John Dowlands "Lachrimae Pavans" gilt als eines der bedeutendsten Werke im Kanon der englischen Kammermusik. Basierend auf seinem berühmten Lied "Flow My Teares" stellen diese sieben Pavanen -"Seven Teares" ("Sieben Tränen"), wie Dowland sie nannte - eine außergewöhnliche Form der Erforschung der kontrapunktischen und harmonischen Möglichkeiten eines vorgegebenen Themas dar. In dieser bemerkenswerten Aufnahme entwickelt der Barockgeiger John Holloway ein Konzertprogramm rund um die "Lachrimae Pavans". Zwischen Dowlands Meisterstücke reihen sich hier Werke anderer wichtiger Komponisten dieser Ära: Henry Purcell, William Lawes, John Jenkins, Thomas Morley und Matthew Locke. Indem sie diese Werke sehr gegensätzlicher Färbung und unterschiedlichen Charakters hier kombinieren, geben uns Holloway und seine Mitmusiker einen lebendigen Eindruck von der Blüte der Consortmusik im England des 17. Jahrhunderts.
CD | |||
1 | Lachrimae Antiquae | 00:04:19 | |
2 | Fantasy Upon One Note | 00:02:45 | |
3 | Lachrimae Antiquae Novae | 00:04:02 | |
4 | 2 Airs For 4 | 00:03:23 | |
5 | Lachrimae Gementes | 00:03:57 | |
6 | Fantasy No. 12 For 2 Trebles And Bass | 00:03:53 | |
7 | Lachrimae Tristes | 00:05:18 | |
8 | Lamento For 2 | 00:02:34 | |
9 | Lachrimae Coactae | 00:04:01 | |
10 | Fantasy For 2 Trebles And Bass (From The Broken Consort) | 00:04:11 | |
11 | Lachrimae Amantis | 00:04:27 | |
12 | Fantasy In C For 5 | 00:02:26 | |
13 | Lachrimae Verae | 00:04:11 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2014Sieben Tränen, vier Töne
Ihre Songs sind zwar schon vierhundert Jahre alt. Trotzdem passen sie heute wieder bestens an die Spitze der Schlagerparade: Drei neue Alben mit Musik von John Dowland und Henry Purcell.
Viele große Musiken verdanken sich einem Mangel. Eine Leerstelle tut sich auf. Etwas fehlt. Allerdings ist es ein romantisierender Biedermeierblödsinn, daraus Rückschlüsse zu ziehen auf die physische Befindlichkeit oder gar Moral des jeweiligen Künstlers, auf die hungernde Bohème, die Einsamkeit der armen Poeten. Auch satte und reiche, vergnügungssüchtige und gesellige Komponisten haben uns unsterbliche Werke hinterlassen.
John Dowland, der depressive Zeitgenosse William Shakespeares, hat keineswegs gedarbt - wenngleich seine engimatisch-misanthropischen Briefe etwas anderes suggerieren. Dowland war seinerzeit, im goldenen elisabethanischen Zeitalter, der anerkannt beste Lautenist weit und breit, auch einer der bestbezahlten. Mehr als hundert Stücke für Laute solo hat er hinterlassen, dazu eine Fülle von Liedern, die wie Volksmusikschlager weitergereicht und weiterverarbeitet wurden, dazu farbenreiche, harmonisch avantgardistische Consortmusiken. Dowland kam viel herum, arbeitete für den Herzog von Buckingham, den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, für den Landgrafen Moritz von Kassel, für König Christian IV von Dänemark. Und doch fühlte er sich zeitlebens zurückgesetzt. Zweimal hatte man ihm, als er sich am britischen Hofe bewarb, andere Kollegen vorgezogen. Als er schließlich, 1612, mit neunundvierzig Jahren, doch noch an das Ziel seiner Wünsche gelangte und zum "musician for the luth" am Hof von King James VI. avancierte, versiegte prompt seine Kreativität. Zu Hause angelangt, hörte Dowland auf zu komponieren. So entstehen Legenden.
Acht Jahre zuvor, noch im dänischen "Exil", hatte er eine der bizarrsten, herrlichsten britischen Consortmusiken komponiert: "Lachrimae or Seven Teares", gewidmet der dänischen Königin Anne. Sieben Stücke, die den musikalischen Mangel auf exemplarisch-geniale Weise verwaltet.
Diese sieben mehrstimmigen langsamen Variationen im einfachen Rhythmus einer Pavane werden aufgebaut auf nur vier Tönen. Es sind exakt jene vier Töne, mit denen auch Dowlands Song "Flow My Teares" anfängt. Ein schlichter Quartfall also. Simpler geht's nimmer. Was fehlt, ist der Rest der Tonleiter. Und der Komponist hat diese Leerstelle mit einer Kunstfertigkeit der Stimmenführung und Harmonieerfindung gefüllt, die ihresgleichen sucht.
An sich ist "Flow My Teares" seit vierhundert Jahren ein populärer Hit. Ein weltberühmtes Lied, dass dank heutiger Interpreten, etwa Sting oder Andreas Scholl, immer noch quicklebendig ist. Zum Mitsingen sind die "Lachrimae"-Pavanen allerdings eher ungeeignet. Und auch tanzen, wie sonst bei einem langsamen Schreit-Tanz üblich, kann man zu diesen sieben Musiken, die Dowland selbst im Titel "sieben Tränen" nennt, kaum. Ja selbst zur Zerstreuung, als Hintergrund- oder als Tafelmusik, taugen sie eher nicht. Es ist dies vielmehr eine Musik, die nur um ihrer selbst willen gespielt und gehört werden will, nichts weiter. L'art pour l'art. Absolute Musik.
Im Vorwort zur Drucklegung des Werkes wird erläutert, um welche Sorte "Träne" es jeweils geht und welche Inhalte darin schwimmen: es sind Liebestränen ("Lacrimae Amantis") oder Wahrheitstränen ("Lachrimae Verae"). Dowland schreibt dazu: "The teares which Musicke weeps neither are teares shed always in sorrow but sometime in joy and gladnesse."
Der Begriff "Träne" ist hier womöglich nur dem Liedmotiv geschuldet, ein spezieller Dowlandscher Ausdruck für "Affekt". Viele Komponisten, die nach ihm kamen, haben sich dessen "Lachrimae" zum Vorbild genommen. Auch das Improvisationspotential, das in den Variationen steckt, wurde schon reichlich ausgebeutet. Erstmals als Jazzimprovisationsbausteine wurden einzelne "Lachrimae" Dowlands 1999 benutzt, und zwar im Rahmen des von dem Tenor John Potter initiierten "Dowland Project" des Labels ECM. Für das Album "In Darkness let me dwell" improvisierte der Saxophonist John Surman gemeinsam mit dem Lautenisten Stephen Stubbs, der Barockgeigerin Maya Homburger und Barry Guy am Bass. Vierzehn Jahre später hat ECM jetzt eine Gesamteinspielung aller sieben Tränen in nahezu strenger Consortbesetzung herausgebracht: Barockvioline, Barockbratschen, Barockcello. Nur die Laute wurde weggelassen.
Verantwortlich für diese neu erschaffene Leerstelle der "Lachrimae" ist der Barockgeiger und zugleich Leiter des kleinen Ensembles, John Holloway. Er begründet dies damit, dass die Komposition auch ohne verdoppelnde Lautenstimme komplett sei. Und er unterbricht den monochromen Dowlandschen Tränenfluss durch interpolierte, kurze "Gaststücke": Fantasien und Lamenti von Henry Purcell, William Laws, Thomas Morley, Matthew Locke und John Jenkins. Das Ergebnis gibt ihm recht. Ein faszinierend homogenes, streichquartettähnliches Klangbild ist entstanden. Allerdings wirkt das Farbamalgam durch das Übergewicht der Bratschen stark eingedunkelt, was die Melancholie der Stücke unterstreicht, zugleich aber auch deren geballte Dissonanzenschärfe reduziert sowie alle Kontraste in Sfumato-Milde tunkt. Da der Pavanen-Fluss der "Tränen" einem gleichmäßig langsamen Puls folgt, stellt sich sofort erhabene Ruhe ein. Man wünscht sich, sie würde niemals enden. Dieses Album ist wie geschaffen für die Repeatfunktion. Und wär's nicht ein Zurücktappen in die schnöde "Gebrauchmusik"-Denkfalle, man möchte dieses Album empfehlen für therapeutische Zwecke.
Von dem Album "Shadows", mit dem die Sängerin Sarah Maria Sun jetzt etwas verspätet auf der Spur von Potters "The Dowland Project" wandelt, kann man dies nicht sagen. Sun besitzt eine feine, flache, nervös flatternde, dabei höchst bewegliche Kinderstimme. Ihre Interpretation der dreizehn schönsten Dowlandschen Lautenlieder wirkt wie unter Strom, in einem Zustand der Dauer-Erregung. Sehr edel die improvisierten Zwischenspiele von Saxophon (Jochen Feucht), Gitarre (Friedemann Wuttke) und Barockcello (Werner Matzke, die der Stimme voraus- oder hernacheilen, wie eilfertige Echos. Auch "Flow My Teares" darf nicht fehlen in diesem Recital, freilich hat man gerade das schon oft besser gehört.
Dass die Lieder des elisabethanischen und post-elisabethanischen Zeitalters pure Ohrwurmqualität haben und dass sie sich deshalb ganz hervorragend zur improvisatorischen Weiterverarbeitung eignen, hat jetzt auch Christina Pluhar erkannt. Das jüngste Programm ihres Ensembles L'Arpeggiata stellt die allerschönsten Lautenlieder und Theatersongs von Henry Purcell zusammen. Man wundert sich nur, warum sie nicht schon früher darauf verfiel! Purcell, Schlagerlieferant der halbseidenen Semi-Operas der Restaurationszeit, und Pluhar, Diva des Barock-Crossover, sind wie füreinander geschaffen.
Die musikalischen Arrangements gehen weiter als je zuvor. Sechzehn Titel werden sanft verjazzt und mit zartem Besenbeat grundiert. Die Combo setzt sich zusammen aus alten Freunden der Jazz-Szene: Gianluca Trovesi ist dabei mit seiner traurigen Klarinette, Wolfgang Muthspiel mit der elektrischen Guitarre, Boris Schmidt steht am Bass, und David Mayoral nebst zwei Kollegen sitzt am Schlagzeug. Dazu kommt die Theorbe, gespielt von Pluhar selbst, sowie Zink, Geige, Cembalo, Erzlaute, Harfe, Blockflöte und vier sehr verschiedene Vokalfarben.
Der kindliche Sopran von Raquel Andueza ist, wie auch die beiden teils spitzen, teils blechernen Falsettstimmen von Dominique Visse und Vincenzo Capezzuto, an sich keine Sensation - aber alle drei fügen sich bestens ins Klangbild dieser Purcell-Session. Das Kleinod aber, der Brillant dieser Produktion, ist Philippe Jaroussky. Er hat auch die schönsten Nummern zu singen: "Music for a while". Seine volle, verführerische Counterstimme wirkt so biegsam und wandelbar wie ein Instrument, ja es ist, sei dieses Singen eine Fortsetzung der improvisierten Klarinettenklänge Trovesis, ein Wurmfortsatz des Keyboards.
ELEONORE BÜNING.
Music for a while. Improvisations on Purcell.
Philippe Jaroussky, Gianluigi Trovesi u.a. L'Arpeggiata, Christina Pluhar.
Erato 46362035 (Warner).
Pavans & Fantasies from the Age of Dowland.
John Holloway, Monika Beer, Renate Steinmann, Susanna Hefti, Martin Zeller.
ECM New Series 2189/ 4810430 (Universal).
Shadows. Lieder von John Dowland.
Sarah Maria Sun, Jochen Feucht, Friedemann Wuttke, Werner Matzke.
Profil PH 41011 (Naxos)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ihre Songs sind zwar schon vierhundert Jahre alt. Trotzdem passen sie heute wieder bestens an die Spitze der Schlagerparade: Drei neue Alben mit Musik von John Dowland und Henry Purcell.
Viele große Musiken verdanken sich einem Mangel. Eine Leerstelle tut sich auf. Etwas fehlt. Allerdings ist es ein romantisierender Biedermeierblödsinn, daraus Rückschlüsse zu ziehen auf die physische Befindlichkeit oder gar Moral des jeweiligen Künstlers, auf die hungernde Bohème, die Einsamkeit der armen Poeten. Auch satte und reiche, vergnügungssüchtige und gesellige Komponisten haben uns unsterbliche Werke hinterlassen.
John Dowland, der depressive Zeitgenosse William Shakespeares, hat keineswegs gedarbt - wenngleich seine engimatisch-misanthropischen Briefe etwas anderes suggerieren. Dowland war seinerzeit, im goldenen elisabethanischen Zeitalter, der anerkannt beste Lautenist weit und breit, auch einer der bestbezahlten. Mehr als hundert Stücke für Laute solo hat er hinterlassen, dazu eine Fülle von Liedern, die wie Volksmusikschlager weitergereicht und weiterverarbeitet wurden, dazu farbenreiche, harmonisch avantgardistische Consortmusiken. Dowland kam viel herum, arbeitete für den Herzog von Buckingham, den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, für den Landgrafen Moritz von Kassel, für König Christian IV von Dänemark. Und doch fühlte er sich zeitlebens zurückgesetzt. Zweimal hatte man ihm, als er sich am britischen Hofe bewarb, andere Kollegen vorgezogen. Als er schließlich, 1612, mit neunundvierzig Jahren, doch noch an das Ziel seiner Wünsche gelangte und zum "musician for the luth" am Hof von King James VI. avancierte, versiegte prompt seine Kreativität. Zu Hause angelangt, hörte Dowland auf zu komponieren. So entstehen Legenden.
Acht Jahre zuvor, noch im dänischen "Exil", hatte er eine der bizarrsten, herrlichsten britischen Consortmusiken komponiert: "Lachrimae or Seven Teares", gewidmet der dänischen Königin Anne. Sieben Stücke, die den musikalischen Mangel auf exemplarisch-geniale Weise verwaltet.
Diese sieben mehrstimmigen langsamen Variationen im einfachen Rhythmus einer Pavane werden aufgebaut auf nur vier Tönen. Es sind exakt jene vier Töne, mit denen auch Dowlands Song "Flow My Teares" anfängt. Ein schlichter Quartfall also. Simpler geht's nimmer. Was fehlt, ist der Rest der Tonleiter. Und der Komponist hat diese Leerstelle mit einer Kunstfertigkeit der Stimmenführung und Harmonieerfindung gefüllt, die ihresgleichen sucht.
An sich ist "Flow My Teares" seit vierhundert Jahren ein populärer Hit. Ein weltberühmtes Lied, dass dank heutiger Interpreten, etwa Sting oder Andreas Scholl, immer noch quicklebendig ist. Zum Mitsingen sind die "Lachrimae"-Pavanen allerdings eher ungeeignet. Und auch tanzen, wie sonst bei einem langsamen Schreit-Tanz üblich, kann man zu diesen sieben Musiken, die Dowland selbst im Titel "sieben Tränen" nennt, kaum. Ja selbst zur Zerstreuung, als Hintergrund- oder als Tafelmusik, taugen sie eher nicht. Es ist dies vielmehr eine Musik, die nur um ihrer selbst willen gespielt und gehört werden will, nichts weiter. L'art pour l'art. Absolute Musik.
Im Vorwort zur Drucklegung des Werkes wird erläutert, um welche Sorte "Träne" es jeweils geht und welche Inhalte darin schwimmen: es sind Liebestränen ("Lacrimae Amantis") oder Wahrheitstränen ("Lachrimae Verae"). Dowland schreibt dazu: "The teares which Musicke weeps neither are teares shed always in sorrow but sometime in joy and gladnesse."
Der Begriff "Träne" ist hier womöglich nur dem Liedmotiv geschuldet, ein spezieller Dowlandscher Ausdruck für "Affekt". Viele Komponisten, die nach ihm kamen, haben sich dessen "Lachrimae" zum Vorbild genommen. Auch das Improvisationspotential, das in den Variationen steckt, wurde schon reichlich ausgebeutet. Erstmals als Jazzimprovisationsbausteine wurden einzelne "Lachrimae" Dowlands 1999 benutzt, und zwar im Rahmen des von dem Tenor John Potter initiierten "Dowland Project" des Labels ECM. Für das Album "In Darkness let me dwell" improvisierte der Saxophonist John Surman gemeinsam mit dem Lautenisten Stephen Stubbs, der Barockgeigerin Maya Homburger und Barry Guy am Bass. Vierzehn Jahre später hat ECM jetzt eine Gesamteinspielung aller sieben Tränen in nahezu strenger Consortbesetzung herausgebracht: Barockvioline, Barockbratschen, Barockcello. Nur die Laute wurde weggelassen.
Verantwortlich für diese neu erschaffene Leerstelle der "Lachrimae" ist der Barockgeiger und zugleich Leiter des kleinen Ensembles, John Holloway. Er begründet dies damit, dass die Komposition auch ohne verdoppelnde Lautenstimme komplett sei. Und er unterbricht den monochromen Dowlandschen Tränenfluss durch interpolierte, kurze "Gaststücke": Fantasien und Lamenti von Henry Purcell, William Laws, Thomas Morley, Matthew Locke und John Jenkins. Das Ergebnis gibt ihm recht. Ein faszinierend homogenes, streichquartettähnliches Klangbild ist entstanden. Allerdings wirkt das Farbamalgam durch das Übergewicht der Bratschen stark eingedunkelt, was die Melancholie der Stücke unterstreicht, zugleich aber auch deren geballte Dissonanzenschärfe reduziert sowie alle Kontraste in Sfumato-Milde tunkt. Da der Pavanen-Fluss der "Tränen" einem gleichmäßig langsamen Puls folgt, stellt sich sofort erhabene Ruhe ein. Man wünscht sich, sie würde niemals enden. Dieses Album ist wie geschaffen für die Repeatfunktion. Und wär's nicht ein Zurücktappen in die schnöde "Gebrauchmusik"-Denkfalle, man möchte dieses Album empfehlen für therapeutische Zwecke.
Von dem Album "Shadows", mit dem die Sängerin Sarah Maria Sun jetzt etwas verspätet auf der Spur von Potters "The Dowland Project" wandelt, kann man dies nicht sagen. Sun besitzt eine feine, flache, nervös flatternde, dabei höchst bewegliche Kinderstimme. Ihre Interpretation der dreizehn schönsten Dowlandschen Lautenlieder wirkt wie unter Strom, in einem Zustand der Dauer-Erregung. Sehr edel die improvisierten Zwischenspiele von Saxophon (Jochen Feucht), Gitarre (Friedemann Wuttke) und Barockcello (Werner Matzke, die der Stimme voraus- oder hernacheilen, wie eilfertige Echos. Auch "Flow My Teares" darf nicht fehlen in diesem Recital, freilich hat man gerade das schon oft besser gehört.
Dass die Lieder des elisabethanischen und post-elisabethanischen Zeitalters pure Ohrwurmqualität haben und dass sie sich deshalb ganz hervorragend zur improvisatorischen Weiterverarbeitung eignen, hat jetzt auch Christina Pluhar erkannt. Das jüngste Programm ihres Ensembles L'Arpeggiata stellt die allerschönsten Lautenlieder und Theatersongs von Henry Purcell zusammen. Man wundert sich nur, warum sie nicht schon früher darauf verfiel! Purcell, Schlagerlieferant der halbseidenen Semi-Operas der Restaurationszeit, und Pluhar, Diva des Barock-Crossover, sind wie füreinander geschaffen.
Die musikalischen Arrangements gehen weiter als je zuvor. Sechzehn Titel werden sanft verjazzt und mit zartem Besenbeat grundiert. Die Combo setzt sich zusammen aus alten Freunden der Jazz-Szene: Gianluca Trovesi ist dabei mit seiner traurigen Klarinette, Wolfgang Muthspiel mit der elektrischen Guitarre, Boris Schmidt steht am Bass, und David Mayoral nebst zwei Kollegen sitzt am Schlagzeug. Dazu kommt die Theorbe, gespielt von Pluhar selbst, sowie Zink, Geige, Cembalo, Erzlaute, Harfe, Blockflöte und vier sehr verschiedene Vokalfarben.
Der kindliche Sopran von Raquel Andueza ist, wie auch die beiden teils spitzen, teils blechernen Falsettstimmen von Dominique Visse und Vincenzo Capezzuto, an sich keine Sensation - aber alle drei fügen sich bestens ins Klangbild dieser Purcell-Session. Das Kleinod aber, der Brillant dieser Produktion, ist Philippe Jaroussky. Er hat auch die schönsten Nummern zu singen: "Music for a while". Seine volle, verführerische Counterstimme wirkt so biegsam und wandelbar wie ein Instrument, ja es ist, sei dieses Singen eine Fortsetzung der improvisierten Klarinettenklänge Trovesis, ein Wurmfortsatz des Keyboards.
ELEONORE BÜNING.
Music for a while. Improvisations on Purcell.
Philippe Jaroussky, Gianluigi Trovesi u.a. L'Arpeggiata, Christina Pluhar.
Erato 46362035 (Warner).
Pavans & Fantasies from the Age of Dowland.
John Holloway, Monika Beer, Renate Steinmann, Susanna Hefti, Martin Zeller.
ECM New Series 2189/ 4810430 (Universal).
Shadows. Lieder von John Dowland.
Sarah Maria Sun, Jochen Feucht, Friedemann Wuttke, Werner Matzke.
Profil PH 41011 (Naxos)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main