbruch, Willen zur Führung. Das ist sehr gut. Man hört aber auch mangelnde Vertrautheit, Anspannung bis hin zu nicht koordinierten Einsätzen. Das ist am Anfang einer Amtszeit völlig normal. Man muss ehrlich sagen, dass das Frankfurter Opern- und Museumsorchester in den letzten Strauss- und Wagner-Dirigaten von Guggeis' Vorgänger Sebastian Weigle gelöster, klangschöner und durchaus mit befreiter Virtuosität gespielt hat. Dass die Holzbläserlinien im Vorspiel zum dritten Aufzug nicht zu voller Schönheit aufblühen, ist schade. Dabei lässt die Regie den Vorhang unten und gönnt dem neuen GMD mit dessen Orchester alle Aufmerksamkeit. Zu Guggeis' Stärke gehört aber, dass er mit großer Energie das Drama vorantreibt und die szenischen Vorgänge musikalisch stützt. Auch mit den Singenden geht er aufmerksam um: Herzbewegend, wie er aus einem "Ach!" von Dshamilja Kaiser als Venus im ersten Aufzug, dynamisch wie farblich genau angepasst, ein Klarinettensolo herauslöst als atmende Empathie des Orchesters.

Kaiser nimmt als warm timbrierte, verdeckt glühende, keineswegs hysterisch flackernde Venus ohnehin sehr für sich ein. Bei Marco Jentzsch, der ein Glücksfall als Schauspieler ist, fürchtet man von den ersten brüchigen Tönen an, dass er den Tannhäuser sängerisch nicht durchstehen wird. Erstaunlicherweise gelingt es ihm doch, wenngleich nicht mit heldischer Wucht, auch nicht mit lyrischer Überredungskunst, sondern eher mit den spröden Farben eines Charaktertenors. Christina Nilsson bringt als Elisabeth klangschöne, jugendliche Frische mit, der man die Durchschlagskraft im zweiten Aufzug nicht sofort zutraut, aber sie hat sie, Donnerwetter! Ganz vorzüglich, mit leiser Eleganz singt Domen Krizaj den Wolfram von Eschenbach. Andreas Bauer Kanabas ist als Landgraf Hermann überragend: ein machtvoller Bass, selbst, wo es laut werden muss, wohlklingend und nobel.

Das Publikum rast vor Begeisterung. Die ersten vier Vorstellungen des "Tannhäuser" sind komplett ausverkauft. Wer Guggeis trotzdem mit großem Repertoire erleben will, sollte in die Wiederaufnahme von Strauss' "Elektra" gehen. Die neue Serie beginnt am 9. Mai. JAN BRACHMANN

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