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  • EAN: 4011222050946
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2023

Blutbesudelt bis zum Schluss

Ohne Erlösung: Michael Thalheimer inszeniert Richard Wagners "Parsifal".

Von Jan Brachmann, Genf

Tareq Nazmi, 1983 geboren, war bislang ein zumindest bemerkenswerter Sänger. In den letzten Jahren fiel er immer wieder auf, etwa als Papst in Hector Berlioz' "Benvenuto Cellini" unter der Leitung von John Eliot Gardiner, als Bass in Mozarts Requiem unter der Leitung von Teodor Currentzis oder in Robert Schumanns "Das Paradies und die Peri" mit Enoch zu Guttenberg. Doch jetzt, mit dem "Parsifal" von Richard Wagner am Grand Théâtre in Genf, hat vermutlich seine große Stunde geschlagen.

Er singt den Gurnemanz ohne einen Anflug von Schwerfälligkeit, behände wie ein flotter Osmin, dabei die Worte so achtsam deutend, als ginge es um Lieder von Schubert oder theologiegespickte Arien von Bach. So satt seine Tiefe ist, so leicht spricht seine Höhe an und dünnt dabei keineswegs aus. In Kuwait soll Tareq Nazmi geboren worden sein, liest man, nur hört man es nicht. Seine Diktion ist gestochen scharf und kommt dabei, ganz ohne Konsonantenspuckerei, so natürlich daher, dass einem der Satz "Gemeine Atzung muss uns nähren" wie Umgangssprache erscheinen will.

Doch Nazmi reiht sich in Genf letztlich nur ein in eine durchweg beachtliche Besetzung. Wie er sind auch Daniel Johansson als Parsifal, Christopher Maltman als Amfortas und Martin Gantner als Klingsor Rollendebütanten, die einen erfreulichen bis erstaunlichen Eindruck hinterlassen. Maltman, hoch expressiv und kraftvoll, hält als Amfortas die Mitte zwischen demütigem Schmerzensmann und suizidalem Amokläufer, der in Verweigerung der Gralsenthüllung alles und alle mit in den Tod reißen will. In Worten wie "Herz" oder "endlich" könnte er freilich noch ein wenig an der Präzision der Schlusskonsonanten arbeiten. Johansson ist ein wetterfester Parsifal, kein säuselndes Jüngelchen, aber auch kein brüllender Waldbulle. Wenn ihm beim finalen, leiser werdenden Ruf "Öffnet den Schrein" fast die Stimme wegbricht, ist das weniger ein Zeichen von Ermüdung als ein weiterer Beweis dafür, wie gut er die Verstörung seiner Figur, der andauernd Unverständliches widerfährt, zu gestalten weiß. Gantner hingegen ist ein Bilderbuchbösewicht: knackig, kernig, deutlich in Farbe und Diktion bei all seinen Schmutzeleien.

Tanja Ariana Baumgartner, an der Oper Frankfurt längst zur international begehrten Mezzosopranistin herangereift, hat als Kundry nicht nur Erfahrung, sondern die stimmlichen und darstellerischen Mittel für diese Figur: schwarzschlundige Tiefen für die Verachtung anderer und ihrer selbst sowie anziehende Wärme, die das Timbre der Mütterlichkeit manipulativ benutzt - eine lebensmüde Doppelagentin, die sich mit stetig erhöhtem Einsatz selbst zerstört.

Jonathan Nott erzeugt zu alledem mit dem Orchestre de la Suisse Romande auch ohne den verdeckten Graben von Bayreuth, für den das Stück konzipiert ist, einen fein abgemischten, überwiegend samtenen, wo nötig, verhangen leuchtenden Klang, der vorbildlich die Balance zur Bühne hält. Auch die Raumstaffelung unter Einbeziehung des Theaterchores und des Kinderchores vom örtlichen Konservatorium, einstudiert von Alan Woodbridge, gelingt mit den Fernwirkungen recht ansprechend.

Die Regie von Michael Thalheimer konzentriert sich in diesem "Parsifal" auf die Möglichkeit von Schuldvergebung oder der Reinigung von Schuld. Und diese Möglichkeit wird konsequent verneint. Ganz existenzialistisch begreift Thalheimer das Leben als Notwendigkeit zu handeln. Und Handeln als Auswahl zwischen Möglichkeiten im Zeithorizont der Endlichkeit heißt immer in irgendeiner Weise Schuldigwerden. Kundry sühnt im zweiten Aufzug ihre "Schuld", bei der Kreuzigung Christi gelacht zu haben, damit, dass sie zur Mörderin wird: Sie erschießt Klingsor. Von der unbewussten Schuld geht sie über zur bewussten Täterschaft und stellt so ihre Souveränität als verantwortliches Subjekt wieder her.

Historisch brisant ist dabei die halb bunker-, halb stelenhafte Bühnenarchitektur von Henrik Ahr. Gurnemanz' Satz "Zum Raum wird hier die Zeit" vergegenständlicht sich darin zu einem Erinnerungsmonument, in dem die Gralsritter, von Michaela Barth in blutige Togen gewickelt, wie vor Klagemauern stehen und in einem dauerhaften Schuldkult kreisen. "Parsifal", mit seinem Ruf "Erlösung dem Erlöser!", ist von Antisemitismus durchtränkt, das Stück untermauert Wagners grässliche Ideologie, das Christentum von jüdischem Blut "reinigen" zu wollen. Thalheimer geht mutig mit dem Thema um, wenn er zeigt, wie diese Phantasien der "Entjudung" auf der Symbolebene historisch wieder zurückschlagen als Klagemauern und blutbefleckte Monumente, aus denen Schuld und Erinnern kein Entrinnen finden. Als Menschenwerk ist jede Erlösung unmöglich.

Es gibt auch keine Rituale der Reinigung, keine Fußwaschung, keine Taufe, kein erlösendes Abendmahl mehr. Damit verweigert sich Thalheimer der Idee von Wagners Kunstreligion ebenso konsequent wie beeindruckend.

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